Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.01.2024, Az. XII ZB 434/23

12. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 579

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 23. August 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.

1

Die im Jahr 1973 geborene Betroffene leidet an einer langjährigen [X.] Schizophrenie. Für sie wurde eine Betreuung eingerichtet und eine Berufsbetreuerin mit dem Aufgabenkreis „Gesundheitssorge, Entscheidung über die Unterbringung und Aufenthaltsbestimmung“ bestellt. Sie befindet sich seit einer durch die Ordnungsbehörde am 20. Juni 2023 verfügten Einweisung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

2

Im vorliegenden Verfahren hat die Betreuerin (Beteiligte zu 1) die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen beantragt. Das Amtsgericht hat diese mit Beschluss vom 17. Juli 2023 bis längstens 26. Juni 2025 genehmigt. Dagegen haben sowohl die Betroffene durch privatschriftliche Eingabe vom 2. August 2023 „Einspruch“ als auch die Verfahrenspflegerin (Beteiligte zu 2) durch elektronisches Dokument vom 7. August 2023 „namens und im Auftrag der Betroffenen“ Beschwerde eingelegt. Das [X.] hat die Beschwerde mit Beschluss vom 23. August 2023 zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die Betroffene weiterhin gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

4

1. Mit Recht ist das Beschwerdegericht allerdings zunächst vom Vorliegen einer zulässigen Erstbeschwerde der Betroffenen ausgegangen. Dabei braucht nicht im Einzelnen erörtert zu werden, ob sich bereits aus dem Umstand, dass die Verfahrenspflegerin ihre Beschwerde „namens und im Auftrag“ der Betroffenen eingelegt hat, hinreichend deutlich ergibt, die sie ­ mit der Folge der Aufhebung ihrer Bestellung (vgl. § 317 Abs. 5 FamFG) ­ ihre bisherige Rolle im Verfahren aufgeben und forthin als Verfahrensbevollmächtigte für die Betroffene handeln wollte (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 20. Februar 2019 ­ [X.] 244/18 ­ NJW 2019, 1815 Rn. 7 und vom 15. August 2018 ­ [X.] 370/17 ­ [X.], 1777 Rn. 6 mwN). Denn jedenfalls liegt eine wirksame persönliche Beschwerde der Betroffenen vor, die eine verfahrensrechtliche Grundlage für eine Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht darstellt.

5

2. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung in der Sache ausgeführt, dass eine Unterbringung der Betroffenen zur Heilbehandlung und daraus resultierend zur Vermeidung von selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen erforderlich sei. Ohne Heilbehandlung drohe eine weitere Verschlechterung der Psychose und der Schizophrenie und damit eine schwere gesundheitliche Schädigung der Betroffenen, die keine Krankheitseinsicht zeige. Im Laufe ihrer bisherigen Unterbringung habe sie lediglich das Medikament [X.] (Wirkstoff Olanzapin) toleriert, das aber keine Wirkung zeige. Es sei daher eine konsequente antipsychotische Medikation mit [X.] (Wirkstoff [X.]) erforderlich. Die lange Zeitdauer der Unterbringung rechtfertige sich daraus, dass es bislang nicht möglich gewesen sei, verschiedene Medikamente in ausreichender Dosierung zu erproben oder eine längerfristige medikamentöse Einstellung zu erreichen. Sie stütze sich auch darauf, dass die Einstellung der Betroffenen auf ein geeignetes Medikament eine gewisse Zeit im Rahmen einer Akutbehandlung beanspruche und erst danach eine strukturierte Weiterbehandlung beginnen könne. Der Behandlungserfolg sei mit einer kürzeren Behandlungsdauer nicht sicherzustellen. Auch wenn nicht sicher prognostiziert werden könne, ob die Betroffene nach dem Ablauf der zweijährigen Unterbringung bereit und in der Lage sei, ihre Medikamente freiwillig weiter einzunehmen, sei es vertretbar und auch mit Blick auf die von der Betroffenen gegen das Medikament [X.] erhobenen Einwendungen verhältnismäßig, die Betroffene zum Zwecke eines erstmaligen langfristigen Therapieversuchs geschlossen unterzubringen. Denn nur durch eine lange [X.] bestehe überhaupt die Aussicht, dass sich im Bereich der Krankheitseinsicht und der [X.] Teilhabe Erfolge einstellten und einer weiteren Chronifizierung der Krankheit entgegengewirkt werden könne.

6

3. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

7

a) Die materiellen Voraussetzungen für eine Genehmigung der Unterbringung zur Heilbehandlung (§ 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB) liegen auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen nicht vor.

8

aa) Unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen für die Unterbringung eines Betreuten zur Durchführung einer Heilbehandlung gemäß § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist eine Unterbringung nach dieser Vorschrift von vornherein nur dann genehmigungsfähig, wenn eine erfolgversprechende Heilbehandlung auch durchgeführt werden kann. Dies setzt entweder einen die Heilbehandlung deckenden entsprechenden natürlichen Willen des Betreuten oder die rechtlich zulässige Überwindung seines entgegenstehenden natürlichen Willens mittels ärztlicher Zwangsbehandlung voraus. Die Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist daher möglich, wenn zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Betreute in der Unterbringung behandeln lassen wird, sein natürlicher Wille also nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht, er aber (lediglich) die Notwendigkeit der Unterbringung nicht einsieht. Ist dagegen auszuschließen, dass der Betreute eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird, ist die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen und diese gemäß § 1832 Abs. 2 BGB rechtswirksam genehmigt wird (Senatsbeschluss vom 8. November 2023 ­ [X.] 219/23 ­ juris Rn. 9; vgl. auch Senatsbeschluss vom 30. November 2022 ­ [X.] 257/22 ­ [X.], 468 Rn. 15).

9

bb) Gemessen daran kann die geschlossene Unterbringung der Betroffenen nicht auf § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt werden.

Nach den Feststellungen des [X.] ist die Betroffene freiwillig lediglich zur Einnahme des Medikaments [X.] mit dem Wirkstoff Olanzapin bereit, während sie die Einnahme des für die Langzeittherapie vorgesehenen Medikaments [X.] mit dem Wirkstoff [X.] verweigert. Eine Zwangsbehandlung mit [X.] scheidet nach den getroffenen Feststellungen wegen der ausschließlich oralen Verabreichungsform aus.

Der Beschwerdeentscheidung lassen sich keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Erwartung entnehmen, dass eine Behandlung der Betroffenen mit [X.] künftig ohne Zwang vorgenommen werden könnte. Selbst wenn zu Beginn der Unterbringung noch eine gewisse Aussicht darauf bestanden haben mag, den Zustand der Betroffenen durch die Gabe von [X.] zumindest insoweit zu stabilisieren, dass sie die erforderliche Compliance für eine Langzeittherapie ­ auch mit einem anderen Medikamentenwirkstoff ­ entwickelt, bestand diese Erwartung im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung offensichtlich nicht mehr. Die von der Betroffenen ohnehin nur in geringer Dosierung tolerierte Einnahme von [X.] hat nach den Feststellungen des [X.] trotz der inzwischen verstrichenen Unterbringungszeit keine Wirkung gezeigt, so dass es im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an einem erfolgversprechenden Behandlungskonzept für die Betroffene fehlte, welches die Grundlage für ihre Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB darstellen könnte.

b) Die bisherigen Feststellungen des [X.] tragen auch die Genehmigung einer Unterbringung der Betroffenen zur Gefahrenabwehr (§ 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB) nicht.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB zwar keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten. Dies setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass beispielsweise auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist. Erforderlich sind aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens. Der Grad der Gefahr ist dabei in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (vgl. Senatsbeschluss vom 30. November 2022 ­ [X.] 257/22 ­ [X.], 468 Rn. 12 mwN).

bb) Das Beschwerdegericht hat bislang keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme aufgezeigt, dass sich die Betroffene erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen werde, wenn ihre geschlossene Unterbringung unterbleibt. Allein die in der Beschwerdeentscheidung vereinzelt enthaltenen Hinweise darauf, dass die Betroffene durch ihr Wahnerleben so stark beeinträchtigt sei, dass „sie sich nicht mehr ausreichend selbst versorgen“, „keinerlei Gefahren abschätzen … und Dritte bedrohen“ könne, genügen dafür nicht. Erforderlich sind vielmehr nähere Feststellungen zur konkreten Art der befürchteten selbstschädigenden Handlungen und der durch sie möglicherweise eintretenden erheblichen Gesundheitsschäden.

4. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das weitere Feststellungen zu treffen haben wird.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

[X.]                     Botur

                   Krüger                            [X.]

Meta

XII ZB 434/23

17.01.2024

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Dessau-Roßlau, 23. August 2023, Az: 8 T 130/23

§ 1831 Abs 1 BGB, § 1831 Abs 2 BGB, § 1832 Abs 1 S 1 BGB, § 1832 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.01.2024, Az. XII ZB 434/23 (REWIS RS 2024, 579)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 579

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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