Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.03.2013, Az. 10 B 34/12

10. Senat | REWIS RS 2013, 7003

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Gegenstand

Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens; gerichtliches Ermessen


Leitsatz

Das gerichtliche Ermessen bei der Entscheidung über Beweisanträge verdichtet sich nur dann zur Pflicht der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, wenn sich die in bisher vorliegenden Gutachten behandelten Fragestellungen auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Änderung der Rechtsprechung oder der Rechtslage als unzureichend erweisen.

Gründe

1

Die auf das Vorliegen eines [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte [X.]eschwerde ist unbegründet. Die [X.]eschwerde rügt zu Unrecht, das [X.]erufungsgericht habe zwei [X.]eweisanträge rechtsfehlerhaft abgelehnt.

2

In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat der Kläger mit der [X.]egründung, die bereits vorliegenden Gutachten seien nicht mehr haltbar, die Einholung gutachtlicher Stellungnahmen der [X.] und eines von ihm benannten Gutachters zum [X.]eweis der Tatsache beantragt, dass

"die Muslime in den Siedlungsgebieten der [X.] die verbliebenen und zurückkehrenden [X.] auch weiterhin einzuschüchtern und zu vertreiben versuchen, um sich ihre Dörfer und die dazugehörenden landwirtschaftlichen Nutzflächen anzueignen"

und dass

"die zuständigen [X.] [X.]ehörden weiterhin weder willens noch in der Lage sind, die Verfolgungsmaßnahmen gegen die [X.] nachhaltig zu unterbinden".

3

Das Oberverwaltungsgericht hat diese [X.]eweisanträge unter Verweis auf zwei konkret benannte Gutachten, von denen eines durch den vom Kläger benannten Gutachter erstellt worden ist, und zwei Lageberichte des [X.] mit der [X.]egründung abgelehnt, dem Senat lägen zu den [X.] bereits ausreichende [X.] vor, so dass keine Veranlassung für eine weitere Sachaufklärung gegeben sei. Diese [X.]egründung steht in der gegebenen prozessualen Situation im Einklang mit Prozessrecht.

4

Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO. Danach kann das Gericht eine weitere [X.]egutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten ohne Rechtsverstoß für ungenügend erachtet (§ 412 Abs. 1 ZPO); einer erneuten [X.]egutachtung bedarf es jedenfalls dann nicht, wenn das Gegenteil der erneut behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist (§ 244 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 StPO). Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen. Das gerichtliche Ermessen kann sich auch dann zu der Pflicht neuerlicher [X.]egutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der [X.]eteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige [X.]eweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Schließlich kann die Erforderlichkeit der Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten auch darauf beruhen, dass die Fragestellung der bisherigen Gutachten sich - auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Rechtsprechungsänderung (vgl. etwa die Rechtsprechung des Senats zur Änderung der Maßstäbe bei religiöser Verfolgung: Urteil vom 20. Februar 2013 - [X.]VerwG 10 C 23.12 - Rn. 15, 17, 22 ff., 31, 44 f.) - als unzureichend erweist. Reichen indes die in das Verfahren bereits eingeführten [X.] zur [X.]eurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen [X.]eweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter [X.]erufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der [X.]eweiswürdigung darstellt und belegt ([X.]eschlüsse vom 3. Februar 2010 - [X.]VerwG 2 [X.] - Rn. 9 und vom 8. März 2006 - [X.]VerwG 1 [X.] - [X.] 402.242 § 60 Abs. 2 ff. [X.] Nr. 11 Rn. 7; stRspr).

5

Aus der [X.]eschwerdebegründung folgt indes nicht, dass den Auskünften und Gutachten, auf die das [X.]erufungsurteil und die Ablehnung der [X.]eweisanträge gestützt sind, derartige Mängel anhaften. Vielmehr verweist sie für die Erforderlichkeit einer erneuten sachverständigen [X.]egutachtung fast ausschließlich auf [X.], die den [X.]raum bis 2006/2007 betreffen, während das [X.]erufungsgericht sich im [X.] auf seine Einschätzung der Lage der [X.] in der [X.] in einem Grundsatzurteil vom Oktober 2007 sowie darauf stützt, dass auch für die [X.] nach 2007 hinsichtlich der Verfolgungslage der [X.] in der [X.] - wie im Einzelnen unter Heranziehung neuerer [X.] und unter [X.]erücksichtigung der Rechtsprechung anderer Gerichte ausgeführt wird - eine veränderte Situation nicht feststellbar ist. Der [X.]eschwerdebegründung lässt sich insbesondere nicht entnehmen, dass die vom [X.]erufungsgericht für die Ablehnung der [X.]eweisanträge angeführten [X.] vom 29. Juni 2009 und 5. Oktober 2009, 11. April 2010 und 11. Februar 2011 fehlerhaft oder überholt sein könnten und deshalb die Feststellungen des [X.]erufungsgerichts in Frage stellen würden.

6

Auch die weitere Rüge der [X.]eschwerde, die vom [X.]erufungsgericht zur [X.]egründung seiner Ablehnung der [X.]eweisanträge herangezogenen Auskünfte seien im Hinblick auf die [X.] inhaltslos oder ließen sich eher für als gegen die Erforderlichkeit einer erneuten [X.]egutachtung anführen, geht fehl. Insbesondere soweit die [X.]eschwerdebegründung den Lagebericht des [X.] vom 11. April 2010 zitiert, hebt sie zwar die Formulierung hervor, "in Einzelfällen" komme es "zu Schwierigkeiten mit den politisch gut vernetzten Klans der Region", übergeht indes die in demselben [X.] enthaltene Feststellung des [X.], es seien "aus der jüngsten Vergangenheit ... keine Fälle bekannt, in denen der Staat den [X.]etroffenen keinen Schutz gewährt hat".

7

Soweit die [X.]eschwerde schließlich bemängelt, das [X.]erufungsgericht stütze sich auf nicht mehr aktuelle Lageberichte des [X.], führt sie ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision und genügt im Übrigen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Das [X.]erufungsgericht hat allerdings zur [X.]egründung seiner Ablehnung der beiden [X.]eweisanträge (Nr. 5 und [X.]), die allein Gegenstand der [X.]eschwerde ist, lediglich auf die Lageberichte von 2009 und 2010, nicht aber auf den zum [X.]punkt der mündlichen Verhandlung aktuellen Lagebericht von 2011 verwiesen. Dies ist unter den Umständen des vorliegenden Falles jedoch nicht verfahrensfehlerhaft. Zwar sind die mit Asylsachen befassten Gerichte grundsätzlich gehalten, sich von Amts wegen zu vergewissern, ob ein neuer Lagebericht zur Verfügung steht und asylrechtlich erhebliche Änderungen der politischen Verhältnisse in dem betreffenden Land beschreibt ([X.]eschluss vom 9. Mai 2003 - [X.]VerwG 1 [X.] 217.02 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 329). Diesem aus § 86 Abs. 1 VwGO abzuleitenden Gebot ist das [X.]erufungsgericht allerdings gerecht geworden. Denn es hat den aktuellen Lagebericht von 2011 nicht nur in der den Verfahrensbeteiligten vor dem Termin übersandten [X.]liste - Stand 31. Januar 2012 - aufgeführt (vgl. [X.]eschluss vom 24. Juli 2003 - [X.]VerwG 1 [X.] 352.02 - [X.] 402.25 § 1 AsylVfG [X.]72), sondern sich sowohl im Urteil als auch in dem [X.]eschluss über die Ablehnung der [X.]eweisanträge an anderer Stelle (zu den [X.]eweisanträgen Nr. 1 und [X.]) mehrfach auf diesen [X.]ericht bezogen. Der Umstand, dass es im Zusammenhang mit der Ablehnung der [X.]eweisanträge Nr. 5 und [X.] lediglich die Lageberichte von 2009 und 2010 erwähnt hat, ist deshalb kein Indiz dafür, dass es die aktuelle Erkenntnislage nicht zur Kenntnis genommen hätte, zumal der [X.]eweisantrag Nr. 1, zu dessen Ablehnung sich das [X.]erufungsgericht u.a. auf den Lagebericht 2011 gestützt hatte, eine thematische Überschneidung mit dem [X.]eweisantrag Nr. 5 aufweist. Im Übrigen hat die [X.]eschwerde nicht dargelegt, dass der Lagebericht vom 8. April 2011 asylrechtlich erhebliche Änderungen der politischen Verhältnisse beschreibt. Sie hat im Gegenteil zutreffend darauf verwiesen, dass jedenfalls die Lageberichte 2009 und 2010 hinsichtlich der Ausführungen zu den [X.] textidentisch sind. Sie hätte deshalb dartun müssen, ob der Lagebericht von 2011 gegenüber dem [X.]ericht von 2010 veränderte Aussagen enthält, die die Position des [X.] hätten stützen können; Anlass hierzu bestand schon deshalb, weil die Textpassage zur Lage der [X.] auch im Lagebericht 2011 identisch mit den entsprechenden Formulierungen der Vorjahre ist. Ausführungen hierzu enthält die [X.]eschwerdebegründung indes nicht.

Meta

10 B 34/12

27.03.2013

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 14. März 2012, Az: 3 L 152/09, Urteil

§ 98 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 412 Abs 1 ZPO, § 244 Abs 4 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.03.2013, Az. 10 B 34/12 (REWIS RS 2013, 7003)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7003

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W 8 K 20.30690

18 K 4119/20

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