Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2023, Az. 4 StR 515/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2871

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Erpresserischer Menschenraub im Zwei-Personen-Verhältnis: Erfordernis einer über die Nötigungshandlung hinausgehenden Beherrschungssituation


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. September 2022

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit Diebstahl und mit Freiheitsberaubung schuldig ist, und

b) im Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub und mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Formalrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

3

2. Der Schuldspruch hält der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Nachprüfung nur teilweise stand.

4

a) Nach den Feststellungen verschafften sich der Angeklagte und ein Begleiter unter einem Vorwand Zutritt zu dem Wohnhaus der Geschädigten. Während der Angeklagte mit der Geschädigten sprach, entwendete der Begleiter im Einverständnis mit dem Angeklagten Schmuck aus [X.] des Hauses. Als die Geschädigte bemerkte, dass die Angaben des Angeklagten, aufgrund deren sie die Männer ins Haus gelassen hatte, unwahr waren, fesselte der Angeklagte sie an einen Stuhl, um sie dazu zu bringen, ihm aus Sorge um ihr Wohl das Versteck des [X.]s zu nennen, mit welchem er [X.] öffnen und das darin befindliche Bargeld entwenden wollte. Die Geschädigte erklärte sich unter dem Eindruck der Fesselung bereit, dem Angeklagten [X.]schlüssel zu geben. Nachdem der Angeklagte hierauf die Fesseln gelöst hatte, zeigte sie ihm den Aufbewahrungsort des Schlüssels, wobei der körperlich überlegene Angeklagte sie begleitete, damit sie nicht fliehen konnte. [X.] ließ sich mit dem Schlüssel aber nicht öffnen und der Angeklagte sah keine Möglichkeit mehr, an das Bargeld zu gelangen. Er sperrte die Geschädigte in ein Badezimmer ihres Hauses ein und verließ mit seinem Begleiter unter Mitnahme des Schmucks das Haus.

5

b) Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten erpresserischen [X.] wird von den Feststellungen nicht getragen. In einem Zwei-Personen-Verhältnis setzt der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB voraus, dass der Täter die physische Herrschaftsgewalt über das Tatopfer gewonnen und dadurch eine stabile Bemächtigungslage geschaffen hat, welche er für eine Erpressung ausnutzt oder ausnutzen will. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen, indem sich aus ihr eine Drucksituation für das Tatopfer ergibt, die über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinausgeht. An dem erforderlichen funktionalen Zusammenhang fehlt es, wenn sich der Täter des Opfers durch [X.] bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und [X.] zusammenfallen ([X.], Beschluss vom 9. September 2015 – 4 [X.], [X.], 336, 337).

6

Nach diesem Maßstab hatte der Angeklagte einen Tatentschluss zwar in Bezug auf den vom [X.] angenommenen schweren Raub (§ 249, § 250 Abs. 1 Nr. 1 b) StGB), nicht aber auch hinsichtlich eines versuchten erpresserischen Menschenraubs gefasst, denn nach den Feststellungen sollte die Fesselung – ebenso wie die im Begleiten der Geschädigten liegende konkludente Androhung weiterer körperlicher Gewalt – der Ermöglichung der Wegnahme, mithin als [X.] des Raubes, dienen.

7

c) Indem der Angeklagte die Geschädigte in das Badezimmer einsperrte, verwirklichte er des Weiteren den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB), der zu dem versuchten Raub und dem – mittäterschaftlich – verwirklichten Diebstahl ebenfalls im Verhältnis der Tateinheit steht.

8

d) Der Senat ändert den Schuldspruch demgemäß entsprechend § 354 Abs. 1 StPO wie aus der [X.] ersichtlich. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, denn der – zum äußeren Tatgeschehen geständige – Angeklagte hätte sich nicht anders als geschehen verteidigen können. Auch das Verschlechterungsverbot des § 358 StPO hindert die Ergänzung des Schuldspruchs um das tateinheitlich verwirklichte Delikt nach § 239 Abs. 1 StGB nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2022 – 1 StR 371/22 Rn. 5 mwN).

9

3. Infolge der Schuldspruchänderung kann auch der Strafausspruch keinen Bestand haben, für den das [X.] den Strafrahmen des § 239a Abs. 2 StGB zugrunde gelegt hat. Die zugehörigen Feststellungen werden von dem Rechtsfehler hingegen nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.

4. Weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] nicht ergeben.

[X.]     

      

Bartel     

      

Rommel

      

Maatsch     

      

Messing     

      

Meta

4 StR 515/22

10.05.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 6. September 2022, Az: 26 KLs 22/22

§ 239a Abs 1 StGB, § 249 StGB, § 250 Abs 1 Nr 1 Buchst b StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2023, Az. 4 StR 515/22 (REWIS RS 2023, 2871)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2871

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 385/11 (Bundesgerichtshof)

Erpresserischer Menschenraub: Voraussetzungen der Ausnutzungsvariante


3 StR 385/11 (Bundesgerichtshof)


3 StR 501/21 (Bundesgerichtshof)

Erpresserischer Menschenraub: Sichbemächtigen eines Menschen im Zwei-Personen-Verhältnis


4 StR 184/15 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen erpresserischen Menschenraubs: Schaffung einer stabilen Bemächtigungsgrundlage durch die Nötigungshandlung


4 StR 184/15 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.