Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.07.2019, Az. XII ZB 579/17

12. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 5621

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Gegenstand

Familiensache: Beschwerde bei eingetretener Erledigung der Hauptsache nach Erlass der angefochtenen Entscheidung


Leitsatz

Im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit führt eine nach Erlass der angegriffenen Entscheidung eingetretene Erledigung der Hauptsache regelmäßig zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, weil ein Rechtsschutzbedürfnis des Beteiligten nach Erledigung des Verfahrensgegenstands - außer im Fall des § 62 FamFG - nicht mehr gegeben ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 - XII ZB 245/10, FamRZ 2011, 1390).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats – [X.] in [X.] vom 1. November 2017 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 2 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass seine Beschwerde gegen die Entscheidung zu Ziffer 2 des [X.] vom 28. Juni 2017 verworfen wird.

Wert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die Eltern streiten noch um die Herausgabe des [X.] und der Krankenversichertenkarte des gemeinsamen Kindes, die sich im Besitz des [X.] befinden.

2

Aus der Ehe der getrenntlebenden Eltern ist ihr im November 2012 geborener [X.] hervorgegangen. Den Eltern steht die elterliche Sorge gemeinsam zu. Seit der Trennung praktizieren sie das Wechselmodell.

3

[X.] ist [X.]. Die Mutter ist [X.], lebt seit 2003 in [X.] und verfügt über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Einer geplanten Reise der Mutter mit dem Kind zu ihrer Familie nach [X.] verweigerte der Vater seine Zustimmung. Er befürchtete, dass die Mutter mit dem Kind nicht nach [X.] zurückkehren werde.

4

Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht unter Ziffer 1 seines Beschlusses vom 28. Juni 2017 der Mutter die alleinige Entscheidungsbefugnis darüber übertragen, ob das Kind "im Oktober" für einen mehrwöchigen Aufenthalt in Begleitung der Mutter nach [X.] reist. Ferner hat es unter Ziffer 2 seines Beschlusses angeordnet, dass der Vater den in seinem Besitz befindlichen Reisepass und die Krankenversicherungskarte des Kindes "spätestens sechs Wochen vor Reisebeginn" an die Mutter herauszugeben hat. Auf die Beschwerde des [X.] hat das [X.] am 1. November 2017 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen den amtsgerichtlichen Beschluss dahingehend abgeändert, dass es die Entscheidung zu Ziffer 1 aufgehoben hat. Das [X.], das mangels erheblicher Bedeutung für das Kind kein Regelungsbedürfnis iSv § 1628 BGB gesehen hat, hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die Frage der rechtlichen Zuordnung der Herausgabe von Kinderpässen und Krankenversicherungskarten in der obergerichtlichen Rechtsprechung streitig sei. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Vater gegen die Herausgabeverpflichtung.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Sie ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beschwerde des [X.] gegen die Herausgabeentscheidung des Amtsgerichts verworfen wird.

6

1. Gemäß der eingeschränkten Zulassung der Rechtsbeschwerde und der dementsprechenden beschränkten Einlegung hat der Senat allein über den – von der Frage der Übertragung der Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB abtrennbaren – Herausgabeanspruch der Mutter zu befinden (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Februar 2018 - [X.] 338/17 - FamRZ 2018, 681 Rn. 10 mwN).

7

2. Das [X.] hat seine Entscheidung – soweit es die Herausgabe des Reisepasses und der Krankenversicherungskarte anbelangt – wie folgt begründet: Der Anspruch habe seine Grundlage entweder in der Personensorge oder in der Ausübung des Umgangsrechts. Der Sorgeberechtigte benötige zur Ausübung der elterlichen Sorge auch die zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen. Ebenso könne der umgangsberechtigte Elternteil die persönlichen Gegenstände des Kindes herausverlangen, die während der [X.] benötigt würden. Der Herausgabeanspruch stütze sich dabei entweder auf § 1632 Abs. 1 BGB analog oder § 1684 BGB analog. Der Reisepass und die Krankenversicherungskarte würden von der Mutter zur Ausübung der in § 1687 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 BGB genannten Angelegenheiten benötigt.

8

3. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

9

Zwar ist das [X.] im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass es im Kindschaftsrecht auch einen Herausgabeanspruch für die persönlichen Sachen des Kindes gibt. Jedoch hat es nicht bedacht, dass der Vater im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung durch den angefochtenen Titel nicht mehr beschwert und deshalb die Beschwerde bereits unzulässig war.

a) Der Senat hat – nach Erlass des angegriffenen Beschlusses des [X.]s – entschieden, dass der personensorgeberechtigte wie auch der umgangsberechtigte Elternteil in entsprechender Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB grundsätzlich einen Anspruch auf Herausgabe eines [X.] haben kann (Senatsbeschluss vom 27. März 2019 - [X.] 345/18 - FamRZ 2019, 1056). [X.] sind auch all diejenigen persönlichen Gegenstände, Kleidungsstücke und Urkunden, die das Kind während seines Aufenthalts bei dem die Herausgabe begehrenden Elternteil voraussichtlich benötigt (Senatsbeschluss vom 27. März 2019 - [X.] 345/18 - FamRZ 2019, 1056 Rn. 29).

b) Das [X.] hat sich allerdings nicht die – hier zu verneinende – Frage vorgelegt, ob der Vater im Zeitpunkt der Entscheidung am 1. November 2017 durch die amtsgerichtliche Herausgabeverpflichtung überhaupt noch beschwert war und damit ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde bestanden hat.

aa) Im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit führt eine nach Erlass der angegriffenen Entscheidung eingetretene Erledigung der Hauptsache regelmäßig zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, weil ein Rechtsschutzbedürfnis des Beteiligten nach Erledigung des Verfahrensgegenstands – außer im Fall des § 62 FamFG – nicht mehr gegeben ist (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 - [X.] 245/10 - FamRZ 2011, 1390 Rn. 7 mwN). Der Eintritt der Erledigung ist auch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu beachten. Dass das [X.] keine Feststellungen zu der Erledigung getroffen hat, hindert den Senat nicht daran, die entsprechenden Feststellungen zur Zulässigkeit der Beschwerde selbst zu treffen (vgl. [X.] FamFG 19. Aufl. § 22 Rn. 34 mwN).

bb) Der amtsgerichtliche Beschluss ist dahin auszulegen, dass sich der Tenor zu Ziffer 1 auf eine Reise im Oktober 2017 bezieht.

Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde selbst darauf hin, dass Gegenstand der amtsgerichtlichen Entscheidung die für Oktober 2017 geplante gemeinsame Reise der Mutter mit dem Kind war. Wie die Rechtsbeschwerde weiter zu Recht vorträgt, lässt sich den Akten entnehmen, dass die Reise ursprünglich für den Zeitraum zwischen 31. Juli und 11. August 2017 geplant war. Schließlich hat die Mutter die Reise auf Oktober 2017 verschoben. Sie hat noch gegenüber dem Amtsgericht mitgeteilt, dass sie den Flug für den 28. September 2017 gebucht habe. Im Beschwerdeverfahren hat die Mutter zudem vorgetragen, dass das Amtsgericht nicht irgendeinen Oktober gemeint habe, sondern den Oktober im Jahr 2017. [X.] wurde ausweislich der amtsgerichtlichen Entscheidung (Tenor zu Ziffer 2) verpflichtet, spätestens sechs Wochen vor Reisebeginn, also demnach etwa bis Mitte August 2017, den Reisepass und die Krankenversicherungskarte an die Mutter herauszugeben.

Deshalb wird der Vater durch den amtsgerichtlichen Titel nicht mehr in seiner Rechtssphäre beeinträchtigt. Er muss – wie er selbst in der Rechtsbeschwerde ausführt – nicht befürchten, jährlich auf Herausgabe der begehrten Unterlagen in Anspruch genommen zu werden.

cc) Zwar hatte der Vater bereits am 17. Juli 2017 eine zunächst zulässige Beschwerde eingelegt. Das [X.] hat indes erst am 1. November 2017 entschieden. Damit hatte sich die auf den konkreten Zeitpunkt bezogene Herausgabeverpflichtung erledigt. Der Umstand, dass die Reise im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung wegen Zeitablaufs nicht mehr durchführbar war, lässt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch hinsichtlich der nur darauf bezogenen Herausgabe der geforderten Unterlagen eine Entscheidung in Form einer Aufhebung der Herausgabeanordnung nicht zu. Denn eine Sachentscheidung setzt die Zulässigkeit und damit auch eine für den Rechtsmittelführer bestehende – hier aber fehlende – Beschwer voraus.

dd) [X.] und Rechtsbeschwerdeführer ist durch die Entscheidung des [X.]s schließlich auch nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt worden.

(1) Die Rechtsbeschwerde meint, das [X.] habe gehörswidrig ignoriert, dass sich der [X.] auf eine konkrete Reise im Oktober 2017 bezogen habe und daher im Zeitpunkt der beschwerdegerichtlichen Entscheidung wegen des Zeitablaufs nicht mehr durchführbar gewesen sei. Der Gehörsverstoß sei entscheidungserheblich. Der [X.] hätte vom [X.] zurückgewiesen werden müssen, weil der Vater von der entsprechenden Verpflichtung frei geworden sei.

(2) Damit hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.

Zwar ist ihr darin beizupflichten, dass das [X.] nicht auf den Fixcharakter der Herausgabeverpflichtung eingegangen ist. Allerdings zieht die Rechtsbeschwerde hieraus die falschen Schlüsse. Das [X.] hätte nicht den [X.] zurückweisen, sondern – wie dargelegt – die Beschwerde wegen der eingetretenen Erledigung verwerfen müssen. Dadurch, dass dies nicht geschehen ist, hat der Vater keinen Nachteil erlitten. Zwar hätte er nach Erledigung sein Rechtsmittel noch auf den Kostenpunkt beschränken können ([X.] Beschluss vom 8. Mai 2012 - [X.] - NJW-RR 2012, 997 Rn. 6 mwN). Dass das [X.] ihm diese Möglichkeit durch die eingeschlagene Verfahrensweise verwehrt hat, beschwert ihn hingegen nicht. Denn obgleich das [X.] der Mutter im Ergebnis in der Sache Recht gegeben und den Herausgabeanspruch dem Grunde nach – zu Recht – für gegeben erachtet hat, hat es die Kosten des Verfahrens – zugunsten des in der Sache unterlegenen [X.] – den Eltern je zur Hälfte auferlegt.

Dose     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 579/17

10.07.2019

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 1. November 2017, Az: 3 UF 144/17

§ 62 FamFG, § 1632 Abs 1 BGB, § 1684 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.07.2019, Az. XII ZB 579/17 (REWIS RS 2019, 5621)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 1400-1401 REWIS RS 2019, 5621

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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