Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2017, Az. 2 StR 275/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 4983

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafurteil wegen sexuellen Kindesmissbrauchs: Anforderungen die Darlegungen zur Beweiswürdigung in "Aussage-gegen-Aussage"-Fällen


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt.

2

Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es nicht an.

3

1. Die durch das [X.] vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten gegenüber der Enkelin seiner Lebensgefährtin hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, [X.], 367, 368) - sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

4

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 [X.], [X.]R [X.] § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachw. bei [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 261, Rn. 3 und 38).

5

In Fällen, in denen - wie hier - "Aussage gegen Aussage" steht, hat der [X.] zudem besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 1987 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, [X.]R [X.] § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. [X.], Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, [X.], 656, 657; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO).

6

b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das [X.] nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln. Der [X.] hat insoweit in seiner Antragsschrift vom 19. Juli 2017 ausgeführt:

7

„Hinsichtlich des Kerngeschehens der sechs festgestellten Taten liegt eine ‚Aussage gegen [X.] vor. Anders als die Feststellungen zur Aussageentstehung sind die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch [X.], Beschluss vom 24. April 2014 - 5 [X.], [X.], 219), lückenhaft.

8

Das [X.] führt aus, dass die Geschädigte ihre Erlebnisse zunächst gegenüber dem Zeugen    M.  , dann auch detailreicher gegenüber der Polizei und schließlich ebenfalls umfassend vor der Kammer geschildert hat ([X.]). Aufgrund der Aussage der Kriminalhauptkommissarin [X.]stellt die Kammer sodann fest, dass die von der Geschädigten vor der Kammer gemachten Angaben mit denen übereinstimmen, die sie schon bei der Polizei gemacht hat. Auch hier habe sie schon die genaueren Details dazu - gemeint sind die als sexuelle Übergriffe bezeichneten Handlungen des Angeklagten - mitgeteilt. Dem Urteil sind jedoch diese genaueren Details der Aussage insbesondere zum Kerngeschehen nicht zu entnehmen. Ansatzweise werden lediglich die Situation nach dem letzten erlebten Übergriff im Jahr 2011, als die Geschädigte ihre Mutter aufgefordert hatte, sie abzuholen ([X.]) und die Vorkommnisse geschildert, in denen der Angeklagte die Geschädigte an der Brust gestreichelt und mit der Zunge berührt hat ([X.], 29). Ebenso nur in Ansätzen ([X.], 27 f.) wird wiedergegeben, was die Geschädigte gegenüber ihrem Vater und ihrer Mutter zu den Taten des Angeklagten erzählt hat, als sie sich diesen anvertraut hatte.

9

Die [X.] der Aussage der Geschädigten ist jedoch für die Verurteilung des Angeklagten von besonderer Bedeutung. Diese muss für das Revisionsgericht nachprüfbar sein, wodurch detaillierte Angaben zu den verschiedenen Aussagen der Zeugin erforderlich sind. Dies gilt umso mehr, als die Kammer im Zusammenhang mit den Feststellungen der Taten 5 und 6 selbst von Abweichungen zwischen der Aussage der Geschädigten vor Gericht und ihrer polizeilichen Vernehmung ausgegangen ist (UA S. 29).

Die von der Kammer nachvollziehbar ([X.], 18 ff.) als widerlegt angesehene Einlassung des Angeklagten und als unglaubwürdig angesehenen Ausführungen der Zeugin     U.   ([X.] f., 15 ff.) vermögen diese Mängel in einer Gesamtschau ebenso wenig (zu) beseitigen, wie die Aussagen der Zeugen    M.   und    M.  -U.   zu vergleichbaren Taten des Angeklagten zum Nachteil der Zeugin    [X.].  .“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.

3. Zur sprachlichen Abfassung eines Urteils verweist der Senat auf [X.]/[X.], [X.], 29. Aufl., Rn. 207 ff.

[X.]   

        

Ri[X.] Prof. Dr. Krehl
ist wegen Urlaubs an
der Unterschrift
gehindert.

        

   Zeng

                 

[X.]   

                 
        

Grube   

        

Ri[X.] [X.] ist
wegen Urlaubs an
der Unterschrift
gehindert.

        
                          

[X.]   

        

Meta

2 StR 275/17

21.09.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Gera, 3. März 2017, Az: 440 Js 13508/16 - 2 KLs jug (29)

§ 176 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2017, Az. 2 StR 275/17 (REWIS RS 2017, 4983)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4983

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 275/17 (Bundesgerichtshof)


2 StR 235/16 (Bundesgerichtshof)

Verurteilung wegen Sexualdelikten: Anforderungen an die Beweiswürdigung in den Urteilsgründen in einem Aussage-gegen-Aussage-Fall


2 StR 465/16 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen sexuellen Kindesmissbrauchs: Rechtsfehlerhafte Nichtberücksichtigung des Ergebnisses einer gynäkologischen Untersuchung


2 StR 152/20 (Bundesgerichtshof)

Strafurteil wegen sexuellen Kindesmissbrauchs: Anforderungen an die Darstellung der wesentlichen Beweiserwägungen bei DNA-Gutachten und in …


2 StR 423/15 (Bundesgerichtshof)

Strafurteil wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes: Besondere Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung bei detailarmer …


Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 275/17

Zitiert

2 StR 235/16

5 StR 113/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.