Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2011, Az. IX ZB 106/11

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2824

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 106/11

vom

29. September 2011

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 511
Wird die gegen einen Rechtsanwalt gerichtete Regressklage darauf gestützt, dass ein Vorprozess infolge pflichtwidriger Prozessführung des Rechtsanwalts verloren wurde, ist mangels Bekämpfung der erstinstanzlichen Beschwer eine Berufung un-zulässig, mit der erstmals geltend gemacht wird, der Rechtsanwalt habe mangels Erfolgsaussichten bereits von der Einleitung des [X.] abraten müssen.
[X.], Beschluss vom 29. September 2011 -
IX ZB 106/11 -
OLG [X.]/Main

LG Limburg

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Richter [X.], [X.], Prof. Dr. Gehrlein, Grupp und
die Richterin Möhring

am
29.
September 2011
beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde
gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.] am Main vom 15.
Februar 2011 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 6.517,80

etzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin nahm -
vertreten durch den beklagten Rechtsanwalt
-
in ei-nem Vorprozess wegen eines vermeintlich von ihr an ihrer Mietwohnung verur-sachten Wasserschadens
ihre Haftpflichtversicherung auf Gewährung von [X.] in
Anspruch. Die Klage wurde wegen Nichtbeachtung der Ausschlussfrist des §
12 Abs.
3 [X.] a.F.
abgewiesen.

Vorliegend
hat die Klägerin
den Beklagten
unter dem Vorwurf, den [X.] Rechtsstreit nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geführt zu ha-ben, vor dem [X.]
auf Schadensersatzzahlung
von 150.000

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spruch genommen. Dieser Betrag setzt sich aus dem Aufwand für die Scha-densbeseitigung, einem Mietausfallschaden
sowie den in dem Vorprozess ent-standenen Kosten über 6.517,80

Das [X.] hat die Klage insgesamt abgewiesen.
Mit der Berufung hat die Klägerin ihren Antrag auf Ersatz der ihr in dem Vorprozess erwachse-nen Kosten
von 6.517,80

als unzulässig verworfen.

II.

Die gemäß §§
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, §
522 Abs.
1 Satz
4 ZPO statt-hafte Rechtsbeschwerde
ist unzulässig, weil kein [X.] (§
574 Abs.
2 ZPO)
eingreift.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt,
die Berufung sei unzulässig, weil die Klägerin nicht die Beseitigung der erstinstanzlichen Beschwer
verfolge, sondern die erstinstanzliche Abweisung hinnehme und einen anderen pro-zessualen Anspruch geltend mache. Während die Klägerin ihren [X.] erstinstanzlich darauf gestützt habe, der Beklagte sei für die Ab-weisung der Deckungsklage
gegen ihre Versicherung verantwortlich, mache
sie nunmehr geltend, der Beklagte habe seine Pflichten verletzt, weil er nicht von der Erhebung der aussichtslosen Klage abgeraten habe. Dabei handele es sich um einen anderen Lebenssachverhalt und nicht nur um eine andere rechtliche Bewertung desselben [X.]. Das [X.] habe die Klägerin nicht dazu veranlassen müssen, andere
als die mit der Klage vorgetragenen Tatsachen zur Grundlage ihrer Klage zu machen. Es handele sich auch nicht 3
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um eine Antragsänderung im Sinne von §
264 ZPO,
weil der Klagegrund aus-getauscht worden
sei.

2.
Diese Würdigung ist nicht von [X.] beeinflusst,
welche die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründen könnten (§
574 Abs.
2 ZPO). Vielmehr fügt sich die angefochtene Entscheidung zutreffend in die Rechtspre-chung des [X.] ein.

a) Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Berufung und der Revision setzt nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung voraus, dass der [X.] (auch)
auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet ist ([X.], Beschluss vom 7.
Mai 2003 -
XII
ZB 191/02, [X.]Z 155, 21, 26; vom 16.
September 2008 -
IX
ZR 172/07, [X.], 2029 Rn.
4). Das Rechtsmittel ist mithin unzulässig, wenn mit ihm ledig-lich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird; vielmehr muss zumindest auch der in erster Instanz erhobene [X.] wenigstens teilweise weiterverfolgt werden (st.
Rspr.; [X.], Beschluss vom 7.
Mai 2003 -
IX
ZB 191/02, [X.]Z 155, 21, 26 mwN). Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht [X.] Ziel des Rechtsmittels sein, sondern nur auf der Grundlage
eines
zulässi-gen
Rechtsmittels
verwirklicht werden ([X.], Urteil vom 30.
November 2005 -
XII
ZR 112/03, NJW-RR 2006, 442 Rn.
15; vom 16.
September 2008
-
IX
ZR 172/07, [X.], 2029 Rn.
4 jeweils mwN). Deshalb muss nach einer Klage-abweisung
das vorinstanzliche Begehren zumindest teilweise weiterverfolgt werden. Eine
Berufung, welche die Richtigkeit der vorinstanzlichen Klageab-weisung nicht in Frage stellt und ausschließlich einen neuen -
bisher noch nicht geltend gemachten
-
Anspruch zum Gegenstand hat, ist unzulässig ([X.], Ur-teil vom 22.
November 1990 -
IX
ZR 73/90,
NJW-RR 1991, 1279).
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b) Nach diesen Maßstäben ist die Berufung der Klägerin unzulässig, weil sie ihr vorinstanzliches Begehren nicht weiterbetreibt, sondern im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht erhobenen Anspruch zur Prüfung unterbreitet.

aa) Die Klägerin hat dem Beklagten erstinstanzlich vorgeworfen, die Ausschlussfrist des §
12 Abs.
3 [X.] a.F. versäumt zu haben. Infolge dieser Pflichtwidrigkeit sei der Vorprozess verloren gegangen, weil das Gericht im Fal-le der Wahrung der Klagefrist zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die beklagte Versicherung eintrittspflichtig sei. Auf dieser Tatsachengrundlage hat die Kläge-rin in vorliegender Sache ihren Schaden nach Maßgabe der in dem Vorprozess eingeklagten Forderung zuzüglich der von ihr zu tragenden Verfahrenskosten berechnet. Im [X.] hat die Klägerin ihren auf die Verfahrens-kosten reduzierten Anspruch dagegen auf das Vorbringen gestützt, das [X.] hätte untersuchen müssen, ob der Beklagte Hinweispflichten verletzt habe. Der Beklagte hätte sie darauf hinweisen müssen, dass ein gerichtliches Vorgehen keine Erfolgsaussichten gehabt habe. Im Falle einer zutreffenden Beratung dieses Inhalts hätte sie den Vorprozess nicht geführt und Verfahrens-kosten in Höhe von 6.517,80

bb) Angesichts dieses neuen Vorbringens macht die Klägerin mit der Berufung, ohne die Beschwer des [X.] anzugreifen, einen geänderten prozessualen Anspruch geltend.

(1) Nach der heute ganz herrschenden Auffassung wird der Streitgegen-stand durch den Klageantrag, in dem sich die von dem Kläger in Anspruch ge-nommene Rechtsfolge konkretisiert,
und den Lebenssachverhalt (Anspruchs-8
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grund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge ableitet. Eine Klageänderung liegt vor, wenn entweder der Klageantrag oder der Klagegrund ausgewechselt wird ([X.], Beschluss vom 16.
September 2008 -
IX
ZR 172/07, [X.], 2029 Rn.
9).

(2) Im Streitfall ist im Vergleich zu dem erstinstanzlichen Vorbringen le-diglich -
wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat
-
der Klageantrag teilidentisch. Die Klägerin hat indessen den Klagegrund mit der Folge
einer Klageänderung und der Unanwendbarkeit des §
264 ZPO ausgewechselt.

Der Mandant, der im Vorprozess mit seiner Klage nicht durchgedrungen ist, kann seinen Kostenschaden auf zwei sich wechselseitig ausschließende Sachverhaltsalternativen gründen: Einmal kann er behaupten, dass der Vorpro-zess bei pflichtgemäßem Vorgehen des Anwalts gewonnen und ihm folglich keine Kostenpflicht auferlegt worden wäre. Hier wird der Kostenschaden regel-mäßig neben den Schaden treten, der im Verlust der Hauptsache
liegt. Zum andern kann der Mandant geltend machen, der Anwalt habe den aus [X.] nicht gewinnbaren Vorprozess gar nicht erst einleiten dürfen (Fahren-dorf in: [X.]/[X.]/[X.], Die Haftung des Rechtsanwalts, 8.
Aufl., Rn.
926). Mit Rücksicht auf den gegensätzlichen Sachverhalt handelt es sich dabei um unterschiedliche Streitgegenstände ([X.], Urteil vom 7.
Februar 2008 -
IX
ZR
198/06, [X.], 1612 Rn.
34, 35; vom 13.
März 2008 -
IX
ZR 136/07, [X.], 1560 Rn.
24).

(3) Bei dieser Sachlage hat die Klägerin im [X.] eine Klageänderung vorgenommen.
Sie hat abweichend von dem ersten Rechtszug nicht mehr die Verfahrensführung durch den Beklagten in dem Vorprozess be-anstandet, sondern ihm ausschließlich die Einleitung des [X.] ange-12
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lastet.
Dementsprechend wurde der erstinstanzlich neben dem Kostenschaden auch auf Ersatz des Verlusts in der Hauptsache gerichtete Antrag im [X.] auf den Kostenschaden reduziert. Der allein auf Ersatz des Kostenschadens gerichtete Antrag beruht indessen auf einem neuen [X.] Vorbringen.
Infolge der damit gegebenen Änderung des [X.] liegt der Berufung ausschließlich eine Klageänderung zugrunde.

cc) Die Klägerin hat sich -
entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen
-
nicht bereits erstinstanzlich darauf berufen, der Beklagte habe ihr nicht zur [X.] raten dürfen.

Das Vorbringen des Beklagten in der Klageerwiderung, ihm sei bei [X.] in dem Vorprozess "nicht wohl"
gewesen, betraf tatsächliche, nicht rechtliche Unwägbarkeiten und ist von der Klägerin überdies erstinstanzlich nicht aufgegriffen worden. Soweit die Rechtsbeschwerdebegründung auf das von der Berufungsbegründung
in Bezug genommene erstinstanzliche Vorbrin-gen verweist, stimmt dieses
mit dem Inhalt der Berufungsbegründung nicht einmal entfernt
überein. Der Vorwurf, beratungsfehlerhaft zur Einleitung des [X.] geraten zu haben, kann auch nicht dem Gesamtzusammenhang des Klagevorbringens entnommen werden. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kostenschaden von 6.517,80

ur-sprünglichen Klageforderung über 150.000

te. Hätte die Klägerin
erstinstanzlich den Vorwurf gegen den Beklagten darauf beschränkt, pflichtwid-rig den Vorprozess eingeleitet zu haben, hätte ihre
eigene
Darstellung im Blick auf die weiteren Schadenspositionen von vornherein zu einem ganz überwie-genden Unterliegen geführt. Da der Klageantrag über 150.000

Schluss des erstinstanzlichen [X.] aufrechterhalten wurde, kann mit Rücksicht auf die Interessenlage der Klägerin, in vollem Umfang oder doch je-15
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denfalls im Hauptpunkt zu obsiegen,
ein solcher Sachvortrag nicht zugrunde gelegt werden. Vielmehr hätte es zumindest einer Klarstellung bedurft, den Kostenschaden hilfsweise allein auf die Einleitung des Rechtsstreits zu stützen. Daran fehlt es indessen.

dd) Es kann letztlich dahinstehen, ob das Erstgericht gemäß §
139 ZPO gehalten war, auf einen geänderten Klagevortrag im Sinne der pflichtwidrigen Einleitung des [X.] hinzuwirken.

Denn eine entsprechende Rüge, der die Bekämpfung der erstinstanzli-chen Beschwer entnommen werden könnte, hat die Klägerin in ihrer insoweit allein maßgeblichen Berufungsbegründung nicht erhoben. Davon abgesehen bestand vorliegend auch keine Hinweispflicht des Erstgerichts. Es ist nicht [X.] des Gerichts, durch Fragen oder Hinweise neue Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Anträge einzuführen, die in dem streitigen Vorbringen der [X.] nicht zumindest andeutungsweise bereits eine Grundlage haben ([X.], Beschluss vom 2.
Oktober 2003 -
V
ZB 22/03, [X.], 164
f; BT-Drucks. 14/4722 S.
77). Ebenso wie neue Anspruchsgrundlagen darf das Gericht nicht die Darlegung eines neuen Sachverhalts anregen. Vor diesem Hintergrund [X.] keine Verpflichtung des Erstgerichts, auf eine Sachverhaltsänderung hin-

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zuwirken, die in einem völligen
Widerspruch zu dem bisherigen [X.] gestanden und der Klage in ihren wesentlichen Teilen jede Erfolgsaussicht genommen hätte.

[X.]
[X.]
Gehrlein

Grupp
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 26.07.2010 -
1 O 293/09 -

OLG [X.]/Main, Entscheidung vom 15.02.2011 -
7 [X.] -

Meta

IX ZB 106/11

29.09.2011

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2011, Az. IX ZB 106/11 (REWIS RS 2011, 2824)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2824

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