Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.03.2010, Az. 2 StR 427/09

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 8796

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 427/09 vom 3. März 2010 in der Strafsache gegen wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 3. März 2010, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.] Prof. Dr. Fischer als Vorsitzender, die [X.]in am [X.] Roggenbuck, die [X.] am [X.] [X.], [X.], Prof. Dr. [X.], Oberstaatsanwältin beim [X.] als Vertreterin der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, [X.]als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 27. April 2009 mit den Feststellungen aufge-hoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutz-kammer des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf dreier, teils gemein-schaftlich begangener sexueller Nötigungen aus tatsächlichen Gründen freige-sprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom [X.] vertreten wird, mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg. 1 I. Ein grundlegender Mangel des Urteils liegt bereits darin, dass es nicht erkennen lässt, welchen Sachverhalt das [X.] als festgestellt erachtet. Vielmehr schließt sich nach Mitteilung des [X.]s unmittelbar die Be-weiswürdigung an. 2 - 4 - Spricht aber der Tatrichter den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss er in den Urteilsgründen zunächst den [X.], hieran an-schließend die hierzu getroffenen Feststellungen, dann die wesentlichen Be-weisgründe und schließlich seine rechtlichen Erwägungen mitteilen. Der [X.] muss also zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwie-sen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10, 13 jeweils m.w.N.; [X.], 512, 513; zum Aufbau eines freisprechenden Urteils [X.]/[X.], [X.] in [X.]. [X.]. 619 ff.). Hier sind die Freisprüche - weil tatsächliche Feststellungen nicht ausgewiesen sind - aus den Urteilsgründen selbst heraus nicht nachvollziehbar und nicht überprüfbar. Bereits dieser Darstellungsmangel zwingt zur Aufhebung des Urteils. 3 II. Im Übrigen hält auch die Beweiswürdigung sachlich-rechtlicher Nachprü-fung nicht stand. 4 Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unter-liegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler [X.] sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüch-lich, unklar oder lückenhaft ist, bzw. gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfah-rungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). [X.] sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Ist die Beweislage schwierig und hängt die Entscheidung im Wesentlichen 5 - 5 - davon ab, ob das Gericht den Angaben des potentiellen Opfers einer Sexual-straftat oder dem Angeklagten folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen [X.], erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13, 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn die einzige [X.] in der Hauptverhandlung ihre Vorwürfe im Wesentlichen nicht mehr aufrechterhält (BGHSt 44, 153, 159; 256; [X.], 254; [X.], [X.] Aufl. § 261 [X.]. 11 a). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht: 6 Sie ist lückenhaft, weil das Urteil nicht erkennen lässt, dass das [X.] alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Ungunsten des [X.] zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat. 7 1. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, zusammen mit drei anderen nach einem Discobesuch die Geschädigte - unter dem Vorwand, sie nach [X.] zu wollen - zu einer gemeinsamen [X.] überredet zu haben. Bei ei-nem Halt auf einem Feldweg habe der Angeklagte die Zeugin aus dem PKW gezerrt, sie zu küssen versucht und zusammen mit einem der Mitfahrer ihre Hose gewaltsam heruntergezogen, um gegen ihren Willen mit ihr den Beischlaf zu vollziehen, was letztlich an ihrer heftigen Gegenwehr gescheitert sei. 8 Während der anschließenden Weiterfahrt habe der neben der Geschä-digten auf dem Rücksitz des PKW's sitzende Angeklagte erfolglos durch ge-waltsames Herunterdrücken des Kopfes diese zur Ausführung des [X.] zwingen wollen. Nach dem Scheitern dieser Bemühungen habe er die Hand der Zeugin zu seinem erigierten Glied geführt und bis zum Samenerguss hin und her bewegt. 9 - 6 - 2. Diesen vor allem auf den polizeilichen Aussagen der Geschädigten beruhenden [X.] hält die [X.] nicht für erwiesen, weil sich die Zeugin in der Hauptverhandlung zunächst auf Erinnerungslücken berufen und später ihre Aussage relativiert habe. Der Angeklagte hingegen habe bestrit-ten, an dem stattgefundenen [X.] außerhalb des PKW be-teiligt gewesen zu sein. Die sich anschließenden sexuellen Handlungen auf der Rücksitzbank seien einvernehmlich erfolgt, er habe der Geschädigten nur die Hand geführt ([X.]). 10 3. Die Beweiswürdigung der [X.] ist bereits deshalb rechtsfeh-lerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der im Ermitt-lungsverfahren mehrfach vernommenen Geschädigten fehlt. Das [X.] kann so nicht prüfen, ob der Tatrichter alle Umstände, die die Entschei-dung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen [X.] hat. Insbesondere bleibt unerörtert, welche belastenden Aussagen die Zeugin bei welcher polizeilichen Vernehmung überhaupt gemacht hat sowie, ob und ggf. welche Angaben sie zu den vom Angeklagten behaupteten sexuellen Annäherungen ihrerseits in der Discothek und während der Fahrt bis zum [X.] gemacht hat. 11 4. Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung deshalb lückenhaft, weil sich das [X.] nicht damit auseinandersetzt, welches Motiv die Geschädigte gehabt haben könnte, den ihr bis dahin völlig unbekannten Angeklagten und dessen drei Freunde zu Unrecht einer sexuellen Nötigung zu beschuldigen. Die Erwägung, die Geschädigte könnte die Geschehnisse zunächst eher "dramati-siert" haben ([X.]), ist insoweit unbehelflich. 12 Weitere, von der [X.] unberücksichtigte Indizien für die Glaub-würdigkeit der Zeugin sind, dass das von ihr geschilderte äußere Tatgeschehen 13 - 7 - im PKW insoweit vom Angeklagten, dessen Spermaspuren ausweislich der [X.] auf der Jacke der Geschädigten gesichert werden konnten, eingeräumt wird und dass der von ihr angezeigte [X.] außerhalb des PKW's nach der Anklage eine objektive Bestätigung durch von den [X.] gefertigte Lichtbilder findet. Auch der Angeklagte selbst räumt den von der Geschädigten angezeigten [X.] auf dem Feldweg ein, der jedoch nicht von ihm, der im Auto sitzen geblieben sein will, sondern aus-schließlich von seinen Mitfahrern unternommen worden sein soll. Weiterhin spräche es für die Glaubwürdigkeit der Geschädigten, wenn sie sich im unmittelbaren [X.] an die [X.] noch vor [X.] ihren Eltern anvertraut hätte, wofür sich in den Urteilsgründen Anhalts-punkte finden ([X.]); auch insoweit fehlt es an der erforderlichen Wiedergabe der von dem Vater der Geschädigten in der Hauptverhandlung dazu offenbar gemachten Bekundungen. 14 Ebenso wenig werden die früheren Einlassungen des Angeklagten [X.], und es wird nicht erwogen, dass es sich in der Hauptverhandlung um eine der damaligen Beweislage angepasste Einlassung gehandelt haben könn-te. Zu einer solchen Überlegung hätte umso mehr Veranlassung bestanden, weil die [X.] selbst mitteilt, dass der Angeklagte und seine als Zeugen vernommenen Mitfahrer im Vorfeld der Hauptverhandlung eine Falschaussage mit dem Ziel der Entlastung Einzelner verabredet hatten ([X.]). 15 5. Dass - wovon die [X.] ausgeht - die gerade einer Vergewalti-gung entronnene Geschädigte unmittelbar anschließend in gelöster Stimmung ([X.]/7) freiwillig auf der Rücksitzbank an dem Angeklagten sexuelle Handlun-gen vorgenommen haben könnte, bzw. dass der Angeklagte ungeachtet des gerade vorausgegangenen [X.]s jedenfalls von einer [X.] - 8 - willigen sexuellen Hingabe der Zeugin, deren Hand er "führte" ([X.]), [X.] war, widerspricht der Lebenserfahrung und hätte eingehender begrün-det werden müssen. 6. Der neue Tatrichter wird auch denkbaren Ursachen für ein gegebe-nenfalls zögerliches Aussageverhalten der Geschädigten nachzugehen haben. 17 Fischer Roggenbuck [X.]

Meta

2 StR 427/09

03.03.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.03.2010, Az. 2 StR 427/09 (REWIS RS 2010, 8796)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8796

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