Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.01.2017, Az. 1 ABR 6/15

1. Senat | REWIS RS 2017, 16860

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Gegenstand

Mitbestimmungsrecht bei der Anrechnung einer zweistufigen Tariferhöhung


Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des [X.] vom 17. Dezember 2014 - 11 [X.] - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über ein [X.]itbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer [X.]erhöhung.

2

Die Arbeitgeberin betreibt einen Fachverlag und ist [X.]itglied im [X.] in [X.] ([X.]). Antragsteller ist der für ihren Betrieb [X.] gebildete Betriebsrat.

3

Die Arbeitgeberin gehört zur [X.]ediengruppe der [X.], in deren Unternehmen insgesamt zehn unterschiedliche Entgelttarifverträge Anwendung finden. Die Geschäftsführung der [X.] entschied vor dem [X.]onat [X.]eptember 2010, die aufgrund bevorstehender oder bereits laufender Tarifverhandlungen zu erwartende Erhöhung der [X.]e in den einzelnen Unternehmen der [X.]ediengruppe auf die übertariflichen Zulagen der Arbeitnehmer anzurechnen.

4

Der [X.] schloss am 17. [X.]eptember 2010 den Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen des Buchhandels und der Verlage in [X.] ([X.]) ab. Nach § 3 [X.] erhöht sich das [X.] in allen Entgeltgruppen zum 1. Oktober 2010 um 50,00 Euro und zum 1. Juli 2011 um 2 vH.

5

Die Arbeitgeberin zahlt übertarifliche Zulagen in unterschiedlicher Höhe. [X.]ie rechnete die zum 1. Oktober 2010 im [X.] vorgesehene Tariferhöhung in voller Höhe auf übertarifliche Zulagen an. Im November 2010 gab die Arbeitgeberin bekannt, die zweite [X.]tufe der Tariferhöhung nach dem [X.] zum 1. Juli 2011 nicht auf übertarifliche Zulagen anzurechnen.

6

Eine von den Betriebsparteien errichtete Einigungsstelle zum Gegenstand „Anrechnung der [X.]erhöhung zum 01.10.2010 auf die übertarifliche Zulagen …“ beschloss in der [X.]itzung vom 17. Juli 2013 ihre Unzuständigkeit und stellte das Verfahren ein.

7

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, die Anrechnung der Tariferhöhung sei nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Der Arbeitgeberin sei ein Regelungsspielraum bei der Anrechnung verblieben. Die Anrechnung der ersten [X.]tufe und die Nichtanrechnung der zweiten [X.]tufe der [X.]erhöhung beruhten auf einem einheitlichen Gesamtkonzept. Durch die Anrechnung hätten sich die [X.] geändert.

8

Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,

        

festzustellen, dass ihm ein [X.]itbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der durch die Arbeitgeberin vorgenommenen Anrechnung der Tarifgehaltserhöhung um 50,00 Euro zum 1. Oktober 2010 auf die übertariflichen Zulagen der im Betrieb der Arbeitgeberin in [X.] beschäftigten Arbeitnehmern zusteht.

9

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das [X.] hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. [X.]it seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das [X.] hat die Beschwerde des Betriebsrats zu Recht zurückgewiesen. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

I. Der Antrag bedarf der Auslegung. Nach seinem Wortlaut ist er lediglich auf die Feststellung gerichtet, dem Betriebsrat stehe bei der von der Arbeitgeberin vorgenommenen Anrechnung der Tariferhöhung um 50,00 Euro zum 1. Oktober 2010 auf die übertariflichen Zulagen ein [X.]itbestimmungsrecht zu. Die Begründung des Betriebsrats zeigt jedoch, dass es dem Betriebsrat nicht um die Klärung geht, allein diese Anrechnung sei mitbestimmungspflichtig. Nach seiner Ansicht besteht ein [X.]itbestimmungsrecht bei der auf einer einheitlichen Konzeption beruhenden Anrechnung der ersten [X.]tufe der [X.]erhöhung zum 1. Oktober 2010 und der Nichtanrechnung der zweiten [X.]tufe der Tariferhöhung zum 1. Juli 2011. Dieses [X.] hat der Betriebsrat in der Anhörung vor dem [X.]enat bestätigt.

II. Der Antrag ist zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Die Arbeitgeberin stellt ein [X.]itbestimmungsrecht des Betriebsrats in Abrede.

III. Der Antrag ist unbegründet. Dem Betriebsrat steht bei der Entscheidung über die Anrechnung der Tariferhöhung kein [X.]itbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] hat der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung einer [X.]erhöhung auf übertarifliche Zulagen mitzubestimmen, wenn eine generelle [X.]aßnahme vorliegt, sich durch die Anrechnung die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern und für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum besteht. Eine Anrechnung unterliegt daher nicht der [X.]itbestimmung, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt. Gleiches gilt, wenn die [X.]erhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich [X.]öglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Zulage angerechnet wird. Rechnet der Arbeitgeber dagegen eine Erhöhung des [X.]s nur teilweise auf die freiwilligen übertariflichen Zulagen an, hat er den Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen, da in diesem Fall Raum für eine andere Verteilungsentscheidung verbleibt (vgl. [X.] 10. [X.]ärz 2009 - 1 [X.]/08 - Rn. 17 f. [X.], [X.]E 129, 371).

2. Bei [X.]erhöhungen, die zeitlich versetzt in mehreren Abschnitten oder in aufeinander aufbauenden [X.]tufen erfolgen, lässt sich die Frage, ob der Betriebsrat bei der Entscheidung des Arbeitgebers über die Anrechnung mitzubestimmen hat, nicht allein aufgrund einer isolierten Betrachtung des jeweiligen Anrechnungsvorgangs beantworten. Vielmehr kann es auch darauf ankommen, ob mehrere voneinander unabhängige Entscheidungen des Arbeitgebers über eine mögliche Anrechnung vorliegen oder ob den Entscheidungen eine einheitliche Konzeption des Arbeitgebers zugrunde liegt. Da das [X.]itbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG an die Entscheidungen des Arbeitgebers zur betrieblichen Lohngestaltung anknüpft, hängt die [X.]itbestimmung des Betriebsrats davon ab, ob die Konzeption des Arbeitgebers Raum für eine ([X.]it-)Gestaltung lässt. Hieran fehlt es, wenn mehrere voneinander unabhängige Entscheidungen des Arbeitgebers über eine mögliche Anrechnung vorliegen, bei denen es jeweils nichts mitzubestimmen gibt, etwa weil eine Anrechnung unterbleibt oder sie im Rahmen des [X.]öglichen vollständig und gleichmäßig vorgenommen wird. Dagegen bestehen Gestaltungsmöglichkeiten, wenn der Arbeitgeber im Rahmen eines Gesamtkonzepts beabsichtigt, auf mehrere [X.]chritte oder [X.]tufen einer Tarifgehaltserhöhung unterschiedlich zu reagieren. Ein konzeptioneller Zusammenhang setzt voraus, dass der Arbeitgeber bei der Entscheidung über die Anrechnung oder Nichtanrechnung der ersten [X.]tufe oder des zeitlich ersten [X.]chritts einer Tariferhöhung bereits sein Verhalten bei der zweiten [X.]tufe oder dem zweiten [X.]chritt plant. Ob eine einheitliche Konzeption des Arbeitgebers vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (ausf. [X.] 10. [X.]ärz 2009 - 1 [X.]/08 - Rn. 19 ff. [X.], [X.]E 129, 371 [X.]).

3. Danach besteht vorliegend kein [X.]itbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

a) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Anrechnung der [X.]erhöhung zum 1. Oktober 2010 für sich betrachtet ein [X.]itbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht bestand. Die Arbeitgeberin hat die sich aus dieser Erhöhung ergebenden [X.]teigerungsbeträge im Rahmen des rechtlich und tatsächlich [X.]öglichen auf die übertariflichen Zulagen der Arbeitnehmer angerechnet. Damit verblieb insoweit kein [X.]pielraum für eine andere Verteilung, die der Betriebsrat hätte mitgestalten können.

b) Ein [X.]itbestimmungsrecht folgt auch nicht daraus, dass die Anrechnung der ersten [X.]tufe der [X.]erhöhung zum 1. Oktober 2010 und die Nichtanrechnung der zweiten [X.]tufe zum 1. Juli 2011 auf einer einheitlichen Konzeption der Arbeitgeberin beruhten. Das [X.] hat zu Recht angenommen, es fehle an einem solchen Gesamtkonzept.

aa) Nach den nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen und daher nach § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des [X.]s hat die Geschäftsführung der [X.] noch vor dem Abschluss der zehn unterschiedlichen Tarifverträge in der [X.]ediengruppe - darunter dem [X.] - die Entscheidung getroffen, die zu erwartende [X.]erhöhung in den einzelnen Unternehmen ihrer [X.]ediengruppe und damit bei allen dort beschäftigten [X.]itarbeitern auf bestehende übertarifliche Zulagen anzurechnen. Bereits dieser Umstand legt nahe, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Planung bestand, wie mit einer etwaigen zweiten [X.]tufe einer im jeweils maßgebenden Entgelttarifvertrag enthaltenen Entgeltsteigerung verfahren werden sollte.

bb) Weiterhin war nach den Feststellungen des [X.]s zum Zeitpunkt dieser Anrechnungsentscheidung noch nicht absehbar, dass der [X.] eine zweistufige [X.]erhöhung enthalten würde. Es fehlt daher an Anhaltspunkten, dass die für die gesamte [X.]ediengruppe des [X.] getroffene Anrechnungsentscheidung bereits eine Festlegung der Arbeitgeberin zum Umgang mit der damals nicht absehbaren zweiten [X.]tufe der im [X.] enthaltenen Tariflohnerhöhung beinhalten sollte. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin im November 2010 bekannt gab, die zweite [X.]tufe der Tariferhöhung nicht anrechnen zu wollen, lässt vor diesem Hintergrund keinen gegenteiligen [X.]chluss zu. Diese [X.]itteilung erfolgte erst, nachdem der [X.] bereits abgeschlossen worden war.

cc) [X.]oweit sich die Rechtsbeschwerde gegen diese nicht zu beanstandende Würdigung des [X.]s wendet, setzt sie nur ihre eigene an die [X.]telle der vom [X.] vorgenommenen.

        

    Treber    

        

    Weber    

        

    Ahrendt    

        

        

        

    D. Wege    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 ABR 6/15

24.01.2017

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG München, 8. Juli 2014, Az: 17 BV 646/13, Beschluss

§ 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.01.2017, Az. 1 ABR 6/15 (REWIS RS 2017, 16860)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16860

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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