Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 02.11.2011, Az. 3 B 54/11

3. Senat | REWIS RS 2011, 1797

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Gegenstand

Abweisung einer unzulässigen Klage als unbegründet; Verfahrensfehler; Umwandlung in ein Prozessurteil


Leitsatz

Hat das Verwaltungsgericht eine unzulässige Klage durch Sachurteil als unbegründet abgewiesen und dies zugleich auf prozessrechtliche und sachlich-rechtliche Gründe gestützt, kann im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision das vorinstanzliche Urteil durch Beschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO in ein Prozessurteil umgewandelt werden.

Gründe

1

Der Kläger ist politisch Verfolgter nach dem [X.]eruflichen Rehabilitierungsgesetz. Er begehrt, den [X.]eklagten zu verpflichten, ihm für die festgestellte Verfolgungszeit die Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Technischen Intelligenz der [X.] zu bescheinigen und seine damalige Tätigkeit in die Qualifikationsgruppe 1 der Anlage 13 zum [X.]. Den im Jahre 2009 erhobenen Widerspruch gegen den [X.] des [X.] vom 23. November 2000 wies die Rehabilitierungsbehörde wegen Ablaufs der Widerspruchsfrist als unzulässig zurück. Die Klage hat das Verwaltungsgericht als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und ausgeführt, zum einen sei der Widerspruch zu Recht als verspätet behandelt worden und Wiedereinsetzung nicht möglich; zum anderen sei die Zugehörigkeit des [X.] zum Zusatzversorgungssystem bereits im angefochtenen [X.]escheid bestätigt worden. Der Qualifikationsgruppe 1 könne der Kläger nicht zugeordnet werden, weil die von ihm besuchte Ingenieurschule keine Hochschule oder Fachhochschule gewesen sei.

2

1. Der Kläger rügt zu Recht einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das angegriffene Urteil beruht.

3

a) Dieser Verfahrensmangel liegt allerdings nicht darin begründet, dass das Verwaltungsgericht - wie der Kläger meint - mit der Entscheidung in der Sache über sein Klagebegehren hinausgegangen wäre und damit § 88 VwGO verletzt hätte. Anders als mit der [X.]eschwerde geltend gemacht wird, ergab sich aus dem Klagevorbringen keineswegs, dass der Kläger sich nur gegen die Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig wenden und dies zum alleinigen Gegenstand seiner Klage machen wollte. Vielmehr verdeutlichen sämtliche Schriftsätze, dass es ihm um eine Korrektur der durch die Verwaltung getroffenen Sachentscheidung durch das Gericht ging. Dagegen spricht auch nicht der Schriftsatz vom 24. Januar 2011 ([X.]. 149 der [X.]). Der dort im [X.] an ausführlichen Sachvortrag gegebene Hinweis des seinerzeit nicht anwaltlich vertretenen [X.],

"nach geltender juristischer Rechtsauffassung wird derzeit gestritten, ob die Klageerhebung gegen den Widerspruchsbescheid vom 8. Jan. 2010 auf meinen Widerspruch vom 29. Okt. 2009, zulässig ist"

konnte vor dem Hintergrund der ablehnenden Entscheidungen des [X.] über den Prozesskostenhilfeantrag und die Anhörungsrüge nur dahin verstanden werden, dass der Erfolg des [X.]egehrens von der vorrangig zu klärenden Frage der Zulässigkeit der Klage abhängig war, nicht aber als eine [X.]eschränkung des Klagegegenstandes. Eine solche [X.]eschränkung ergab sich auch nicht daraus, dass der Kläger seinen Schriftsatz damit schließt, er werde sich bei [X.] des Verwaltungsverfahrens zur Rücknahme der Klage bereit erklären; denn dabei handelt es sich um ein Vergleichsangebot und nicht um eine Korrektur des anhängigen [X.]egehrens.

4

b) Ungeachtet dessen beanstandet der Kläger im Ergebnis zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Verwaltungsgericht in der Sache entschieden hat; denn es hätte nur zur Zulässigkeit des Widerspruchs Stellung nehmen und die - mit dem Klageantrag verbundenen - materiellen Rechtsfragen zur Einbeziehung des [X.] in das Zusatzversorgungssystem der [X.] und zur richtigen Qualifikationsgruppe unentschieden lassen müssen. In den Ausführungen zur [X.]egründetheit liegt für den Kläger eine [X.]eschwer.

5

aa) [X.] ist zunächst, dass das Verwaltungsgericht die Klage als "zulässig, aber unbegründet" abgewiesen hat und zur [X.]egründung unter anderem auf einen Umstand abgestellt hat, der zur Abweisung als unzulässig hätte führen müssen. Ein solches Prozessurteil war wegen der vom Verwaltungsgericht bejahten Versäumung der Frist für die Einlegung des Widerspruchs (§ 70 VwGO) geboten. Die Einhaltung der Widerspruchsfrist ist hier [X.]svoraussetzung. Wird die Frist versäumt, so ist die nach Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig erhobene Klage gegen den Ausgangsbescheid unzulässig; dem Gericht ist eine Sachentscheidung verwehrt (vgl. [X.], in: [X.], VwGO, 13. Aufl., § 70 Rn. 7 m.w.[X.]). Hiergegen hat das Verwaltungsgericht - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - mit der Abweisung der Klage durch [X.] objektiv verstoßen. Dass seine Feststellung, die Klage sei unbegründet, nicht in der Urteilsformel, sondern in den Entscheidungsgründen enthalten ist, ändert daran nichts. [X.]esonders bei klageabweisenden Urteilen sind die weiteren Elemente des Urteils heranzuziehen, um den Umfang der Rechtskraft durch Auslegung zu bestimmen (vgl. [X.], a.a.[X.] § 121 Rn. 22 m.w.[X.]).

6

bb) [X.] ist in der Konsequenz auch die vom Kläger beanstandete sachlich-rechtliche Überprüfung des Klagebegehrens. Wegen der Verschiedenheit der Rechtskraftwirkung einer Prozess- und einer Sachabweisung darf eine Klage grundsätzlich nicht zugleich aus prozessrechtlichen und aus sachlich-rechtlichen Gründen abgewiesen werden (Urteil vom 12. Juli 2000 - [X.]VerwG 7 [X.] 3.00 - [X.]VerwGE 111, 306 <312> = [X.] 310 § 43 VwGO Nr. 133; ebenso [X.], Urteile vom 10. Dezember 1953 - [X.] - [X.]Z 11, 222 <223 f.> und vom 27. November 1957 - [X.]/57 - NJW 1958, 384). Jedoch können auch in einem solchen Fall die sachlich-rechtlichen Ausführungen zur [X.]egründetheit eine [X.]indungswirkung entfalten, die in nachfolgenden Verfahren zu beachten ist, was die [X.]eschwerde zu Recht als potenzielle [X.]eschwer betrachtet. Die [X.]indungswirkung greift auch, wenn das Gericht - wie hier - eine Doppelbegründung offensichtlich in rechtsirriger Zuordnung der prozessrechtlichen Gründe zum materiellen Recht vornimmt; denn unzweifelhaft erwächst eine Sachabweisung in Rechtskraft, wenn das Gericht Zulässigkeitsvoraussetzungen übersehen hat, die Zulässigkeit offen lässt oder sie grob fehlerhaft bejaht ([X.], Urteil vom 16. Januar 2008 - [X.] - NJW 2008, 1227 Rn. 9, 17). Eine Auslegung des Urteils dahin, die Ausführungen zur Sache seien lediglich nicht entscheidungstragende ergänzende Hinweise an die [X.]eteiligten, die nicht geeignet sind, an der Rechtskraft des Urteils teilzunehmen und bei der [X.]estimmung des maßgeblichen Urteilsinhalts als nicht geschrieben zu behandeln sind (vgl. Urteil vom 12. Juli 2000 a.a.[X.] m.w.[X.]), kommt hier nicht in [X.]etracht. Die Abweisung als unbegründet und die Art der Aneinanderreihung der Gründe zeigen klar, dass sie als selbstständig tragend gemeint sind.

7

2. Der Senat nimmt den Verfahrensfehler zum Anlass, das Urteil in entsprechender Anwendung des § 133 Abs. 6 VwGO in ein Prozessurteil umzuwandeln. Da die [X.]egründung des Urteils einer rechtlichen Prüfung nicht standhält, die Klage im Ergebnis aber zu Recht abgewiesen worden ist, käme nach § 144 Abs. 4 VwGO in einem Revisionsverfahren die Aufhebung des angegriffenen Urteils nicht in [X.]etracht. Das schließt es auch im [X.]eschwerdeverfahren aus, eine solche Aufhebung anzuordnen. Vielmehr ist § 133 Abs. 6 VwGO zur gebotenen Korrektur des Urteils heranzuziehen; denn es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass das [X.] in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 133 Abs. 6 VwGO ermächtigt ist, ein prozessrechtlich zwingendes Verfahrensergebnis im Interesse der Verfahrensökonomie im [X.]eschwerdeverfahren selbst herzustellen (vgl. [X.]eschlüsse vom 2. April 1996 - [X.]VerwG 7 [X.] - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 22, vom 19. November 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 265.97 - a.a.[X.] Nr. 28, vom 7. Oktober 1998 - [X.]VerwG 3 [X.] - a.a.[X.] Nr. 33, vom 13. März 2002 - [X.]VerwG 3 [X.] 19.02 - a.a.[X.] Nr. 65 und vom 26. März 2004 - [X.]VerwG 1 [X.] 79.03 - a.a.[X.] Nr. 71).

Meta

3 B 54/11

02.11.2011

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Chemnitz, 11. März 2011, Az: 3 K 96/10, Urteil

§§ 7ff BerRehaG, § 7 BerRehaG, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 133 Abs 6 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 02.11.2011, Az. 3 B 54/11 (REWIS RS 2011, 1797)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1797

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Referenzen
Wird zitiert von

AN 19 K 18.01608

10 C 20.1417

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