Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.07.2023, Az. X ZR 32/22

10. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 4490

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 2 bis 4 wird der Beschluss des 21. Zivilsenats des [X.] vom 17. Februar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 36.153 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger macht gemäß § 93 [X.] auf ihn übergegangene Ansprüche auf Rückgewähr einer Schenkung geltend.

2

[X.] erwarben der inzwischen verstorbene Beklagte zu 1 (dessen Erben die Beklagten zu 2 bis 4 sind) und die Beklagte zu 2 das Eigentum an einem Grundstück mit Gebäude und Freifläche in [X.]. Das Grundstück war seit 1989 mit einem Wohnrecht belastet.

3

Die am 10. Mai 1937 geborene Berechtigte des Wohnrechts (künftig: Leistungsempfängerin) zog am 15. Januar 2016 dauerhaft in ein Pflegeheim. Am 26. April 2016 bewilligte sie die Löschung des Wohnrechts.

4

Der Kläger gewährt der Leistungsempfängerin Sozialleistungen. Er hat deshalb Ansprüche der Leistungsempfängerin auf Rückgewähr der Schenkung wegen Verarmung auf sich übergeleitet.

5

Das [X.] hat die Beklagten zu 1 und 2 antragsgemäß zur Zahlung von 36.153 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage nur bezüglich der weitergehenden Zinsforderung abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zu 2 bis 4 hat das Berufungsgericht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde verfolgen die Beklagten zu 2 bis 4 das Ziel einer vollständigen Abweisung der Klage weiter.

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

7

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Bewilligung der Löschung des Wohnrechts beruhe auf einer Schenkung, weil die Beklagten zu 1 und 2 keine Gegenleistung erbracht hätten. Aufgrund der Verarmung der Leistungsempfängerin sei der Wert der Schenkung herauszugeben.

8

Dieser Wert spiegele sich in der Erhöhung des Verkehrswerts des Grundstücks wider. Die Werterhöhung sei auf der Grundlage des vom Kläger angegebenen Mietwerts von 5 Euro pro Quadratmeter und der damaligen Lebenserwartung der Leistungsempfängerin auf die Klagesumme zu beziffern.

9

Der Klägervortrag hierzu sei nachvollziehbar. Insoweit sei unerheblich, ob der Vortrag der Beklagten, wonach das Gebäude sich zum Zeitpunkt der [X.] in einem desolaten Zustand befunden habe, unstreitig sei. Jedenfalls sei das pauschale Bestreiten des in erster Instanz unstreitig gebliebenen Mietwerts sowohl unsubstantiiert als auch verspätet im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO.

2. Dies rügt die Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

a) Die Nichtberücksichtigung eines Vortrags wegen mangelnder Substantiierung verletzt Art. 103 Abs. 1 GG, wenn dies in offenkundig unrichtiger Weise geschieht ([X.], Beschluss vom 11. Oktober 2022 - [X.], [X.] 2023, 53 Rn. 8; Beschluss vom 23. Februar 2023 - [X.], [X.] 2023, 359 Rn. 19).

Diese Voraussetzung ist im Streitfall bezüglich des Vortrags der Beklagten zum Zustand des Wohngebäudes sowie den sich daraus ergebenden Folgen für dessen Vermietbarkeit und Mietwert erfüllt.

Die Beklagten haben anhand zahlreicher, zum Teil auch fotografisch dokumentierter Mängel den Zustand des Wohngebäudes zum Zeitpunkt des Verzichts auf das Wohnrecht dargelegt. Der Kläger hat sich dazu bislang noch nicht geäußert.

Bei dieser [X.] bestand für eine weitere Substantiierung keine Veranlassung.

Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich, welchen Zustand die Wohnung aufgewiesen hat. Dies ermöglicht die Beurteilung, ob der vom Kläger angegebene Mietwert von 5 Euro pro Quadratmeter angesetzt werden kann.

b) Art. 103 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn ein Gericht rechtlich erhebliches Vorbringen aus prozessualen Erwägungen unberücksichtigt lässt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze findet (vgl. nur [X.], Beschluss vom 30. Januar 1985 - 1 BvR 393/84, [X.]E 69, 141, 144 sub III; Beschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03, [X.], 1487 sub II 1). Diese Grenze ist bei Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie § 531 ZPO bereits dann erreicht, wenn sie in offenkundig unrichtiger Weise angewandt wird ([X.], Beschluss vom 31. Mai 2022 - [X.], [X.], 1550 Rn. 10 f.).

Die zuletzt genannte Voraussetzung ist im Streitfall ebenfalls erfüllt.

aa) Eine Präklusion gemäß § 531 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass es sich um streitigen Vortrag handelt ([X.], Beschluss vom 23. Juni 2008 - [X.], [X.]Z 177, 212-217, Rn. 10). Unstreitige Tatsachen sind unabhängig von dieser Vorschrift auch dann zu berücksichtigen, wenn dies im Hinblick auf Folgefragen eine Beweisaufnahme erfordert ([X.], Beschluss vom 31. Mai 2022 - [X.], [X.], 1550 Rn. 13).

Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO entscheidet.

Eine Zurückweisung der Berufung nach dieser Vorschrift ist nur dann zulässig, wenn das Rechtsmittel auch unter Berücksichtigung des nach § 529 und § 531 ZPO zulässigen neuen Vorbringens offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat ([X.], Beschluss vom 14. Juli 2016 - [X.]/15, NJW 2017, 736 Rn. 13; Beschluss vom 8. Mai 2018 - [X.], NJW 2018, 2269 Rn. 24). Zu dem danach zu berücksichtigenden Vorbringen gehört auch neuer Vortrag, der unstreitig geblieben ist.

bb) Im Streitfall hat sich der Kläger bislang zu dem neuen Vortrag der Beklagten über den Zustand des Wohngebäudes und dessen Vermietbarkeit nicht geäußert.

Bei dieser Ausgangslage war das diesbezügliche Vorbringen schon deshalb zu berücksichtigen, weil es nicht bestritten ist.

[X.]     

  

Hoffmann     

  

Deichfuß

  

Rombach     

  

Rensen     

  

Meta

X ZR 32/22

04.07.2023

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 17. Februar 2022, Az: I-21 U 122/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.07.2023, Az. X ZR 32/22 (REWIS RS 2023, 4490)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4490

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIa ZR 1469/22 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 136/22 (Bundesgerichtshof)

Gehörsverletzung in der Berufungsinstanz eines Insolvenzanfechtungsprozesses: Fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften; Anforderungen an das Bestreiten der …


IX ZR 208/18 (Bundesgerichtshof)

Schenkungsanfechtung in der Insolvenz: Überzeugung der Beteiligten von der Gleichwertigkeit ausgetauschter Leistungen; Beweislast des Insolvenzverwalters …


V ZR 21/17 (Bundesgerichtshof)

Nichtzulassungsbeschwerde: Wert einer Klage auf Duldung eines Notwegs; Glaubhaftmachung des Beschwerdewerts


VIII ZR 212/21 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.