Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.03.2016, Az. 4 StR 574/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 13759

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:310316U4STR574.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
4
StR
574/15

vom
31. März 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Körperverletzung mit Todesfolge

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 31.
März
2016, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer

als Vorsitzender,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Cierniak,
[X.],
Dr. Quentin

als beisitzende [X.],

Bundesanwalt
beim Bundesgerichtshof

als Vertreter des
[X.]s,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 24.
Juli 2015,
soweit es den Angeklagten M.

betrifft, mit den Fest-
stellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige [X.] des Land-gerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit [X.] zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom [X.] vertretene
Revision der Staatsanwaltschaft, die sich vor allem gegen die Ablehnung eines (beding-ten) Tötungsvorsatzes wendet, hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte M.

, der an einer intellektuellen Minderbegabung,
einer dissozial-narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung und einem Zustand nach [X.] leidet, der rechtskräftig wegen Körper-1
2
3
-
4
-
verletzung mit Todesfolge verurteilte Mitangeklagte [X.]

und das Tatopfer
K.

F.

M.

lebten in einem ambulant betreuten Wohnobjekt der [X.].
In der Nacht vom 14. auf den 15.
Februar 2015 war K.

F.

M.

im
[X.] der Hausbewohnerin

Ma.

erschienen, entfernte sich auf die
entsprechende Aufforderung aber sofort wieder, ohne zudringlich geworden zu sein. Frau Ma.

erzählte dies dem Mitangeklagten [X.]

, mit dem sie liiert
war, und dem Angeklagten, mit dem sie früher eine Beziehung gehabt hatte, als man am Mittag bei einem Kasten Bier in der Küche zusammensaß. Der Ange-.

-

ä-ten Nachmittag trat er vor Wut die [X.]tür des K.

F.

M.

ein, riss
Schranktüren und Bettlaken heraus, kippte Sprudel und Limonade auf die [X.] und nahm Werkzeuge und Lebensmittel mit.
Als der 163
cm große und 52
kg schwere K.

F.

M.

gegen
19.00
Uhr nach Hause kam, packte ihn der 180
cm große und 72
kg schwere Angeklagte im Flur, drückte ihn an die Wand und stellte ihn zur Rede. Er [X.] ihn zu Boden, schleifte ihn hin und her und zog ihm die Kleidung bis auf Un-terhose und Socken aus. Der Angeklagte schlug mehrmals mit der Hand gegen das Gesicht und die beiden Kopfseiten von K.

F.

M.

und trat ihm
mehrfach mit dem möglicherweise unbeschuhten Fuß gegen Oberkörper, Bauch und Beine. Dabei äußerte er, dass K.

F.

M.

den Morgen nicht
mehr erleben werde. Der Angeklagte zog K.

F.

M.

an den Haaren in
die Küche, wo sich dieser bei Frau Ma.

und dem Mitangeklagten [X.]

entschuldigte. Im weiteren Verlauf kroch K.

F.

M.

in [X.]
oder wurde vom Angeklagten dorthin verbracht. [X.] schlug der Angeklagte im [X.] von K.

F.

M.

weiter auf ihn ein. Er zerbrach einen Stuhl
und schlug mit einem Stuhlbein oder einer Holzlatte mindestens viermal gegen 4
-
5
-
den Oberkörper und einmal gegen den linken Oberschenkel. Zeitweise hielt der Mitangeklagte [X.]

das Opfer dabei fest, auch er schlug und trat K.

F.

M.

. Zwischendurch versuchten der Mitangeklagte [X.]

und andere
Hausbewohner, den Angeklagten von weiteren Tätlichkeiten abzuhalten. Der Angeklagte
machte mehrere Trinkpausen in der Küche, wobei er auf die [X.] einredete, keine Hilfe zu holen. Auch zog er das Telefonkabel aus der Wand. Als der Angeklagte gegen 22.25
Uhr mitbekam, dass die Mitbewohner über den Notruf Rettungskräfte anforderten,
ließ er von K.

F.

M.

ab.
K.

F.

M.

erlag während der Reanimationsmaßnahmen um 23.18
Uhr
seinen Verletzungen. Er erlitt insbesondere Rippenserienfrakturen auf beiden Seiten mit Durchspießungen des [X.], eine Spiralfraktur des linken [X.] sowie eine Fraktur des linken Oberschenkelhalses. Das Bruchfragment einer Rippe durchstieß den [X.] und führte zu einem Hämatopneumothorax. Zudem kam es zu einer Lungenfettembolie, wahrscheinlich verursacht durch ausgetretenes Knochenmark. Mit todesursäch-lich war auch der durch die multiplen Verletzungen bewirkte erhebliche (innere) Blutverlust.
Das [X.] konnte keine Überzeugung davon gewinnen, dass der Angeklagte, dessen Schuldfähigkeit nicht erheblich vermindert war, den Tod von K.

F.

M.

als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen
hat.
II.
Zu Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass das [X.] die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes sowohl hinsichtlich des Wissens-5
6
-
6
-
elementes als auch hinsichtlich des Willenselementes mit unzureichender Be-gründung abgelehnt hat.
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei oder sieht er von einer [X.] reichenden Verurteilung ab, weil er Zweifel nicht zu überwinden vermag, so
ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die [X.] Prüfung der Beweiswürdigung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht insbesondere der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 5.
November 2014

1
StR
327/14, [X.], 83,
85; vom 11.
September 2007

5
StR
213/07, [X.], 22, 24 jeweils mwN).
Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Beweiswürdigung sowohl zum Wissens-
als auch zum Willenselement des bedingten [X.] als rechtsfehlerhaft.
1.
Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu
be-stimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist ein wesentlicher Indika-tor für das Vorliegen eines
bedingten Vorsatzes (st. Rspr.;
vgl. nur [X.], Urteil vom 23.
Februar
2012

4
StR
608/11, [X.], 443, 444). Das [X.] hat das Wissenselement u.a. deshalb verneint, weil es sich bei den [X.] nicht um äußerst gefährliche Gewalthandlungen gehandelt ä-ge mit einem Stuhlbein oder einer Holzlatte sowie Tritte mit dem unbeschuhten Fuß ab, ohne zu erörtern, ob diese Tathandlungen überhaupt geeignet waren, [X.] beidseits sowie einen Spiralbruch im Arm und einen Ober-schenkelhalsbruch herbeizuführen. Sollte es hingegen zur Herbeiführung der 7
8
9
-
7
-
festgestellten Verletzungen anderer, konkret lebensgefährlicher Gewalthand-lungen bedurft haben, liegt es nahe, dass der Angeklagte deren Gefährlichkeit auch erkannt hat.
2.
Das [X.] hat die Verneinung des [X.] zudem auf den Umstand gestützt, dass der Angeklagte von K.

F.

M.

abge-
lassen habe, als dieser noch Lebenszeichen von sich gab. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken. Ob sich das Opfer zu diesem Zeitpunkt für den [X.] erkennbar in einem lebensbedrohlichen Zustand befand, ist für die Beurteilung des [X.] des bedingten
Vorsatzes ohne Bedeutung. Maßgebend ist vielmehr, ob der Angeklagte bei der Tatausführung die Möglich-keit eines tödlichen Ausgangs erkannt hat. Dies gilt in ähnlicher Weise für das Argument, die schwerwiegenden Verletzungen, an denen K.

F.

M.

verstorben sei, seien mit Ausnahme der Knochenbrüche äußerlich nicht er-kennbar gewesen. Zum einen waren gerade die Knochenbrüche mit todes-ursächlich. Zum anderen besagt die äußerliche Erkennbarkeit eingetretener Verletzungen nichts über das Wissen des [X.] um mögliche Folgen der [X.] bei deren Zufügung. Deshalb kann auch der Zustand des [X.] gegen das Vorliegen bedingten Vorsatzes herangezogen werden.
3.
Das Schwurgericht hat auch das Willenselement des bedingten [X.] nicht rechtsfehlerfrei verneint. Den Indizwert der Äußerungen des Ange-klagten, dass K.

F.

M.

sich keinen persönlichen Eindruck von den Zeugen Wa.

und Fr.

habe
verschaffen und die näheren Einzelheiten nicht habe erfragen können. Im [X.] dazu hat die [X.] an anderer Stelle der Beweiswürdigung 10
11
-
8
-
die Aussage des Zeugen Wa.

als besonders belastbar bezeichnet und ihren
Feststellungen im Wesentlichen seine Schilderung zugrunde gelegt. Auch führt die [X.] an anderer Stelle aus, dass sie keine grundsätzlichen Zweifel an der Aussage des Zeugen Fr.

habe, der die Geschehnisse in einer Video-

4.
Soweit das Schwurgericht das Tatmotiv, K.

F.

M.

lediglich

Umstände gewertet hat, die gegen eine Billigung des [X.] sprächen, setzt es sich nicht mit der tatsächlichen Tatausführung über drei Stunden aus-einander. Bei der Würdigung von Indizien ist eher auf die konkrete Sachlage abzustellen, als dass ein Fehlen einschlägiger Vortaten entscheidend wäre. Gerade die Tatsache, dass dem Angeklagten nach seiner
eigenen Einlassung dass ihm der Tod des K.

F.

M.

in der konkreten Situation zumindest
gleichgültig war, zumal er vom Opfer erst abließ, nachdem er bemerkt hatte, dass
Mitbewohner den Rettungsdienst anriefen. Soweit die [X.] inso-weit zugunsten des Angeklagten gewürdigt hat, dass er zugelassen habe, dass die Zeugen Ma.

und Wa.

den Rettungswagen riefen und lediglich ver-
sucht habe, dem Zeugen Wa.

beim Notruf zu soufflieren, wird diese An-
nahme von den Feststellungen nicht getragen. Danach hat der Angeklagte auf die Mitbewohner eingewirkt, keine Hilfe zu holen und hat zu diesem Zweck das Telefonkabel aus der Wand gezogen.
12
-
9
-
5.
Über den [X.] wird deshalb erneut zu entscheiden sein. Der Senat hebt auch die Feststellungen des Urteils zum objektiven Tatgeschehen auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende neue Prüfung zu ermöglichen.
Mutzbauer
Roggenbuck
Cierniak

Franke
Quentin
13

Meta

4 StR 574/15

31.03.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.03.2016, Az. 4 StR 574/15 (REWIS RS 2016, 13759)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13759

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