Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.08.2013, Az. 4 StR 179/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3437

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
4
StR
179/13

vom
15. August 2013
in der Strafsache
gegen

wegen Beleidigung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15.
August
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Cierniak,
[X.],
Bender

als beisitzende [X.],

[X.]in am [X.]

als Vertreterin
des
[X.],

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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-
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 14.
Dezember 2012 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte der Beleidigung in acht Fällen und des Missbrauchs von Notrufen schuldig ist.
2.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Beleidigung in neun Fällen und wegen Missbrauchs von Notrufen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri-schen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt ledig-lich zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet.
I.
Der Senat hat das Verfahren in der Hauptverhandlung auf Antrag des [X.] durch Beschluss gemäß §
154 Abs.
2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall
1 der Anklage 36
Js
190/12 wegen Beleidigung verurteilt worden ist. Dies führt zur entsprechenden Änderung des Schuld-1
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spruchs und zum Wegfall der wegen dieser Tat verhängten [X.] von vier Monaten.
In dem nach der Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der [X.] zum Schuld-
und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Die Gesamtfreiheitsstrafe kann
trotz des Wegfalls der im Fall
1 der [X.] 36
Js
190/12 verhängten [X.] bestehen bleiben. Angesichts der verbleibenden [X.]n von zweimal vier Monaten und siebenmal drei Monaten schließt der Senat aus, dass das [X.] ohne die in dem eingestellten Fall verhängte [X.] zu einer niedrigeren Gesamtstrafe ge-langt wäre.
II.
1.
Der jetzt 59
Jahre alte Angeklagte ist mehrfach u.a. wegen sexuell
motivierter Taten vorbestraft und war auch bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht:
Am 9.
März 1999 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht W.

wegen
vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Er u-twar er auf dem Fahrrad an zwei Frauen vorbeigefahren und hatte unvermittelt einer mit der flachen Hand
ins Gesicht geschlagen.
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Am 30.
November 2001 wurden gegen den Angeklagten vom Land-gericht [X.] zwei Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten und von zwei Jahren verhängt sowie die Unterbringung in einem psychiatri-schen Krankenhaus angeordnet. Der Verurteilung lagen u.a. folgende Fälle der Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und der Beleidigung zu Grunde: Am 12.
Mai 2001 gegen 23.10
Uhr war der Angeklagte am Omnibusbahnhof in W.

an ein fünfzehnjähriges Mädchen herangetreten und hatte sie gefragt

Am 9.
Juni 2001 gegen 1.30
Uhr nachts hatte er sich einer Frau auf einem Fahrrad auf der Bahnhof-strafe in W.

-
gezogen, hast Du Lust?ibeschimpft und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Am selben Tag um 14.45
Uhr war er mit dem Fahrrad auf einen Schulhof gefahren und hatte sich zwei spielenden achtjährigen Mädchen genähert. Er hatte sie gefragt, ob sie beschnitten seien und ob er mal gucken solle. Als die beiden Mädchen zu
einem Klettergerüst gingen, hatte er sich entfernt. Bei allen Taten war die Steu-erungsfähigkeit des Angeklagten wegen einer kombinierten Persönlichkeitsstö-rung, einer Störung der Sexualpräferenz und Pädophilie erheblich vermindert.
Die Maßregel wurde ab März 2002 in der [X.] L.

vollzogen. Das [X.] H.

erklärte die Unterbringung
zum 30.
November 2011 aus [X.] für erledigt, der [X.] wurde zur Bewährung ausgesetzt und es trat Führungsaufsicht ein. Zur Begründung führte das [X.] aus, dass sich aus den Stellung-nahmen der Klinik und den vorliegenden Sachverständigengutachten die Ge-fahr erheblicher Straftaten nicht ableiten lasse.
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Nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug verbrachte der Ange-klagte einen großen Teil seiner [X.] damit, durch die Stadt zu laufen und nach Mädchen und Frauen Ausschau zu halten, die ihn sexuell ansprachen. Er ona-nierte zwei-
bis dreimal pro Woche, wobei er sich u.a. vorstellte, selbst eine Be-schneidung an einem zwölf bis dreizehn Jahre alten Mädchen vorzunehmen oder ein solches Mädchen überall anzufassen und dann den [X.] mit ihr auszuüben. Bei Telefonaten oder persönlichen Kontakten konfron-tierte er Frauen und Mädchen mit obszönen Aussagen, um sich durch deren Demütigung und Angst zu erregen und dann zu onanieren. Der Angeklagte empfand seine annähernd täglich auftretenden Fantasien als sehr drängend, wobei er zuletzt auch den Drang verspürte, die Angesprochenen berühren zu müssen.
2.
Der Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung in acht Fällen im vorliegenden Verfahren liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zu Grunde:
Der Angeklagte rief im [X.]raum vom 20.
Dezember 2011 bis zum 21.

u-

Am 29.
Mai 2012 sprach er eine Frau an einer Bushaltestelle an und fragte erklärte der Angeklagte, dass sie das ruhig machen solle und berührte sie an-schließend gezielt an der rechten Hüfte. Bei allen Taten war die Steuerungs-fähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert. Das [X.] hat weitere ähnliche angeklagte Vorwürfe festgestellt. So hatte der Angeklagte u.a. bei zwei 9
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Gelegenheiten ein zehn und ein elf Jahre altes Mädchen sexuell motiviert an-gesprochen. Diese Fälle wurden nach §
154 Abs.
2 StPO eingestellt.
3.
Nach dem Gutachten der Sachverständigen liegt beim Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung beruhend auf einer schizoiden Persön-lichkeit und schweren dissozialen Auffälligkeiten sowie
eine insbesondere von nicht kontrollierbaren sadistischen Neigungen geprägte sexuelle Devianz vor, welche das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erreichen. Die Sachverständige stützte sich bei ihrer Diagnose maßgeblich auf die Anga-ben des Angeklagten im Rahmen der Exploration. Nach seinen eigenen [X.] habe der Angeklagte ab dem Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren sexuelle Erregung verspürt, wenn er fremden Frauen auf das Gesäß geschla-gen habe. Bei der [X.] in seinen sexuellen Fantasien die Demü-tigung und Angst von Frauen und Mädchen eine erhebliche Rolle. Er sei selbst erleichtert darüber, dass noch nichts Schlimmeres passiert sei. Er stelle sich seit ca. fünfzehn Jahren insbesondere vor, dass er selbst junge Mädchen be-schneide, was ihn in besonderem Maße errege, sexuelle Fantasien im Zusam-menhang mit Kindern habe er etwa seit dem 30.
Lebensjahr. Seine sexuellen Wünsche empfinde er als sehr drängend und für ihn nicht beherrschbar.
Das [X.] hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bejaht. Bei der kombinier-ten Persönlichkeitsstörung und der sexuellen
Devianz handele es sich um einen länger dauernden Zustand im Sinne des §
63 StGB. Die Persönlichkeitsstörung und die sexuelle Devianz seien sehr verfestigt. Das Krankheitsbild sei trotz der fast zehn Jahre währenden Unterbringung im Maßregelvollzug als nahezu
untherapiert anzusehen. Das Krankheitsbild mache es konkret wahrscheinlich, dass der Angeklagte zukünftig erhebliche
rechtswidrige Taten begehen werde. 12
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Der Angeklagte habe gegenüber der Sachverständigen geschildert, dass es ihm oftmals nicht gelinge,
seine Fantasien zu unterdrücken. Dann habe es ihm zunächst genügt, Telefonanrufe mit obszönem Inhalt zu tätigen. Zuletzt habe er aber das Gefühl gehabt, er müsse jemanden berühren, eine Handlungskontrolle werde für ihn zunehmend schwerer. Er sei selbst erleichtert, dass es noch nicht zu weiter gehenden Taten als den angeklagten gekommen sei. Angesichts [X.] bestehe die konkrete Gefahr, dass der Angeklagte seine Fantasien in [X.] gehender Weise umsetzen werde. Es seien erhebliche Taten

gefährliche Körperverletzungen, Vergewaltigungen, sexueller Missbrauch von Kindern

konkret wahrscheinlich. Da der Angeklagte insbesondere auf Kinder zugehe, bestehe die jederzeitige Gefahr, dass er bei einem aus seiner Sicht geeigneten Opfer seine Körperverletzungs-
und Missbrauchsvorstellungen umsetze.
III.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten nach §
63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die für den Angeklagten ungünstige Gefährlich-keitsprognose beruht auf einer umfassenden Gesamtwürdigung der rechtsfeh-lerfrei festgestellten Tatsachen und weist keinen Wertungsfehler auf.
Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§
62 StGB) rechtfertigen nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatri-schen Krankenhaus (vgl. [X.], Urteile vom 17.
August 1977

2
StR
300/77, [X.]St 27, 246, 248
und
vom 15.
August 2007

2
StR
309/07, [X.], 210, 212). Die [X.] selbst muss dabei nicht erheblich im Sinne des §
63 StGB sein. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge sei-14
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nes Zustandes zu erwarten sind und ob diese erheblich im Sinne des §
63 StGB sind (vgl. [X.],
Urteile vom 12.
Juni 2008

4
StR
140/08, [X.], 563
und vom 11.
September 2008

4
StR
284/08; [X.], StGB, 60.
Aufl., §
63 Rn.
3). Allerdings bedarf die Gefährlichkeitsprognose einer besonders sorgfältigen Darlegung, wenn die [X.]en nach ihrem Gewicht dem unteren Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind ([X.], Beschluss vom 7.
Dezember 1999

4
StR
485/99). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die [X.] rechtsfehlerfrei eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Bege-hung schwerer Delikte durch den Angeklagten bejaht.
Das sachverständig beratene [X.] hat bei seiner Prüfung die
wesentlichen prognoserelevanten Umstände bedacht.
Dabei hat es zu Recht auch die Sachverhalte, die den eingestellten Taten zugrunde liegen, in seine Prüfung einbezogen, da sie rechtsfehlerfrei festgestellt worden sind.
Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass die [X.]
bei der Gesamtabwägung maßgeblich auf die Schilderungen des Angeklagten [X.] hat und davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug zunehmend von gewaltbesetzten, gegen schwache Opfer gerichteten sexuellen Fantasien bedrängt wird, seine Fähigkeit, entspre-chende Handlungsantriebe zu beherrschen, stetig abnimmt und zuletzt der
Schilderungen des Angeklagten korrespondieren mit der Feststellung, dass er einen Großteil seiner [X.] damit verbrachte, nach Mädchen und Frauen, die ihn sexuell ansprechen, Ausschau zu halten und bei der letzten Tat über die sexu-elle Beschimpfung und Herabwürdigung hinaus auch den Körperkontakt zu dem Tatopfer suchte. Das [X.] hat dabei nicht verkannt, dass es in der [X.] zwischen der Entlassung des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug und sei-16
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10
-
ner erneuten vorläufigen Unterbringung

also in etwa elf Monaten

dennoch nicht zu erheblichen Delikten gekommen ist. In Übereinstimmung mit der Sach-verständigen ist es aber rechtlich beanstandungsfrei vor dem Hintergrund der drängenden Gewaltfantasien des Angeklagten und der Umstände der letzten Tat nachvollziehbar zu der Überzeugung gelangt, dass bei ihm ein vollständiger Zusammenbruch der Impuls-
und Handlungskontrolle jederzeit möglich und deshalb damit zu rechnen ist, dass der Angeklagte erhebliche Gewaltdelikte, insbesondere (gefährliche) Körperverletzungen, Vergewaltigungen und sexuelle Missbrauchstaten, mithin erhebliche Taten im Sinne des §
63 StGB begehen wird.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Mutzbauer
Bender

Meta

4 StR 179/13

15.08.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.08.2013, Az. 4 StR 179/13 (REWIS RS 2013, 3437)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3437

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