Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.11.2022, Az. 1 WB 6/22

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2022, 10103

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unbegründete Selbstanzeige eines ehrenamtlichen Richters


Tenor

Die Selbstanzeige des ehrenamtlichen Richters Oberst ... ist nicht begründet.

Tatbestand

1

Mit gerichtlichem Schreiben vom 6. Oktober 2022 wurde Oberst ... als [X.] für die Entscheidung in dem Wehrbeschwerdeverfahren des Antragstellers wegen eines [X.] um die Besetzung des Dienstpostens des [X.] im ... herangezogen. Oberst ... hat am 13. Oktober 2022 mitgeteilt, ihm sei die vom Antragsteller geführte Klage bekannt. Die beklagte Entscheidung sei nach seiner Verwendung als Personalführer der Obersten A 16 im ... erfolgt. Er sei aber in seiner Anschlussverwendung im ... am Rande des formalen Umspruchverfahrens mit der Einholung der Votierung durch den Inspekteur ... befasst gewesen. Der für den Dienstposten ausgewählte Beigeladene sei ihm persönlich bekannt; es sei ein Dienstposten seiner aktuellen Dienststelle betroffen. Er sehe einen gewissen Gewissenskonflikt bzw. eine Befangenheit in der Ausübung seines Richteramtes.

2

Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das [X.] und der Bundeswehrdisziplinaranwalt sehen weder einen Ausschlussgrund noch eine Befangenheit des ehrenamtlichen Richters. Der Antragsteller und der Beigeladene haben sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

3

Über die Ausschließung und Ablehnung von [X.] ist im Antragsverfahren vor den [X.] nach den gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 [X.] entsprechend anwendbaren Vorschriften des § 54 VwGO i. V. m. §§ 41 bis 49 ZPO zu entscheiden.

4

Oberst ... ist weder kraft Gesetzes von der Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher [X.] ausgeschlossen noch hat er mit seinem Schreiben vom 13. Oktober 2022 von einem Verhältnis Anzeige gemacht, das seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt. Einer Befreiung aus sonstigen Gründen steht der Grundsatz des gesetzlichen [X.]s (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), der auch für die Heranziehung der ehrenamtlichen [X.] gilt, entgegen.

5

1. Nach dem im Schreiben vom 13. Oktober 2022 mitgeteilten Sachverhalt sind in der Person von Oberst ... keine gesetzlichen Ausschließungsgründe nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 41 ZPO, nach § 54 Abs. 2 VwGO oder nach der ebenfalls zu berücksichtigenden Vorschrift des § 77 [X.] (i. V. m. § 80 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 3 [X.]) gegeben. Er hat insbesondere nicht an dem dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt.

6

"Mitgewirkt" an dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren hat nicht nur derjenige, der die angefochtene Entscheidung getroffen hat; es kann, je nach den Umständen, etwa auch eine beratende Tätigkeit oder eine Beteiligung als Verhandlungsführer genügen. Maßgebend für das Vorliegen einer "Mitwirkung" im Sinne von § 54 Abs. 2 VwGO ist vor allem das Maß des Einflusses, den der (ehrenamtliche) [X.] schon während des Verwaltungsverfahrens in amtlicher Eigenschaft auf die angefochtene Entscheidung genommen hat (BVerwG, Beschluss 30. Januar 2018 - 1 [X.] 13.17 - juris Rn. 6 f. m. w. N.). Zwar ist danach im Rahmen des § 54 Abs. 2 VwGO eine weite Auslegung des Gesetzes geboten. Denn die Vorschrift will ganz allgemein das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Verwaltungsgerichte schützen. Es soll deshalb kraft Gesetzes ausgeschlossen sein, dass ein [X.] den Rechtsstreit entscheidet, dessen Mitwirkung dem Einwand ausgesetzt sein könnte, er habe sich bereits in der Sache festgelegt und könne seine richterliche Entscheidung nicht mehr mit der gebotenen Objektivität treffen, weil er vor der Übernahme des [X.]amts an der im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung mitgewirkt bzw. auf sie bestimmenden Einfluss genommen hat (BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 5 C 71.75 - BVerwGE 52, 47 <48>). Andererseits ist der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 VwGO dadurch beschränkt, dass eine Einflussnahme oder Mitwirkung im konkreten Verfahren des betroffenen Antragstellers stattgefunden haben muss. Maßgeblich ist insoweit, ob der in Rede stehende (ehrenamtliche) [X.] auf Art und/oder Umfang oder auf den Inhalt der im konkreten Verfahren ergangenen Entscheidung Einfluss genommen hat (BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2012 - 1 [X.] 42.11 - [X.] Rn. 8 m. w. N.).

7

Hiernach ist kein für einen Ausschluss vom [X.]amt ausreichendes Maß an Einflussnahme auf die Entscheidung angezeigt worden. Oberst ... hat weder selbst in der Sache entschieden, noch ein eigenes Votum zu der Auswahlentscheidung abgegeben, vielmehr nur - in seinen Worten "am Rande" – bei der Einholung des Votums des [X.] ... mitgewirkt. Dass er in bestimmender Weise auf die streitgegenständliche Entscheidung Einfluss genommen hat, ist damit nicht feststellbar.

8

2. Er hat auch keine Konstellation angezeigt, die seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 2 und § 48 ZPO rechtfertigt.

9

Hiernach findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines (ehrenamtlichen) [X.]s zu rechtfertigen. Dies setzt voraus, dass ein Beteiligter die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende, subjektiv vernünftigerweise mögliche Besorgnis haben kann, der [X.] werde in seiner Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden oder habe sich in der Sache bereits festgelegt; insoweit genügt schon der "böse Schein" (BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2018 - 1 [X.] 13.17 - juris Rn. 10 m. w. N.). Für sich allein nicht ausreichend ist, dass der (ehrenamtliche) [X.] den Verfahrensbeteiligten kennt oder dass zwischen dem (ehrenamtlichen) [X.] und dem Verfahrensbeteiligten dienstliche Beziehungen oder Kontakte bestanden oder bestehen; insoweit enthalten § 54 Abs. 2 VwGO und § 77 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, Nr. 2 und 3 [X.] abschließende Ausschließungsregelungen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. März 2010 - 1 [X.] 28.09 - [X.] 310 § 54 VwGO Nr. 73 Rn. 10 und vom 23. April 2015 - 1 [X.] 35.14 - [X.] Rn. 7). Dienstliche Beziehungen zu einem Verfahrensbeteiligten können allenfalls dann eine Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn sie besonders eng sind oder sich zu einem engen persönlichen Verhältnis entwickelt haben (BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 2014 - 2 WD 14.13 - [X.] Rn. 4 m. w. N.).

Den Angaben von Oberst ... ist ein über die bloße Bekanntschaft und die Zugehörigkeit zur selben Dienststelle hinausgehendes Verhältnis zum Beigeladenen nicht zu entnehmen. Dass er bereits vor seiner Heranziehung als ehrenamtlicher [X.] Kenntnis von dem Antrag hatte, begründet objektiv nicht den Anschein, er habe sich in seiner Haltung zu der mit dem Antrag vorgebrachten Argumenten bereits festgelegt. Begründetes Misstrauen in seine Unparteilichkeit begründet auch der Umstand nicht, dass ein Dienstposten der Dienststelle umstritten ist, an der der ehrenamtliche [X.] verwendet wird. Ob ein ehrenamtlicher [X.] sich selbst in einem Gewissenskonflikt sieht, ist unerheblich, weil es nicht darauf ankommt, ob der [X.] sich selbst für befangen hält (BVerwG, Beschluss vom 25. November 2013 - 1 [X.] 5.13 - [X.] Rn. 13 m. w. N.). Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit von Oberst ... sind von den Beteiligten auch nach Kenntnis der Selbstanzeige nicht geltend gemacht worden.

Meta

1 WB 6/22

08.11.2022

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WB

§ 23a Abs 2 S 1 WBO, § 54 Abs 1 S 1 VwGO, § 54 Abs 2 VwGO, § 41 ZPO, § 42 Abs 2 ZPO, § 48 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.11.2022, Az. 1 WB 6/22 (REWIS RS 2022, 10103)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 10103

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 WB 13/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Selbstanzeige des ehrenamtlichen Richters; Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit


1 WB 27/20 (Bundesverwaltungsgericht)


1 WB 12/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Selbstanzeige des ehrenamtlichen Richters; Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit


1 WB 28/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Wehrbeschwerdeverfahren; Besorgnis der Befangenheit eines ehrenamtlichen Richters


1 WB 46/22, 1 W-VR 15/22, 1 WB 46/22, 1 W-VR 15/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Ablehnungsgesuch im Hinblick auf die Entscheidung des 1. Wehrdienstsenats 1 WB 2/22, 1 WB 5/22


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.