Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2023, Az. XII ZB 277/22

12. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 974

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Gegenstand

Einrichtung einer Betreuung: tatrichterliche Feststellung einer freien Willensbestimmung des Betroffenen trotz Erkrankung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] ([X.]) vom 31. Mai 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des [X.] (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

1

Die Betroffene wendet sich gegen die Einrichtung einer Betreuung.

2

Das Amtsgericht hat für die im Jahr 1949 geborene Betroffene nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge einschließlich der Verwaltung und Vermietung von Immobilien sowie der Entgegennahme, dem Öffnen und Anhalten der Post eingerichtet und ihr eine Betreuerin bestellt. Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt.

3

Vor seiner Nichtabhilfeentscheidung hat das Amtsgericht im Beschwerdeverfahren zwei weitere psychiatrische Sachverständigengutachten eingeholt. Das [X.] hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

5

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung lägen auch in Ansehung des entgegenstehenden Willens der Betroffenen vor, weil nach den Ausführungen der Sachverständigen, denen es sich nach eigener kritischer Würdigung anschließe, davon auszugehen sei, dass die freie Willensbildung der Betroffenen krankheitsbedingt beeinträchtigt sei. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene trotz ihrer Erkrankung zur Bildung eines freien Willens in der Lage sei, ergäben sich dagegen aus den Sachverständigengutachten nicht.

6

2. Die Entscheidung des [X.]s hält rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil die Betreuung gegen den Willen der Betroffenen angeordnet worden ist, es aber an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen dazu fehlt, dass die Betroffene nicht über einen freien Willen im Sinne des § 1814 Abs. 2 BGB (bis 31. Dezember 2022 § 1896 Abs. 1a BGB) verfügt.

7

a) Nach § 1814 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer gegen den freien Willen eines Volljährigen nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung daher stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das sachverständig beratene Gericht hat hierfür festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist ([X.]sbeschlüsse vom 7. März 2018 - [X.] 540/17 - FamRZ 2018, 848 Rn. 6 mwN und vom 16. März 2016 - [X.] 455/15 - FamRZ 2016, 970 Rn. 6).

8

b) Das [X.] hat hierzu in seiner Entscheidung ausgeführt, die Betroffene sei nach den Sachverständigengutachten „vermindert“ bzw. „nicht“ in der Lage, „wirtschaftlich rational zu denken und zu ihrem Wohl zu handeln“. Sie sei krankheitsbedingt absehbar nicht in der Lage, ihren Willen „unbeeinträchtigt“ von dem vorliegenden Störungsbild zu bestimmen und könne „lediglich eingeschränkt entlang vernünftiger Überlegungen und zutreffend gewonnener Einsichten planvoll zu ihrem Wohl handeln; ihre Kritik- und Urteilsfähigkeit“ sei „dementsprechend beeinträchtigt“. Die freie Willensbildung der Betroffenen sei „krankheitsbedingt beeinträchtigt“ bzw. „nicht unbeeinträchtigt“. Damit ist indes nicht widerspruchsfrei festgestellt, dass die Betroffene zu einer freien Willensbildung nicht mehr in der Lage ist (vgl. [X.]sbeschlüsse vom 31. Oktober 2018 - [X.] 552/17 - FamRZ 2019, 239 Rn. 6 mwN; vom 7. März 2018 - [X.] 540/17 - FamRZ 2018, 848 Rn. 7 mwN; vom 17. Mai 2017 - [X.] 495/16 - FamRZ 2017, 1341 Rn. 13 und vom 16. März 2016 - [X.] 455/15 - FamRZ 2016, 970 Rn. 8). Soweit das [X.] ausgeführt hat, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene aufgrund ihrer Erkrankung zur Bildung eines freien Willens in der Lage sei, ergäben sich dagegen aus den Sachverständigengutachten nicht, hat es im Übrigen schon im Ansatz verkannt, dass die Unfähigkeit der Betroffenen zur Bildung eines freien Willens der positiven Feststellung bedarf.

9

3. Der angefochtene Beschluss kann nach alledem keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die gebotenen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht Gelegenheit, eine verfahrensordnungsgemäße Anhörung der Betroffenen durchzuführen und Feststellungen zu dem bislang nicht ausreichend aufgeklärten Krankheitsbild der Betroffenen zu treffen.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Guhling     

  

Klinkhammer     

  

Günter

  

Botur     

  

Pernice     

  

Meta

XII ZB 277/22

11.01.2023

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Ellwangen, 31. Mai 2022, Az: 1 T 34/22

§ 1814 Abs 2 BGB, § 1896 Abs 1 Buchst a BGB vom 17.12.2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2023, Az. XII ZB 277/22 (REWIS RS 2023, 974)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 974

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XII ZB 540/17

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XII ZB 552/17

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