Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.03.2011, Az. 4 CN 6/10

4. Senat | REWIS RS 2011, 8734

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gründe

I.

1

Dem Ablehnungsgesuch des Antragstellers liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2

Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan Nr. 67 "kommunale Entlastungsstraße [X.]" der Antragsgegnerin vom 20. September 2004. Der Plan ist nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers gegen das Urteil des [X.] vom 22. Mai 2008 - 1 KN 149/05 - Gegenstand des Revisionsverfahrens BVerwG 4 [X.]N 6.10 (vorher 4 [X.]N 2.09). Nach Zulassung der Revision beschloss die Antragsgegnerin den Bebauungsplan [X.] "Kommunale Entlastungsstraße [X.]" vom 8. Februar 2010. Der Senat hat das gegen den Bebauungsplan Nr. 67 gerichtete Revisionsverfahren mit Beschluss vom 1. Juli 2010 - BVerwG 4 [X.]N 2.09 - bis zur Entscheidung des [X.] über den Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan [X.] in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO ausgesetzt. Den Eilantrag des Antragstellers vom 7. September 2009, den Bebauungsplan Nr. 67 außer Vollzug zu setzen, hatte der Senat mit Beschluss vom 19. April 2010 - BVerwG 4 VR 2.09 - abgelehnt. Im vorliegenden Verfahren erstrebt der Antragsteller die Aufhebung des Beschlusses vom 1. Juli 2010 und die Wiederaufnahme des Revisionsverfahrens.

3

Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2010 lehnte der Antragsteller den Vorsitzenden [X.] am [X.] und den [X.] am [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit ab, nachdem der Stadtdirektor der Antragsgegnerin im Anzeiger für [X.] vom 2. Dezember 2010 mit der Äußerung zitiert worden war, die [X.] stehe im ständigen Austausch sowohl mit dem Oberverwaltungsgericht in [X.] als auch mit dem [X.] und habe nicht zuletzt deshalb den neuen Bebauungsplan [X.] aufgestellt. Aus der Äußerung des [X.] ergäben sich, so der Antragsteller, hinreichend objektive Gründe für die Besorgnis, dass der Senatsvorsitzende oder der Berichterstatter die Antragsgegnerin beraten hätten, ohne ihn hiervon zu unterrichten. Vorherige Presseberichte, in denen von "Empfehlungen der Gerichte" die Rede gewesen sei, sowie der Umstand, dass der Senat entgegen seiner Bitte erst nach Inkrafttreten des Bebauungsplans [X.] über den Eilantrag vom 7. September 2009 entschieden habe, verstärkten den Eindruck, dass es der Antragsgegnerin durch beratende Hinweise des Vorsitzenden oder des Berichterstatters erleichtert worden sei, den Rechtsschutz gegen die Vollziehung des Bebauungsplans Nr. 67 zu vereiteln.

4

Die abgelehnten [X.] und der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin haben zu dem Ablehnungsgesuch Stellung genommen, der Antragsteller hat hierauf erwidert.

II.

5

Das Ablehnungsgesuch hat keinen Erfolg.

6

Der Ablehnungsantrag ist allerdings nicht mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Zwar ist das Revisionsverfahren ausgesetzt; der Antragsteller erstrebt aber dessen Fortsetzung, und zur Entscheidung über dieses Begehren sind nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats die abgelehnten [X.] berufen.

7

Der Ablehnungsantrag ist aber unbegründet.

8

Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung eines [X.]s wegen Besorgnis der Befangenheit voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines [X.]s zu rechtfertigen. Der Erfolg eines Ablehnungsgesuchs ist nicht davon abhängig, dass der [X.] tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Auch kommt es nicht darauf an, ob die übrigen Mitglieder des Spruchkörpers den [X.] für befangen halten. Es genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus (Urteil vom 5. Dezember 1975 - BVerwG 6 [X.] 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.>; Beschluss vom 11. Dezember 2007 - [X.] 3001.07 - juris Rn. 15; stRspr).

9

Bei Anwendung dieses Maßstabs ist die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden [X.]s am [X.] und des [X.]s am [X.] nicht begründet. Besondere Umstände, aus denen sich Zweifel an der Objektivität der abgelehnten [X.] ergeben, sind nach dem festgestellten Sachverhalt nicht ersichtlich.

1. Der Vorsitzende [X.] A hat dienstlich erklärt, über die in der Gerichtsakte dokumentierten Vorgänge hinaus keinen Kontakt zu den Verfahrensbeteiligten oder Dritten gehabt zu haben. Von ihm unterzeichnet sind die Verfügung vom 2. September 2009, mit der die Übersendung der Revisionsbegründung an die Antragsgegnerin angeordnet worden ist, und der Beschluss vom 1. Juli 2010. Beide Dokumente geben inhaltlich für eine Besorgnis der Befangenheit nichts her.

Der [X.] B bestätigt in seiner dienstlichen Erklärung vom 29. Dezember 2010 zwar Kontakte mit dem Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin, nicht aber die vom Antragsteller geäußerte Vermutung, der [X.] habe in seiner Funktion als Berichterstatter der Antragsgegnerin Ratschläge erteilt, wie die umstrittene Straßenplanung "gerichtsfest" gemacht werden könne. Die im Anzeiger für [X.] vom 2. Dezember 2010 wiedergegebene Äußerung des [X.] der Antragsgegnerin, die [X.] stehe in ständigem Kontakt zum [X.] und nicht zuletzt deshalb sei der Bebauungsplan [X.] aufgestellt worden, hat nicht die Bedeutung, die ihr der Antragsteller beimisst. Nach seiner Darstellung wurde der abgelehnte [X.] im September 2009 vom Bevollmächtigten der Antragsgegnerin fernmündlich darüber informiert, dass sich die Antragsgegnerin um eine außergerichtliche Einigung mit dem Antragsteller bemühe. Bezug nehmend auf die (beiden) Telefonate, in denen Weiteres nicht besprochen wurde, äußerte der [X.] in seiner Verfügung vom 24. September 2009 die Erwartung, dass die Antragsgegnerin bis zum Abschluss der Einigungsbemühungen ohne Einverständnis des Antragstellers keine Maßnahmen treffen werde, die dem Eilantrag zuwiderliefen. Eine Durchschrift der Verfügung hat der Antragsteller erhalten. In einem weiteren Telefonat Ende Oktober 2010 setzte der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin als Anrufer den [X.] von dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen und der Absicht in Kenntnis, seiner Mandantin zu raten, den Bebauungsplan Nr. 67 durch einen neuen Bebauungsplan zu ersetzen. Der [X.] nahm diese Information zur Kenntnis und bat, den Senat über entsprechende planerische Schritte umgehend zu informieren. Zu den Konsequenzen für das Eilverfahren äußerte er sich nicht, sondern verwies auf die Entscheidungskompetenz des Spruchkörpers. Ende des Jahres 2009 oder Anfang des Jahres 2010 rief ihn der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin mehrfach an, um ihn vorab darüber zu informieren, dass der Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan [X.] demnächst anstehe. Auch diese Information nahm er lediglich zur Kenntnis. Am 29. Januar 2010 kontaktierte er von sich aus den Bevollmächtigten der Antragsgegnerin, um ihn zu bitten, zu dem Schriftsatz der Bevollmächtigten des Antragstellers so schnell wie möglich Stellung zu nehmen. Zu diesem Telefonat gibt es einen entsprechenden Aktenvermerk.

Der [X.] hat den Inhalt der Telefonate, in denen der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin der anrufende Teilnehmer war, nicht in Aktenvermerken festgehalten. Dieser Umstand begründet die Besorgnis der Befangenheit indes nicht (a.A. wohl Gehrlein, in: [X.] Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2008, § 42 Rn. 36). Aktennotizen haben u.a. die Funktion, Gesprächs- und Verhandlungsergebnisse festzuhalten. Sie sind, wenn sie, wie geboten, zeitnah zu ihrem Anlass gefertigt werden, ein zuverlässiges Beweismittel. Fehlen sie, bedeutet dies jedoch nicht, dass der [X.] vereitelt oder die Beweisführung erschwert werden soll. Gesprächsinhalte können auch ohne Aktenvermerke rekonstruierbar sein. Das ist vorliegend der Fall. Der [X.] hat in seiner dienstlichen Erklärung den Inhalt der Telefonate im Einzelnen und in sich widerspruchsfrei wiedergegeben. Seine Darstellung wird vom Bevollmächtigten der Antragsgegnerin bestätigt (Schriftsätze vom 11. und 28. Januar 2011). Seit den Telefonaten ist auch nicht so viel [X.] vergangen, dass sich ihr Inhalt ohne Gedächtnisstützen nicht mehr verlässlich in Erinnerung rufen ließe. Es besteht daher aus objektiver Sicht kein Anlass, an der Richtigkeit der dienstlichen Erklärung zu zweifeln.

Der Inhalt der übrigen vom Antragsteller zitierten Presseartikel ist ebenfalls nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des [X.]s B zu begründen. Soweit darin Einschätzungen des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin zum Prozessverlauf und -ausgang wiedergegeben werden (Anzeiger für [X.] vom 14. Januar 2010: "Mit einer Eilentscheidung in [X.] ist nicht mehr zu rechnen"; O.-[X.]ung vom 10. Februar 2010: "Es ist vom Tisch"), sind sie dem [X.] nicht zuzurechnen. Gleiches gilt für die dem Stadtdirektor der Antragsgegnerin zugeschriebene Behauptung im Anzeiger für [X.] vom 10. Februar 2010, der Bebauungsplan [X.] sei "auf Empfehlung der Gerichte" aufgestellt worden. Sie entspricht jedenfalls, was das [X.] angeht, nicht den Tatsachen.

Auch der Inhalt der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden [X.]s am [X.], der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin habe ihm von einer "Verabredung" mit dem [X.] berichtet, Eilverfahrensfragen vom [X.] klären zu lassen, vermag die Besorgnis der Befangenheit des [X.]s B nicht zu begründen. Der [X.] hat in seiner dienstlichen Erklärung vom 25. Januar 2011 eine derartige Verabredung bestritten, und der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin hat schlüssig aufgezeigt, was unter der vom Vorsitzenden [X.] [X.]. in Anführungszeichen gesetzten Verabredung zu verstehen sei, nämlich die gegenüber dem [X.] B geäußerte Auffassung, dass allein das Oberverwaltungsgericht für einen etwaigen Eilantrag gegen den Bebauungsplan [X.] zuständig sei.

2. Die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten [X.] lässt sich nicht darauf stützen, dass sie über den Eilantrag gegen den Bebauungsplan Nr. 67 erst nach Inkrafttreten des diesen Plan ersetzenden Bebauungsplans [X.] entschieden haben. Der Verdacht des Antragstellers, die [X.] hätten den Beschluss hinausgezögert, um ihm die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den Bebauungsplan Nr. 67 abzuschneiden, entbehrt der sachlichen Grundlage. Für eine umgehende Entscheidung über den Antrag auf Außervollzugsetzung des Bebauungsplans Nr. 67 bestand kein Anlass, weil die Sache nicht eilbedürftig war. Wie sich aus den Schriftsätzen ihres Bevollmächtigten vom 26. Oktober 2009 und 27. November 2009 ergibt, hat die Antragsgegnerin nach Eingang des [X.] beim Senat am 8. September 2009 die Bauarbeiten ruhen lassen. Der Behauptung des Antragstellers im Schriftsatz vom 21. Januar 2010, die Bauarbeiten seien am 18. Januar 2010 wieder aufgenommen worden, hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 1. Februar 2010 widersprochen. Die Baustelle liege weiterhin still, und die Bauarbeiten würden erst fortgesetzt, wenn der in Aufstellung befindliche Bebauungsplan ([X.]) bekannt gemacht sei. Dann möge der Antragsteller vor dem Oberverwaltungsgericht um Rechtsschutz nachsuchen. Bei den vom Antragsteller erwähnten Arbeiten handele es sich um Anschlussarbeiten an einer Leitung, die bereits zuvor im Zuge der bis September 2009 durchgeführten Baumaßnahmen verlegt worden sei. Die Maßnahme sei aus Gründen der Versorgungssicherheit erforderlich gewesen.

Die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten [X.] ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie den Eilantrag gegen den Bebauungsplan Nr. 67 unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 10. August 1990 - BVerwG 4 [X.] 3.90 - (BVerwGE 85, 289) als unstatthaft abgelehnt haben. Die Vermutung des Antragstellers, die Heranziehung des Urteils, die nicht naheliegend gewesen sei, weil ihr ein wesentlich anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe, sei auf die Gespräche zwischen dem Berichterstatter und dem Bevollmächtigten der Antragsgegnerin zurückzuführen, ist aus der Luft gegriffen. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin hatte das Urteil in seinem Schriftsatz an das Oberverwaltungsgericht [X.] vom 15. Februar 2010 zitiert, den der Antragsteller mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 selbst dem Senat vorgelegt hatte.

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4 CN 6/10

10.03.2011

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: CN

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.03.2011, Az. 4 CN 6/10 (REWIS RS 2011, 8734)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8734

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