Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.08.2017, Az. V R 11/17

5. Senat | REWIS RS 2017, 6192

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Gegenstand

Zur Subsidiarität der Feststellungsklage bei Zweifeln an der örtlichen Zuständigkeit des Finanzamtes


Leitsatz

NV: Die in § 127 AO vorgesehene Anfechtungsbeschränkung kann nicht umgangen werden, indem wegen Verfahrensfehlern i.S. des § 127 AO, die nicht zur Aufhebung des Bescheides führen, eine Feststellungsklage erhoben wird.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Februar 2017  2 K 1149/14 aufgehoben, soweit es dem hilfsweise gestellten Antrag festzustellen, dass das Finanzamt die örtlich zuständige Behörde für die Umsatzbesteuerung der Klägerin und verpflichtet ist, den Besteuerungsfall vom Finanzamt L zu übernehmen, stattgegeben hat.

Die Feststellungsklage wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft ("[[X.].]") luxemburgischen Rechts. Ihr Sitz ist in [[X.].] in [[X.].]. Zweck der Gesellschaft ist der An- und Verkauf sowie die Vermietung von Kränen und [[X.].]aumaschinen aller Art. Seit Dezember 2008 ist die [[X.].], ebenfalls eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, zu 100 % am Stammkapital der Klägerin beteiligt. Am Stammkapital der [[X.].] war S mit Wohnsitz in [[X.].] (Inland) zu 100 % beteiligt.

2

Die Klägerin war in der [[X.].]undesrepublik [[X.].] ([[X.].]) steuerlich zunächst nicht erfasst. Die [[X.].] beim Finanzamt ([[X.].] führte eine Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 2006 bis 2010 durch und kam zu dem Ergebnis, dass sich die Geschäftsleitung der Klägerin im Inland befunden habe. Am 17. April 2012 stellte die Klägerin beim [[X.].]eklagten und Revisionskläger (dem gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung --[[X.].]-- [[X.].]. § 1 Abs. 1 Nr. 15 Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung für die Umsatzbesteuerung von Unternehmern mit statuarischem Sitz im Großherzogtum [[X.].] zuständigen [[X.].]) einen Antrag auf umsatzsteuerliche Erfassung als ausländische Unternehmerin. Das [[X.].] lehnte den Antrag ab und verwies die Klägerin auf eine umsatzsteuerliche Erfassung beim zuständigen [[X.].], damals dem [[X.].] [[X.].].

3

Die Klägerin, die im Juni 2012 ihren Sitz innerhalb [[X.].]s von [X.] nach [[X.].] verlegt hatte, nunmehr eine [[X.].]ankverbindung in [[X.].] angab, ihren in [[X.].] wohnhaften Geschäftsführer abberufen und die in [[X.].] und [X.] wohnhafte R zur neuen Geschäftsführerin bestellt hatte, stellte am 4. Dezember 2012 beim [[X.].] erneut den Antrag auf Erteilung einer Steuernummer. Diesen wies das [[X.].] am 11. Dezember 2012 unter Hinweis auf die zwischenzeitlich beim [[X.].] [[X.].] erfolgte umsatzsteuerliche Erfassung zurück. Den hiergegen eingelegten Einspruch vom 18. Dezember 2012 verwarf das [[X.].] mit Einspruchsentscheidung vom 1. April 2014 als unzulässig.

4

Das [[X.].] [[X.].] hatte zwischenzeitlich unter dem 20. März 2013 [[X.].]escheide über Umsatzsteuer für 2006 bis 2010 erlassen. Hiergegen legte die Klägerin Einsprüche ein, über die noch nicht entschieden ist. Für die Veranlagungszeiträume 2011 und 2012 reichte sie weder Steuererklärungen noch Voranmeldungen ein, und es erfolgten auch keine Festsetzungen. Für das [X.] erfolgte lediglich eine Voranmeldung für Januar mit einem Vorsteuerüberhang von 622.629,50 €. Für das [X.] wurde lediglich für Juni 2014 eine Umsatzsteueranmeldung eingereicht. [X.] liegen nicht vor.

5

Aufgrund eines Organisationsaktes sind die [[X.].] [[X.].] und [X.] zum 1. Juli 2015 zum [[X.].] [X.] fusioniert. Der Klägerin wurde daraufhin durch das [[X.].] [X.] eine neue Steuernummer erteilt. Nach dem Ergehen von [X.] zu den Umsatzsteuervoranmeldungszeiträumen Januar bis Mai 2015 teilte die Klägerin dem [[X.].] [X.] mit, dass sie im [X.] keine inländischen Umsätze mehr ausgeführt habe. Das [[X.].] [X.] löschte deshalb die Steuernummer für [X.] zum 1. Mai 2016.

6

Mit der Klage begehrte die Klägerin, das [[X.].] zu verpflichten, ihr eine Steuernummer zu erteilen, hilfsweise festzustellen, dass das [[X.].] die örtlich zuständige [[X.].]ehörde für die Umsatzbesteuerung der Klägerin und verpflichtet sei, den [[X.].]esteuerungsfall für die Umsatzsteuer vom [[X.].] [X.] zu übernehmen.

7

Das Finanzgericht ([X.]) wies die ([X.] auf Erteilung einer Steuernummer ab, gab aber mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2017, 550 veröffentlichten Urteil der hilfsweise erhobenen Feststellungsklage statt. Der Klage fehle nicht das besondere Feststellungsinteresse (§ 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Aus § 27 Satz 1 [[X.].] folge, dass ein Steuerpflichtiger gegen seinen Willen nicht die [[X.].]esteuerung durch ein unzuständiges [[X.].] dulden müsse. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei das Zustimmungserfordernis in § 27 [[X.].] ausdrücklich deshalb aufgenommen worden, weil die Zuständigkeit des [X.] an die entscheidende Finanzbehörde anknüpfe (§ 63 Abs. 1 [X.]O) und der Steuerpflichtige damit in seinem Recht auf [[X.].] nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) betroffen sein könne. Die Klage sei auch nicht subsidiär gegenüber einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (§ 41 Abs. 2 [X.]O), denn wegen § 127 [[X.].] sei die Anfechtung eines Verwaltungsaktes nur mit der [[X.].]egründung der Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht Erfolg versprechend.

8

Hiergegen wendet sich das [[X.].] mit der Revision, mit der es Verletzung von § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.]O geltend macht. Die Klägerin könne ihre in ihren Feststellungsanträgen zum Ausdruck kommenden Interessen durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen.

9

Das Interesse der Klägerin auf Feststellung der Zuständigkeit des [[X.].] habe die Klägerin bereits mit ihrem Hauptantrag auf Erteilung einer Steuernummer verfolgt. Für dieses Klagebegehren habe das [X.] die Klägerin ausdrücklich als nach § 40 Abs. 2 [X.]O klagebefugt angesehen. Dann aber sei es nicht nachzuvollziehen, weshalb dasselbe Rechtsschutzbegehren vom [X.] nicht als subsidiär i.S. des § 41 Abs. 2 [X.]O beurteilt worden sei.

Auch das weitere Rechtsschutzziel der Klägerin, das [[X.].] möge die vom [[X.].] [[X.].] bzw. [X.] begonnenen [[X.].]esteuerungsverfahren übernehmen, sei subsidiär i.S. des § 41 Abs. 2 [X.]O, weil die Klägerin in den laufenden Einspruchsverfahren die örtliche Unzuständigkeit des [[X.].] [[X.].] bzw. [X.] geltend machen könne.

Das [[X.].] beantragt,
das [X.]-Urteil bezüglich der hilfsweise erhobenen Feststellungsklage aufzuheben und die Feststellungsklage als unzulässig zu verwerfen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision des [[X.].] zurückzuweisen.

Sie unterstützt die Entscheidungsgründe des [X.]-Urteils.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Verwerfung der Feststellungsklage als unzulässig (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 [X.]O). Das [X.] ist zu Unrecht von der Zulässigkeit der Feststellungsklage ausgegangen. Der Zulässigkeit steht die in § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.]O angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage entgegen, denn die Klägerin hätte ihre Rechte im Wege der [X.] geltend machen können.

1. Der Senat ist sachlich für die Entscheidung über die Revision des [X.] zuständig. Gemäß [X.]. [X.] Nr. 1 des [X.] des [X.] ([X.]) für das [X.] ist der [X.] zuständig für Umsatzsteuer von Steuerpflichtigen mit den Anfangsbuchstaben A bis K, mit Ausnahme der Nummern 1 [X.]. a, 5 [X.]. b, 6 beim [X.]. Senat. Hiervon umfasst werden jedenfalls dann auch Revisionen, die Feststellungsklagen bezüglich der Erteilung einer Steuernummer für [X.] zum Gegenstand haben, wenn für die Beurteilung des Feststellungsinteresses bereits ergangene Umsatzsteuerbescheide von Bedeutung sind.

2. Die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 41 Abs. 2 Satz 1 [X.]O) ist eine negative Sachentscheidungsvoraussetzung ([X.]-Urteile vom 3. September 2009 IV R 38/07, [X.]E 226, 283, [X.], 60; vom 10. Mai 1977 [X.] R 69/76, [X.]E 123, 94, [X.] 1977, 785; zur Subsidiarität der Feststellungsklage vgl. auch [X.]-Urteil vom 11. Dezember 2012 [X.] R 69/11, [X.]/NV 2013, 739), deren Vorliegen das Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen hat (z.B. [X.]-Urteil vom 15. Januar 2015 I R 69/12, [X.]E 249, 99, Rz 11).

a) Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.]O kann eine Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann ([X.]-Urteile vom 9. Dezember 2009 [X.], [X.]E 228, 111, [X.], 732; vom 3. September 2009 IV R 38/07, [X.]E 226, 283, [X.], 60; [X.]-Beschluss vom 12. August 2011 [X.] B 159/10, [X.]/NV 2011, 2104). Dies ist der Fall, wenn das [X.] über die begehrte Feststellung in einem Verwaltungsakt entscheiden muss, den der Kläger durch [X.] anfechten kann ([X.]-Urteile in [X.]E 226, 283, [X.] 2010, 60; vom 1. Februar 1973 IV R 1/72, [X.]E 108, 517, [X.] 1973, 533).

b) Die Klägerin hat die Umsatzsteuerbescheide des [X.] B für die Jahre 2006 bis 2010 vom 20. März 2013 bereits mit dem Einspruch angefochten. Gegen die [X.] in diesen Verfahren, in denen das [X.] B auch über seine örtliche Zuständigkeit entscheiden muss, kann die Klägerin klagen.

c) Daraus, dass die Klägerin in diesen Verfahren die Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide nach § 127 AO nicht allein wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des [X.] beanspruchen kann, ergibt sich kein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Feststellung, welches [X.] örtlich zuständig ist.

aa) Nach § 127 AO kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Diese Regelung dient der [X.]. Der Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, dass das Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung dasjenige der Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren überwiegt und dass der Steuerpflichtige bei gebundenen Verwaltungsakten, für die weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum besteht, allein durch die Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht beschwert ist, wenn sich die Entscheidung als sachlich richtig erweist. In § 127 AO kommt der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, Verfahrensmängeln im Verwaltungsverfahren ein geringeres Gewicht als sachlich-rechtlichen Mängeln beizulegen und rechtlich gebundene Verwaltungsakte, für die weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum besteht, bestehen zu lassen, wenn sie sich als materiell-rechtlich zutreffend erweisen ([X.]-Urteile vom 30. November 2016 V R 48/15, [X.]/NV 2017, 265; vom 8. September 2011 II R 47/09, [X.]/NV 2012, 67).

bb) Die in § 127 AO vorgesehene Anfechtungsbeschränkung kann nicht umgangen werden, indem wegen Verfahrensfehler i.S. des § 127 AO die nicht zur Aufhebung des Bescheides führen, eine Feststellungsklage erhoben wird. Eine solche Feststellungsklage würde dem Sinn und Zweck des § 127 AO, [X.] zu verhindern, widersprechen ([X.]-Beschluss vom 2. August 2012 V B 68/11, [X.]/NV 2013, 243; vom 19. Mai 2008 V B 29/07, [X.]/NV 2008, 1501).

d) Der Anspruch auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.]) bleibt hiervon unberührt.

aa) Denn gemäß § 38 Abs. 1 [X.]O ist das [X.] örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat. Auch wenn die Klage gegen einen von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassenen Steuerbescheid gerichtet ist, ist das [X.] örtlich zuständig, in dessen Bezirk die örtlich unzuständige Behörde ihren Sitz hat.

bb) Im Übrigen kommt eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.]) nur bei willkürlichen Verstößen in Betracht, d.h. wenn bei verständiger Würdigung der das [X.] bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (Nichtannahmebeschlüsse des [X.] vom 4. September 2008  2 BvR 1321/07, [X.], 189; vom 9. November 1987  2 BvR 808/82, [X.] 1989, 595; [X.]-Beschlüsse vom 1. September 2016 V S 24/16, [X.]/NV 2017, 49; in [X.]/NV 2008, 1501). Davon kann angesichts der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 127 AO keine Rede sein.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

V R 11/17

24.08.2017

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 15. Februar 2017, Az: 2 K 1149/14, Urteil

Art 101 Abs 1 GG, § 38 FGO, § 41 Abs 2 FGO, § 125 AO, § 127 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.08.2017, Az. V R 11/17 (REWIS RS 2017, 6192)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 6192

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