Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.10.2012, Az. XII ZB 181/12

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2222

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 181/12

vom

17. Oktober 2012

in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG § 68 Abs. 3 Satz 2, § 278, § 280, § 283
a) In einem Betreuungsverfahren darf der Betroffene gegen seinen Willen in
seiner Wohnung weder angehört noch begutachtet werden.
b) Wirkt der Betroffene an einer erforderlichen Anhörung bzw. Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht seine Vorführung anordnen.

[X.], Beschluss vom 17. Oktober 2012 -
XII ZB 181/12 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 17.
Oktober 2012
durch
den
Vorsitzenden [X.] Dose
und die [X.] [X.],
Schilling, Dr.
Günter
und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 12.
Zivilkammer des [X.] vom 27.
Februar 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
[X.]: 3.000

Gründe:
I.
Der Betroffene wendet sich gegen seine Betreuung.
Das Amtsgericht hat die Betreuung angeordnet und den weiteren Betei-ligten für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungsangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten, Behördenangelegen-heiten sowie Empfang und Öffnung der Post zum Betreuer des Betroffenen be-stellt. Die Beschwerde des Betroffenen
hat das [X.] zurückgewiesen. Hiergegen wendet er sich mit seiner Rechtsbeschwerde.

1
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-
3
-
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung
der ange-fochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts im Ergebnis nicht zu [X.] sei. Es sei davon auszugehen, dass der volljährige Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit seine Angelegenheiten nicht besorgen könne. Nach den Ausführungen des Sachverständigen leide der Betroffene unter einer psychotischen Störung (wahrscheinlich im Sinne einer Schizophrenie mit aus-geprägtem Wahnerleben). Aufgrund dieser Erkrankung könne der Betroffene keine seiner Angelegenheiten, die von ihm eine rechtsverbindliche Äußerung erfordern, selbst [X.] besorgen.
Auch
§
1896 Abs.
1
a
BGB stehe der Bestellung des Betreuers nicht ent-gegen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei davon auszugehen, dass der Betroffene hinsichtlich der Frage der Betreuerbestellung keinen freien Willen bilden könne.
Die in der Beschwerdeschrift gerügten Begleitumstände der erstinstanz-lich erfolgten Anhörung und Untersuchung des Betroffenen, die die Kammer zunächst veranlasst hätten, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuho-len, rechtfertigten auch kein anderes Ergebnis. Denn zu einer neuen Begutach-tung habe es der Betroffene nach Mitteilung des gerichtlich beauftragten [X.] nicht kommen lassen. Von einer Vorführung zur Untersuchung sei abzusehen gewesen, da eine solche mit Begleitumständen einhergehen würde, die mit denen vergleichbar seien, die bereits zur Gutachtenerstellung vom 19.
Oktober 2011 geführt hätten. Zu dem eingeholten Gutachten habe der Be-troffene inzwischen auch Stellung nehmen können. Konkrete Anhaltspunkte, die 3
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gegen die Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen sprächen, seien jedoch nicht aufgezeigt worden. Die angeführten Fehler des Gutachtens hätten evident keine Auswirkung auf die Beantwortung der Beweisfrage. Auch hätten dem Sachverständigen die anlässlich des [X.] gewonnenen [X.] für eine Gutachtenerstellung genügt. Das Gespräch mit dem Be-troffenen sei dem Sachverständigen insbesondere nicht etwa als zu kurz [X.]. Von einer Anhörung des Betroffenen habe die Kammer gemäß §
68 Abs.
3
Satz
2 FamFG abgesehen. Das Amtsgericht habe den Betroffenen an-gehört;
von einer erneuten Anhörung des Betroffenen seien wegen seiner
Ver-weigerungshaltung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten.
2. Dies
hält
hinsichtlich der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Ver-fahrensrügen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das [X.] hätte von einer Anhörung des Betroffenen nicht ab-sehen dürfen.
aa) Gemäß §
278 Abs.
1 Satz
1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören. Es hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Diesen persönli-chen Eindruck soll sich das Gericht in dessen üblicher Umgebung verschaffen, wenn es der Betroffene verlangt oder wenn es der Sachaufklärung dient und der Betroffene nicht widerspricht (§
278 Abs.
1 Satz
2 und 3 FamFG).
Nach §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG kann das Beschwerdegericht zwar von einer Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenom-men wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Im Beschwerdeverfahren kann allerdings nicht von einer Wie-derholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten [X.] zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. 7
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-
5
-
In diesem Fall muss das Beschwerdegericht den betreffenden Teil des Verfahrens
nachholen (Senatsbeschlüsse vom 15.
Februar 2012

XII
ZB
389/11
-
FamRZ
2012, 619 Rn.
18 und vom 9.
November 2011

XII
ZB
286/11
-
FamRZ
2012, 104 Rn.
24).
bb) Die vom Amtsgericht durchgeführte Anhörung war [X.], weshalb das Beschwerdegericht die Anhörung des Betroffenen hätte [X.] müssen.
Wie den Gerichtsakten zu entnehmen ist, hat das Amtsgericht die Anhö-rung des Betroffenen in dessen
Wohnung durchgeführt, ohne ihn vorher von diesem Termin zu benachrichtigen. Der Betroffene war nicht dazu bereit, den [X.] und den zu diesem Termin geladenen Sachverständigen in seine Woh-nung zu lassen. Erst nachdem der [X.] den Schlüsseldienst und die Polizei herbeigeholt hatte, öffnete der Betroffene die Tür.
Das Amtsgericht hat mit die-ser Vorgehensweise den deutlichen Widerspruch des Betroffenen übergangen und
-
ohne Rechtsgrundlage
-
die Anhörung (und Begutachtung) des [X.] in dessen Wohnung in verfahrenswidriger
Weise durchgesetzt.
An der Rechtswidrigkeit dieser Verfahrensweise hätte sich auch dann nichts
geändert, wenn sich der Betroffene (zuvor) einer richterlichen Anhörung entzogen hätte. Für solche Fälle sieht §
278 Abs.
5
FamFG vielmehr die Vor-führung des
Betroffenen vor.
Im Übrigen erscheint es wegen der ausnahmeähnlichen Situation, in der sich der Betroffene
befand,
zweifelhaft, ob der Anhörungstermin überhaupt [X.] war, dem Gericht einen zutreffenden Eindruck von ihm zu vermitteln.
Da sonach die Anhörung durch das Amtsgericht fehlerhaft erfolgt war, hätte das [X.] den Betroffenen erneut, notfalls nach Anordnung der
Vor-11
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-
6
-
führung gemäß
§
278 Abs.
5 i.V.m. §
68 Abs.
3 Satz
1 FamFG,
anhören müs-sen.
b) Ferner ist die Einholung des Sachverständigengutachtens -
wie von der Rechtsbeschwerde ebenfalls zutreffend gerügt
-
verfahrensfehlerhaft er-folgt.
aa) Im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers hat gemäß §
280 Abs.
1 Satz
1 FamFG eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutach-tens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden.
Ebenso wenig, wie der Betroffene gegen seinen Willen in seiner Woh-nung angehört werden darf, darf
der Sachverständige
den Betroffenen
gegen dessen Willen in dessen Wohnung untersuchen. Hierfür gibt es keine Rechts-grundlage. Wirkt der Betroffene an einer Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht gemäß §
283 Abs.
1 und Abs.
3 FamFG (nur) seine Vorführung anord-nen und gegebenenfalls
die Befugnis aussprechen, die Wohnung des [X.] zu betreten. Letztere Maßnahme dient freilich allein dem Ziel, die Person des Betroffenen aufzufinden, um ihn der Untersuchung zuzuführen ([X.]/Weinreich/[X.] FamFG 3.
Aufl. §
283 Rn.
15).
Unbeschadet der Frage, ob das Amtsgericht eine solche Anordnung

konkludent
-
erlassen hat, wäre diese jedenfalls rechtswidrig. Denn sie
hätte ersichtlich allein dem von §
283 Abs.
3 FamFG nicht umfassten Zweck gedient, die Untersuchung des Betroffenen
in seiner
Wohnung zu ermöglichen, nicht aber seiner Verbringung in die Räumlichkeiten des Sachverständigen.
Hier kommt
ebenfalls hinzu, dass die bereits oben dargestellte Ausnah-mesituation
einer fachgerechten Begutachtung entgegengestanden haben dürf-te. So erklärt sich auch, dass der Sachverständige laut seines Gutachtens da-16
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-
7
-
rauf verzichtet hat, dem Betroffenen
"gezielte Fragen zu seiner Lebensge-schichte"
zu stellen, "da die Umstände, die die Begutachtung ermöglicht hatten, die Bereitschaft des Betroffenen, bereitwillig über sich zu berichten, nicht ver-größerten."

bb) Ersichtlich
wegen seiner Bedenken gegen das amtsgerichtliche Ver-fahren hat das Beschwerdegericht eine weitere Begutachtung durch einen an-deren Sachverständigen angeordnet. Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass das [X.] von diesem -
rechtlich gebotenen
-
Entschluss nicht abrücken durfte, weil sich der Betroffene laut Mitteilung des neuen [X.] nicht ohne weiteres

begutachten lassen wollte. Insofern hätte das [X.] eine Vorführung des Betroffenen nach §
283 FamFG erwägen müssen.
3.
Die angegriffene Entscheidung beruht auf den festgestellten [X.]. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Beschwerdegericht zu ei-nem anderen Ergebnis gelangt
wäre, wenn der Betroffene ordnungsgemäß an-gehört und begutachtet worden wäre.
21
22
-
8
-
4. Gemäß §
74 Abs.
5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuhe-ben. Da die Sache wegen der noch ausstehenden Ermittlungen nicht zur Ent-scheidung reif ist, ist sie zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§
74 Abs.
6 Satz
2 FamFG).
Dose

[X.]

Schilling

Günter

Botur

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 20.10.2011 -
4 [X.] 554/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 27.02.2012 -
12 T 216/11 -

23

Meta

XII ZB 181/12

17.10.2012

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.10.2012, Az. XII ZB 181/12 (REWIS RS 2012, 2222)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2222

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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