Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.10.2019, Az. XII ZB 208/19

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 2341

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[X.]:[X.]:BGH:2019:231019BXII[X.]208.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 208/19

vom

23. Oktober 2019

in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 276, 295
a)
In Verfahren zur Aufhebung einer Betreuung oder eines [X.] ist dem Betroffenen unter den Voraussetzungen des §
276 FamFG jedenfalls dann ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn das Gericht in nennenswerte neue Tatsachenermittlungen eintritt (im [X.] an Se-natsbeschluss vom 22.
August 2018
XII
[X.]
180/18
amRZ 2018, 1776).
b)
In
Verfahren, die die Verlängerung eines umfassenden Einwilligungs-vorbehalts
in Vermögensangelegenheiten zum Gegenstand haben, ist dem Betroffenen grundsätzlich ein Verfahrenspfleger zu bestellen. Sieht das [X.] davon ab, hat es die Gründe hierfür in der
Entscheidung darzulegen (im [X.] an Senatsbeschluss vom 9.
Mai 2018

XII
[X.]
577/17

FamRZ
2018, 1193).
BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2019 -
XII [X.] 208/19 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 23.
Oktober 2019
durch den
Vorsitzenden [X.], [X.]
Dr.
Klinkhammer, Dr.
Günter
und
Dr.
[X.] und die Richterin Dr.
Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 29.
April 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000

Gründe:
I.
Für den Betroffenen wurde erstmals im Jahr 2000 eine rechtliche Betreuung
eingerichtet. Zuletzt verlängerte das [X.] die Betreuung auf der Grundlage des vom Amtsgericht eingeholten psychiatrischen Gutachtens der Sachverständigen Dr.
M. und Prof.
Dr.
V. vom 28.
Mai 2017 durch [X.] vom 29.
August 2017 mit dem Aufgabenkreis notwendige ärztliche Behandlung/Gesundheitssorge, Behördenangelegenheiten, [X.] einschließlich der Unterbringung sowie Vermögenssorge mit Überprü-fungsfrist zum
Juni 2019. Zugleich erhielt es den im Bereich der [X.] bestehenden Einwilligungsvorbehalt aufrecht. Das dagegen gerichtete 1
-
3
-

Rechtsmittel des Betroffenen
wurde durch Senatsbeschluss vom 29.
November 2017 verworfen.
Seit Juli 2018 hat der Betroffene wiederholt die Aufhebung seiner [X.] verlangt. Das Amtsgericht hat am 17.
Dezember 2018 die Einholung eines neuen Gutachtens angeordnet, das
der Sachverständige Dipl.-Med.
L. am 14.
Februar 2019 erstattet hat. Nach Anhörung des Betroffenen hat das [X.] die Betreuung verlängert, dabei aber auf den Aufgabenkreis "[X.] mit Hausverwaltung des [X.] und Einwilligungsvorbehalt"
eingeschränkt. Zugleich hat es eine Überprüfungsfrist bis zum 9.
März 2026 bestimmt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] nach erneu-ter Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen.
Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene weiterhin die Auf-hebung seiner Betreuung.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefoch-tenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerde-gericht.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung der angefochtenen Ent-scheidung ausgeführt, nach dem Gutachten des Sachverständigen
L. lägen die Voraussetzungen für eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge mit Hausverwaltung des [X.] nebst Einwilligungsvorbehalt weiterhin vor. Der
Sachverständige
L. habe ausgeführt, dass
der Betroffene an paranoi-der Schizophrenie mit Residualsymptomatik
leide. Aufgrund dieser psychischen Krankheit sei der Betroffene unfähig, alle Angelegenheiten ohne Nachteile 2
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4
5
-
4
-

selbst zu besorgen. Zum Wohle des Betroffenen sei der Aufgabenkreis der Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt weiterhin erforderlich. Die [X.] und das daraus folgende Unvermögen zur Besorgung der [X.] werde voraussichtlich lebenslang fortbestehen, so dass die Betreu-ung auf Dauer notwendig sei. Eine Besserung des Krankheitsbildes über die bislang durch Medikamente
erreichte Stabilisierung hinaus sei nicht zu erwar-ten. Der systematisierte Größenwahn und der teilweise verlorene [X.] bei Verschleierung der psychotischen Symptomatik im Sinne einer "doppel-ten Buchführung"
seien in den letzten fünfzehn Jahren mit medikamentöser [X.] nicht durchgreifend beeinflussbar gewesen. Der Betroffene sei nur beschränkt zur freien Willensbildung fähig und deshalb partiell geschäftsunfä-hig. Krankheitsbedingt könne er die für und wider eine Betreuung mit dem [X.] sprechenden Umstände nicht nach [X.] gegeneinander abwägen, ihre Sinnhaftigkeit nicht einsehen und dementsprechend keinen freien Willen zu dieser Entscheidung bilden. Diese Feststellungen des Sachverständigen seien überzeugend und nachvollziehbar. Die vom Beschwerdegericht durchgeführte Anhörung habe die Einschätzungen und Feststellungen des Sachverständigen bestätigt. So habe sich bei der Ge-sprächsführung schnell das vom Sachverständigen schlagwortartig als "doppel-te
Buchführung"
bezeichnete Verhalten gezeigt: Der Betroffene sei sich darüber bewusst, welche Umstände für sein
angestrebtes Ziel der Aufhebung der [X.] negativ sein könnten ("fehlende Krankheitseinsicht"
und "Patentierung von Erfindungen"), und versuche, seine tatsächlichen Überlegungen
und [X.] hierzu zu verschleiern.
2. Die Entscheidung hält bereits der Verfahrensrüge der Rechtsbe-schwerde nicht stand. Diese beanstandet zu Recht, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers verfahrensfehlerhaft unterblieben ist.
6
-
5
-

a) Einen Antrag oder eine Anregung auf Aufhebung der Betreuung kann das Gericht nur unter Beachtung der für das Betreuungsverfahren geltenden Verfahrensvorschriften der §§
272 bis 277 FamFG

in Verbindung mit den Regelungen
des allgemeinen Teils

ablehnen. Dabei ist unter den Voraus-setzungen
des §
276 FamFG
auch im Aufhebungsverfahren die Bestellung eines
Verfahrenspflegers zu prüfen, wenn das Gericht in nennenswerte neue Tatsachenermittlungen eintritt (vgl. Senatsbeschluss vom 22.
August
2018

XII
[X.]
180/18

FamRZ 2018, 1776
Rn.
7 mwN).
Für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anord-nung eines Einwilligungsvorbehalts gelten gemäß §
295 Abs.
1 Satz
1 FamFG die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme entspre-chend. Daher ist auch insoweit nach §§
295 Abs.
1 Satz
1, 276 FamFG die [X.] zu prüfen.
b) Unter Anwendung der genannten Grundsätze hätte das Beschwerde-gericht deshalb prüfen müssen, ob die Voraussetzungen des §
276 Abs.
1 Satz
1 FamFG für die Bestellung eines Verfahrenspflegers vorliegen.
Danach hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.
Dass
das Gericht sich im Rahmen seiner Ermittlungen nicht auf die Ein-holung einer ergänzenden Stellungnahme der vorangehend tätig gewesenen Sachverständigen beschränkt, sondern eine umfassende Neubegutachtung des Betroffenen durch einen anderen psychiatrischen Sachverständigen angeordnet
hat, legt
insoweit die Bestellung eines Verfahrenspflegers nahe.
Darüber hinaus
ist nach der Rechtsprechung des Senats

auch wenn keiner der in §
276 Abs.
1 Satz
2 FamFG aufgeführten gesetzlichen [X.] vorliegt

die Bestellung eines Verfahrenspflegers grundsätzlich
erforderlich, 7
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11
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6
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wenn

wie im vorliegenden Fall

ein Einwilligungsvorbehalt für das gesamte Vermögen angeordnet worden ist. Durch die Anordnung eines Einwilligungs-vorbehalts wird in dessen Geltungsbereich die Möglichkeit des Betroffenen zur eigenverantwortlichen Teilnahme am Rechtsverkehr in stärkerem Maße einge-schränkt als durch die bloße Bestellung eines Betreuers mit einem [X.] Aufgabenkreis. Dieser gravierenden Auswirkung des [X.] auf die Freiheitsrechte des Betroffenen ist dadurch Rechnung zu tra-gen, dass in Verfahren, die einen umfassenden Einwilligungsvorbehalt in Ver-mögensangelegenheiten zum Gegenstand haben, für den Betroffenen regel-mäßig ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist. Sieht das Gericht gleichwohl von der Bestellung eines Verfahrenspflegers ab, hat es die Gründe dafür entspre-chend §
276 Abs.
2 Satz
2 FamFG in seiner Entscheidung darzulegen
(vgl. [X.] vom 22.
August 2018

XII
[X.]
180/18

FamRZ 2018, 1776 Rn.
10 mwN und vom 9.
Mai 2018

XII
[X.]
577/17

FamRZ 2018, 1193 Rn.
12 mwN).
Fehlen dagegen

wie hier

Ausführungen hinsichtlich eines [X.] vollständig, kann das Rechtsbeschwerdegericht weder prüfen, ob das Beschwerdegericht von seinem Ermessen bezüglich der Bestellung eines [X.] überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob seine Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22.
August 2018

XII
[X.]
180/18

FamRZ 2018, 1776 Rn.
10 mwN). Bereits dies gebietet die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
3. Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus
die Würdigung des [X.], wonach die Ausführungen des Sachverständigen sich bei der Anhörung des Betroffenen bestätigt haben, als "Gedankenleserei"
und [X.] als denkgesetzliche Unmöglichkeit beanstandet, greift diese Rüge
allerdings nicht durch.
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7
-

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß §
74 Abs.
7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Dose

Klinkhammer

Günter

[X.]

Krüger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 10.03.2019 -
1 [X.] 202/14 -

LG [X.], Entscheidung vom [X.] -
11 [X.]/19 -

14

Meta

XII ZB 208/19

23.10.2019

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.10.2019, Az. XII ZB 208/19 (REWIS RS 2019, 2341)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2341

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XII ZB 208/19

11 T 55/19

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