Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.09.2021, Az. XII ZB 300/21

12. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 2256

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Unterbringungssache: Anforderungen an die Begründung der Anordnung einer Unterbringung von einem Jahr


Leitsatz

Zu den Begründungsanforderungen, wenn eine Unterbringung von einem Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. April 2021 - XII ZB 520/20, FamRZ 2021, 1242).

Tenor

Dem Betroffenen wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt    beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 14. Juli 2020 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 31. Mai 2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

1

Der Betroffene leidet seit 2012 an einer paranoid-psychotischen Störung aus dem schizophrenen Formenkreis. Seit Juni 2017 ist für ihn eine Betreuung eingerichtet. Nachdem der Betroffene im Juni 2020 nach der Einnahme einer Überdosis von [X.] in eine Klinik eingeliefert werden musste, hat das Amtsgericht auf Antrag des Betreuers zunächst durch einstweilige Anordnung die geschlossene Unterbringung des Betroffenen bis längstens 17. Juli 2020 genehmigt.

2

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht auf Antrag des Betreuers mit Beschluss vom 14. Juli 2020 die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 13. Juli 2022 genehmigt. Hiergegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Das [X.] hat einen Verfahrenspfleger bestellt, den Betroffenen angehört und schließlich dessen Beschwerde zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen, weil es an einer ausreichenden Begründung für eine [X.] von mehr als einem Jahr fehlte (Senatsbeschluss vom 21. April 2021 - [X.] 520/20 - FamRZ 2021, 1242). Mit Beschluss vom 31. Mai 2021 hat das [X.] unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis zum 26. Juni 2021 gerichtlich genehmigt wird. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Feststellung begehrt, dass die genannten Beschlüsse ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg; sie führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amts- und des [X.]s.

4

1. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der - hier vorliegenden - Erledigung der [X.] aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 - [X.] 291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 5 mwN).

5

2. Die Entscheidungen von Amts- und [X.] haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, was nach der in der [X.] entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG festzustellen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 - [X.] 291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 6 mwN).

6

a) Die erneute Entscheidung des [X.]s verletzt den Betroffenen in seinen Rechten, weil darin die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung für die festgesetzte Dauer von insgesamt einem Jahr (§ 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG) nicht ausreichend dargelegt wurden.

7

aa) Zwar ist das [X.] noch zutreffend davon ausgegangen, dass sich der Fristablauf für die erforderliche Dauer einer Unterbringung grundsätzlich an dem [X.]punkt der Erstellung des Sachverständigengutachtens orientieren muss und die Frist daher nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung beginnt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2016 - [X.] 236/15 - FamRZ 2016, 1065 Rn. 23 mwN).

8

Das [X.] hat bei seiner Entscheidung jedoch nicht berücksichtigt, dass die Jahresfrist des § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine Höchstgrenze darstellt, die nicht als Regelfrist verstanden werden darf (vgl. MünchKommFamFG/[X.] 3. Aufl. § 329 Rn. 4). Die Dauer der [X.] ist daher stets für den konkreten Einzelfall und unter strikter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festzusetzen und kann auch für einen kürzeren [X.]raum festgelegt werden (vgl. [X.] FamFG/[X.] [Stand: 1. Juli 2021] § 329 Rn. 2). Deshalb muss das Gericht auch dann, wenn es die Höchstfrist von einem Jahr nach § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG festsetzen möchte, begründen, warum es genau diese Dauer wählt. Die Begründung darf sich dabei nicht darauf beschränken, der festgesetzte [X.]raum entspreche der gesetzlich vorgesehenen Jahresfrist (MünchKommFamFG/[X.] 3. Aufl. § 329 Rn. 4; [X.], 695, 696).

9

bb) Diesen Anforderungen wird die erneute Entscheidung des [X.]s nicht gerecht. Denn es fehlt weiter an einer tragfähigen tatrichterlichen Würdigung der für die [X.] maßgeblichen Umstände. Die Begründung des [X.]s erschöpft sich darin, die Ausführungen des Senats in dessen Entscheidung vom 21. April 2021 ([X.] 520/20 - FamRZ 2021, 1242) zu den Anforderungen an die Begründung bei Festsetzung einer [X.] von mehr als einem Jahr wortgetreu zu wiederholen und daraus den Schluss zu ziehen, dass damit die Unterbringung auf längstens ein Jahr festzusetzen sei. Ob möglicherweise eine kürzere [X.] in Betracht zu ziehen ist, erörtert das [X.] nicht, obwohl es der Sachverständige für denkbar gehalten hat, dass bereits nach sechs Monaten der Unterbringung abhängig vom klinischen Verlauf und nach Absprache mit dem Klinikpersonal „Lockerungsbestrebungen“ vorgenommen werden könnten. Das [X.] hat sich ersichtlich auch nicht die Frage vorgelegt, ob im Hinblick auf die bereits verstrichene [X.], in der der Betroffene zum [X.]punkt der Beschwerdeentscheidung bereits in einer geschlossenen Einrichtung behandelt worden ist, eine Verbesserung seines Gesundheitszustands erreicht wurde, der die Festsetzung einer kürzeren [X.] hätte rechtfertigen können.

b) Ebenso wird der Betroffene durch die Entscheidung des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt, weil auch diese keine ausreichende Begründung für die festgesetzte [X.] enthält.

3. Der Betroffene ist durch die nicht ausreichend begründete [X.] in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch [X.]ablauf erledigten - [X.] feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 - [X.] 291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 21 mwN).

4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 300/21

29.09.2021

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Saarbrücken, 31. Mai 2021, Az: 5 T 185/21

§ 329 Abs 1 S 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.09.2021, Az. XII ZB 300/21 (REWIS RS 2021, 2256)

Papier­fundstellen: MDR 2022, 118 REWIS RS 2021, 2256

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 335/21 (Bundesgerichtshof)

Unterbringungssache: Pflicht des behandelnden Arztes zur Unterrichtung des Betroffenen über seine Bestellung zum Sachverständigen und …


XII ZB 358/16 (Bundesgerichtshof)

Betreuungsgerichtliches Unterbringungsverfahren: Beauftragung der Mitglieder der Beschwerdekammer mit der Anhörung des Betroffenen; Anhörung des Betroffenen …


XII ZB 86/22 (Bundesgerichtshof)

Unterbringungssache: Verfahrensfehler bei der Unterbringung des Betroffenen in einem besonders gesicherten Raum


XII ZB 130/22 (Bundesgerichtshof)

Unterbringungssache: Anforderungen an die Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens


XII ZB 197/21 (Bundesgerichtshof)

Unterbringungssache: Anordnung oder Genehmigung einer Unterbringung eines betreuten Betroffenen für länger als ein Jahr


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.