Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2021, Az. 4 StR 81/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 4732

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sicherungsverfahren: Urteilsdarlegung zur Schuldunfähigkeit bei Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis


Tenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil der Strafkammer des [X.] bei dem [X.] vom 15. Dezember 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Beschuldigten, die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet ist. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen leidet der Beschuldigte unter einer paranoiden Schizophrenie und einer Impulskontrollstörung.

3

Am 10. Januar 2019 befand sich der an diesem Tag auffällig aggressive Beschuldigte auf der geschützten Station eines Krankenhauses und begab sich in den Bereich vor dem [X.], der von Patienten nicht betreten werden soll. Als zwei nebeneinanderstehende Pflegerinnen die Tür des Büros ein Stück weit öffneten, stellte der Beschuldigte einen Fuß in die Tür und schlug unvermittelt mit der Faust zweimal zu, wobei er die eine Pflegerin im Gesicht und die andere an der linken Schulter traf. Während der Faustschlag ins Gesicht bei der Geschädigten zu Nasenbluten und Kopfschmerzen sowie einer Beschädigung ihrer Brille führte, hatte der Schlag gegen die Schulter eine schmerzhafte Prellung zur Folge. Nachdem mehrere herbeigerufene Personen hinzugekommen waren, versetzte der Beschuldigte, der weiterhin aggressiv wirkte, einer Ärztin einen Schlag mit der Faust ins Gesicht, der bei der Geschädigten zu Schwindel, Benommenheit und Kopfschmerzen führte (Taten II. 1 bis 3 der Urteilsgründe).

4

Im November 2019 zündete der Beschuldigte in der Obdachlosenunterkunft, in der ihm [X.] zugewiesen worden war, eine auf einem Spind liegende Fahne an. An einem anderen Tag brach er einen Feuerlöscher samt Halterung von der Wand (Taten II. 4 und 5 der Urteilsgründe). Am 4. Dezember 2019 verwüstete der Beschuldigte schließlich Teile der Obdachlosenunterkunft, indem er unter anderem zwei Fensterscheiben einschlug und im [X.] Waschbecken und Spiegel zerschlug. Zudem setzte er eine Matratze in Brand, löschte die Flammen jedoch wieder, bevor das Feuer auf andere Sachen oder Gebäudebestandteile übergreifen konnte. Es entstand ein Sachschaden in vierstelliger Höhe (Tat II. 6 der Urteilsgründe).

5

Aufgrund der Erkrankung des Beschuldigten waren seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zu den jeweiligen [X.] aufgehoben.

II.

6

Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung, die der Schuldfähigkeitsbeurteilung und der Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem psychischen Zustand des Beschuldigten und den [X.] durch die [X.] zugrunde liegt, einer rechtlichen Prüfung nicht standhält.

7

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der [X.](en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der [X.] muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 21. Februar 2017 ‒ 3 [X.], [X.], 575, 576; vom 12. Oktober 2016 ‒ 4 StR 78/16, [X.], 588).

8

Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 4. Dezember 2018 ‒ 4 [X.], [X.], 236 mwN; vom 12. Oktober 2016 ‒ 4 StR 78/16, aaO).

9

2. Die Annahme einer zustandsbedingten Aufhebung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der [X.] wird durch die [X.] zur Beweiswürdigung nicht tragfähig belegt.

Nach den in den Urteilsgründen mitgeteilten Darlegungen des psychiatrischen Sachverständigen litt der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Taten unter einer akut exazerbierten paranoiden Schizophrenie sowie einer Impulskontrollstörung. Neben einer deutlichen Antriebssteigerung, psychomotorischen Unruhe, gereizten Stimmung und formal gedanklichen Inkohärenz habe bei dem Beschuldigten ein Wahnerleben im Sinne eines Vergiftungs-, Beobachtungs- und Verfolgungswahns dominiert, das als unmittelbar handlungsleitend anzusehen sei. Unter dem Einfluss von Wahnvorstellungen komme es zu einer massiven Steigerung von [X.] bei dem Beschuldigten, der seine Affektlage und seine Impulse in derartigen Phasen nicht kontrollieren könne. Dieser gutachterlichen Beurteilung des Sachverständigen hat sich das [X.] ohne weitere Ausführungen angeschlossen, ohne indes ‒ wie es sachlich-rechtlich geboten gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 30. März 2017 ‒ 4 StR 463/16, [X.], 165, 166 mwN; Beschluss vom 13. Januar 2021 ‒ 4 StR 300/20 Rn. 4; vgl. auch [X.]/[X.] in [X.], 8. Aufl., § 267 Rn. 16 mwN) ‒ die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen wiederzugeben. Aufgrund dieser unzureichenden Darstellung kann das mitgeteilte Ergebnis der Begutachtung durch den psychiatrischen Sachverständigen vom Senat nicht nachvollzogen werden, zumal sich aus den Sachverhaltsfeststellungen zu den einzelnen [X.] unmittelbar keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Wahnerleben beim Beschuldigten ergeben.

Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof
Sost-Scheible ist wegen
Urlaubs an der Leistung der
Unterschrift gehindert.

        

Bender     

        

Quentin

Bender

                                   
        

     Rommel     

        

Lutz     

        

Meta

4 StR 81/21

23.06.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Münster, 15. Dezember 2020, Az: 10 KLs 3/20

§ 20 StGB, § 63 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2021, Az. 4 StR 81/21 (REWIS RS 2021, 4732)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4732

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 632/19 (Bundesgerichtshof)

Anforderungen an die Urteilsgründe bei Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Räuberische Erpressung als …


5 StR 318/20 (Bundesgerichtshof)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Sicherungsverfahren: Anforderungen an die Begründung der Gefährlichkeitsprognose; …


4 StR 207/16 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren: Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose des Tatrichters bei Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


1 StR 116/18 (Bundesgerichtshof)

Anforderungen an eine widerspruchsfreie Darlegung der Schuldfähigkeitsbeurteilung


3 StR 171/14 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren: Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose und die Begründung der zur Bewährung ausgesetzten Anordnung der Unterbringung …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.