Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.06.2013, Az. III B 79/12

3. Senat | REWIS RS 2013, 4936

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Gegenstand

Keine Abzweigung bereits (anteilig) ausgezahlten Kindergeldes - Übersehen einer Rechtsfrage begründet keine Divergenz


Leitsatz

1. NV: Ist das Kindergeld nach Erlass eines die anteilige Abzweigung vorsehenden Bescheids in Höhe des Restbetrags an den Kindergeldberechtigten ausgezahlt worden, kann es in Höhe dieses Restbetrags nicht mehr an das Kind abgezweigt werden.

2. NV: Der für eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erforderliche abweichende abstrakte Rechtssatz kann sich zwar aus scheinbar nur fallbezogenen Ausführungen des FG ergeben. Das FG muss die Rechtsfrage aber entschieden und darf sie nicht übersehen haben.

Tatbestand

1

I. Die [X.]eteiligten streiten darüber, ob die [X.]eklagte und [X.]eschwerdeführerin (Familienkasse) das Kindergeld für die Monate August und September 2010 (Streitzeitraum) in zutreffender Höhe an die Klägerin und [X.]eschwerdegegnerin (Klägerin) abgezweigt hat.

2

Die Klägerin ist die Tochter des [X.]eigeladenen ([X.]). Sie beantragte, das zugunsten des [X.] festgesetzte Kindergeld in voller Höhe an sie auszuzahlen (Abzweigung). Die Familienkasse lehnte dies ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch war teilweise erfolgreich. Mit Änderungsbescheid vom 2. September 2010 in Verbindung mit der Einspruchsentscheidung vom 6. September 2010 wurde das Kindergeld in Höhe von 109 € ab August 2010 an die Klägerin abgezweigt (§ 74 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes). Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. [X.] sei bis einschließlich Juli 2010 seiner Unterhaltsverpflichtung mindestens in Höhe des Kindergelds nachgekommen. Ab August 2010 leiste er noch einen Unterhalt in Höhe von 75 € monatlich, so dass eine Abzweigung in Höhe von 109 € (184 € bis 75 €) ermessensgerecht sei.

3

Die hiergegen erhobene Klage, mit der sich die Klägerin gegen die nur teilweise Abzweigung des Kindergelds ab August 2010 wandte, war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse unter Aufhebung des Änderungsbescheids vom 2. September 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 6. September 2010, die Klägerin unter [X.]eachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden. Im Streitfall habe die Familienkasse nicht aufgeklärt, ob die Vereinbarung zwischen der Klägerin und [X.] dahin gehe, Unterhalt von 75 € zuzüglich das Kindergeld zu zahlen. Um eine sachgerechte Ermessensentscheidung treffen zu können, hätte die Familienkasse aufklären und entsprechend würdigen müssen, welche Vereinbarungen zwischen der Klägerin und [X.] im Einzelnen getroffen worden seien.

4

Mit der hiergegen eingelegten [X.]eschwerde begehrt die Familienkasse die Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.]undesfinanzhofs ([X.]FH) erfordere (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entscheidungsgründe

5

II. Die [X.]eschwerde ist unbegründet und durch [X.]eschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 [X.]O).

6

1. Die Familienkasse [X.] Süd der [X.] ist aufgrund eines Organisationsaktes ([X.]eschluss des Vorstands der [X.] Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der [X.], Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff., Nr. 1 der Anlage 2) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die [X.]eteiligtenstellung der [X.] --[X.] eingetreten (s. dazu [X.] vom 3. März 2011 V [X.] 17/10, [X.], 1105, unter II.A.).

7

2. Der von der Familienkasse geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 [X.]O) liegt nicht vor.

8

a) Eine Divergenz ist anzunehmen, wenn das [X.] mit einem das angefochtene Urteil tragenden und entscheidungserheblichen Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung abgewichen ist. Das angefochtene Urteil und die vorgebliche Divergenzentscheidung müssen dabei dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2011 III [X.] 56/11, [X.], 178, m.w.N.).

9

b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

aa) Zur [X.]egründung der geltend gemachten Divergenz führt die Familienkasse im Wesentlichen aus, das [X.] habe, da im Streitfall der nicht an die Klägerin abgezweigte Kindergeldbetrag von 75 € bereits an [X.] ausgezahlt worden sei, den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, eine Abzweigung von Kindergeld sei auch noch dann möglich, wenn der Kindergeldberechtigte bereits das Kindergeld erhalten habe. Dieser Rechtssatz widerspreche dem in dem Senatsurteil vom 26. August 2010 III R 21/08 ([X.]FHE 231, 520) aufgestellten Rechtssatz, wonach die Abzweigung von bereits ausgezahltem Kindergeld nicht möglich sei.

bb) Es ist zwar zutreffend, dass nach der Rechtsprechung des Senats --wie von der Familienkasse ausgeführt-- an den [X.] bereits ausgezahltes Kindergeld nicht mehr abgezweigt werden kann. Die Abzweigung von bereits ausgezahltem Kindergeld scheidet aus, da der Kindergeldanspruch durch die Auszahlung erlischt (Senatsurteile in [X.]FHE 231, 520, zur Abzweigung an Sozialleistungsträger; vom 27. Oktober 2011 III R 16/09, [X.], 720, zur Abzweigung an Kind). Auch wenn in den bisher vom Senat entschiedenen Fällen das Kindergeld in voller Höhe an den [X.] ausgezahlt wurde, kann für den Fall, dass nach Erlass eines die anteilige Abzweigung vorsehenden [X.]escheids der Restbetrag an den [X.] ausgezahlt wird, nichts anderes gelten. In einem solchen Fall erlischt der Kindergeldanspruch in der Höhe, in der das Kindergeld an den [X.]erechtigten ausgezahlt wird (§ 47 der Abgabenordnung). [X.]ei diesem Ergebnis bliebe es selbst dann, wenn eine Abzweigung des Kindergelds in voller Höhe hätte erfolgen müssen. Dies deshalb, weil das bloße [X.]estehen einer Abzweigungslage ohne Vorliegen eines Abzweigungsbescheids die Empfangsberechtigung des [X.] im Auszahlungsverfahren (Erhebungsverfahren) unberührt lässt (Senatsurteil in [X.], 720, unter II.2.c).

cc) Das [X.] hat aber in dem angegriffenen Urteil --entgegen den Ausführungen der [X.] gerade keinen hiervon abweichenden Rechtssatz aufgestellt.

Ein abweichender abstrakter Rechtssatz kann sich zwar auch aus scheinbar nur fallbezogenen Ausführungen des [X.] ergeben. Das [X.] muss die Rechtsfrage aber entscheiden und darf sie nicht übersehen haben (Senatsbeschluss vom 1. Juni 2012 III [X.] 3/11, [X.], 1473, m.w.N.). Im Streitfall hat sich das [X.] zu der Frage, ob ein anteilig an den [X.] ausgezahltes Kindergeld noch abgezweigt werden kann, weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht geäußert. Dieser Gesichtspunkt wurde von der Familienkasse auch nicht im erstinstanzlichen Verfahren thematisiert. Dort führte sie aus, die Abzweigungsentscheidung sei rechtmäßig, weil [X.] monatlich Unterhalt in Höhe von 75 € leiste. Vielmehr hat die Familienkasse erstmals in der [X.]eschwerdebegründung vorgetragen, dass für den Streitzeitraum der Restbetrag in Höhe von 75 € bereits an [X.] ausgezahlt worden sei. Dies lässt nur den Rückschluss zu, dass das [X.] die bezeichnete Rechtsfrage übersehen hat. Es mag zwar sein, dass für das [X.] Anlass zur Prüfung einer anteiligen Auszahlung des Kindergelds an [X.] bestanden hätte. Es hat aber in den Urteilsgründen den von der Familienkasse bezeichneten abweichenden Rechtssatz weder ausdrücklich noch konkludent aufgestellt.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass sich der Umfang der materiellen Rechtskraft der [X.]-Entscheidung ([X.]escheidungsurteil nach § 101 Satz 2 [X.]O) aus den Entscheidungsgründen ergibt. Die hierin verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung bestimmt die [X.] § 110 [X.]O (Lange in [X.]/[X.]/[X.], § 101 Rz 47, § 110 [X.]O Rz 66). Danach dürften vom [X.] weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht geprüfte Gesichtspunkte keine [X.]indungswirkung entfalten.

3. Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O ab.

Meta

III B 79/12

19.06.2013

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 22. März 2012, Az: 4 K 1457/10, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 74 Abs 1 EStG 2009, § 47 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.06.2013, Az. III B 79/12 (REWIS RS 2013, 4936)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4936

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