Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.08.2018, Az. 4 StR 248/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 4316

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Gegenstand

Darlegung der hangbedingten Gefährlichkeit nach provozierter Körperverletzung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Februar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Nach den Feststellungen hielten sich der unter dem Einfluss von [X.] stehende Angeklagte und der Nebenkläger am 20. August 2017 gemeinsam in der Wohnung des Angeklagten auf. Dabei kam es zu „Provokationen“ seitens des [X.], bei denen er den Angeklagten unter anderem einen „[X.]“ nannte. Der zunehmend erregte Angeklagte forderte den Nebenkläger daraufhin auf, seine Wohnung zu verlassen. Als der Nebenkläger dieser Aufforderung nicht unmittelbar nachkam und sagte, „halt die Fresse, sonst klatsch ich Dir eine“, stach ihm der Angeklagte ein Küchenmesser mit einer spitzen, etwa 10 Zentimeter langen und scharfen Klinge unterhalb der linken Achsel seitlich in den Oberkörper. Damit wollte der Angeklagte den Nebenkläger dazu bringen, seine Wohnung zu verlassen, ohne ihm lebensgefährliche Verletzungen zuzufügen. Der Nebenkläger erlitt eine sechs Zentimeter tiefe Stichwunde mit Eröffnung der linken Brusthöhle. In der Folge kam es zu einem Pneumothorax. Konkrete Lebensgefahr bestand nicht.

3

Das [X.] hat das Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 und Nr. 5 StGB gewertet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen [X.]konsums bei Tatbegehung im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war.

4

2. Der Rechtsfolgenausspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

5

a) Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil dem [X.] bei der Wahl des Strafrahmens und der konkreten Strafbemessung Rechtsfehler unterlaufen sind.

6

aa) [X.] hat die Strafe dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls im Sinne des § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB hat sie unter Bezugnahme auf die bei der konkreten Strafbemessung angestellten Erwägungen abgelehnt und besonders auf die Schwere der Verletzung des [X.] hingewiesen.

7

Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft, weil sich das [X.] nicht damit auseinandergesetzt hat, ob hier mit Blick auf das [X.] die Voraussetzungen des § 213 Alternative 2 StGB gegeben sind. Zwar führt dies bei Körperverletzungsdelikten - anders bei Tötungsdelikten - noch nicht zwingend zur Annahme eines minder schweren Falls, doch ist dessen Zubilligung regelmäßig geboten, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. [X.], Urteil vom 5. April 2018 - 1 StR 67/18, Rn. 26; Beschluss vom 27. März 2012 - 5 StR 103/12, [X.], 277; Urteil vom 17. März 2011 - 5 StR 4/11, [X.], 24 mwN; siehe auch Beschluss vom 15. Dezember 2016 - 3 [X.], Rn. 4). Daran gemessen reicht es nicht aus, dass das [X.] durch seine Bezugnahme auf die bei der konkreten Strafbemessung angestellten Erwägungen auch die dort angesprochene ohne nähere Bewertung erwähnte Provokation des [X.] pauschal bei der [X.] mit herangezogen hat.

8

Rechtsfehlerhaft ist es vorliegend auch, dass sich die [X.] nicht erkennbar damit auseinandergesetzt hat, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB unter Heranziehung des vertypten [X.] des § 21 StGB zu bejahen war (zur Prüfungsreihenfolge vgl. [X.], Beschluss vom 4. April 2017 - 3 [X.], [X.], 524 mwN). In diesem Fall hätte sich eine deutlich niedrigere Strafrahmenobergrenze ergeben.

9

bb) Schließlich ist auch zu beanstanden, dass das [X.] dem Angeklagten bei der konkreten Strafzumessung und durch die allgemeine Bezugnahme auch bei der [X.] die Verwirklichung von zwei Varianten des § 224 Abs. 1 StGB angelastet hat. Denn in Bezug auf den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass der Angeklagte die Umstände erkannt hat, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit seines Tuns für das Leben des [X.] in der konkreten Situation ergab (vgl. [X.], Urteil vom 26. März 2015 - 4 [X.], [X.], 172, 173; Urteil vom 29. Januar 1952 - 1 StR 767/51, [X.]St 2, 160, 163; st. Rspr.). Dies versteht sich hier auch nicht von selbst. Zwar hat der Angeklagte objektiv eine lebensgefährliche Gewalthandlung begangen, doch ist das [X.] mit Rücksicht auf die [X.]intoxikation und die Übermüdung des Angeklagten an anderer Stelle (bei der Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes) selbst davon ausgegangen, dass er sich der Gefährlichkeit seines Handelns möglicherweise nicht in vollem Umfang bewusst war ([X.]). Unter diesen Umständen hätte es im Hinblick auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB - anders als bei dem gleichzeitig bejahten § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB - näherer Ausführungen zur subjektiven Tatseite bedurft.

b) Auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kann nicht bestehen bleiben.

Zwar hat das [X.] mit zutreffenden Erwägungen das Vorliegen eines Hangs und eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Tatbegehung bejaht. Das Vorliegen einer hangbedingten Gefährlichkeit ist aber nicht hinreichend belegt. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft. Die von ihm begangene Gewalttat geht maßgeblich auf eine Provokation des [X.] zurück. Auch wenn die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die [X.] begründet werden kann und durch eine hangbedingte schwere Gewalttat regelmäßig hinreichend belegt wird (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 31/06, [X.], 204 [[X.]] mwN), hätte es hier mit Rücksicht auf die festgestellte Provokationslage und den sich daraus ergebenden besonderen Situationsbezug näherer Ausführungen dazu bedurft, warum mit einer Wiederholung zu rechnen ist. Die allgemeine Erwägung der [X.], wonach die Ausgangsbedingungen der Tat jederzeit reproduzierbar seien, reicht dafür nicht aus, zumal es nach den Feststellungen auch schon in der Vergangenheit zu kleineren Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger gekommen war und sich beide auch noch zwei Tage vor der Tat gestritten hatten, ohne dass der Angeklagte deshalb gewalttätig geworden wäre ([X.]).

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

Cierniak

        

[X.]     

        

Quentin     

        

Meta

4 StR 248/18

29.08.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Arnsberg, 22. Februar 2018, Az: 2 Ks 31/17

§ 64 S 1 StGB, § 213 StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.08.2018, Az. 4 StR 248/18 (REWIS RS 2018, 4316)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4316

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