Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2023, Az. XII ZB 107/23

12. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 5956

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Gegenstand

Rechtsbeschwerde gegen eine Unterbringungsgenehmigung für einen Betreuten: Wesentlicher Verfahrensfehler bei der Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 2. März 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.

1

Der 41-jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einem organischen Psychosyndrom und einer organischen Persönlichkeitsveränderung, wegen derer für ihn seit 2003 eine gesetzliche Betreuung eingerichtet ist. Auf Antrag des Betreuers (Beteiligter zu 2) hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 20. Januar 2023 die Unterbringung des Betroffenen bis zum 10. Januar 2024 genehmigt. Das [X.] hat die Beschwerde des Verfahrenspflegers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

2

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

3

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der Betroffene ungeachtet dessen beschwerdeberechtigt, dass die Erstbeschwerde nur durch den Verfahrenspfleger eingelegt worden ist. Denn ist die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss durch einen anderen Verfahrensbeteiligten - etwa durch eine gemäß § 335 Abs. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen beschwerdeberechtigte Person oder wie hier durch den Verfahrenspfleger - zulässig erhoben worden, ist der Betroffene nicht gehalten, selbst eine Beschwerde einzulegen. Für eine Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen die Beschwerdeentscheidung kommt es dann nur auf seine materielle Beschwer an (Senatsbeschluss vom 5. Juli 2023 - [X.] 139/23 - mwN, zur Veröffentlichung bestimmt).

4

2. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das [X.] in einem entscheidungserheblichen Punkt das rechtliche Gehör des Betroffenen nicht gewahrt hat. Denn es hat weitere Ermittlungen durchgeführt, auf die es seine Entscheidung auch gestützt hat, ohne dem Betroffenen hierzu die Möglichkeit der Stellungnahme einzuräumen.

5

a) Die Anhörung des Betroffenen durch das [X.] litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil sie sich nicht auf den gesamten vom [X.] verwerteten Verfahrensstoff erstreckte. Die Verwertung von sachverständigen Ausführungen als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Februar 2019 - [X.] 504/18 - Rpfleger 2019, 339 Rn. 9 mwN).

6

b) Diesen Vorgaben wird das landgerichtliche Verfahren nicht gerecht. Aus der Beschwerdeentscheidung ergibt sich, dass das [X.] seine Entscheidung auch auf medizinische Einschätzungen gestützt hat, die die behandelnden Ärzte in einer Vorbesprechung zum Anhörungstermin am 28. Februar 2023 in Abwesenheit des Betroffenen abgegeben haben. Damit hat das [X.] über das schriftliche Gutachten hinausgehende Erkenntnisse und damit eine neue Tatsachengrundlage für seine Entscheidung herangezogen, zu der es Gelegenheit zur Stellungnahme hätte geben müssen.

7

Hingegen sind dem Betroffenen die Erkenntnisse aus der Vorbesprechung mit den behandelnden Ärzten in der anschließend durchgeführten Anhörung ausweislich des [X.] nicht mitgeteilt worden und ist ihm nicht Gelegenheit gegeben worden, dazu Stellung zu nehmen.

8

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen, das dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu den aus dem ärztlichen Vorgespräch zu verwertenden Erkenntnissen zu geben und ihn dazu ergänzend anzuhören haben wird.

9

Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

[X.]     

        

Günter     

        

Nedden-Boeger

        

Krüger      

        

Pernice      

        

Meta

XII ZB 107/23

02.08.2023

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Hamburg, 2. März 2023, Az: 301 T 33/23

§ 37 Abs 2 FamFG, § 288 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2023, Az. XII ZB 107/23 (REWIS RS 2023, 5956)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5956

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 139/23

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