Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.11.2012, Az. IX R 7/11

9. Senat | REWIS RS 2012, 1265

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Gegenstand

(Abgrenzung der Änderungsbefugnisse nach § 165 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO - Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Vorläufigkeit - Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks - Rechtmäßigkeit eines Bescheids)


Leitsatz

1. Umfasst ein Vorläufigkeitsvermerk ungewisse Tatsachen, sind die Bescheide nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu ändern, sobald die Ungewissheit beseitigt ist. Dabei können auch für andere Veranlagungszeiträume geklärte Tatsachen --erstmalig oder erneut-- (un)gewiss werden.  

2. Nach § 165 Abs. 2 AO verwertbare Tatsachen müssen nicht neu sein, sondern (un)gewiss.  

3. Änderungen nach § 165 Abs. 2 AO sind nach Art und Umfang nur in dem durch die Vorläufigkeit wirksam gesteckten Rahmen zulässig.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein geschlossener Immobilienfonds, der in den Streitjahren (2000 bis 2006) ein im Jahr 1990 fertig gestelltes Mehrfamilienhaus in [X.] vermietete.

2

Zur Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.S. von § 21 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erstellte die Klägerin jährlich einen mit einer gewerblichen Gewinnermittlung vergleichbaren Vermögensstatus. Das Gebäude setzte sie nach § 14a Abs. 1 des [X.]erlinförderungsgesetzes mit erhöhten Sätzen ab. Im Rahmen einer im Jahr 1991 durchgeführten [X.]etriebsprüfung ([X.]P) verständigte sich die Klägerin mit dem [X.]eklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) auf Absetzungen für Abnutzung ([X.]) in Höhe von jeweils 10 % der Herstellungskosten im Jahr der Fertigstellung und dem darauffolgenden Jahr, jeweils 3 % in den folgenden zehn Jahren und anschließend ab dem [X.] jährlich 2,5 %, bemessen auf den Restwert.

3

Noch im Jahr der Fertigstellung des Gebäudes (1990) erwarben die [X.]eigeladenen zu 1 bis 4 von einem anderen [X.]eteiligten jeweils Gesellschaftsanteile an der Klägerin. In [X.]ezug auf die den [X.]eigeladenen entstandenen, über die anteiligen [X.]uchwerte hinausgehenden zusätzlichen Anschaffungskosten setzte die Klägerin in den Streitjahren --neben der anteiligen [X.] des Gebäudes-- zusätzliche [X.] nach dem [X.]erlinförderungsgesetz in Höhe von 3 % jährlich an.

4

Mit Wirkung zum 1. Januar 1995 kaufte der [X.]eigeladene zu 5 einen Gesellschaftsanteil von nominal 30.000 DM von einem weiteren [X.]eteiligten. Unter Erhöhung des Kaufpreises um die anteilig übernommenen und um den [X.]uchwert des Umlaufvermögens bereinigten Verbindlichkeiten ermittelte die Klägerin Anschaffungskosten für diese [X.]eteiligung in Höhe von insgesamt 86.711 DM. Durch Abzug des anteiligen, auf den Grund und [X.]oden entfallenden [X.]uchwerts laut [X.] errechnete sie daraus einen auf das Gebäude entfallenden Anteil von 72.005 DM (= 83 %), den sie in den Streitjahren nach der verbleibenden Restnutzungsdauer des Gebäudes mit jährlich 1.608 DM (= 2,23 %) absetzte. Nach Verrechnung mit der anteilig auf den [X.]eigeladenen zu 5 entfallenden [X.] des Gebäudes nach dem [X.]erlinförderungsgesetz ergaben sich für ihn Minder-[X.]-[X.]eträge in Höhe von 338 DM bzw. 173 € jährlich.

5

Das [X.] erließ die Feststellungsbescheide für die Streitjahre erklärungsgemäß, aber vorläufig und erläuterte das im Einzelnen wie folgt: "Der [X.]escheid ist nach § 165 Abs. 1 Abgabenordnung teilweise vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, und zwar soweit es die vorzunehmende Aufteilung des Mehrpreises auf Grund und [X.]oden und Gebäude im Falle eines Gesellschafterwechsels bei geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung betrifft, hinsichtlich der aufgrund der Anteilserwerbe erklärten Sonderwerbungskosten (Mehr-/Minder-[X.]). Insoweit besteht Übereinstimmung, dass der Ausgang des hierzu beim Finanzgericht [X.]erlin anhängigen [X.] zunächst abgewartet werden soll. ..." Der Zusatz, dass das Musterverfahren "beim Finanzgericht [X.]erlin" anhängig sei, fehlt in den Erläuterungen zu den 2002 ergangenen Festsetzungsbescheiden für die [X.] und 2001.

6

Geführt wurde dieses Musterverfahren von einem anderen Immobilienfonds, der treuhänderisch durch dieselbe GmbH vertreten wurde wie die Klägerin und vergleichbar strukturiert war. Gegenstand dieses Verfahrens waren zum einen Fragen zur Ermittlung der (zusätzlichen) Anschaffungskosten neu eingetretener Gesellschafter. Zum anderen ging es um die Aufteilung dieser Kosten auf Grund und [X.]oden sowie Gebäude. Nachdem das [X.] den darauf gerichteten Einspruch aus dem [X.] zurückgewiesen hatte, erhob der Immobilienfonds im Jahr 2004 Klage. Sie wurde mit Urteil vom 11. Oktober 2007  10 K 5086/04 [X.] als unbegründet zurückgewiesen. Nach der Urteilsbegründung waren bei der [X.]erechnung der Anschaffungskosten die übernommenen Verbindlichkeiten --neben dem [X.]uchwert des [X.] auch um die [X.]uchwerte von Rechnungsabgrenzungsposten und Außenanlagen zu bereinigen.

7

Im [X.] daran erließ das [X.] am 10. April 2008 nach § 165 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]) geänderte [X.]escheide für die Streitjahre und erklärte die Feststellungen nunmehr für endgültig: In [X.]ezug auf die [X.]eigeladenen zu 1 bis 4 senkte das [X.] die zusätzlichen [X.]-[X.]eträge auf die überschießenden Anschaffungskosten --entsprechend der Übereinkunft mit der [X.]P-- für die Jahre 2002 bis 2006 von 3 % auf 2,5 % der verbliebenen Restwerte. [X.]ezüglich des [X.]eigeladenen zu 5 minderte das [X.] zunächst die anteilig übernommenen Verbindlichkeiten entsprechend der Entscheidung im Musterverfahren zusätzlich um die anteiligen [X.]uchwerte von Rechnungsabgrenzungsposten und Außenanlagen und reduzierte damit die Anschaffungskosten auf nunmehr 83.084 DM. Den auf das Gebäude entfallenden Anteil berechnete das [X.] auf der Grundlage einer entsprechenden Auskunft des zuständigen Lagefinanzamts aus dem [X.] im sog. vereinfachten Verfahren --wie schon für die [X.] mit 69,89 % (= 58.068 DM) und senkte die [X.] dafür auf 2 % (= 1.161 DM) jährlich. Gegenüber der [X.] anteilig auf den [X.]eigeladenen zu 5 entfallenden Gebäude-[X.] nach dem [X.]erlinförderungsgesetz in Höhe von (264.533 DM x 30.000 DM/ 4.270.000 DM =) 1.858 DM errechnete das [X.] eine jährliche Minder-[X.] in Höhe von nunmehr (1.161 DM ./. 1.858 DM =) 697 DM bzw. 357 €, die --anstelle der bisher berücksichtigten [X.]eträge von 338 DM bzw. 173 €-- in allen [X.] zum Ansatz kam.

8

Einsprüche und Klage blieben erfolglos. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1122 veröffentlichten Urteil führte das Finanzgericht ([X.]) zur [X.]egründung aus, das [X.] sei zwar nicht befugt gewesen, die (ursprünglichen) Feststellungsbescheide allein wegen der ausschließlich steuerrechtlichen Frage nach der Ermittlung der [X.] beim Gesellschafterwechsel eines geschlossenen Immobilienfonds mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung vorläufig zu erlassen. Da die Vorläufigkeitsvermerke indes bestandskräftig geworden seien, stehe deren Rechtswidrigkeit --entgegen anderslautender Rechtsprechung des [X.]undesfinanzhofs ([X.]FH)-- einer auf § 165 Abs. 2 Satz 1 [X.] gestützten Änderung jedoch nicht entgegen. Dabei habe die Vorläufigkeit objektiv nur im Sinne des Offenhaltens der abschließenden [X.]eurteilung der erklärten Mehr- oder Minder-[X.] der beigetretenen Gesellschafter verstanden werden können. Die durchgeführten Änderungen seien durch die Vorläufigkeitsvermerke gedeckt, nachrangige Ermittlungen und Nachprüfungen seien zu Recht nachgeholt worden. Wegen der [X.]estandskraft der Vorläufigkeitsvermerke sei auch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 8 [X.] eingetreten.

9

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 165 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 [X.]). Zur [X.]egründung trägt sie vor, dass die Ursprungsbescheide nicht nach § 165 Abs. 2 Satz 1 [X.] hätten geändert werden dürfen, weil sich die Vorläufigkeit nicht auf ungewisse Tatsachen, sondern ausschließlich auf eine Ungewissheit in der rechtlichen Würdigung von Tatsachen beziehe. Mit den angefochtenen [X.] seien keine neuen Tatsachen verwertet worden. Überdies seien Grund und Umfang der Vorläufigkeiten für die [X.] und 2001 ohne nähere [X.]ezeichnung des [X.] --entgegen § 165 Abs. 1 Satz 3 [X.]-- nicht angegeben worden und die Vermerke damit nichtig. Im Übrigen sollten durch die Vorläufigkeitsvermerke nur Änderungen zugunsten des [X.]eigeladenen zu 5 offengehalten werden. Eine Korrektur der Anschaffungskosten habe das [X.] erkennbar nicht beabsichtigt. Jedenfalls seien die [X.], da auch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 8 [X.] eine tatsächliche Ungewissheit voraussetze, an der es hier aber fehle.

Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des [X.] sowie die geänderten Feststellungsbescheide für die [X.] bis 2006 vom 10. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2008 aufzuheben und die ursprünglichen [X.]escheide für endgültig zu erklären.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

[X.] Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] ist zwar zu Recht von einer Änderungsbefugnis des [X.] nach § 165 Abs. [X.] ausgegangen (s. zu 2.). Die Vorentscheidung ist aber aufzuheben, weil die durchgeführten Änderungen nicht von den Vorläufigkeitsvermerken gedeckt sind (zu 3.).

1. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 [X.]  kann  die Finanzbehörde eine Feststellung aufheben oder ändern, soweit sie die Besteuerungsgrundlagen vorläufig festgestellt hat. Dies kann gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 [X.] geschehen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für deren Entstehung eingetreten sind. Dabei können auch für andere Veranlagungszeiträume geklärte Tatsachen --erstmalig oder erneut-- ungewiss werden. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 165 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Die (materielle) Bestandskraft des Steuerbescheids bleibt in diesem Umfang (zunächst) offen (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Beschluss vom 24. Februar 2009 IX B 176/08, [X.], 889, unter [X.], m.w.N.).

Dagegen  ist  eine vorläufige Feststellung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 [X.] aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären, wenn die Ungewissheit beseitigt ist. Wie die Ungewissheit in § 165 Abs. 1 Satz 1 [X.], so muss sich dabei auch die Gewissheit, die gewonnen wird, auf Tatsachen beziehen, die den gesetzlichen Steuertatbestand verwirklichen (vgl. BFH-Urteil vom 12. März 1991 IX R 282/87, [X.] 1991, 506, unter 3.). Anders als in § 173 [X.] müssen nach § 165 Abs. [X.] verwertbare Tatsachen nicht neu sein, sondern (un)gewiss.

Bezieht sich die tatsächliche Ungewissheit ausschließlich auf eine Vorrangfrage und stellt das [X.] im Hinblick hierauf die Prüfung aller nachrangigen und von der Beantwortung der Vorrangfrage rechtlich abhängigen Folgefragen zurück, kann die Änderung des vorläufigen Steuerbescheids  insoweit  nicht auf Satz 2 des § 165 Abs. [X.] gestützt werden, sondern allein auf Satz 1 der vorbezeichneten Vorschrift. Dies führt zu einer kumulativen Anwendung der Sätze 1 und 2 des § 165 Abs. [X.] bei Erlass des endgültigen Bescheids (vgl. [X.] vom 22. Dezember 1987 IV B 174/86, [X.], 43, [X.] 1988, 234, unter 3.c).

2. Nach diesen Grundsätzen war das [X.] --entgegen der Auffassung des [X.]-- nicht nur  berechtigt  (§ 165 Abs. 2 Satz 1 [X.]), sondern vielmehr  verpflichtet  (§ 165 Abs. 2 Satz [X.]), geänderte Feststellungsbescheide zu erlassen. Die ursprünglichen Feststellungen ergingen vorläufig und wurden mangels Anfechtung formell bestandskräftig und wirksam. Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Vorläufigkeit können im Verfahren gegen die endgültigen [X.] nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. BFH-Urteile vom 25. Juli 2000 IX R 93/97, [X.], 241, [X.] 2001, 9, unter [X.]3.a a.E.; vom 7. Februar 1995 IX R 68/92, [X.] 1995, 939, unter 1., und in [X.] 1991, 506, unter 1.).

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin verstoßen die Vorläufigkeitsvermerke für die [X.] und 2001 trotz unvollständiger Bezeichnung des [X.] nicht gegen das Begründungsgebot des § 165 Abs. 1 Satz 3 [X.] und sind daher wirksam (§ 124 [X.]). Die Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks kann sich aus seiner Begründung oder aus anderen Umständen durch Auslegung ergeben (vgl. BFH-Urteile vom 12. Juli 2007 [X.], [X.], 26, [X.] 2008, 2, unter [X.]3. und 4.; vom 29. August 2001 VIII R 1/01, [X.] 2002, 465, unter 1.b, und in [X.] 1991, 506, unter 2.). Entscheidend ist, wie der Adressat den materiellen Regelungsinhalt nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. BFH-Urteile vom 22. August 2007 II R 44/05, [X.], 494, [X.] 2009, 754, unter [X.]B.2.a cc (1), und vom 19. Oktober 1999 IX R 23/98, [X.], 44, [X.] 2000, 282, jeweils m.w.N.).

Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass das in den Vermerken für die [X.] und 2001 nicht näher bezeichnete "Musterverfahren" bei Erlass der [X.] im [X.] noch nicht beim [X.] anhängig war. Weil sie aufgrund verschiedener Treuhandverhältnisse rechtlich durch dieselben Personen vertreten wird wie der das Musterverfahren führende Immobilienfonds, wusste die Klägerin allerdings ebenso wie das [X.], dass zu diesem Zeitpunkt im Musterfall bereits das außergerichtliche Vorverfahren anhängig war. Aus der engen zeitlichen und sachlichen Verflechtung beider Feststellungsverfahren war für die Klägerin daher zweifelsfrei erkennbar, auf welches "Musterverfahren" sich das [X.] in den Anlagen zu den Bescheiden 2000 und 2001 bezog.

b) Entgegen der Auslegung des [X.] umfassten die Vorläufigkeitsvermerke nicht nur Rechtsfragen, sondern --mit dem Verweis auf Gesellschafterwechsel und [X.] jedenfalls auch Tatsachen im Zusammenhang mit der Ermittlung der Sonderwerbungskosten, die (erneut) ungewiss waren. Auch wenn in komplexen Fallgestaltungen wie der vorliegenden im Einzelnen kaum trennscharf zwischen rechnerischer und rechtlicher Bewertung einzelner Tatsachen unterschieden werden kann, so sind Berechnungsgrundlagen als solche regelmäßig dem tatsächlichen Bereich zuzuordnen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 82/96, [X.] 2001, 1533, unter 1.). Zwar ist der Revision beizupflichten, dass ein schätzungsweise ermittelter Maßstab für die Aufteilung von Anschaffungskosten auf Grund und Boden sowie Gebäude selbst keine Tatsache ist, sondern als Schlussfolgerung auf Tatsachen beruht (vgl. BFH-Urteil in [X.] 1991, 506, unter 3.). Im Streitfall hatte das [X.] nach Maßgabe der Vorläufigkeitsvermerke jedoch nicht lediglich den [X.] zu ändern, sondern --entsprechend der Entscheidung im [X.] zunächst die Anschaffungskosten neu zu berechnen und somit Tatsachen zu verwerten. Diese mussten --entgegen der Auffassung der Klägerin und anders als in § 173 [X.]-- nicht neu sein, sondern lediglich (un)gewiss. Auf eine bereits erreichte Klärung für Vorjahre oder andere Fondsgesellschaften kommt es nicht an.

c) Die tatsächliche Ungewissheit wurde im Streitfall durch das Musterverfahren begründet und mit dessen (rechtskräftigem) Abschluss am 11. Oktober 2007 beseitigt. Die Feststellungen waren nach § 165 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 [X.] innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 165 Abs. 1 Satz 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu ändern und für endgültig zu erklären. Diese Frist hat das [X.] mit den [X.] vom 10. April 2008 eingehalten.

d) Dass [X.] und [X.] die [X.] ausschließlich auf § 165 Abs. 2 Satz 1 [X.] stützten, ist insofern unbeachtlich, als für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht die zu seiner Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend ist. Es kommt allein darauf an, ob der angefochtene Bescheid zum Zeitpunkt seines [X.] (im Übrigen) durch eine entsprechende Ermächtigungsnorm --hier § 165 Abs. 2 Satz [X.]-- gedeckt war (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2004 [X.], [X.] 2005, 322, unter B.[X.]1.b bb).

3. Das Urteil ist aufzuheben, da die durchgeführten Änderungen nicht dem durch die Vorläufigkeitsvermerke gesteckten Änderungsrahmen entsprechen: Weil die abweichenden [X.] für den Beigeladenen zu 5 unzutreffend ermittelt (s. zu a) und die Änderungen zulasten der Beigeladenen zu 1 bis 4 rechtsfehlerhaft in den Umfang der Vorläufigkeitsvermerke einbezogen wurden (zu b), verletzt das Urteil die Vorschrift des § 165 Abs. [X.].

a) Dem Grunde nach zu Recht ging das [X.] davon aus, dass die Änderungen in Bezug auf den Beigeladenen zu 5 von den Vorläufigkeitsvermerken gedeckt waren; mit der Beendigung des [X.] trat Gewissheit ein. Anders als die Klägerin meint, ergeben sich weder aus dem Wortlaut oder den Erläuterungen zu den Vorläufigkeitsvermerken noch aus den sonstigen Umständen Hinweise darauf, dass die Vorläufigkeit nur Änderungen zu dessen Gunsten erfassen oder eine Korrektur der Anschaffungskosten ausschließen sollte. So nahm das [X.] beim Beigeladenen zu 5 --entsprechend den Vorgaben in Vermerken und [X.] zunächst eine (in dieser Form erstmalige) Neuberechnung der Anschaffungskosten vor. Die Ermittlung und Anwendung des [X.]s waren danach ebenso wie die Bestimmung des maßgeblichen [X.] lediglich nachrangige Rechtsfragen, die das [X.] innerhalb des durch Grund und Umfang der Vorläufigkeit abgegrenzten Änderungsrahmens bei der endgültigen Feststellung abweichend beantworten durfte (vgl. [X.] in [X.], 889, unter [X.], m.w.N.).

Demgegenüber ist das [X.] der Höhe nach unzutreffend dem Ansatz des [X.] gefolgt. Unberücksichtigt blieb, dass die AfA des Gebäudes ab dem [X.] nicht länger mit 3 % der Herstellungskosten, sondern nunmehr mit 2,5 % des verbliebenen [X.] ermittelt wurde. Daraus ergab sich laut [X.] ein Betrag von 59.334 € (vgl. [X.]. 44, 126), von dem auf den Beigeladenen zu 5 nur noch (30.000/4.270.000 =) 417 € entfallen. Statt der berücksichtigten [X.] hätte ihm daher ab 2002 eine jährliche Mehr-AfA in Höhe von (1.161 DM = 594 € ./. 417 € =) 177 € zugerechnet werden müssen.

b) Entgegen dem [X.] sind die Änderungen in Bezug auf die Beigeladenen zu 1 bis 4 nicht durch die Vorläufigkeitsvermerke gedeckt. Änderungen nach § 165 Abs. [X.] sind nach Art und Umfang nur in dem durch die Vorläufigkeit wirksam gesteckten Rahmen zulässig. Mit der (isolierten) Minderung der zusätzlichen AfA dieser Gesellschafter von 3 % der Herstellungskosten auf 2,5 % der Restwerte ab dem [X.] hat das [X.] ausschließlich den AfA-Satz korrigiert. Damit hat es lediglich das Recht abweichend angewandt, wobei eine solche Änderung im Vorläufigkeitsvermerk nicht angelegt war. Da anhand des [X.] kein vorrangiger Gesichtspunkt überprüft und ggf. geändert wurde, handelt es sich [X.] als beim Beigeladenen zu 5-- nicht um die Klärung einer nur nachrangigen Rechtsfrage. Soweit die Klägerin daraus den Schluss ziehen will, dass das [X.] selbst die Anschaffungskosten nicht mit in den Umfang der Vorläufigkeit einbezogen sah, widerspricht dem die durchgeführte Neuberechnung beim Beigeladenen zu 5.

c) Weil die Vorläufigkeitsvermerke auch Tatsachen umfassen, bedarf es keiner Entscheidung, ob eine bestandskräftige vorläufige Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nur im Hinblick auf Erkenntnisse über tatsächliche Verhältnisse oder auch lediglich wegen einer veränderten rechtlichen Beurteilung geändert werden darf (ebenfalls offengelassen durch BFH-Urteile vom 28. November 1995 IX R 16/93, [X.], 8, [X.] 1996, 142, unter 2.b, und vom 30. Juni 1994 V R 106/91, [X.] 1995, 466, unter 1.c).

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das [X.] hat keine ausreichenden Feststellungen getroffen, anhand derer abschließend überprüft werden könnte, ob die Änderungen durch die Vorläufigkeitsvermerke gedeckt sind. Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang über die Rechtmäßigkeit der [X.] erneut zu entscheiden haben. Anders als bei einer reinen Ermessensentscheidung nach § 165 Abs. 2 Satz 1 [X.] unterliegt die richterliche Prüfungskompetenz bei Änderungen nach Satz 2 dieser Vorschrift nicht den Einschränkungen des § 102 Satz 1 [X.]O. Sie wird --abgesehen von dem durch die Vorläufigkeit gesteckten [X.] nur durch den Umfang der durchgeführten Änderungen beschränkt (vgl. § 351 Abs. 1 [X.], § 96 Abs. 1 Satz 2 [X.]O).

a) Aufgrund anderer Rechtsauffassung ließ das [X.] unbeachtet, dass auch die Beigeladenen zu 1 bis 4 der Klägerin erst nachträglich --und wie der Beigeladene zu 5 deutlich vor Beginn der [X.] durch Gesellschafterwechsel beigetreten und insoweit ebenfalls --auch für die [X.] und 2001-- von den Vorläufigkeitsvermerken und der darin verankerten tatsächlichen Ungewissheit umfasst sind. Das [X.] wird daher zunächst die Ermittlung der Anschaffungskosten für diese Beteiligten im Jahr 1990 nach den Vorgaben im Musterverfahren und deren Aufteilung auf Grund und Boden sowie das Gebäude zu überprüfen haben (vgl. [X.], [X.]. 62). Die Bestätigung der Ermittlung dieser Anschaffungskosten durch die [X.] im Jahr 1991 begründet wegen des Prinzips der Abschnittsbesteuerung (§ 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG) keinen Vertrauens- oder Bestandsschutz für die Streitjahre.

Überdies hat das [X.] die Ermittlung der Restwerte nicht überprüft und somit --wie das [X.]-- nicht berücksichtigt, dass bei den Beigeladenen zu 1 bis 4 in den Jahren 1993 und 1994 gar keine Mehr-AfA zum Ansatz kam (vgl. [X.]II, [X.]. 65, 68, 144, 147; [X.], [X.]. 167). Gleiches gilt im Jahr 1995 für den Beigeladenen zu 3, während der Beigeladenen zu 1 ein gegenüber den Folgejahren geringerer Betrag gewährt wurde (vgl. Einkommensteuerakten [X.]I, [X.]. 163).

b) Im Rahmen der Kompensation wird das [X.] ferner den zulasten des Beigeladenen zu 5 unterlaufenen Rechenfehler (s. oben zu 3.a) --ggf. nach § 177 [X.]-- einzubeziehen haben (vgl. dazu auch [X.] vom 13. Oktober 2009 X B 55/09, [X.] 2010, 168, unter 2., sowie BFH-Urteil vom 2. März 2000 VI R 48/97, [X.], 223, [X.] 2000, 332).

c) Darüber hinaus wird das [X.] erneut darüber entscheiden, ob die Bescheide für endgültig zu erklären sind.

Meta

IX R 7/11

20.11.2012

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 16. Dezember 2010, Az: 10 K 10283/08, Urteil

§ 2 Abs 7 S 1 EStG 1997, § 2 Abs 7 S 2 EStG 1997, § 21 EStG 1997, § 165 Abs 1 S 1 AO, § 165 Abs 1 S 3 AO, § 165 Abs 2 S 1 AO, § 165 Abs 2 S 2 AO, § 177 AO, § 171 Abs 8 AO, § 173 AO, § 181 Abs 1 S 1 AO, § 351 Abs 1 AO, § 21 EStG 2002, § 2 Abs 7 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.11.2012, Az. IX R 7/11 (REWIS RS 2012, 1265)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1265

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