Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.09.2016, Az. 4 StR 90/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 5465

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:150916B4STR90.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 90/16

vom
15. September
2016

[X.]St:
ja
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja

-

StGB § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b

Das Tatbestandsmerkmal des Überholens wird auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von Flächen erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der Fahrbahn einen ein-heitlichen [X.]nraum bilden.

[X.], Beschluss vom 15. September 2016

4
StR
90/16

LG [X.]

in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen
zu 1.: Gefährdung des [X.]nverkehrs u.a.

zu 2.: versuchten Diebstahls

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und
nach Anhörung
der
Beschwerdeführer
am 15.
September
2016
gemäß §
349 Abs.
2 [X.] beschlossen:

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 13.
November 2015
werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten B.

B.

wegen versuchten
Diebstahls in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Gefährdung des [X.] in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu der Ge-samtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und eine Sper-re für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren angeordnet. Gegen den Angeklagten A.

B.

hat es wegen versuchten Diebstahls die Geldstrafe
von 100
Tagessätzen zu je vier Euro verhängt. Mit ihren jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründeten Revisionen wenden sich die Angeklagten gegen ihre Verurteilungen.

1
-
3
-
Die Rechtsmittel sind unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 [X.], da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtferti-gungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
Die Verurteilung des Angeklagten B.

B.

wegen tateinheitlich be-
gangener vorsätzlicher Gefährdung des [X.]nverkehrs gemäß §
315c Abs.
1 Nr.
2b StGB im Fall
II.2 der Urteilsgründe wird von den Feststellungen getra-gen.
1.
Nach den Feststellungen überfuhr der Angeklagte, der sich einer poli-zeilichen Kontrolle entziehen wollte, unter großer Beschleunigung des von ihm gesteuerten Pkws das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage und bog nach links in eine [X.] ein, auf der in Fahrtrichtung des Angeklagten drei Fahrstreifen vor-handen waren. Nach kurzer Strecke war dem Angeklagten die sofortige [X.] auf der Fahrbahn versperrt, weil auf der linken und der mittleren Fahrspur Autos vor einer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage warteten und der rechte Fahrstreifen durch einen an einer Haltestelle stehenden Linienbus blockiert war. Um dennoch vor dem ihm folgenden Polizeifahrzeug an dem Stau vorbei flüch-ten zu können, lenkte der Angeklagte den Pkw über einen [X.] schräg auf den rechten Gehweg und fuhr in einem Abstand von weniger als einem Meter an zwei Mädchen auf einem Fahrrad vorbei. Danach setzte er die Fahrt

an den auf der [X.] wartenden Fahrzeugen vorbei

deutlich schneller als mit Schrittgeschwindigkeit über den Bürgersteig fort und hielt auf einen Passanten zu, der auf dem Trottoir in Fahrtrichtung des Angeklagten [X.]. Der vom Angeklagten gesteuerte Pkw berührte den Fußgänger in nicht näher feststell-barer Weise, der dadurch aus dem Tritt geriet, ohne das Gleichgewicht zu ver-2
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4
-
lieren oder auf den Boden zu stürzen, laut aufschrie
und
schimpfte, dann aber seinen Weg unverletzt fortsetzte. Bei diesem Vorbeifahren bestand die nahelie-gende Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes mit dem Passanten, so
dass es nur vom Zufall abhing, ob er sich bei diesem Fahrmanöver erheblich verlet-zen würde. Dem Angeklagten war dies klar, er fand sich jedoch damit ab, um seine Flucht fortsetzen zu können.
Nachdem der Angeklagte auf dem Gehweg noch fünf weitere Fußgänger passiert hatte, ohne dass dabei die Gefahr eines Zusammenstoßes bestanden hatte, steuerte der Angeklagte den Pkw nach rechts,
streifte versehentlich das an einer Hausfassade befestigte [X.] eines Ladengeschäfts und bog in eine Seitenstraße ein, wo er seine Fahrt noch eine kurze Strecke auf dem Gehweg fortsetzte, ehe er anhielt und zu Fuß flüchtete.
2.
Nach §
315c Abs.
1 Nr.
2b StGB wird bestraft, wer im [X.]nverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet.
a)
Überholen im Sinne der [X.]nverkehrsordnung meint den tatsäch-lichen Vorgang des [X.] von hinten an Fahrzeugen anderer Verkehrs-teilnehmer, die sich auf derselben Fahrbahn in dieselbe Richtung bewegen oder verkehrsbedingt halten (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 13.
Februar 1975

4
StR 508/74, [X.]St 26, 73, 74; vom 28.
März 1974

4
StR
3/74, [X.]St 25, 293, 296; [X.] in [X.]/[X.]/Dauer, [X.]nverkehrsrecht, 43.
Aufl., §
5 [X.] Rn.
16 mwN; [X.]
in Burmann/[X.]/[X.]/[X.]/Janker, [X.]recht, 24.
Aufl., §
5 [X.] Rn.
2 mwN).
Nach Wortlaut und Zweck der [X.]
315c Abs.
1 StGB, der auf den Schutz des Lebens, der Gesundheit 6
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5
-
und bedeutender Sachwerte vor im Gesetz näher bezeichneten, besonders ge-fährlichen Verhaltensweisen im Verkehr
abzielt, ist die Reichweite des [X.] des §
315c Abs.
1 Nr.
2b StGB
indes
nicht auf Überholvorgänge im [X.] der [X.]nverkehrsordnung beschränkt (vgl. [X.], NJW 1995, 315, 316; [X.], [X.], 109; [X.], [X.], 449; [X.] in [X.], 12.
Aufl., §
315c
Rn.
77
ff.;
Ernemann in [X.]/Schluckebier/[X.], StGB, 2.
Aufl., §
315c Rn.
16; Sternberg-Lieben/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 29.
Aufl., §
315c Rn.
18;
[X.] in [X.]/[X.], StGB, §
315c Rn.
8; [X.], StGB, 63.
Aufl., §
315c Rn.
6f, [X.] in [X.], 4.
Aufl., §
315c Rn.
41; Burmann in
Burmann/[X.]/[X.]/[X.]/Janker, [X.]recht, 24.
Aufl., §
315c StGB Rn.
22; [X.] in MüKo-[X.]recht, §
315c Rn.
50). Ähnlich wie bei dem Verständnis der Vorfahrt in §
315c Abs.
1 Nr.
2a StGB (vgl. zum sog. erweiterten Vorfahrtsbegriff:
[X.], Beschluss vom 20.
Januar 2009

4
StR
396/08, [X.]R StGB §
315c Abs.
1 Nr.
2a Vorfahrt
1; Urteil vom 12.
November 1969

4
StR
430/69, [X.], 100, 102; Beschluss vom 5.
Februar 1958

4
StR
704/57, [X.]St 11, 219) ist der Begriff des Überholens in §
315c Abs.
1 Nr.
2b StGB
vielmehr
durch Auslegung des [X.] der Strafrechtsnorm zu bestimmen.
b)
Ausgehend von der Wortbedeutung und unter Berücksichtigung
des Umstands, dass das Sichbewegen
auf derselben Fahrbahn kein taugliches Kri-terium für eine abschließende
Erfassung besonders gefährlicher Fälle des [X.] liefert, wird das Tatbestandsmerkmal des Überholens auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder ver-kehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von [X.] erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der [X.] einen einheitlichen [X.]nraum bilden. Danach ist ein Überholen bei-spielsweise gegeben bei einem Vorbeifahren über Seiten-
oder Grünstreifen 9
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6
-
(vgl. [X.] aaO), über Ein-
oder Ausfädelspuren oder über lediglich durch [X.]e oder einen befahrbaren Grünstreifen von der Fahrbahn abgesetzte Rad-
oder Gehwege (vgl. [X.] aaO). Dagegen fehlt es an einem Über-holvorgang etwa bei einem Vorbeifahren unter Benutzung einer von der [X.] baulich getrennten Anliegerstraße oder mittels Durchfahren einer Park-platz-
oder Tank-
und Rastanlage auf der Bundesautobahn (vgl. [X.] aaO Rn.
80).
c)
Ebenso wenig wie das Überholen nach der [X.]nverkehrsordnung einen Spurwechsel nach Abschluss des Überholvorgangs voraussetzt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 28.
März 1974

4
StR
3/74 aaO S.
297; vom 3.
Mai 1968

4
StR
242/67, [X.]St 22, 137, 139), kommt es für den strafrechtlichen Begriff des Überholens nach §
315c Abs.
1 Nr.
2b StGB darauf an, dass die Fahrt nach dem Vorbeifahren an dem anderen Fahrzeug auf dessen Fahrbahn fortgesetzt wird. Wollte man für das Überholen begrifflich
auf eine das Vorbei-fahren abschließende Rückkehr auf die Fahrbahn abstellen, bliebe zudem die rechtliche Einordnung des tatsächlichen, eine bestimmte Absicht nicht [X.] Vorgangs des [X.] bis zu dessen Abschluss in der Schwebe. Ob ein Überholen nach §
315c Abs.
1 Nr.
2b StGB nur vorliegt, wenn das [X.] auf der von dem anderen Fahrzeug benutzten Fahrbahn seinen Aus-gang nimmt (vgl. [X.] aaO Rn.
79
f.), braucht der Senat im vorliegenden Fall angesichts der vom [X.] getroffenen Feststellungen, wonach der Ange-klagte von der [X.] auf den Gehweg fuhr, nicht zu entscheiden.
d)
Nach dieser Auslegung des §
315c Abs.
1 Nr.
2b StGB ist der Schuld-spruch wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Gefährdung des [X.]n-verkehrs im Fall
II.2 der Urteilsgründe nicht zu beanstanden. Indem der Ange-klagte den von ihm
gesteuerten Pkw über den [X.] auf den Gehweg lenkte 10
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-
7
-
und dort unter Verstoß gegen das Gebot der Fahrbahnbenutzung nach §
2 Abs.
1 Satz
1 [X.] an den auf der linken und der mittleren Fahrspur [X.] haltenden Fahrzeugen vorbeifuhr, hat er im Sinne der Strafvorschrift falsch überholt. Auch die weiteren in objektiver und subjektiver Hinsicht für die Strafbarkeit gemäß §
315c Abs.
1 Nr.
2b StGB erforderlichen Voraussetzungen sind nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des [X.]s er-füllt.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Bender
Paul

Meta

4 StR 90/16

15.09.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.09.2016, Az. 4 StR 90/16 (REWIS RS 2016, 5465)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5465

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4 StR 90/16

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