Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.01.2003, Az. IV ZR 173/01

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 4655

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.]/01Verkündet am:29. Januar [X.] Urkundsbeamtinder Geschäftsstellein dem [X.]: ja[X.]Z: nein_____________________[X.] § 61Es gibt keinen Grundsatz, nach dem das Nichtbeachten des [X.] einer [X.] stets als grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls anzu-sehen ist. Aus der Entscheidung [X.], 147 ergibt sich nichts anderes.[X.], Urteil vom 29. Januar 2003 - [X.]/01 - [X.] [X.] hat durch den [X.], [X.] und [X.], die RichterinDr. [X.] und [X.] auf die mündliche [X.] 29. Januar 2003für Recht erkannt:Die Revision gegen das Urteil des [X.] des [X.] am Mainvom 11. Mai 2001 wird auf Kosten des Beklagten zu-rückgewiesen.Von Rechts [X.]:Der Kläger verlangt vom Beklagten, seinem Kaskoversicherer, auseinem Verkehrsunfall Schadensersatz in Höhe von 26.900 DM. Er fuhrmit seinem PKW am 28. Oktober 1998 gegen 6.00 Uhr in [X.] ineine weitläufige Kreuzung ein, obwohl die für ihn maßgebliche [X.] zeigte. Im Kreuzungsbereich stieß er mit dem von rechts [X.] Fahrzeug eines anderen Verkehrsteilnehmers zusammen,der bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren war. Der Beklagte hält [X.] § 61 [X.] für leistungsfrei, weil der Kläger den Unfall durch grobeFahrlässigkeit herbeigeführt [X.] behauptet, er habe sich der Kreuzung bei [X.]licht ge-nähert und als erstes Fahrzeug auf der linken [X.] angehal-ten. Rechts neben ihm hätten keine Fahrzeuge gestanden. Direkt nebenihm auf der [X.] habe ein anderes Fahrzeug gestanden.Darin habe er einen Arbeitskollegen erkannt und diesen gegrüßt. Als erwieder nach rechts geschaut habe, habe er "Grün" gesehen und sei inder Meinung losgefahren, das Umschalten der Ampel während des [X.] zu seinem Arbeitskollegen verpaßt zu haben. Seinen Irr-tum könne er sich nur so erklären, daß er das Umschalten eines [X.] der [X.] habe oder durch das im [X.] registrierte Grünlicht einer hinter ihm an der zurückliegendenKreuzung installierten Ampelanlage getäuscht worden sei.Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das [X.](r+s 2001, 313) hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision er-strebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.Entscheidungsgründe:Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsurteilhält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.[X.] Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungendes Berufungsgerichts zum [X.] hat der Kläger zunächst [X.] angehalten, seinen Arbeitskollegen gesehen und gegrüßt und isterst danach angefahren, weil er durch irgendein nachträglich nicht exakt- 4 -zu konkretisierendes, in seinem Blickfeld liegendes optisches Signal unddessen fehlerhafte Verarbeitung zu dem gleichsam natürlichen Eindruckgekommen sei, die Ampel sei auf "Grün" umgesprungen. Zu dieser Über-zeugung ist das Berufungsgericht aufgrund der Zeugenaussage des Ar-beitskollegen und des persönlich glaubwürdigen Eindrucks vom Klägergelangt, den es auf seine früheren schriftlichen Äußerungen und seineAnhörung in der mündlichen Verhandlung gestützt hat.Das Berufungsgericht meint, bei dem von ihm festgestellten Sach-verhalt wäre auf der Grundlage der Rechtsprechung des [X.] (Urteile vom 8. Juli 1992 - [X.] - [X.], 1085 =[X.], 147 und vom 18. Dezember 1996 - IV ZR 321/95 - [X.], 351) Leistungsfreiheit nach § 61 [X.] wegen grob fahrlässigerHerbeiführung des Versicherungsfalls anzunehmen. Dieser [X.] sei aber nicht zu folgen, weil ihr Sinn und Zweck von § 61 [X.]entgegenstünden. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit sei nicht für alleRechtsgebiete gleich, sondern bei einer Verknüpfung mit der Leistungs-pflicht eines Versicherers nach dem Zweck der konkreten [X.] bestimmen. Es würde eine mit dem Zweck der Vollkaskoversicherungunvereinbare Aushöhlung des Versicherungsschutzes bedeuten, die Fol-gen eines durch typisch menschliche Unzulänglichkeit verursachten Au-genblicksversagens aus dem Kreise der versicherten Risiken auszuneh-men. Mit dem regelhaften Schluß vom objektiv groben Pflichtverstoß aufdie subjektive Unentschuldbarkeit dieses Verstoßes werde auch die nach§ 61 [X.] erforderliche positive Feststellung der besonderen subjektivenVorwerfbarkeit in ein negatives Merkmal umgewandelt. Nunmehr müsseder Versicherungsnehmer das Gericht davon überzeugen, daß ein äu-ßerlich grober Mißgriff ausnahmsweise zu entschuldigen sei.- 5 -Auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nimmt das Berufungs-gericht an, der Kläger habe den Unfall zwar durch einen objektiv grobenVerstoß gegen die Regeln des Straßenverkehrs schuldhaft herbeigeführt.Subjektive Unentschuldbarkeit lasse sich aber nicht feststellen, weil sichdas Fehlverhalten des [X.] den Umständen nach nur durch ein Au-genblicksversagen erklären lasse, das nicht auf Sorglosigkeit oderGleichgültigkeit im Umgang mit dem versicherten Fahrzeug beruhe.I[X.] Die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts geben kei-nen Anlaß, die Rechtsprechung des Senats zu ändern. Auf der [X.] Senats zur grob fahrlässigen [X.] im Sinne von § 61 [X.], auch der [X.] [X.], 147, ist das angefochtene Urteil im Ergebnis [X.] nicht zu [X.] Nach ständiger Rechtsprechung der Zivilsenate des [X.] wird der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit grundsätzlicheinheitlich bestimmt (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1966 - [X.] -VersR 1966, 1150 unter III; Urteil vom 8. Februar 1989 - [X.] -[X.], 582 unter 2; Urteil vom 29. September 1992 - [X.]/91 - NJW 1992, 3235 unter [X.] und b; Urteil vom 30. Januar 2001- VI ZR 49/00 - NJW 2001, 2092 unter II 1 a). An diesem Grundsatz istschon aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten. Die vom [X.] befürwortete unterschiedliche Definition des Begriffs jeweilsnach der konkreten Versicherung würde im Versicherungsrecht wegender zahlreichen verschiedenen Arten von Versicherungen zu einer kaum- 6 -noch überschaubaren Aufsplitterung des Begriffs der groben Fahrlässig-keit im Sinne von § 61 [X.] und damit zu einer nicht hinnehmbarenRechtsunsicherheit führen.2. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorg-falt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße ver-letzt und unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuch-ten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muß es sich [X.] grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsichtunentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß er-heblich übersteigt ([X.], Urteil vom 18. Dezember 1996 - IV ZR 321/95 -VersR 1997, 351 unter [X.]; vgl. ferner die oben unter I[X.] 1. aufgeführ-ten Urteile). Diese Begriffsbestimmung berücksichtigt den Grundgedan-ken des § 61 [X.]. Danach soll der Versicherungsnehmer, der sich inbezug auf das versicherte Interesse völlig sorglos oder sogar [X.], keine unverdiente Vergünstigung erhalten. So hat § 61 [X.]ähnlich wie § 162 BGB den Gedanken von [X.] und Glauben übernom-men ([X.], Urteil vom 8. Februar 1989 aaO unter 1 a m.w.[X.] a) Aus dem Senatsurteil in [X.], 147 ist entgegen der An-sicht des Berufungsgerichts kein Grundsatz abzuleiten, nach dem dieMißachtung des roten Ampellichts stets grob fahrlässig ist ([X.],NVersZ 2001, 539 unter II; [X.]. [X.], 289 unter [X.]). Der [X.] lediglich die Ansicht der Vorinstanz als rechtsfehlerfrei bezeichnet,das Überfahren einer roten Ampel sei in aller Regel objektiv als grobfahrlässig zu bewerten (aaO S. 148 unter 1 der Gründe). Über eventuelleAusnahmen in objektiver Hinsicht war nichts auszuführen, weil das Be-rufungsgericht mit Recht keine Ausnahme in Betracht gezogen [X.] 7 -b) Das Nichtbeachten des roten Ampellichts wird wegen der [X.] erheblichen Gefahren in aller Regel als objektiv grob fahr-lässig anzusehen sein. Nach den jeweiligen Umständen kann es [X.] an den objektiven oder an den subjektiven Voraussetzungen dergroben Fahrlässigkeit fehlen. Dies kann der Fall sein, wenn die Ampelnur schwer zu erkennen oder verdeckt ist und bei beson[X.] schwieri-gen, insbesondere überraschend eintretenden Verkehrssituationen (vgl.[X.], 603 f.; [X.] NVersZ 1999, 331 f.; [X.] NJW-RR 1996, 986 f.; [X.] r+s 1991, 82 f.). Eine Beur-teilung als nicht grob fahrlässig kann auch in Betracht kommen, wennder Fahrer zunächst bei "[X.]" angehalten hat und dann in der irrigen An-nahme, die Ampel habe auf "Grün" umgeschaltet, wieder angefahren ist(so neuerdings wieder [X.], 232; [X.] [X.], 691 f.; [X.] NJW-RR 1996, 407). Diese Beispiele sindnicht abschließend. Wegen der "[X.]" objektiver und subjekti-ver Gesichtspunkte und der Notwendigkeit, die Würdigung auf die be-sonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen, lassen sich nur mitgroßen Vorbehalten allgemeine Regeln darüber entwickeln, wann eineunfallursächliche Fahrlässigkeit als grobe zu qualifizieren ist ([X.], [X.] 11. Juli 1967 - [X.] - [X.], 909).c) Ob die Fahrlässigkeit im Einzelfall als einfach oder grob zuwerten ist, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung. Sie erfordert eineAbwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände und entziehtsich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln ([X.], [X.] 5. Dezember 1966 - [X.] - [X.], 127 unter 1 und 2;[X.], Urteil vom 5. April 1989 - [X.] - [X.], 840 unter 2;- 8 -[X.], [X.], 1187 unter [X.]). Diese tatrichterliche Würdigung istmit der Revision nur beschränkt angreifbar. [X.] werden kannnur, ob in der Tatsacheninstanz der Rechtsbegriff der groben Fahrlässig-keit verkannt worden ist oder ob beim Bewerten des Grades der Fahrläs-sigkeit wesentliche Umstände außer Betracht geblieben sind ([X.], [X.] 8. Februar 1989 aaO unter 1 b).4. a) Aus dem Senatsurteil in [X.], 147 ergibt sich entgegender Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht, daß aus einem objektivgroben Pflichtverstoß regelhaft auf die subjektive Unentschuldbarkeit ge-schlossen werden könne und entgegen der anerkannten Beweislast [X.] für das Eingreifen eines Risikoausschlusses der Versiche-rungsnehmer den [X.] zu führen habe (siehe dazu[X.], NVersZ 2001, 539 f.; Rixecker, [X.], 550 f.). Der Senat hatvielmehr daran festgehalten, daß nach der Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des ob-jektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerteVorwerfbarkeit geschlossen werden könne ([X.], 147, 151) [X.] auf sein Urteil vom 8. Februar 1989 (aaO unter 4 d) hingewiesen.Dort ist ausdrücklich klargestellt, daß auch für die subjektive Seite [X.] gemäß § 61 [X.] der Versicherer darlegungs- und be-weispflichtig ist. Dabei sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises nichtanwendbar ([X.], Urteil vom 21. April 1970 - [X.] - VersR 1970,568 unter [X.]). Allerdings ist es Sache des Versicherungsnehmers, ihnentlastende Tatsachen vorzutragen. Das entspricht dem allgemeinenprozessualen Grundsatz, wonach die nicht beweisbelastete [X.] aus-nahmsweise eine Substantiierungslast treffen kann. Ein solcher Fall liegtvor, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm [X.] 9 -zulegenden [X.] steht und die maßgebenden [X.] näher kennt, während sie der anderen [X.] bekannt sind und ihrergänzende Angaben zuzumuten sind ([X.], Urteil vom 3. Februar 1999- [X.] - NJW 1999, 1404 unter [X.] [X.] m.w.N.; [X.]/[X.],ZPO 23. Aufl. vor § 284 Rdn. 24, 34 ff.). Bei einem Verkehrsunfall wirddiese Konstellation regelmäßig gegeben sein. An der Beweislast ändertdies nichts ([X.], 603).b) Der Senat hält daran fest, daß die bloße Berufung des [X.] auf ein "Augenblicksversagen" kein ausreichender Grund ist, grobeFahrlässigkeit zu verneinen. Die nur momentane Unaufmerksamkeit kannunterschiedliche Ursachen haben. Trägt der Versicherungsnehmer zurUrsache des kurzzeitigen Fehlverhaltens und den sonstigen Umständennichts vor, kann der Tatrichter den Schluß ziehen, daß ein objektiv grobfahrlässiges Mißachten des [X.] auch subjektiv als unentschuldba-res Fehlverhalten zu werten ist.5. Das Berufungsurteil ist nicht deshalb aufzuheben, weil das Be-rufungsgericht der Ansicht ist, die von ihm gefundene Rechtsauffassungweiche von der Senatsrechtsprechung ab. Diese Ansicht beruht im [X.] auf einem nicht zutreffenden Verständnis der [X.] 8. Juli 1992 ([X.], 147) und vom 18. Dezember 1996 ([X.] - VersR 1997, 351). Auch auf der Grundlage dieser Urteile undder vorstehend dargestellten sonstigen Rechtsprechung des [X.] hat die Würdigung des Berufungsgerichts Bestand, subjektivgrobe Fahrlässigkeit sei dem Kläger nicht anzulasten. Der Kläger [X.] nicht lediglich auf ein "Augenblicksversagen" berufen. Er hat im [X.] dargelegt, was der [X.] vorausgegangen ist und wie es- 10 -nach seiner Erinnerung dazu gekommen ist oder gekommen sein muß.Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Kläger bei"[X.]" zunächst angehalten und ist nur deshalb noch bei "[X.]" wieder an-gefahren, weil er aufgrund der Fehldeutung irgendeines in seinem Blick-feld liegenden optischen Signals zu der Überzeugung gelangt sei, [X.] sei soeben auf "Grün" umgesprungen. Daß das Berufungsgerichtdies nicht als ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhaltenbewertet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist auszuschließen,daß das Berufungsgericht nach einer Zurückverweisung zu einem ande-ren Ergebnis gelangt.[X.] [X.] [X.] Dr. [X.] [X.]

Meta

IV ZR 173/01

29.01.2003

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.01.2003, Az. IV ZR 173/01 (REWIS RS 2003, 4655)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 4655

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