Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.10.2012, Az. 4 StR 170/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 1895

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil
4
StR
170/12

vom
25. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 25.
Oktober 2012, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Mutzbauer

als Vorsitzender,

[X.] am [X.]
Cierniak,
[X.],
[X.],
Dr. Quentin

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

in der Verhand-lung

,
Bundesanwalt beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreter des [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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-
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 6.
Dezember 2011, soweit es den Angeklagten S.

betrifft, mit den Fest-
stellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache
zu neuer Ver-handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine als Schwurgericht zustän-dige Strafkammer des [X.] zurück-verwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsan-waltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestütz-ten Revision.
Das

vom [X.] vertretene

Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen der Staatsanwaltschaft nicht ankommt.
I.
1.
Die zugelassene Anklage hat dem Angeklagten zur Last gelegt, am 16.
September 2009 in seiner Wohnung mittels stumpfer Gewalt so auf den 1
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4
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Kopf des am 12.
Februar 2008 geborenen [X.] seiner Lebensgefährtin [X.] H.

, [X.] H.

, eingewirkt zu haben,
dass dieser ausgedehnte
Hautunterblutungen im Gesicht
sowie infolge des Abrisses von zwei [X.] sich über die gesamte rechte [X.] erstreckende exzessive Blutungen unter die harte Hirnhaut erlitt, die eine operative Entlastung am [X.] erforderten und woran [X.] H.

trotz einer weiteren Operation
am 22.
September 2009 verstarb. Dem Angeklagten sei dabei bewusst gewe-sen, dass er bei einer derart erheblichen
Gewalteinwirkung auf den Kopf eines Kleinkindes dessen Tod verursachen könne, was ihm gleichgültig gewesen sei.
Der Kindesmutter wurde
in der Anklage nur eine Misshandlung von [X.] am 12. oder 13.
Juli 2009 zur Last gelegt. Auch sie wurde

von der [X.] nicht angegriffen

freigesprochen.
2.
Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten.
In der Hauptverhandlung hat er zunächst ausgesagt, dass das spätere Tatopfer, nachdem [X.] H.

die Wohnung verlassen hatte, zu schreien und so
stark zu strampeln begonnen habe, dass ihm, dem Angeklagten, das Kind, das er auf seinem Arm habe beruhigen wollen, aus Kopf-
bzw. Brusthöhe auf die hart gepolsterte Couch gefallen sei. Er sei bei dem Versuch, [X.] aufzufan-gen, mit seinem vollen Körpergewicht von neunzig Kilogramm auf diesen gefal-len. Danach sei [X.] plötzlich ganz ruhig gewesen und habe seinem Eindruck nach nicht mehr geatmet, woraufhin er
seine Lebensgefährtin und kurz darauf den Notarzt angerufen habe.
Den Vorwurf,
[X.]s Kopf gegen die Stirnwand des Kinderbettes geschlagen zu haben, hat der Angeklagte in Abrede gestellt
und sodann weiter ausgesagt, er habe [X.] zwei-
bis dreimal für ca. zehn Se-kunden kräftig geschüttelt und dabei das Gleichgewicht verloren. Im Fallen
auf das Kind habe er dessen Kopf mit seinem Knie getroffen.
Bei seiner polizei-lichen Vernehmung am 17.
September 2009 hatte
sich der Angeklagte demge-4
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-
genüber dahin eingelassen, er habe den schreienden [X.] aus dem Kinder-bett gehoben und auf die Couch gesetzt, um dem Kind etwas zu trinken zu
holen. Als er zurückgekommen sei, habe er gesehen, dass [X.] auf der Couch umgefallen sei und die Augen verdreht habe. Dann habe er, der [X.], seine Freundin angerufen und den Notarzt alarmiert. In einer weiteren Vernehmung bei der Polizei am 5.
Oktober 2009 hatte
der Angeklagte ähnliche Angaben gemacht und diese dahin ergänzt, [X.] habe nach dem Fall auf die

Einer Ret-tungssanitäterin gegenüber hatte
der Angeklagte noch in der [X.], [X.] habe im Kinderbett geschrien und sei dann plötzlich

noch im Bett

umgefallen; von einem Sturz hat er nichts erwähnt.
3.
Die Strafkammer hat sich von der Richtigkeit der

im Rahmen einer Verständigung

abgegebenen Einlassung des Angeklagten in der [X.] nicht überzeugen können. Vor diesem Hintergrund vermittle die Einlassung den Eindruck einer konstruierten Aussage
mit dem Ziel, das [X.] unter Inkaufnahme
des geringstmöglichen Schuldvorwurfs zu erklären.
II.
Der Freispruch hat keinen Bestand.
Die Ausführungen des [X.]s werden den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 [X.] an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
1.
Zum einen enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen zu [X.], Vorleben und Persönlichkeit des Angeklagten.
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6
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6
-
a)
Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Er-kenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§
46 Abs.
1 Satz
2,
Abs.
2 Satz
2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei
freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die
Beurteilung des [X.] eine Rolle spielen können und deshalb zur Über-prüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin [X.] sind; das ist auch dann der Fall, wenn vom Tatrichter getroffene Fest-stellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind (vgl. dazu
[X.], Urteile vom 23. Juli 2008

2
StR
150/08, [X.]St 52, 314, 315; vom 13.
Oktober 1999

3
StR
297/99, [X.], 91,
und vom 14.
Februar 2008

4
StR
317/07, [X.], 206, 207). So liegt es hier.
b)
Die Notwendigkeit, die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten umfassend in den Blick zu nehmen und nähere Feststellungen zu dessen
Lebenslauf, Werdegang und Persönlichkeit zu treffen und in den Urteilsgründen darzulegen, ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus der ihm zum Vorwurf gemachten Straftat. Sie beruht auf einer Handlung, die sich im familiären, häus-lichen Bereich ereignet
haben soll. Ist ein solcher Vorwurf, wie hier, von erheb-lichem Gewicht, liegt es nahe, dass der Persönlichkeitsentwicklung der Beteilig-ten, insbesondere des der Tat Beschuldigten, und seinen individuellen Lebens-umständen Bedeutung auch für die Beurteilung des [X.] zukommen kann. Dies gilt nicht nur, wenn der Verdacht einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung besteht, sondern gleichermaßen, wenn der Vorwurf eine Gewalttat im Verhältnis von Eltern bzw. Erziehungsberechtigten zu ihren Kin-dern
zum Gegenstand hat. Schon deshalb waren insoweit detaillierte Feststel-8
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7
-
lungen geboten, die genaueren Aufschluss über die Persönlichkeit des [X.]n und dessen Lebensumstände hätten geben können, was [X.]

etwa im Hinblick auf eine mögliche Überlastungssituation

Rückschlüsse auf den Tatvorwurf zugelassen hätte.
c)
Auch vor dem Hintergrund der wenigen
zum Tatvorwurf getroffenen Feststellungen hätten
die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten nicht un-erörtert bleiben dürfen. Danach zeigten sich bei
[X.] am Vormittag des 16.
September 2009 blaue Flecken im Gesicht. Auf der
Festplatte des [X.] des [X.] wurde ein von dem Angeklagten
am 11./12.
Sep-tember 2009
aufgenommener Videofilm sichergestellt, auf dem [X.] mit mas-siven Hämatomen zu sehen ist. Dass eingehende Feststellungen
zum persön-lichen Hintergrund

auch unter Berücksichtigung der
gegen die Mutter des [X.] erhobenen Vorwürfe der
Misshandlung von Schutzbefohlenen

hier möglicherweise geeignet gewesen wären, angesichts der schwierigen Beweis-lage den gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwurf zu erhellen, liegt [X.] nicht fern.
2.
Das [X.] hat auch keine den Anforderungen an ein freispre-chendes Urteil entsprechende Würdigung der Beweise vorgenommen.
a)
Es ist regelmäßig verfehlt, die Einlassung
des Angeklagten und die Aussagen sämtlicher Zeugen und Sachverständigen der Reihe nach und in ih-ren Einzelheiten mitzuteilen. Das kann die Besorgnis begründen, der Tatrichter sei davon ausgegangen, eine breite Darstellung der erhobenen Beweise
könne die gebotene eigenverantwortliche Würdigung ersetzen. Darin liegt regelmäßig ein Rechtsfehler ([X.], Beschluss vom 6.
Mai 1998

2
StR
57/98, [X.], 475; vgl. auch [X.], Beschluss vom 16.
Dezember 2003

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StR
417/03, wistra 10
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12
-
8
-
2004, 150). Vielmehr muss eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung eine Abwä-gung und Gewichtung der einzelnen Beweise
enthalten ([X.], Beschluss vom 6.
Mai 1998

2
StR
57/98,
aaO). Eine solche
lassen die Urteilsgründe hier nicht erkennen.
b)
Die Ausführungen des [X.]s durften sich nicht darin erschöp-fen, die Einlassungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung und im Ermitt-lungsverfahren ebenso wie die Aussagen seiner Lebensgefährtin in wesent-lichen Teilen wörtlich in die Urteilsgründe aufzunehmen. Entsprechendes gilt für die Bekundungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen, denen die Strafkammer zwar ausweislich der Urteilsgründe
gefolgt ist, deren Erkenntnisse
aber weder im Hinblick auf einzelne den Angeklagten belastende [X.] gewichtet oder mit dem Beweisergebnis im Übrigen in Beziehung ge-setzt werden.
c)
Ferner begegnet die

losgelöst vom Ergebnis der Beweisaufnahme im Übrigen

erfolgte Bewertung der Einlassung des Angeklagten in der [X.] vor dem Hintergrund der in den Urteilsgründen erwähnten Ver-ständigung als nicht glaubhaft durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Wie der [X.] schon mehrfach betont hat, darf eine Ver-ständigung über das Strafmaß nicht dazu führen, dass ein so zustande ge-kommenes Geständnis dem Schuldspruch zu Grunde gelegt wird, ohne dass sich der Tatrichter von dessen Richtigkeit überzeugt (vgl. nur [X.], Beschluss vom 15.
Januar 2003

1
StR
464/02, [X.]St 48, 161, 167). Auch für die Be-wertung eines Geständnisses gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Senatsbeschluss vom 19.
August 1993

4
StR
627/92, [X.]St 39, 291,
303; zur Darlegung in den Urteilsgründen [X.], Urteil vom 10.
Juni 1998
13
14
15
-
9
-

2
StR
156/98, [X.], 370, 371 mwN). Mag die Bewertung der [X.], die Einlassung des Angeklagten vermittle den Eindruck eines mit einem bestimmten Ziel zusammengestellten Konstrukts, danach für sich genommen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sein, so liegt, worauf der [X.] zutreffend hingewiesen hat, der Rechtsfehler darin, dass das [X.] bei dieser Erwägung stehen geblieben ist und
die einander wider-sprechenden Einlassungen des Angeklagten weder im Einzelnen einer Bewer-tung unterzogen
noch
mit dem übrigen Beweisergebnis in Beziehung gesetzt
hat. Damit hat es sich den Blick dafür verstellt, dass Teile der Angaben des [X.], etwa in Zusammenschau mit den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen, geeignet sein könnten, diesen im Sinne des Anklagevor-wurfs zu belasten.
Abgesehen davon hätte es im vorliegenden
Fall

über
die Mindestanforderungen des §
267 Abs.
3 Satz
5 [X.] hinaus
(vgl. [X.], [X.], 55.
Aufl.,
§
267 Rn.
23a mwN)

der Mitteilung von Einzelheiten zum Inhalt der erwähnten Verständigung
bedurft, um die Beweiswürdigung der Strafkammer zum Einlassungsverhalten des Angeklagten ausreichend auf Rechtsfehler überprüfen zu können (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 6.
Novem-ber 2007

1
StR
370/07, [X.]St 52, 78, 82
ff.).
-
10
-
III.
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entschei-dung. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein ande-res [X.] zurückzuverweisen (§
354 Abs.
2 Satz
1 [X.]).
Mutzbauer
Cierniak
Franke

[X.]
Quentin
16

Meta

4 StR 170/12

25.10.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.10.2012, Az. 4 StR 170/12 (REWIS RS 2012, 1895)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1895

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 503/21 (Bundesgerichtshof)

Revision: Lückenhafte Beweiswürdigung sowie Verstoß gegen die Hinweispflicht


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