Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2023, Az. XIII ZB 77/20

13. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7274

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des [X.] - Zivilkammer 29 - vom 14. September 2020 aufgehoben, soweit darin die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des [X.] vom 14. Februar 2020 zurückgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 14. Februar 2020 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der [X.]etroffene, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2012 erstmals in die [X.] ein; ihm wurde zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Mit [X.]escheid vom 4. Februar 2019 lehnte die Ausländerbehörde die Erteilung einer erneuten Aufenthaltserlaubnis ab und setzte ihm eine Frist zur Ausreise. Auf Antrag der beteiligten [X.]ehörde ordnete das Amtsgericht mit [X.]eschluss vom 6. Februar 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung die Freiheitsentziehung des [X.]etroffenen zur Sicherung der Abschiebung nach [X.] bis zum Ablauf des 27. Februar 2020 an. Der [X.]etroffene wurde am 13. Februar 2020 in Gewahrsam genommen.

2

Nach Anhörung des [X.]etroffenen hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten [X.]ehörde mit [X.]eschluss vom 14. Februar 2020 gegen diesen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 27. Februar 2020 angeordnet. Die dagegen vom Verfahrensbevollmächtigten des [X.]etroffenen eingelegte, nach Ablauf der angeordneten Haftzeit auf Feststellung gerichtete [X.]eschwerde hat das [X.]eschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der [X.]etroffene sein [X.]egehren weiter.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Das [X.]eschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Das Amtsgericht habe das Recht des [X.]etroffenen auf ein faires Verfahren nicht verletzt. Zwar sei aus der Gerichtsakte ersichtlich gewesen, dass der [X.]etroffene in der Vergangenheit von einer Rechtsanwältin S aus [X.] vertreten worden sei; deren in der [X.] befindliche Vollmacht habe sich jedoch ausschließlich auf Fragen des Aufenthaltsrechts bezogen, sodass die Vertretung in der [X.] davon nicht notwendig umfasst gewesen und das Amtsgericht nicht verpflichtet gewesen sei, sie zum Anhörungstermin zu laden. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht den angefochtenen [X.]eschluss erlassen habe, obwohl der [X.]etroffene vor [X.]eendigung der Anhörung erklärt habe, ohne seine Anwältin nichts mehr sagen zu wollen. Da zu diesem Zeitpunkt bereits die Stellungnahme des [X.]etroffenen zu allen für die Entscheidung relevanten Sachfragen erfolgt gewesen sei, habe das Amtsgericht ihn nicht so verstehen müssen, dass er die Verhandlung nun unterbrechen und erst in Anwesenheit seines [X.] fortsetzen wolle.

5

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens durch das Amtsgericht.

6

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem [X.]etroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem [X.]evollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt oder weiß das Gericht, dass der [X.]etroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen. [X.] das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des [X.]evollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. zuletzt [X.]GH, [X.]eschlüsse vom 25. April 2022 - XIII Z[X.] 50/21, NVwZ-RR 2022, 885 Rn. 6; vom 28. Februar 2023 - XIII Z[X.] 70/21, [X.] 2023, 275 Rn. 9, [X.]. [X.]). Gleiches gilt, wenn der [X.]etroffene im Verlauf der persönlichen Anhörung erklärt, einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen zu wollen (vgl. [X.]GH, [X.]eschlüsse vom 25. April 2022 - XIII Z[X.] 34/21, juris Rn. 6 f.; vom 25. Oktober 2022 - XIII Z[X.] 18/20, juris Rn. 6, [X.]. [X.]).

7

b) Diesen Maßstäben hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht entsprochen. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, hätte das [X.] zu dem Anhörungstermin laden und ihr die Teilnahme an diesem Termin ermöglichen müssen. Rechtsanwältin S ist sowohl im Haftantrag der beteiligten [X.]ehörde als auch im Rubrum des [X.]eschlusses des Amtsgerichts vom 6. Februar 2020 über die einstweilige Haftanordnung als Verfahrensbevollmächtigte des [X.]etroffenen aufgeführt. Schon deshalb musste das Amtsgericht davon ausgehen, dass sie seine Interessen auch in den (folgenden) Haftverfahren wahrnehmen sollte. Aus dem Vorliegen einer nur auf aufenthaltsrechtliche Fragen bezogenen Vollmacht zugunsten von Rechtsanwältin S in der [X.] konnte das Amtsgericht keine abweichenden Schlüsse ziehen, weil im Verwaltungsverfahren kein Anlass für die Vorlage einer Vollmacht für ein (etwaiges) Haftverfahren bestand. Jedenfalls nachdem der [X.]etroffene - wie sich aus dem Anhörungsprotokoll ergibt - zu [X.]eginn seiner Anhörung erklärt hatte, er habe sich einen Anwalt genommen, hätte das Amtsgericht aufklären müssen, ob er diesen Rechtsanwalt zu der Anhörung hinzuziehen wollte. Es durfte nicht aus dem Umstand, dass der [X.]etroffene weiter an der Anhörung mitwirkte, auf einen Verzicht schließen (vgl. [X.]GH, [X.]eschluss vom 22. März 2022 - XIII Z[X.] 1/21, juris Rn. 11 [X.]).

8

3. [X.] beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Picker     

      

Kochendörfer     

      

Meta

XIII ZB 77/20

12.09.2023

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Hamburg, 14. September 2020, Az: 329 T 21/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2023, Az. XIII ZB 77/20 (REWIS RS 2023, 7274)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7274

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