Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.09.2016, Az. 1 StR 372/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 5728

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:080916B1STR372.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 372/16

vom
8. September
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Totschlags u.a.

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2
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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
auf Antrag des [X.] und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 8. September
2016
gemäß §
349 Abs.

2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. März 2016 im Strafausspruch auf-gehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem wurde auf Adhäsionsanträge des Geschädigten H.

ein Schmerzensgeldanspruch gegen den Ange-klagten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt sowie festgestellt, dass der Angeklagte zum Ersatz künftiger immaterieller Schäden aus dem tatgegen-ständlichen Vorfall verpflichtet ist.
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revisi-on
des Angeklagten hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang 1
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entsprechend dem Antrag des [X.] Erfolg; im Übrigen ist sie im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

II.
Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht
stand; die Prüfung der Voraussetzungen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 StGB durch das [X.] erweist sich als rechtsfehlerhaft.
1. Nach den Feststellungen des [X.] konnte der Angeklagte deswegen nicht schlafen, weil der Geschädigte mit dessen Lebensgefährtin deren Mutter besucht hatte und diese sich ab 23.30 Uhr vor der Haustür laut unterhielten. Nachdem sie der im ersten Stock des Hauses wohnende Ange-klagte gegen 24 Uhr durch das Schlafzimmerfenster aufgefordert hatte, leise zu sein, weil er am nächsten Tag früh zur Arbeit müsse, kam es alsbald zu gegen-
hatte, fühlte sich der Angeklagte in seiner Ehre gekränkt und rief nach unten, dass er runterkomme und sie alle umbringe. Auf diesem Weg nahm er eine an der Wand des [X.] zu Dekorationszwecken hängende Axt mit einer Gesamtlänge von ca. 27 cm mit und lief nach unten vor das Haus. Er lief auf den Geschädigten zu und rief, dass er diesen nun umbringen werde, worauf dieser ihn
mit seinem Körper zur Seite drückte, ohne dass er die in der rechten Hand nach unten gehaltene Axt bemerkte. Der Angeklagte hob daraufhin den Arm und schlug mit der Axt mindestens zweimal in Richtung Kopf-/Halsbereich, wobei er den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf nahm. Dieser konnte den Schlägen jedoch ausweichen und zudem den rechten Arm des An-3
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geklagten so fixieren, dass sich die Axt hinter dessen Rücken befand. Der [X.] wollte daraufhin dem Geschädigten mit der anderen Hand an den Hals
fassen, was dieser jedoch ebenfalls abwehren konnte. Kurz darauf erschien die Ehefrau des Angeklagten, nahm ihm die Axt weg, und ging mit dem Angeklag-ten zurück in die Wohnung, wo er von der alsbald eintreffenden Polizei festge-nommen wurde. Der Geschädigte erlitt durch den [X.] eine 6 cm lange Schnittwunde am linken Arm, welche im Krankenhaus ambulant behandelt wurde, sowie Kratzer im Hals-
und Brustbereich.
2. Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des
§ 213 Alt. 1 StGB
hat das Schwurgericht die Worte des Geschädigten wenn Du Eier hast, 1 StGB aber nicht angenommen, weil nach seiner
Wand hängende Axt an sich nehmen, die Wohnung verlassen und nach unten gehen müssen, bevor er auf den Geschädigten traf. Indem das Schwurgericht allein auf die Zeitdauer zwischen der provozierenden Aussage des Geschädig-ten und dessen durchgeführten Angriff abstellte, hat es einen falschen Maßstab angewandt. Maßgebend ist vielmehr, ob der bei einem Täter
durch die Provo-kation hervorgerufene Zorn noch angehalten und ihn zu seiner Tat hingerissen hat ([X.], Beschlüsse
vom 28. September 2010

5 [X.], [X.]-RR 2011, 10
und vom 26.
Juli 1994

1 [X.], [X.], 83) und als nicht durch rationale Erwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung [X.] hat
([X.], Beschluss vom 16. April 2007

5 [X.], [X.], 200).
Nach den Feststellungen des Schwurgerichts hat der Angeklagte auf die Be-merkung des Geschädigten sofort reagiert und ist nach unten
auf die [X.] gegangen, wobei er im Vorbeigehen die an der Wand hängende Axt erfasste und mitnahm. Damit liegt eine spontane Reaktion des Angeklagten vor, welche insoweit die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB erfüllt.
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3. Auf dem genannten Rechtsfehler beruht der Strafausspruch. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das Schwurgericht, wenn es davon ausge-ist, bereits aufgrund der Beleidigung einen minderschweren Fall nach § 213 Alt.
1 StGB angenommen hätte und bei vollständiger Würdigung aller maßgeb-lichen Strafzumessungsumstände einen minder schweren Fall angenommen und wegen des Versuchs eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung gemäß
§§
23, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hätte und damit insgesamt zu einer [X.] Strafe gelangt wäre.
Die
tatsächlichen
Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betrof-fen und können bestehen bleiben (vgl.
§ 353 Abs. 2 StPO). Die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] kann ergänzende Feststellungen zum Strafausspruch treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

III.
Ob die Äußerung des Geschädigten
als schwere Beleidigung zu verstehen ist, hat der Tatrichter
neu zu beurteilen, wobei die Anforderungen nicht zu niedrig anzusetzen
sind ([X.], Urteil vom 26.
Februar 2015

1 StR 574/14, [X.], 582, [X.],
StGB, 63. Aufl., §
213 Rn. 5). Dabei kommt es nicht darauf an, wie der Angeklagte die Kundge-bung des Geschädigten aufgefasst hat, sondern darauf, ob sie objektiv als schwer beleidigend zu beurteilen ist ([X.], Urteil vom 13.
Mai 1981

3 StR 42/81, [X.] 1981, 300). Maßgebend ist der konkrete Geschehensablauf unter Berücksichtigung von Persönlichkeit und Lebenskreis der Beteiligten ([X.],
StGB, 63. Aufl.,
§ 213 Rn. 5)
der konkreten Beziehung zwischen Täter und Op-fer ([X.], Urteil vom 12. Mai 1987

1 StR 43/87, [X.] 1987, 555)
sowie der 6
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tatauslösenden Situation ([X.], Beschluss vom 21. Mai 2004

1 [X.], [X.] 2004, 631). Auch wird zu berücksichtigen sein, welche weiteren Beleidi-gungen im Vorfeld der Tat zwischen den Beteiligten gewechselt wurden und inwieweit der Geschädigte hierbei unmittelbar beteiligt war.
Der neuberufene Tatrichter wird zudem noch in den Blick zu nehmen [X.] als Abwehrbewegung anzusehen war.
Raum Graf

Jäger

Cirener [X.]
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Meta

1 StR 372/16

08.09.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.09.2016, Az. 1 StR 372/16 (REWIS RS 2016, 5728)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5728

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1 StR 372/16

5 StR 358/10

1 StR 574/14

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