Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.09.2009, Az. 4 StR 232/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2009, 1504

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 [X.] vom 24. September 2009 in der Strafsache gegen wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 24. September 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Maatz, [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Dr. [X.], [X.]

als beisitzende [X.], [X.]in der Verhandlung, Staatsanwalt bei der Verkündung

als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin, Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der [X.] wird das Urteil des [X.] vom 4. Februar 2009 mit den [X.]. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren sexu-ellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung und mit Kör-perverletzung sowie vom Vorwurf der versuchten Nötigung freigesprochen, weil es sich von dessen [X.]chaft nicht überzeugen konnte. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. 1 Die Rechtsmittel haben schon mit der Sachrüge Erfolg, da die dem Frei-spruch zu Grunde liegende Beweiswürdigung Rechtsmängel aufweist. 2 I. 1. Die zugelassene Anklage hat dem Angeklagten zur Last gelegt, am 12. Februar 2008 gegen 16.00 Uhr der damals neunjährigen S. in deren Wohnung in der [X.]in [X.]gefolgt zu 3 - 4 - sein. Dort habe er die Wohnungstür von innen verschlossen, das Kind im [X.] auf das Bett gestoßen und ihm mit der flachen Hand ins Gesicht ge-schlagen. Anschließend habe er seinen Penis entblößt und von dem weinenden Kind verlangt, an diesem zu "[X.], küssen und saugen", was das Kind auch getan habe. Weil es dabei nach seiner Mutter gerufen habe, habe er ihm zwi-schendurch den Mund zugehalten und zweimal kräftig gegen den Kopf ge-schlagen, wodurch es Schmerzen erlitten habe. Auf seine Aufforderung habe die Geschädigte die sexuellen Handlungen fortsetzen müssen. Nach [X.] habe er vor Verlassen der Wohnung dem Kind gedroht, es "richtig" zu würgen, falls es das Geschehen weitererzähle. Trotz dieser Drohung benachrichtigte die Geschädigte ihre Mutter, die sogleich Anzeige erstattete. 2. Der zur Anklageerhebung führende Tatverdacht gegen den Angeklag-ten gründete sich insbesondere darauf, dass das geschädigte Kind sowohl bei einer [X.], die am Ende seiner polizeilichen Vernehmung noch am Tattag durchgeführt wurde, als auch bei einer anschließenden Wahlgegen-überstellung den Angeklagten als den Täter wiedererkannt hat. 4 Außerdem hatte sich der Angeklagte dadurch verdächtig gemacht, dass er am Tattag gegen 16.50 Uhr in einem in relativer Nähe zum Tatort befindli-chen Park beim Anblick eines Polizeifahrzeugs plötzlich die Flucht ergriff. [X.] sprach für die [X.]chaft des Angeklagten, dass in der Tatwohnung Spuren genetischen Materials sichergestellt werden konnten, die mit einer ge-wissen Wahrscheinlichkeit vom Angeklagten stammten. 5 - 5 - 3. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme war das [X.] zwar davon überzeugt, dass sich das von der Geschädigten im Ermittlungsverfahren geschilderte Geschehen ereignet hat, nicht aber davon, dass der Angeklagte, der dies bestreitet und im Übrigen in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, der Täter war. 6 Hinsichtlich der Bekundungen der Geschädigten im Ermittlungsverfah-ren, die durch zeugenschaftliche Vernehmung der damaligen Vernehmungsbe-amten in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, vermochte das [X.] nicht auszuschließen, dass das Kind zwar subjektiv von der [X.]chaft des Angeklagten überzeugt war, jedoch unbewusst einem Irrtum bei der Identi-fikation des Angeklagten als Täter unterlegen ist. 7 Bezüglich der Flucht des Angeklagten beim Erscheinen des [X.] erschien dem [X.] die von dem Angeklagten im Ermittlungsver-fahren dafür gegebene Erklärung zwar wenig überzeugend; es sah sich aber - unter Berufung auf ständige Rechtsprechung des [X.] - aus Rechtsgründen daran gehindert, das Fluchtverhalten als Indiz für die [X.] heranzuziehen, da auch ein Unschuldiger geneigt sein könne, sich einem Strafverfahren mit einem für ihn ungewissen Ausgang ent-ziehen zu wollen. 8 Den Ergebnissen der durch die Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. Sch. erstatteten gerichtsmedizinischen Spurengutachten, nach denen eine teilweise Übereinstimmung von Merkmalen der in der Tatwohnung gesicherten Spur mit denjenigen des Angeklagten besteht, vermochte das [X.] nur einen sehr geringen Beweiswert beizumessen, zumal sich die 9 - 6 - Stärke der untersuchten Spur nach den Angaben beider Sachverständigen an der Grenze der Nachweisbarkeit befand. [X.] Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. 10 1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner [X.]chaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen, weil die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechts-fehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkge-setze oder gesichertes Erfahrungswissen verstößt oder wenn an die zur [X.] erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr., vgl. etwa [X.] NJW 2005, 1727; [X.]R StPO § 261 Beweiswür-digung 2; Überzeugungsbildung 33, jeweils m.w.N.). 11 2. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils weist derartige Män-gel auf: 12 a) Die Annahme des [X.], es sei nicht auszuschließen, dass die Geschädigte unbewusst Suggestionseinflüssen der Vernehmungsbeamten er-legen sei und sich deshalb bei der Identifizierung des Angeklagten geirrt habe ([X.]), findet keine Stütze in den Urteilsfeststellungen. 13 - 7 - Nach den Bekundungen der Vernehmungsbeamtin hatte diese erst, nachdem die Geschädigte bei der [X.] das Bild des Angeklag-ten fixiert, dabei gezittert und ein Stofftier umklammert hatte, das Kind eindring-lich gefragt, ob das Bild des [X.] dabei sei. Entsprechendes hat auch der zweite Vernehmungsbeamte bekundet. 14 b) Die [X.] hat zwar gesehen, dass in dem Fluchtversuch ein gewichtiges Indiz für die [X.]chaft liegen kann, zumal sie die Erklärung des Angeklagten, die dieser in seiner polizeilichen Vernehmung für sein Verhalten gegeben hat, für "wenig überzeugend" gehalten hat: Er hatte, wie die [X.] bekundet haben, angegeben, den Park nur deswegen aufge-sucht zu haben, um dort eilig seine Notdurft zu verrichten; als er von Weitem den Streifenwagen gesehen habe, habe er aus Angst die Flucht ergriffen, weil er im Jahre 2001 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden sei. 15 Zu Unrecht meint das [X.] aber, das Fluchtverhalten aus [X.] nicht als [X.] werten zu können. Die Rechtsprechung des [X.], wonach ein Fluchtversuch als solcher nicht als Indiz für die [X.]chaft des Angeklagten gewertet werden darf (vgl. [X.]R StPO § 261 Be-weiswürdigung 33; [X.], Beschluss vom 17. November 1999 - 3 StR 462/99), erfasst den vorliegenden Fall nicht, denn sie betrifft nur diejeni-gen Fälle, in denen der Flüchtende bereits mit dem Tatvorwurf konfrontiert war oder in denen er auf Grund besonderer Umstände - beispielsweise seiner An-wesenheit am Tatort - mit polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen rechnen muss. Hier konnte der Angeklagte, wenn er nicht der Täter war, gar nicht wissen, dass in der Nähe des Parks eine ([X.] begangen worden war; er hätte mithin keinen Anlass zur Flucht gehabt. 16 - 8 - c) Die Beweiswürdigung ist schließlich auch lückenhaft, weil sich das Ur-teil nicht zu der Bekleidung des Angeklagten bei seiner Festnahme verhält. Das geschädigte Kind hatte in seiner kurz nach der Tat durchgeführten Vernehmung angegeben, der Täter habe "eine blaue Hose mit Streifen an den Knien" getra-gen. Wenn der Angeklagte, was das Urteil nicht mitteilt, bei seiner Festnahme eine solche Hose getragen haben sollte, wäre dies ein weiteres wesentliches Indiz für seine [X.]chaft und für die Richtigkeit der Bekundungen der [X.]. 17 3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Urteils, zumal es auch an einer Gesamtwürdigung der den Angeklagten belastenden Einzelindi-zien fehlt. 18 - 9 - Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich bei unveränderter Beweislage empfehlen wird, das geschädigte Kind als Zeugin zu hören. 19 Tepperwien Ri[X.] Maatz ist infolge [X.]

Urlaubs gehindert zu unterschreiben Tepperwien [X.] Mutzbauer

Meta

4 StR 232/09

24.09.2009

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.09.2009, Az. 4 StR 232/09 (REWIS RS 2009, 1504)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 1504

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