Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2011, Az. 1 StR 129/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2875

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
129/11

vom
28. September
2011
in der Strafsache
gegen

wegen unerlaubten Besitzes
einer Kriegswaffe u.a.

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Der 1.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 21. September 2011, in der Sitzung
am
28.
September 2011, an denen
teilge-nommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Nack

und [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,

[X.] am [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 25. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.].

Von Rechts wegen

Gründe:
I.
Das [X.] hat den Angeklagten von den in der Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] näher bezeichneten Vorwürfen, eine Vielzahl von Schusswaffen, wesentliche Teile von Schusswaffen, Munition, Kriegswaf-fenmunition sowie [X.] und [X.] besessen zu haben, wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen und eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB we-gen fehlender Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit abgelehnt.
Mit ihrer auf
die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die [X.] im Wesentlichen gegen die [X.] der Unterbringung 1
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des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur [X.] an eine andere [X.] des [X.].

II.
1. Der 1953 geborene Angeklagte, welcher nach seiner Schulausbildung gerne Büchsenmacher geworden wäre, was aber an den finanziellen [X.] seiner Familie scheiterte, beging nach einer wegen der Verbüßung von Freiheitsstrafe
abgebrochenen Dachdeckerlehre von 1967 an eine Vielzahl un-terschiedlicher Straftaten und wurde zuletzt in den Jahren 1998 und 1999 we-gen verschiedener Waffendelikte zu Freiheitsstrafen von einem Jahr vier Mona-ten bzw. einem Jahr sechs Monaten verurteilt, welche er jeweils verbüßte. Die Vollstreckung der letzten Freiheitsstrafe endete am 16. März 2001. Dazwischen war er immer wieder und auch bis heute als Dachdecker berufstätig.
[X.] wurde bei ihm ein Hauttumor festgestellt, welcher folgenlos entfernt wurde. Außer einer Hörminderung wurden sonstige gesundheitliche Einschränkungen bis zur Festnahme in der vorliegenden Sache am 9. Juli 2009 nicht festgestellt.
2. Zu den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten hat das [X.] folgende Feststellungen getroffen:
In der [X.] nach seiner Entlassung nach Verbüßung der letzten Frei-heitsstrafe am 16. März 2001 bis zu seiner Festnahme am 9. Juli 2009 kaufte der als Waffennarr bekannte Angeklagte zu nicht mehr näher bestimmbaren [X.]punkten auf [X.] und [X.] im Ausland un-terschiedliche Waffen, Waffenteile und Munition sowie [X.] und 3
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[X.] und verbrachte sie nach [X.], obwohl er wusste, dass das Verbringen und der Besitz solcher Gegenstände in [X.] ohne entspre-chende Erlaubnis, über die er nicht verfügte, verboten ist.
Die erworbenen Gegenstände, darunter funktionstüchtige Pistolen und Revolver, neugefertigte Läufe für [X.] und eine Maschinenpisto-le, [X.] unterschiedlicher Art, Patronen für Pistolen und Maschinenpisto-len, [X.] und [X.] sowie eine als Kriegswaffenmunition einzuordnende Leuchtspurmunitionspatrone lagerte der Angeklagte, wie auch bereits bei den genannten Vortaten, teilweise museumsartig ([X.]) und ohne weitere Schutzvorrichtungen in seiner Wohnung.
Der Angeklagte äußerte hierzu, er wisse, dass es für ihn verboten sei, diese Waffen zu besitzen. Jedoch sei der Waffenbesitz sein verfassungsmäßi-ges Recht, für das er eintreten und kämpfen werde. Wenn ihm die Gerichte in ein Land umziehen, wo man [X.] das [X.] zustehende Recht auch gibt. Ein Verbot würde ich
nicht akzeptieren(UA S. 58).
3. Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen, da er nach Überzeugung der [X.] wegen Vorliegens einer wahnhaften Störung ohne Schuld i.S.d.
§ 20 StGB handelte. Weil das [X.] sich nicht in der Lage sah, in der Hauptverhandlung den konkreten Verlauf der angenommenen Krankheit des Angeklagten aufzuklären, ging es davon aus, dass die wahnhafte Störung bereits schon beim Erwerb der ersten Waffen bzw. Waffenteile und auch in dem gesamten [X.]raum zwischen 2001 und 2009 vorlag.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatri-schen Krankenhaus gemäß §
63
StGB hat das [X.] abgelehnt, weil der 7
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Angeklagte zwar als notorischer Rechtsbrecher anzusehen sei, aber als solcher mangels Eingriffs in die Rechte Dritter
keine Gefahr für die Allgemeinheit [X.].

III.
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist das freisprechende Urteil aufzuheben.
Dabei kann dahinstehen, ob die Staatsanwaltschaft, wenn auch nicht ausdrücklich ausgesprochen, die Revision auf
die Frage der [X.] der Unterbringung beschränken wollte. Eine etwaige Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist vorliegend unwirksam, weil die Feststellungen des [X.] keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bieten. Sie ermöglichen dem Revisionsgericht deshalb auch nicht die isolierte Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 63
StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Januar 2001 -
2 StR 500/00, [X.]St 46, 257, 259).
Das Urteil leidet an durchgreifenden [X.]. Zunächst wird
ausgeführt, dass der Angeklagte durchaus weiß, dass der Besitz von Waffen in der Bundesrepublik
[X.]
ohne besondere Genehmigung verboten ist, weshalb er zum Ankauf der Waffen und Waffenteile jeweils auf [X.] ins Ausland fuhr. Das [X.] hat weiter festgestellt, dass der Angeklagte der Auffassung ist, dieses Verbot gelte aus verfassungsrechtlichen Gründen ihm gegenüber nicht. Auch wenn die [X.] weiter mitteilt, der Sachver-ständige sei zum Schluss gekommen, der Angeklagte unterliege insoweit einer wahnhaften Störung, weshalb der Tatrichter der Überzeugung sei, dass die Vo-11
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raussetzungen des § 20 StGB vorliegen, vermag der Senat aufgrund allein die-ser Feststellungen nicht nachzuvollziehen, weshalb das vom Angeklagten ohne nähere Begründung behauptete Recht auf Waffenbesitz trotz der gleichzeitig vorhandenen Kenntnis des gesetzlichen Verbots seine Unfähigkeit begründet, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu han-deln. In diesem Zusammenhang hat das [X.] auch nicht erörtert, dass der Angeklagte durchaus sieht, dass die Gerichte ihm sein Recht nicht geben könnten, weshalb er dann in ein anderes Land umziehen wolle, wo ihm das Recht zusteht, Waffen zu besitzen. Auch war ihm offensichtlich genau bewusst, dass der Besitz von [X.] und [X.]n auf
Grund von deren Gefährlichkeit und Bestimmung nicht erlaubt war und er deswegen durch die womöglich Ärger bekommenkönnte, dass er jedenfalls insoweit das Unrecht seiner Tat einsieht. Schließlich kann nicht
unberücksichtigt bleiben, dass der Angeklagte über viele Jahre seine Besuche auf ausländischen [X.] etc. plante und durchführte, gerade weil er wusste, dass solche Käufe und der daraus folgende Besitz von Waffen im Inland verboten sind. Auch hielt
er es für möglich, dass er seine Auffassung vor Gericht nicht durchsetzen würde, und plante für diesen Fall seine Auswan-derung. Angesichts dieser Umstände waren entsprechende Erörterungen im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB keinesfalls ent-behrlich.
Unabhängig davon ist auch nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte während des gesamten möglichen Tatzeitraums an der [X.] wahnhaften Störung litt und dass er bei keinem seiner zahlreichen Waf-fenkäufe und dem sich anschließenden Besitz nicht in der Lage war, das Un-recht seiner Taten einzusehen. Erstreckt sich das Handeln eines [X.], wie hier der jahrelange Ankauf und die sich daran anschließende Ausübung der 14
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tatsächlichen Gewalt über die sichergestellten Waffen, Waffenteile und [X.] über einen längeren [X.]raum, findet
§ 20 StGB
nur dann Anwendung, wenn der die Schuldunfähigkeit begründende Zustand während des gesamten [X.] gegeben ist ([X.], Beschluss vom 15. Juni 2004 -
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StR
176/04). Bei nur teilweiser Schuldunfähigkeit ist umgekehrt die Verantwortlichkeit des [X.] für die Taten gegeben, bei denen die wahnhafte Störung noch nicht den Grad erreicht hatte, dass er das gesetzliche Verbot des unerlaubten Waffenbesitzes nicht mehr erkennen konnte.
Das [X.] hat sich insoweit auf die Feststellung beschränkt, in der Hauptverhandlung habe der konkrete Krankheitsverlauf nicht aufgeklärt werden können. Weshalb solche Feststellungen unmöglich gewesen seien, wird nicht näher ausgeführt, obwohl es gerade angesichts der Einlassungen des Ange-klagten und der festgestellten Umstände seiner Käufe dafür Anlass gegeben hätte. So weist das vom Angeklagten eingeräumte Verhalten durchaus [X.] Überlegungen auf, indem er schilderte, weshalb und wie er seine Waffenkäu-fe im Ausland durchführte, um die Verbote in [X.] zu umgehen. Hinzu kommt, dass offenbar bei den beiden Vorverurteilungen der Jahre 1998 und 1999 keine Anzeichen für eine wahnhafte Störung festzustellen waren, so dass nicht unbedingt etwas dafür spricht, dass der Angeklagte bereits unmittelbar im [X.] an den Vollzug der letzten Freiheitsstrafe schon die bejahte wahn-hafte Störung aufgewiesen hätte.
IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgen-des hin:
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1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus gemäß § 63
StGB setzt die Prognose voraus, dass vom Täter infolge sei-nes Zustandes erhebliche rechtswidrige
Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Insoweit hat die [X.] festgestellt, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades vorliegt, dass der Angeklagte auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Diese Feststel-lung findet ihre zusätzliche Begründung darin, dass der Angeklagte offensicht-lich der festen Überzeugung ist, er habe das Recht dazu, Waffen zu besitzen ([X.] f.), und deswegen auch in Zukunft kaum davon absehen wird, sich erneut den Besitz von Waffen zu verschaffen.
2. a) Hinsichtlich der weiteren Prognose einer Gefährlichkeit für die [X.] kann neben anderen Merkmalen auch Art und Schutzgut der erwar-teten Straftaten nicht außer [X.] bleiben. Hinsichtlich der Vorschriften des [X.] sind dies die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (§
1
Abs. 1 [X.]), also die sicherheitsrechtlichen Interessen des Staates und seiner Bürger (vgl. MüKo-StGB/Heinrich,
§ 1 [X.] Rn. 2). Insoweit ist jeder verbotene Besitz von Waffen ein Sicherheitsrisiko, insbesondere dann, wenn die Waffen nicht so aufbewahrt werden, dass ein Zugriff Dritter darauf ausge-schlossen ist. In diesem Fall kommt es dann nicht mehr allein auf eine mögli-che geringere Gefährlichkeit des Besitzers an, weil er
eine zufällige Änderung der Gefahrenlage nicht mehr beherrschen kann. Dies gilt gerade auch für den Angeklagten, welcher die Waffen in seiner Wohnung museumsartig gelagert bekannten Angeklagten ungehindert hätten zugreifen können.
b) Zur berücksichtigen wird auch sein, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen 20 % der Betroffenen, welche unter einer wahnhaften Stö-rung leiden, im Laufe der [X.] schizophren und damit für ihre Umwelt ungleich 18
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gefährlicher werden ([X.]). Die insoweit fehlende Auseinandersetzung hiermit und mit der Frage, inwieweit man beim Angeklagten mit einer solchen Entwicklung rechnen muss, wird vom neuen Tatrichter zu beantworten sein, soweit sich die Entscheidung über die Anordnung einer Unterbringung gemäß §
63 StGB erneut stellt.
3. Keinen Einfluss kann vorliegend der Umstand haben, dass der Ange-klagte seit mehr als zehn Jahren nicht mehr verurteilt wurde ([X.]), nach-dem das [X.] festgestellt hat, dass er jedenfalls einen erheblichen Teil dieses [X.]raums unerlaubt Waffen in den Geltungsbereich des [X.] verbracht und hier besessen hat.
[X.]Wahl

Graf

Jäger Sander

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Meta

1 StR 129/11

28.09.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2011, Az. 1 StR 129/11 (REWIS RS 2011, 2875)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2875

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