Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.10.2011, Az. 1 StR 273/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2238

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BUNDE[X.]GERICHT[X.]HOF

IM NAMEN DE[X.] VOLKE[X.]

URTEIL
1
[X.]tR
273/11

vom
19. Oktober
2011
in der [X.]trafsache
gegen

1.
2.

wegen
zu 1.: Totschlags

zu 2.: Totschlags u.a.

-
2
-
Der 1.
[X.]trafsenat des [X.] hat in der [X.]itzung vom 19. Okto-ber
2011, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Nack

und der
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
[X.]in am Bundesgerichtshof
Elf,
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],

[X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger des Angeklagten [X.]

,
Rechtsanwalt

als Verteidiger
des Angeklagten [X.].

,

der Angeklagte [X.].

persönlich sowie seine Erziehungsberechtigten,

-
in der Verhandlung -
,

Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenklägerin,

Justizangestellte

-
in der Verhandlung -
,
Justizangestellte

-
bei der Verkündung -

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2010 werden verworfen.

Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren ent-standenen notwendigen Auslagen zu tragen.

2. Auf die Revisionen der [X.]taatsanwaltschaft und der [X.] wird das vorbezeichnete Urteil mit den Fest-stellungen aufgehoben und
die [X.]ache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
I.
Das [X.] hat den Angeklagten [X.]

wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und den Angeklagten [X.].

wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit Totschlag durch Unterlassen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der An-geklagte [X.]

mit zwei Verfahrensrügen und der [X.]achrüge. Der Angeklagte [X.].

erhebt die allgemeine [X.]achrüge. Die Revisionen der [X.]taatsanwaltschaft 1
-
4
-
und der Nebenklägerin werden ebenfalls auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt. [X.]ie erstreben bezüglich beider Angeklagten eine Verurteilung wegen Mordes. Die vom [X.] vertretenen Rechtsmittel der [X.]taats-anwaltschaft und
der Nebenklägerin haben Erfolg.
II.
1. Nach den Feststellungen des [X.] brüstete sich der zur [X.] 18-jährige Angeklagte [X.]

oftmals in seinem Umfeld in E.

damit, dass er Kontakt zur Unterwelt habe. Er umgab sich mit jüngeren Jugendlichen, die ihn schätzten. Von [X.] wurde er als Angeber verlacht. Dem [X.] 14-jährigen A.

M.

, dem späteren Opfer, verschaffte er einen scharfkantig geschliffenen Wurfstern. Als dessen Mutter den nach dem Waf-fengesetz verbotenen Gegenstand bei ihm fand, stellte sie ihren [X.] zur Rede und erstattete am 8. Dezember 2009 Anzeige bei der Polizei. Der Angeklagte [X.]

und A.

M.

wurden von dieser vorgeladen.
[X.]

verkündete als Reaktion auf diese Anzeige im Dezember 2009 und Januar 2010 mehrfach, er werde A.

M.

umbringen. [X.]eine Altersgenos-sen machten sich darüber lustig. Einer wettete sogar mit ihm um 10 Euro, dass er dies nicht tun werde. Auch gegenüber dem späteren Opfer und in der Clique um den damals 14-jährigen Angeklagten [X.].

äußerte er, er werde A.

M.

wegen dieser [X.]ache umbringen. Dort wurde die Ankündigung [X.]. Da aber nichts geschah und [X.]

mit A.

M.

wieder normalen Umgang pflegte, geriet die [X.]ache immer mehr in den Hintergrund.
Der Angeklagte [X.].

wusste, dass [X.]

sich immer wieder damit [X.] hatte, er werde A.

M.

umbringen. Am 23. Februar 2010 machte er dies zum Thema in [X.], die er mit der Zeugin K.

austauschte. Unter anderem schr.
Als die Zeugin frag-2
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5
-
te, warum das eigentlich sein müsse, erwiderte er: "weil der kumpel bei [X.]

Zwei Tage später,
am 25. Februar 2010,
kauften [X.]

und A.

M.

gemeinsam ein. [X.]ie erwarben einen Tetrapack Eistee und eine Flasche Wodka für Mixgetränke. [X.]ie
trafen auf die Gruppe um [X.].

. Gemeinsam begaben sie sich zur elterlichen Wohnung des Angeklagten [X.].

, um diesen zu veran-lassen, sich der Gruppe anzuschließen. [X.]

, der nun einen konkreten [X.] hatte, wollte [X.].

zur Mitwirkung beim Vorgehen gegen A.

M.

bewe-gen. Zu diesem Zweck stachelte er M.

auf, [X.].

im weiteren Verlauf des Abends zu schlagen.
Er wollte dadurch eine feindselige Einstellung des Ange-klagten [X.].

gegenüber M.

erreichen.
Die Gruppe zog dann mit dem überredeten [X.].

hinter das [X.]

, um "herumzuhängen"
und Eistee mit Wodka zu trin-ken. Tatsächlich kam es dort zwischen A.

M.

und dem Angeklagten [X.].

zu einer Rangelei, die von ersterem ausging. Dabei konnte festgestellt werden, dass [X.].

ein Klappmesser bei sich trug. Nachdem [X.]

die [X.] getrennt hatte, wollte [X.].

gehen. M.

stellte ihm noch ein Bein, so dass er stolperte und der Länge nach hinfiel. Er wurde schadenfroh ausgelacht und fühlte sich stark gekränkt. Dann ging er in Richtung [X.]traße, um den [X.] anzutreten.
2. Zum Tatgeschehen hat die [X.] Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte [X.]

war entschlossen, A.

M.

an diesem Abend zu töten. Er hatte bereits ein [X.]eil, ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 76
mm und gummierte Arbeitshandschuhe mitgebracht. [X.]

wollte [X.].

, eine Person seines Vertrauens, zur Absicherung und Unterstützung dabei haben. Deshalb eilte er ihm nach, zeigte ihm das [X.]eil und sagte, heute werde er dem 5
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6
-
A.

"was machen". Er könne das aber nicht alleine tun, es müsse noch [X.] dabei sein. [X.].

ging davon aus, [X.]

werde A.

M.

mit dem [X.]eil drosseln, aber nicht töten, um ihm so eine schmerzhafte Abreibung zu verpas-sen. Er wollte [X.]

durch Dabeibleiben Hilfe leisten, weil ihm diese Abreibung auch wegen seiner eigenen vorangegangenen Auseinandersetzung mit M.

verdient erschien.
Beide kehrten zum Platz hinter dem Feuerwehrhaus zurück. [X.]ie gaben vor, dass sie den
[X.]treit zwischen M.

und [X.].

klären und mit ihm den rest-lichen Eistee/Wodka trinken wollten. Die übrigen Gruppenmitglieder entfernten sich. Es war gegen 19.30 Uhr.
Als die Angeklagten mit M.

alleine waren, ging [X.]

auf ihn zu und ver-setzte ihm einen wuchtigen Faustschlag mitten ins Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Er kam auf dem Bauch zu liegen und war zu keiner Gegenwehr mehr fähig. Möglicherweise war er sofort bewusstlos ([X.]). [X.]

zog die gummierten Arbeitshandschuhe über, legte dem A.

M.

das [X.]eil von [X.] und kniete sich auf dessen Rücken, um ihn mit seinem Körpergewicht am Boden zu halten.
Dann wickelte er die [X.]eilenden links und rechts um seine Handrücken und zog mit [X.] zu, um ihn zu tö-ten. Er drosselte ihn mindestens zwei bis drei Minuten, bis dieser nur noch rö-chelte. Ob eine zweite Person [X.] unterbunden hat, konnte
die Kammer nicht mit hinreichender [X.]icherheit feststellen. Zu Gunsten des Ange-klagten [X.].

geht sie davon aus, dass er die Tat des [X.]

nur durch seine Anwesenheit gefördert und ihm psychischen Beistand geleistet hat, indem er ihm ein Gefühl erhöhter [X.]icherheit vermittelte ([X.], 32). Als [X.].

be-merkte, dass M.

nur noch röchelte, forderte er [X.]

mit den Worten "es reicht jetzt" auf, den Drosselungsvorgang zu beenden. Dieser fuhr jedoch damit fort und erwiderte, er, [X.].

,
könne jetzt gehen, er werde nicht mehr gebraucht.
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-
[X.]pätestens jetzt wusste [X.].

, dass [X.]

A.

M.

bis zum Tode strangulieren werde. Ihm war auch klar, dass er eine Mitverantwortung für die [X.]ituation des Opfers trug und in der Lage war, dessen Tötung
zu verhindern. Er hätte [X.]

von dem am Boden liegenden, [X.] und mit den Füßen zap-pelnden M.

herunterstoßen oder zumindest mit dem mitgeführten [X.] Hilfe rufen können. Beides wäre ihm möglich und zumutbar gewesen. [X.]

war ihm keinesfalls körperlich überlegen, und zudem hatte er sein Klappmesser bei sich. Er griff nicht ein, obwohl er sicher voraussah, dass sein Unterlassen unvermeidlich zur Tötung des A.

M.

führen würde, weil ihm dessen Per-son und [X.]chicksal vollkommen gleichgültig waren. Er billigte die Tötung durch [X.]

und ging nach [X.].
Als er sich entfernt hatte, entschloss sich [X.]

,
A.

M.

mit dem mit-gebrachten Messer zu töten, weil ihm das [X.]trangulieren zu lange dauerte und zu anstrengend war. Er versetzte ihm 30 Messerstiche ins Genick und die [X.]. Die [X.]tiche waren teils derart wuchtig, dass das Messer bis zum Heft in den Hals eindrang. [X.]ie verletzten die rechte Halsschlagader und die tiefe Halsvene, was zum alsbaldigen Todeseintritt durch Verbluten führte.
Beim Angeklagten [X.]

liegt eine akzentuierte Persönlichkeitsfehlentwick-lung mit gefühlsarmen, empathiearmen, narzisstischen und verdeckt aggressi-ven Momenten vor, die jedoch den [X.]chweregrad einer Persönlichkeitsstörung nicht erreicht. Aufgrund dessen entstand bei ihm ein gewaltiger innerer Hand-lungsdruck, endlich einmal ernst zu machen und sich Respekt zu verschaffen. Er wollte groß und bedeutend sein und dafür sorgen, dass
er
E.

in aller Munde bringen werde. Dies war das Motiv
für die Tat, nicht mehr die erstattete [X.]trafanzeige.
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3. Der Angeklagte [X.].

startete, zuhause angekommen, seinen [X.], loggte sich in den Internet-Dienst "kwick"
ein und tippte um 19.42 Uhr auf seiner [X.]eite den Text: "[X.]tadt heute war [X.]".
Der Angeklagte [X.]

zog nach der Tatausführung die Arbeitshandschuhe aus, verstaute das [X.]eil in den umgekehrten Handschuhen und rief um 19.44
Uhr den Angeklagten [X.].

auf dessen Mobiltelefon an. Dann klingelte er an der Tür [X.].

, zeigte diesem seine blutigen Hände und sagte, A.

sei tot, er habe ihm in den Hals gestochen. Nachdem er im [X.] von seinen Händen gewaschen hatte, präsentierte er [X.].

die Leiche. Dieser sah sie kurz an und ging wieder nach [X.]. Danach berichtete [X.]

auf dem [X.] von E.

zwei Bekannten, dass er M.

getötet habe und zeigte ihnen zum Beweis das blutverschmierte [X.]eil und die Handschuhe. Den Zeugen G.

führte er zur Leiche. Er schilderte ihm auch Einzelheiten des [X.]. [X.]

brüstete sich noch gegenüber weiteren Zeugen mit der Tötung. [X.]päter führte er auch den [X.]

zur Leiche und erklärte ihm, er habe A.

M.

"geschlitzt". Dabei lachte er "sich euphorisch ins Fäustchen".
4. Die [X.] hat folgende Wertungen getroffen:
Beim Angeklagten [X.]

hat sie die Mordmerkmale der niedrigen Beweg-gründe, der Heimtücke und der grausamen [X.] geprüft und ver-neint. [X.]ie hat eine erhebliche Verminderung seiner [X.]teuerungsfähigkeit weder aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur noch aufgrund der maximalen [X.] zur Tatzeit von 1,8 o/oo bejaht.
Beim Angeklagten [X.].

hat sie eine psychische Beihilfe zur gefährli-chen Körperverletzung durch eine abstrakt lebensgefährdende Behandlung
infolge seiner Anwesenheit am [X.] angenommen. Aufgrund eines neuen Willensentschlusses zum Entfernen vom [X.] habe er sich des
Totschlags 14
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durch Unterlassen schuldig gemacht. Die [X.] ergebe sich aus sei-nem vorangegangenen
rechtswidrigen [X.]. Ein Mord liege bei dem von ihr festgestellten Motiv nicht vor. Eine erhebliche Verminderung der [X.] sei auch bei ihm weder aufgrund seiner ausgeprägten Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit noch aufgrund seiner Blutalkoholkonzentration zur [X.] von 1,2 o/oo gegeben.
III.
Die Revisionen der Angeklagten waren zu verwerfen. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen allgemeinen [X.]achrügen hat keinen die [X.] beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Wegen der vom Angeklagten [X.]

geltend gemachten Verfahrensrügen wird auf die zutreffenden Ausführun-gen des [X.]s in seiner Antragsschrift Bezug genommen.
Auf die Revisionen der [X.]taatsanwaltschaft und der Nebenklägerin war das Urteil aufzuheben.
1. [X.] und aus niedrigen Be-weggründen bei der Tatausführung durch den Angeklagten [X.]

hält revisions-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Das [X.] hat ein heimtückisches Handeln mit der Begründung abgelehnt, es habe weder ein hinterlistiger Angriff des Angeklagten [X.]

auf
A.

M.

festgestellt werden können, noch dass dieser die Arglosigkeit und dadurch bedingte Wehrlosigkeit seines Opfers ausgenutzt habe, um die Tat zu begehen. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft.
[X.] handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilf-19
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losen Lage überrascht
und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Le-ben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren ([X.][X.]t 39, 353; [X.]R [X.]tGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund [X.] Arglosigkeit wehrlos sein ([X.][X.]t 32, 382). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des [X.] das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwi-schen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen ([X.]R [X.]tGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15).
Das ist hier der Fall. Im Dezember 2009 und Januar 2010 hatte [X.]

zwar wiederholt damit gedroht, M.

wegen der [X.]trafanzeige umzubringen. Im [X.] aber pflegte
er nach den Feststellungen wieder normalen Umgang mit ihm wie mit den übrigen jüngeren Jugendlichen aus der Clique. Am Tattag ging er sogar mit ihm Eistee und Wodka einkaufen für den folgenden gemeinsamen Verzehr. Zu dem Zeitpunkt war [X.]

bereits zur Tötung an diesem Abend ent-schlossen und hatte die späteren [X.] bei
sich. Er baute gezielt bei M.

Vertrauen auf,
indem er u.a. auch die von ihm selbst provozierte Rangelei mit [X.].

als [X.]treitschlichter beendete. Als er kurz vor der Tat [X.].

vom Heimweg zurückholte und beide hinter das Feuerwehrhaus zurückkehrten, ga-ben sie vor, dass sie den
[X.]treit zwischen [X.].

und M.

klären und mit ihm den restlichen Eistee/Wodka trinken wollten. [X.]ie wiegten ihn dadurch in [X.], so dass er keineswegs mit einer von ihnen ausgehenden Gefahr rechnen konnte, als er mit ihnen allein zurückblieb. Dass der überraschende Faustschlag ins Gesicht, der erste Angriff, von vorne erfolgte, ändert an der heimtückischen [X.] nichts. Zu dem Zeitpunkt war das Opfer infol-ge Arglosigkeit wehrlos, was [X.]

bewusst ausnutzte. M.

,
der den Angriff
erst im letzten Augenblick erkennen konnte, blieb keine Möglichkeit mehr, sich da-gegen zur Wehr zu setzen. Es reicht aus, wenn der Täter sich bewusst ist, [X.]
-
11
-
nen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Men-schen zu überraschen ([X.] N[X.]tZ 2003, 535).
b) Das [X.] hat bei dem Angeklagten [X.]

als bestimmendes Mo-tiv seinen Drang angesehen, sich bei den Jugendlichen seines Umfelds Res-pekt zu verschaffen und nicht mehr verlacht zu werden. Diesen Drang nach sozialem Ansehen hat es objektiv als niedrigen Beweggrund bewertet,
aber nicht ausschließen können, dass die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, insbesondere seine Tendenz zur narzisstischen [X.]elbstaufblähung, ihm die Ein-sicht versperrt habe, aus einem niedrigen Beweggrund zu handeln. Dies [X.] rechtlichen Bedenken.
Das [X.] hat insoweit den festgestellten [X.]achverhalt nicht er-schöpfend gewürdigt. Darauf, ob der Angeklagte seine Motive selbst als "nied-rig"
bewertete, kommt es nicht an (vgl. [X.]R [X.]tGB § 211 Abs. 2 niedrige Be-weggründe 27). Das [X.] hat seine Einsichtsfähigkeit beim Tötungsvor-satz bejaht und eine erheblich verminderte [X.]chuldfähigkeit verneint. Es
hat ihm
bei der [X.]chwere der [X.]chuld nach § 17 Abs. 2 JGG seine Tatmotivation ange-lastet. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe sind keine Anhalts-punkte ersichtlich, dass der Angeklagte bei seinem Handeln aus dieser Motiva-tion von gefühlsmäßigen oder
triebhaften Regungen bestimmt gewesen wäre, die er gedanklich nicht hätte beherrschen und willensmäßig nicht hätte steuern können. Die [X.] hätte insoweit in ihre Überlegungen das Vortat-
und Nachtatverhalten des Angeklagten [X.]

einbeziehen müssen. Er hat die Tat mi-nuziös geplant. Er hat nicht nur die [X.] mitgebracht und beim Opfer Vertrauen aufgebaut, sondern auch die Tatbeteiligung [X.].

s raffiniert inizi-iert, indem er den [X.]treit zwischen ihm und dem späteren Opfer provozierte. Nach
der Tat war [X.]

trotz seiner narzisstischen [X.]elbstaufblähung nach den Ausführungen des psychiatrischen [X.]achverständigen Gü.

sich durchaus 25
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-
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-
darüber im Klaren, dass
es polizeiliche Ermittlungen geben werde. Er war [X.] bemüht, nicht in Verdacht zu geraten oder festgenommen zu werden. [X.] hat er etliche Vertuschungshandlungen vorgenommen. Er äußerte gegen-über Mitgliedern aus der Clique um [X.].

, die vor der Tat ebenfalls hinter dem Feuerwehrhaus gewesen waren, er müsse für ein paar Tage aus E.

verschwinden und sie sollten sagen, dass sie ihn am Tattag nicht gesehen hätten. Auf die Frage des [X.]

, ob man nicht die Polizei rufen solle, antwortete er, dass er das bloß nicht machen solle, weil ihm -
[X.]

-
sonst nur wenig Zeit bleibe, um unterzutauchen. Dem Zeugen G.

zeigte er eine Pisto-le und sagte, wenn die Polizei käme, werde er sich den Weg frei schießen. [X.] Verhaltensweisen sind ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme, dem [X.] [X.]

sei bei der Begehung der Tat die besondere Verwerflichkeit sei-nes [X.]s nicht bewusst gewesen. Bei [X.] ist diese Annahme umso eher zu verneinen, je schwerwiegender die Tat ist ([X.]R § 211 Abs. 2
niedrige Beweggründe 26).
2. Beim Angeklagten [X.].

begegnet die fehlende Annahme der Mordmerkmale aus niedrigen Beweggründen und der Heimtücke ebenfalls rechtlichen Bedenken.
a) Nach den Urteilsfeststellungen war in seiner Person ein Grund für die Tötung des A.

M.

nicht gegeben. Er unterließ ein Einschreiten, weil ihm das Opfer als Person und dessen [X.]chicksal vollkommen gleichgültig waren. Nach Auffassung der Kammer kann Gleichgültigkeit schon "per
se"
[X.] sein.
Die Ablehnung dieses [X.] entbehrt einer
tragfähigen Grund-lage. Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster [X.]tufe steht 27
28
29
-
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-
und deshalb besonders verachtenswert ist ([X.][X.]t 35, 116; 47, 128 mwN). Ob dies der
Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des [X.] und seine Persönlichkeit einschließt. Daran fehlt es hier.
Die Kammer hätte sich in diesem Zusammenhang mit dem [X.]-Verkehr des Angeklagten [X.].

zwei Tage vor der Tat und seinem Chatten unmittel-bar nach dem Entfernen vom [X.] auseinander setzen müssen. Der [X.] heute war [X.]" bezieht sich naheliegend auf das gerade
von ihm miterlebte Geschehen. Da er tatenlos nach [X.] ging
und die Tötung
des A.

M.

durch [X.]

sicher voraussah, könnte dies zu dem möglichen [X.]chluss führen, dass er sich über die Tötung freute. Eine solche Freude wäre als niedriger Beweggrund in seiner Person anzusehen.
Dabei ist auch auf die [X.] vor der Tat zwischen ihm und der Zeugin K.

abzustellen. Daraus könnte zu entnehmen sein, dass [X.].

die Tötung des Opfers als Bestrafung für die Anzeige bei der Polizei billigte und sich die-ses Motiv zu eigen machte ([X.], Beschluss vom 7. Juli 1993 -
5 [X.]; [X.] N[X.]tZ 1996, 384). Als er der Zeugin mitteilte, ich glaub der stirbt heut Abend, weil der Kumpel bei Bullen angezeigt hat, antwortete sie "[X.], [X.] hier ebenfalls als auf tiefster [X.]tufe stehend anzusehen wegen des krassen Miss-verhältnisses zwischen Anlass und Tat ([X.] N[X.]tZ-RR 2010, 175). Hinzu kommt, dass nicht das Tatopfer, sondern dessen Mutter die [X.]trafanzeige er-stattete.
Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der gleichgültigen Haltung des Angeklagten [X.].

gegenüber dem Opfer hätte die Kammer erörtern müssen, ob er den Totschlag durch Unterlassen in dem Bewusstsein beging, 30
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-
14
-
keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstel-lung stellt einen niedrigen Beweggrund dar, wenn der Täter meint, nach eige-nem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können ([X.][X.]t 47, 128; [X.]R aaO niedrige Beweggründe 44).
b) Das [X.] hat das Mordmerkmal Heimtücke beim Angeklagten [X.].

nicht geprüft. Eine solche Prüfung hätte aber nach den festgestellten Umständen nahe gelegen. Die Kammer hat das Verhalten des Angeklagten [X.].

vor der Tat und nach der Tat nur getrennt gesehen und nicht in die ge-botene Gesamtwürdigung eingestellt. Als [X.]

den Angeklagten [X.].

vom Heimweg zurückholte, das [X.]eil zeigte und ihn um Unterstützung bat, weil er heute dem A.

"was machen" werde, ist es im Hinblick auf den oben unter a) geschilderten [X.]-Verkehr und auf das
Chatten nach der Tat nicht fern lie-gend, dass [X.].

schon zu diesem Zeitpunkt davon ausging, [X.]

werde M.

töten. Die Kammer stellt lediglich fest, wann [X.].

"spätestens" vom Tö-tungsplan des [X.]

wusste,
und schließt einen gemeinsamen [X.] aus. Wenn [X.].

aber bei der Rückkehr zum Feuerwehrhaus den Plan des Ange-klagten [X.]

erkannt hatte und dann gemeinsam mit ihm vorgab, den [X.]treit zwi-schen ihm selbst und M.

klären und nach Entfernen der Übrigen mit diesem den Rest Eistee/Wodka trinken zu wollen, so erkannte er auch das Ausnutzen von Arg-
und Wehrlosigkeit durch [X.]

und schloss sich dessen Handeln an.
3. Zudem hält die Beweiswürdigung hinsichtlich der Begründung [X.] ebenfalls revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen [X.]achverständigen Be.

ist davon auszugehen, dass ein Mensch, der zu Tode stranguliert wird, sich im Todeskampf wehrt und versucht, eine auf dem Rücken sitzende Person abzuschütteln, jedenfalls so lange bis er selbst bewusstlos geworden ist. Da 33
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35
-
15
-
jedoch Abwehrspuren bei A.

M.

fehlten, insbesondere [X.]chürfungen an Ellenbogen und Knien, hält er es eher für wahrscheinlich, dass eine weitere Person beteiligt war, um das Opfer zu Boden zu bringen oder dort zu halten, und dass einer der Angreifer [X.] unterbunden hat. Die Kammer sieht die Möglichkeit, dass das Opfer durch eine zweite Person an der Gegen-wehr gehindert wurde, hält es aber auch für möglich, dass es durch den ersten Angriff, den Faustschlag des Angeklagten [X.]

, sofort bewusstlos war und sich deshalb nicht mehr wehren konnte. Von letzterem geht sie zu Gunsten des [X.] [X.].

aus ([X.]).
Insoweit ist die Beweiswürdigung jedoch lückenhaft.
Nach den [X.] röchelte und zappelte das Opfer mit den Füßen,
als [X.].

sich vom [X.] entfernte ([X.]). Dem Angeklagten [X.]

dauerte die Tötung durch [X.]trangulieren zu lange und wurde zu anstrengend. Beides spricht eher gegen eine Bewusstlosigkeit sofort nach dem Faustschlag. Dies hätte die Kammer in ihre Überlegungen bezüglich der fehlenden Abwehrverletzungen einbeziehen müssen, zumal sie es an anderer [X.]telle auch als möglich ansieht, dass M.

das Bewusstsein erst nach zwei bis drei Minuten des [X.] verloren haben könnte ([X.]). In dem Zusammenhang hätte sie auch erörtern müs-sen, wie M.

nach einem Faustschlag mitten ins Gesicht auf dem
Bauch zu liegen kam. Angaben des [X.]achverständen Be.

dazu fehlen.
Wenn aber M.

nicht schon nach dem Faustschlag durch [X.]

bewusst-los war, so liegt es nahe, dass der einzige Anwesende, der Angeklagte [X.].

,
an der Unterbindung von [X.]n und der Lage des Opfers am Bo-den beteiligt
war. Dabei wird
auch die Aussage des Angeklagten
[X.].

in [X.] zweiten polizeilichen Vernehmung zu berücksichtigen
sein, in der er [X.] hat, als [X.]

ihm das [X.]eil gezeigt habe, habe er zu ihm gesagt, er werde A.

heute umbringen, könne das aber nicht alleine tun. All diese Umstände 36
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-
16
-
deuten gerade
nicht auf psychische Beihilfe zu einem Denkzettel hin. Bei akti-ver Tatbeteiligung kann eine Mittäterschaft des Angeklagten [X.].

am Heim-tückemord in Betracht kommen, selbst wenn er die weitere Tatausführung dem Angeklagten [X.]

überließ (§ 24 Abs. 2 [X.]tGB).
IV.
Der [X.]enat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die [X.]ache an ein ande-res [X.] zu verweisen (§ 354 Abs. 2 [X.]atz 1 Alt.
2 [X.]tPO).
Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.]enat auf Folgendes hin:
1. Bezüglich des Angeklagten [X.]

wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, auch die Mordmerkmale der grausamen [X.] und des Handelns aus Mordlust zu prüfen.
2. [X.]ollte es bezüglich des Angeklagten [X.].

zu einem [X.]chuldspruch wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Totschlags bzw. Mordes durch Unterlassen kommen, würde bezüglich der [X.] Tat-einheit in Betracht kommen. Auch eine Veränderung des [X.]s während der Tatausführung steht der Annahme natürlicher Handlungseinheit nicht grund-sätzlich entgegen.
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3. [X.]elbst
wenn die Feststellungen insgesamt aufzuheben waren, sind bei der Bejahung der vollen [X.]chuldfähigkeit hinsichtlich beider Angeklagten nach den bisherigen Feststellungen Rechtsfehler nicht zu erkennen. Weniger nahe-liegend scheint demgegenüber die Verneinung schädlicher Neigungen beim Angeklagten [X.].

.
Nack Wahl Elf

Ri[X.] Prof. Dr. [X.] ist

urlaubsabwesend und deshalb

an der Unterschrift gehindert.

Nack [X.]
42

Meta

1 StR 273/11

19.10.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.10.2011, Az. 1 StR 273/11 (REWIS RS 2011, 2238)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2238

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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