Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.02.2024, Az. V ZB 44/23

5. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1249

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Gegenstand

Widerrufbarkeit einer Rücknahme des Versteigerungsantrags


Leitsatz

Die Rücknahme des Versteigerungsantrags nach § 29 ZVG ist als eine auf den Erlass des Aufhebungsbeschlusses gerichtete Prozesshandlung grundsätzlich bis zum Wirksamwerden des Aufhebungsbeschlusses widerruflich; die mit der Rücknahme des Versteigerungsantrags bezweckte Verfahrensbeendigung tritt erst mit dem konstitutiv wirkenden Aufhebungsbeschluss ein (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 10. Juli 2008 - V ZB 130/07, BGHZ 177, 218 Rn. 9 ff.).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des [X.] - 1. Zivilkammer - vom 14. Juni 2023 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 140.000 €.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten zu 1 und 2 sind in Trennung lebende Eheleute und jeweils zur Hälfte Eigentümer des im Eingang des Beschlusses bezeichneten Grundbesitzes. Zur Aufhebung der [X.] beantragte der Beteiligte zu 1 die Teilungsversteigerung; die Beteiligte zu 2 trat dem Zwangsversteigerungsverfahren bei. Im Versteigerungstermin erklärte der [X.] des Beteiligten zu 1, er nehme den Antrag auf Zwangsversteigerung zurück. Daraufhin nahm die Beteiligte zu 2 ihren Beitrittsantrag zurück. Auf Nachfrage des [X.], ob der Beteiligte zu 1 den Antrag wirklich zurücknehmen wolle, erklärte der [X.] nach Rücksprache mit dem Beteiligten zu 1, die Rücknahme des [X.] werde zurückgenommen und die Zuschlagserteilung beantragt.

2

Antragsgemäß ist der Zuschlag auf das [X.] erteilt worden. Gegen den Zuschlagsbeschluss hat die Beteiligte zu 2 sofortige Beschwerde erhoben. Das [X.] hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beteiligte zu 2 mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

3

Nach Ansicht des [X.] ist der Zuschlagsbeschluss nicht deswegen aufzuheben, weil der Antrag auf Teilungsversteigerung zunächst zurückgenommen worden ist. Die [X.] sei wirksam widerrufen worden. Bei der [X.] handele es sich nämlich um eine Erwirkungshandlung. Nach § 29 [X.] ende die [X.] und damit auch das Verfahren erst, wenn das Vollstreckungsgericht dies konstitutiv festgestellt habe. [X.] könnten nach den allgemeinen Grundsätzen so lange widerrufen werden, wie keine geschützte Position der Gegenseite entstanden sei und das Gericht die zu erwirkende Handlung noch nicht vollzogen habe.

III.

4

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Zuschlag ist zu Recht nicht versagt worden. Ein Versagungsgrund ist nach § 100 Abs. 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 [X.] unter anderem dann gegeben, wenn die Zwangsversteigerung aus einem sonstigen Grund unzulässig ist. Die Rücknahme des Antrags gemäß § 29 [X.] stellt zwar einen solchen sonstigen Grund dar (vgl. [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 83 Rn. 7). Im vorliegenden Fall liegt aber jedenfalls im Ergebnis keine Rücknahme des [X.] vor.

5

1. Es ist bereits zweifelhaft, ob in der Erklärung des [X.]n des Beteiligten zu 1 die Rücknahme des [X.] gemäß § 29 [X.] zu sehen ist. Zwar hat der [X.] des Beteiligten zu 1 im Versteigerungstermin erklärt, er nehme den [X.] zurück. Dafür, dass es auf Seiten des Beteiligten zu 1 und seines [X.]n zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu einer abschließenden Entscheidung über eine [X.] gekommen ist, spricht aber der Ablauf der anschließenden Erörterung im Versteigerungstermin. Auf die Nachfrage des [X.], ob dies wirklich so gewollt sei, revidierte der [X.] des Beteiligten zu 1 nämlich seine Äußerung, nahm die Rücknahme des [X.] zurück und beantragte die Erteilung des Zuschlags. Die [X.] ist sodann nicht, wie gemäß § 78, § 80 [X.] i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO erforderlich, in das Protokoll aufgenommen worden (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 1. Juli 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1458 Rn. 12); dementsprechend ist eine Genehmigung gemäß § 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO unterblieben. Auch wenn die Sitzungsniederschrift lediglich Beweiszwecken dient und die Genehmigung nicht im Sinne eines Formerfordernisses zu verstehen ist, sondern nur für die Richtigkeit des Protokolls zusätzliche Gewähr bieten soll (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Januar 1984 - [X.], NJW 1984, 1465 f.; Beschluss vom 4. Juli 2007 - [X.], NJW-RR 2007, 1451 Rn. 6), dürfte es dem Sinn einer Erörterung im Termin entsprechen, dass [X.] noch überdacht und gegebenenfalls revidiert werden können, bevor sie endgültig abgegeben und sodann genehmigt werden.

6

2. Eine Entscheidung hierüber kann jedoch dahinstehen. Denn selbst wenn der Beteiligte zu 1 bereits die Rücknahme des [X.] erklärt hätte, wäre die [X.], wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, jedenfalls wirksam widerrufen worden.

7

a) Allerdings ist umstritten, ob eine [X.] nach § 29 [X.] wirksam widerrufen werden kann. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass die [X.] vor Erlass des [X.] widerrufen werden könne, weil die [X.]en nur durch einen konstitutiven Aufhebungsbeschluss entfielen und somit auch erst hierdurch das Verfahren beendet werde (vgl. [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 29 Rn. 6 f.; [X.]/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., § 29 Rn. 7). Die insbesondere in der älteren Rechtsprechung und Literatur vertretene Gegenmeinung sieht in der [X.] eine ab dem Eingang bei Gericht unwiderrufliche verfahrensbeendende Prozesshandlung (vgl. [X.], Rpfleger 1969, 99; [X.], Rpfleger 1973, 149; [X.], [X.], § 29 Rn. 9; [X.]/Nicht, [X.], 23. Aufl., § 29 Rn. 5; Drischler, [X.] 1964, 1, 4; [X.], [X.] 157 [1958/59], 470, 475). Gestützt wird diese Auffassung vornehmlich auf ein Verständnis, wonach dem Aufhebungsbeschluss nach § 29 [X.] lediglich deklaratorische Wirkung zukomme.

8

b) Die erstgenannte Auffassung trifft zu.

9

aa) Im Ausgangspunkt sind Prozesshandlungen wegen ihrer prozessgestaltenden Wirkung dann grundsätzlich unwiderruflich, wenn sie als so genannte Bewirkungshandlungen die Prozesslage unmittelbar beeinflussen, wie dies etwa bei der Rücknahme der Klage oder der Rücknahme eines Rechtsmittels der Fall ist (vgl. Senat, Urteil vom 23. Oktober 2015 - [X.], [X.], 716 Rn. 18; Urteil vom 27. Februar 2015 - [X.], NJW 2015, 2425 Rn. 27; [X.], Urteil vom 18. Oktober 2022 - [X.], [X.], 2421 Rn. 27). Prozesshandlungen, deren bezweckter Erfolg erst auf Grund eines Tätigwerdens des Gerichts eintritt (so genannte [X.]), sind dagegen widerruflich, solange durch sie keine geschützte Position der Gegenseite entstanden ist (Senat, Urteil vom 27. Februar 2015 - [X.], aaO Rn. 28). Unter dem Tätigwerden des Gerichts ist dabei eine gerichtliche Entscheidung, durch die auf den Prozess eingewirkt wird, zu verstehen (vgl. [X.], ZPO, 23. Aufl., vor § 128 Rn. 252; [X.]/[X.], ZPO, 35. Aufl., vor § 128 Rn. 14).

bb) Daran gemessen handelt es sich bei der Rücknahme des [X.] um eine Erwirkungshandlung. Infolgedessen ist die Rücknahme des [X.] nach § 29 [X.] als eine auf den Erlass des [X.] gerichtete Prozesshandlung grundsätzlich bis zum Wirksamwerden des [X.] widerruflich; die mit der Rücknahme des [X.] bezweckte [X.] tritt erst mit dem konstitutiv wirkenden Aufhebungsbeschluss ein.

(1) Geklärt ist in der Rechtsprechung des Senats, dass dann, wenn der Gläubiger den Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung während des Verfahrens uneingeschränkt zurücknimmt, die Beschlagnahme des Grundstücks und der von ihr umfassten Gegenstände nicht schon mit dem Eingang der [X.] bei dem Vollstreckungsgericht, sondern erst mit dem Aufhebungsbeschluss endet (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juli 2008 - [X.], [X.]Z 177, 218 Rn. 9 ff.). Die Beschlagnahme wird nicht etwa durch den Antrag des Gläubigers auf Anordnung der Zwangsverwaltung, sondern durch hoheitliches Handeln des Vollstreckungsgerichts, das für den Staat als Inhaber der Zwangsgewalt tätig wird, bewirkt und ist somit öffentlich-rechtlicher Natur. Daraus folgt, dass nur das Vollstreckungsgericht die durch den [X.] (§§ 20, 146 Abs. 1 [X.]) wirksam gewordene Beschlagnahme wieder beseitigen kann. Dafür bedarf es eines [X.] (§ 32, § 146 Abs. 1 [X.]), der konstitutiv wirkt. Denn eine hoheitliche Maßnahme kann nicht von einem Privaten aufgehoben werden. Zudem verlangt der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, dass die Wirkungen der Beschlagnahme erst mit dem Aufhebungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts und nicht bereits mit dem Eingang der [X.] des Gläubigers bei dem Gericht enden.

(2) Diese Erwägungen gelten für das Zwangsversteigerungsverfahren gleichermaßen (vgl. § 146 Abs. 1, § 161 Abs. 4 [X.]). Die Beschlagnahme des Grundstücks und der von ihr umfassten Gegenstände wird im Zwangsversteigerungsverfahren mit dem Zeitpunkt wirksam, in welchem der [X.] dem Schuldner zugestellt wird (§ 20 Abs. 1, § 22 Abs. 1 [X.]). Weil die Wirkungen der Beschlagnahme erst durch den Aufhebungsbeschluss beseitigt werden, hat dieser konstitutive Wirkung. Dementsprechend endet das Verfahren, wie sich aus dem Wortlaut von § 29 [X.] ergibt, nicht schon durch die [X.], sondern es wird erst durch den der [X.] nachfolgenden Beschluss aufgehoben. Das entspricht auch den Erfordernissen der Rechtssicherheit (vgl. zum [X.], Beschluss vom 10. Juli 2008 - [X.], [X.]Z 177, 218 Rn. 13).

c) Nach alledem war die Rücknahme des [X.] des Beteiligten zu 1 widerruflich. Der Widerruflichkeit steht eine geschützte Position der Gegenseite (vgl. hierzu oben Rn. 9) nicht entgegen. Denn durch die etwaige Rücknahme des [X.] hat die Beteiligte zu 2 keine schutzwürdige Position erlangt, die dem Widerruf entgegenstehen könnte.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Bei Beschwerden in Zwangsversteigerungsverfahren kommt eine Erstattung außergerichtlicher Kosten zwar grundsätzlich nicht in Betracht, da sich die Beteiligten nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen. Streiten aber - wie hier - Miteigentümer im Rahmen einer Teilungsversteigerung mit entgegengesetzten Interessen und Anträgen, rechtfertigt der kontradiktorische Charakter der Auseinandersetzung die Anwendung der §§ 91 ff. ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 143 Rn. 10).

Brückner     

      

Haberkamp     

      

Hamdorf

      

Malik     

      

Schmidt     

      

Meta

V ZB 44/23

15.02.2024

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Rottweil, 14. Juni 2023, Az: 1 T 74/23

§ 29 ZVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.02.2024, Az. V ZB 44/23 (REWIS RS 2024, 1249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1249

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XI ZR 606/20

V ZR 128/14

V ZR 76/14

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