Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.08.2023, Az. VI B 74/22

6. Senat | REWIS RS 2023, 5247

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Übermittlung elektronischer Dokumente durch Steuerberater ab dem 01.01.2023


Leitsatz

1. NV: Für Steuerberater steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Verfügung, zu dessen Nutzung sie gemäß § 52d Satz 2 FGO verpflichtet sind.

2. NV: Eine vorübergehende technische Störung nach § 52d Satz 3 FGO liegt nicht vor, wenn ein zur Verfügung stehender sicherer Übermittlungsweg noch nicht eingerichtet wurde.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 02.09.2022 - 4 K 209/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben es bereits versäumt, die Beschwerde innerhalb der dafür bestimmten Frist in der seit dem 01.01.2023 geltenden Form zu begründen (unter 1.). Da die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist, kann dahinstehen, ob den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zu gewähren ist (unter 2.).

2

1. Die Kläger haben die Beschwerde nicht innerhalb der dafür bestimmten Frist in der seit dem 01.01.2023 geltenden Form begründet.

3

a) Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 [X.]O innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden (§ 116 Abs. 3 Satz 4 [X.]O).

4

Das angefochtene Urteil der Vorinstanz vom 02.09.2022 - 4 K 209/21 wurde den Klägern am 13.10.2022 zugestellt. Die vom Vorsitzenden verlängerte [X.] von drei Monaten (§ 116 Abs. 3 Satz 1 und 4 [X.]O) endete gemäß § 54 Abs. 2 [X.]O i.V.m. § 222 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. §§ 186 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Ablauf des 13.01.2023.

5

b) Die beim [X.] ([X.]) am 13.01.2023 innerhalb der [X.] im Sinne des § 116 Abs. 3 Satz 1 und 4 [X.]O als [X.] eingegangene Beschwerdebegründung der Kläger entspricht nicht den --von Amts wegen zu berücksichtigenden-- Anforderungen des § 52d Satz 1 [X.]O.

6

aa) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen --und damit auch die Beschwerdebegründungsschrift--, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind nach § 52d Satz 1 [X.]O als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 [X.]O für die nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.]O zur Verfügung steht; ausgenommen sind nach § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Halbsatz 1 oder Nr. 2 [X.]O vertretungsbefugte Personen.

7

bb) Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 [X.]O genannten Steuerberater steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.]O zur Verfügung.

8

(1) Durch Art. 6 Nr. 4 i.V.m. Art. 26 Abs. 7 des [X.] mit den Gerichten vom 10.10.2013 ([X.], 3786) wurde in § 52d [X.]O mit Wirkung zum 01.01.2022 eine Nutzungspflicht der elektronischen Gerichtskommunikation unter anderem für Rechtsanwälte und Behörden eingeführt. Für andere vertretungsberechtigte Personen gilt dies erst, wenn ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung steht. Mit Art. 4 Nr. 35 und 77 des [X.] sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021 ([X.], 2363) wurden unter anderem die Steuerberaterplattform und das besondere elektronische Steuerberaterpostfach ([X.]) eingeführt.

9

(2) Gemäß § 86d Abs. 1 des [X.]) ist die [X.] ([X.]) verpflichtet, über die Steuerberaterplattform (§ 86c StBerG) für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ein [X.] empfangsbereit einzurichten. Nach § 86d Abs. 6 StBerG ist der Inhaber des [X.] verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das [X.] zur Kenntnis zu nehmen (passive Nutzungspflicht). Nach § 157e StBerG ist die Regelung am 01.08.2022 in [X.] getreten und erstmals ab dem 01.01.2023 anzuwenden.

(3) Der gesetzlichen Verpflichtung ist die [X.] durch Einrichtung der Steuerberaterplattform und der [X.]-Infrastruktur fristgerecht nachgekommen.

(4) Gemäß § 15 Abs. 1 der Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung ([X.]) vom 25.11.2022 ([X.], 2105) erfolgt die Erstanmeldung am [X.] mittels einer Identifizierung und Authentisierung im Sinne des § 4 Abs. 1 [X.] sowie eines Registrierungstokens, den der Postfachinhaber von der [X.] oder einer von ihr bestimmten Stelle erhält (sogenannter Registrierungsbrief). Nach § 15 Abs. 2 [X.] erzeugt der Postfachinhaber bei der Erstanmeldung einen öffentlichen und einen privaten Schlüssel. Der öffentliche Schlüssel wird in einem Verzeichnis der [X.] abgelegt. Der private Schlüssel ist vom Postfachinhaber eigenständig abzulegen und mit einem Passwort vor einer unbefugten Verwendung zu schützen (Zertifikats-Passwort).

(5) Zwar hat die [X.] die sogenannten Registrierungsbriefe und damit die für die Erstanmeldung der Berufsträger notwendigen Informationen tatsächlich erst beginnend im Januar 2023 in alphabetischer Reihenfolge in mehreren Tranchen bis hin zum 17.03.2023 versandt. Erst zu diesem Zeitpunkt war der erstmalige "System-Rollout" abgeschlossen.

Allerdings hat die [X.] dieser Verzögerung, die auf den Umstand gründete, dass es ihr technisch nicht möglich war, sämtlichen Berufsträgern die Registrierungsbriefe bis zum 01.01.2023 zu übermitteln, durch ein sogenanntes "Fast-Lane"-Verfahren Rechnung getragen. Dieses von Anbeginn der [X.] 2022 und bis zu deren Abschluss eröffnete Verfahren ermöglichte es Steuerberatern, die aktiv mit den Finanzgerichten ([X.]) kommunizieren, sich auf Antrag bei der [X.] zeitlich vorgezogen und damit regelmäßig vor dem 01.01.2023 oder kurzfristig noch während des "[X.]" für die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr registrieren zu lassen.

(6) Dem Prozessbevollmächtigten der Kläger stand danach spätestens seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg "zur Verfügung", zu dessen Nutzung er nach § 52d Satz 2 [X.]O verpflichtet war (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 27.04.2022 - XI B 8/22 und vom 28.04.2023 - XI B 101/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, [X.] 2023, 763; s.a. [X.] in Tipke/[X.], § 52d [X.]O Rz 1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 52d [X.]O Rz 15; [X.], [X.] 2022, 949, 951; [X.], juris [X.] Steuerrecht 45/2022 [X.]. 2; [X.], [X.], 426, 429 sowie Niedersächsisches [X.], Urteil vom 20.03.2023 - 7 K 183/22, Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2023, 643, Rz 24; a.A. Niedersächsisches [X.], [X.] vom 14.04.2023 - 9 K 10/23 und [X.] Münster, [X.] vom 14.04.2023 - 7 K 86/23 E, Betriebs-Berater --[X.]-- 2023, 996). Ob dem jeweiligen Steuerberater die von ihm vorzuhaltenden "technischen Einrichtungen" zur Verfügung stehen und das [X.] von diesem tatsächlich freigeschaltet wurde, ist insoweit unerheblich.

(7) Verfassungsrechtliche Zweifel an der gesetzlichen Stichtagsregelung und deren zeitlich unbedingter Geltungsanordnung hat der Senat nicht.

§ 52d Satz 2 [X.]O verletzt insbesondere den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes nicht (a.A. Niedersächsisches [X.], [X.] vom 14.04.2023 - 9 K 10/23 und [X.] Münster, [X.] vom 14.04.2023 - 7 K 86/23 E, [X.] 2023, 996). Denn der Gesetzgeber hat mit der Verpflichtung (ab dem 01.01.2023), vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen elektronisch zu übermitteln, den nutzungsverpflichteten Berufsträgern den Zugang zu den [X.] nicht unverhältnismäßig erschwert.

Ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Regelung die Justiz für elektronische Eingänge öffnen, die Rahmenbedingungen für eine Umstellung auf elektronische Zustellungen schaffen (vgl. BTDrucks 19/30516, S. 66) und mit dem [X.] eine sichere, schnelle und kostengünstige Alternative zur gesonderten qualifiziert elektronischen Signatur für die Übertragung der in § 52d [X.]O aufgezählten Dokumente von den Normadressaten an die Gerichte bieten (BTDrucks 19/30516, S. 64). Diese gesetzgeberischen Ziele dienen der Entlastung der [X.] und damit auch der [X.]. Sie sind ferner auf die Förderung der Nachhaltigkeit in der Justiz gerichtet (vgl. BTDrucks 19/28399, S. 25). Hierbei handelt es sich um vernünftige Gemeinwohlerwägungen, so dass die Vorschrift keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (s.a. Niedersächsisches [X.], [X.] vom 14.04.2023 - 9 K 10/23, Rz 33 f.).

(8) Entsprechendes gilt, soweit --im Hinblick auf die mit der technischen Umsetzung des [X.] einhergehenden Anlaufschwierigkeiten und [X.] die strikte Anwendung der Stichtagsregelung in Rede steht.

Zum einen hat der Gesetzgeber mit § 157e StBerG für den organisatorischen Umsetzungsprozess (Versand der Registrierungsbriefe durch die [X.] und Erstanmeldung des Postfachinhabers) oder etwaige technische Schwierigkeiten eine Schonfrist vom 01.08.2022 (Inkrafttreten) bis zum 01.01.2023 (Anwendungszeitpunkt) vorgesehen und damit der [X.] ausreichend Zeit zur Vorbereitung eingeräumt. Diese ist zum anderen dem Auftrag des Gesetzgebers zur Einrichtung des [X.] (§§ 86d, 86e StBerG) jenseits der technischen Anlaufschwierigkeiten und den daraus folgenden Verzögerungen zumindest insoweit nachgekommen, als sie während des gesamten [X.] ein sogenanntes "Fast-Lane"-Verfahren eingerichtet, stets auf dieses hingewiesen und damit ihren Mitgliedern --jedenfalls soweit diese aktiv mit den [X.] kommunizieren-- den rechtzeitigen Zugang zum [X.] auch tatsächlich eröffnet hat (Niedersächsisches [X.], Urteil vom 20.03.2023 - 7 K 183/22, E[X.] 2023, 643, Rz 41, m.w.[X.]; a.A. Niedersächsisches [X.], [X.] vom 14.04.2023 - 9 K 10/23 und [X.] Münster, [X.] vom 14.04.2023 - 7 K 86/23 E, [X.] 2023, 996). Für eine stichtagsabweichende Auslegung von § 52d Satz 2 [X.]O ist daher kein Raum.

cc) Vorliegend hat der als Steuerberater zugelassene Prozessbevollmächtigte der Kläger die Beschwerdebegründungsschrift nicht als elektronisches Dokument innerhalb der [X.] übermittelt.

c) Eine wirksame Ersatzeinreichung der Beschwerdebegründungsschrift in Papierform liegt ebenfalls nicht vor. Nach § 52d Satz 3 [X.]O bleibt die Übermittlung von vorbereitenden Schriftsätzen und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichenden Anträgen und Erklärungen nach allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn dem nutzungsverpflichteten Einreicher eine Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend nicht möglich ist.

aa) Eine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen, die nach § 52d Satz 3 [X.]O eine Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässt, ist weder dargelegt noch im Sinne des § 52d Satz 4 [X.]O glaubhaft gemacht worden.

Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten, dass er die Begründung innerhalb der [X.] nicht habe elektronisch einreichen können, weil die Registrierungsbriefe ab Januar 2023 in einzelnen Tranchen bis voraussichtlich April 2023 verschickt würden, genügt hierfür nicht.

bb) Insoweit liegt bereits keine "vorübergehende technische Störung" vor. Die Ersatzeinreichungsmöglichkeit ist dem Wortlaut der Vorschrift nach auf Fälle der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit beschränkt. Eine solche ist jedoch nicht gegeben, wenn --wie vorliegend-- ein zugelassener elektronischer Übermittlungsweg noch nicht eingerichtet wurde. Es handelt sich hierbei vielmehr um einen strukturellen Mangel, der den Rückgriff auf die Papierform nicht rechtfertigen kann. § 52d Satz 3 [X.]O ist nur bei technischen Problemen bei Verwendung des vollständig eingerichteten [X.], nicht hingegen bei Verzögerungen bei dessen Einrichtung anwendbar (vgl. BTDrucks 17/12634, S. 28; s.a. [X.] in Tipke/[X.], § 52d [X.]O Rz 1; Schmieszek in [X.], [X.]O § 52d Rz 10; [X.] in [X.]/[X.], [X.] Ab 01.01.2017, § 52d [X.]O Rz 20 (Aktualisierung v. 19.01.2023); [X.] in [X.], § 52d [X.]O Rz 50 sowie Niedersächsisches [X.], Urteil vom 20.03.2023 - 7 K 183/22, E[X.] 2023, 643, Rz 41, m.w.[X.]).

d) Die am 13.01.2023 als [X.] beim [X.] eingegangene Beschwerdebegründung ist folglich unwirksam und nicht zu beachten; die Begründung gilt als nicht eingereicht. Der [X.] führt zur Unwirksamkeit und schließt damit insbesondere eine Fristwahrung --hier die Wahrung der [X.] im Sinne des § 116 Abs. 3 Satz 1 und 4 [X.]O-- aus (vgl. [X.]-Beschluss vom 27.04.2022 - XI B 8/22, Rz 12, m.w.[X.]).

2. Es kann dahinstehen, ob den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 [X.]O zu gewähren ist, weil der Präsident der Steuerberaterkammer [X.] seinen Mitgliedern im November 2022 mitgeteilt habe, eine Verpflichtung zur Nutzung des [X.] bestehe erst mit Erhalt des Registrierungsbriefs der [X.], und der Prozessbevollmächtigte der Kläger erst in der zweiten Hälfte des Monats Januar von der Möglichkeit des "Fast-Lane"-Verfahrens erfahren haben will. Denn soweit die Kläger die --in der am 31.01.2023 per [X.] übermittelten Begründung der [X.] geltend gemachten Zulassungsgründe überhaupt in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O genügenden Form dargelegt haben, liegen sie jedenfalls nicht vor.

a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) zuzulassen.

aa) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dabei muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschlüsse vom 24.05.2012 - VI B 120/11 und vom 26.11.2020 - VI B 29/20, Rz 19).

bb) Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob über das Ruhen des Verfahrens im Falle eines Falles bei dem [X.]e nach rechtsstaatlich gebundenen Maßstäben zu entscheiden ist". Letztlich möchten sie geklärt wissen, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) das von ihnen nach § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung [X.]) beantragte Ruhen des [X.] zu Unrecht verweigert hat.

Die von den Klägern formulierte Rechtsfrage ist weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig. Denn die Beantwortung der Frage, ob das anhängige Musterverfahren für das Einspruchsverfahren von präjudizieller Bedeutung ist, das heißt, eine auch in dem Einspruchsverfahren entscheidungserhebliche Rechtsfrage betrifft (s. [X.]-Urteil vom 26.09.2006 - X R 39/05, [X.]E 215, 1, [X.] 2007, 222), hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. An der Klärungsfähigkeit fehlt es auch deshalb, weil die Kläger vor dem [X.] die ihrer Ansicht nach zu Unrecht unterlassene Verfahrensruhe gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO durch das [X.] zwar beanstandet, aber in der mündlichen Verhandlung nicht auch die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung, sondern ausschließlich eine Entscheidung in der Sache beantragt haben.

b) Die Revision ist zudem nicht wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) zuzulassen.

aa) Ein Beschwerdeführer, der sich --wie die [X.] auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das [X.] beruft, hat darzutun, welche Tatsachen noch hätten aufgeklärt oder welche Beweise noch hätten erhoben werden müssen, aus welchen Gründen sich die Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei weiterer Aufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sich daraus auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Gerichts eine andere Entscheidung hätte ergeben können (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 26.06.2003 - IV B 195/01, [X.]/NV 2003, 1437 und vom 16.06.2008 - V B 75/07, juris, jeweils m.w.[X.]).

Da es sich bei der Verletzung der Sachaufklärungspflicht zudem um einen verzichtbaren Verfahrensmangel handelt (§ 155 [X.]O i.V.m. § 295 ZPO), bei dem das [X.] nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem [X.] verloren geht, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge, muss der Beschwerdeführer weiter vortragen, dass er den Verstoß in der Vorinstanz gerügt habe oder aus welchen entschuldbaren Gründen er an einer solchen Rüge vor dem [X.] gehindert gewesen sei (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 29.04.2009 - VI B 126/08, [X.]/NV 2009, 1267, m.w.[X.]).

bb) Hieran fehlt es. Die Kläger legen weder substantiiert dar, welche Tatsachen das [X.] noch hätte aufklären müssen, noch führen sie dezidiert aus, welche Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwieweit die Entscheidung des [X.] deshalb auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung anders ausgefallen wäre. Auch lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, aus welchen Gründen sich dem [X.] die Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen und warum die in der mündlichen Verhandlung durch ihren Steuerberater vertretenen Kläger weder eigene Beweisanträge gestellt noch eine (aus ihrer Sicht zu Unrecht) unterbliebene weitere Sachaufklärung durch das [X.] gerügt haben.

Letztlich rügen die Kläger mit ihren Sachaufklärungsmängeln "Nr. 1" und "Nr. 2" auch keine nicht ausreichende Sachaufklärung durch das [X.], sondern machen geltend, aufgrund ihres Vortrags und der vorgelegten Unterlagen hätte das [X.] zu einer Stattgabe ihrer Klage gelangen müssen. Mit diesem Vorbringen wenden sich die Kläger im [X.] gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Urteils. Der Vortrag, das Urteil der Vorinstanz sei rechtsfehlerhaft, rechtfertigt die Zulassung der Revision indessen nicht. Denn die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das [X.] ist im [X.] --von im Streitfall nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen-- grundsätzlich unbeachtlich (s. [X.]-Beschluss vom 10.05.2012 - X B 71/11).

cc) Soweit die Kläger mit ihrem "[X.] Nr. 3" eine fehlerhafte Anwendung des [X.] von § 79b Abs. 2 [X.]O wegen "überzogene[r] Handhabung" geltend machen, vermag der beschließende Senat dies nicht zu erkennen. Die Kläger stören sich letztlich daran, dass das [X.] "um eine kurze, aber präzise Beschreibung der Tätigkeit und des Tagesablaufs des Klägers" sowie darum gebeten hat, die Ausführungen hierauf zu beschränken und auf allgemeinpolitische Erwägungen zu verzichten.

Die Kläger legen auch nicht dar, was sie "ohne diese Äußerungsbeschränkung" vorgetragen hätten und warum dies, anders als die erbetene "kurze, aber präzise Beschreibung der Tätigkeit und des Tagesablaufs" zu einer anderen Entscheidung des [X.] geführt hätte. Sie vermuten nur, dass sie "nicht so vorgetragen" haben, "wie sie es ohne diese Äußerungsbeschränkung getan" hätten.

c) Die Revision ist weiter nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O wegen eines qualifizierten Rechtsfehlers des [X.] zuzulassen.

aa) Zwar ist die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler [X.] zu einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung geführt hat, die angefochtene Entscheidung mithin an einem qualifizierten Rechtsfehler leidet, der im allgemeinen Interesse einer Korrektur durch das Revisionsgericht bedarf. Die Entscheidung des [X.] muss dabei jedoch in einem solchen Maße fehlerhaft sein, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 09.02.2017 - VI B 58/16, m.w.[X.]). Unterhalb dieser Schwelle liegende, auch erhebliche Rechtsfehler reichen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. zusammenfassend [X.]-Beschluss vom 16.05.2012 - IV B 48/11, m.w.[X.]). Als unzutreffend behauptete Würdigungen und Wertungen des [X.] beinhalten keine greifbare Gesetzwidrigkeit oder Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung (Senatsbeschluss vom 09.02.2017 - VI B 58/16). Diese besonderen Voraussetzungen sind in der Beschwerdeschrift darzulegen (z.B. [X.]-Beschluss vom 19.10.2012 - III B 40/12, m.w.[X.]).

bb) An einer solchen Darlegung fehlt es in der Beschwerdebegründung. Hierin wird zwar behauptet, dass die Entscheidung des [X.] objektiv willkürlich sei, weil das [X.] die Anzahl der Arbeitstage des Klägers "im Fahrdienst" "de facto auf 0 Arbeitstage geschätzt" habe. Das [X.] hat sich bei seiner Entscheidung indes von den Gesamtumständen des Einzelfalls leiten lassen und hat sich aufgrund dieser sowie den von den Klägern erfolgten Schilderungen und vorgelegten Beweismitteln nicht davon überzeugen können, dass die Voraussetzungen für einen Ansatz von Verpflegungsmehraufwand, nämlich eine mehr als achtstündige Abwesenheit von der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte, vorlagen. Die Gründe hierfür hat das [X.] dargelegt. Die Kläger wenden sich damit auch hier im [X.] gegen die vermeintlich unzutreffenden Würdigungen und Wertungen des [X.]. Angesichts dessen ist für das Vorliegen einer greifbar gesetzwidrigen oder willkürlichen Entscheidung nichts ersichtlich.

d) Die Revision ist schließlich nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O) zuzulassen.

aa) Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (z.B. [X.]-Beschluss 04.07.2018 - IX B 114/17, Rz 4, m.w.[X.]). Dieser Zulassungsgrund setzt eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraus ([X.]-Beschluss vom 13.11.2012 - II B 123/11, Rz 2). Da es sich um einen Spezialfall der Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache handelt, gelten die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung entwickelten Anforderungen entsprechend ([X.]-Beschluss vom 03.02.2016 - XI B 53/15, Rz 13).

bb) Dem genügen die Ausführungen der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht. Die Kläger haben noch nicht einmal --wie es erforderlich gewesen [X.] konkrete Rechtsfragen formuliert. Dem genügt insbesondere nicht, den Ausführungen "Abstrakte Rechtsfrage Nr. 1 - Benachteiligung der Arbeitnehmer", "Abstrakte Rechtsfrage Nr. 2 - Ist die Rechtsprechung zu Tätigkeitsstätten verfassungsfest?" und "Abstrakte Rechtsfrage Nr. 3 - Inflation und Facharbeiterbesteuerung" voranzustellen. Daran ändert auch nichts, wenn die Kläger im weiteren Verlauf fragen, "ob die Verfassung es nicht umgekehrt gebietet, Arbeitnehmer mit den Beziehern anderer Einkunftsarten gleichzustellen", "ob die Vorschrift des § 9 IV Satz 1 EStG wirklich derart raumfordernd auszulegen ist, wie es der [X.] ... getan hat" oder "kann es über den Steuertarif einen Ausgleich für die Mehrbelastung durch das 'neue Reisekostenrecht' geben". Den Klägern beziehungsweise vielmehr ihrem Prozessbevollmächtigten geht es nicht um die Klärung abstrakter Rechtsfragen im Sinne von § 115 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 [X.]O, sondern um eine in Fragen verpackte Kritik am geltenden Reisekostenrecht und der dazu ergangenen Rechtsprechung des beschließenden Senats.

3. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ab.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI B 74/22

11.08.2023

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 2. September 2022, Az: 4 K 209/21, Urteil

§ 52a Abs 4 S 1 Nr 2 FGO, § 52d FGO, § 116 Abs 3 S 1 FGO, § 116 Abs 3 S 4 FGO, § 86d Abs 1 StBerG, § 86d Abs 6 StBerG, § 157e StBerG, Art 19 Abs 4 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.08.2023, Az. VI B 74/22 (REWIS RS 2023, 5247)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5247

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 K 129/23 (FG Nürnberg)

Anfechtungsklage, Eintragung, Revision, Steuerberater, Frist, Gerichtsbescheid, Klage, Zeitpunkt, Anordnung, Nutzung, Wiedereinsetzung, Rechtsbehelf, Unwirksamkeit, Bekanntgabe, elektronisches …


6 K 177/23 (FG Nürnberg)

Unzulässigkeit der Klage wegen Einreichung des Klageschriftsatzes per Fax


6 V 357/23 (FG Nürnberg)

Vollziehung, Verfahren, Frist, Aussetzung, Steuerberater, Auskunft, Gutachten, Finanzgerichtsordnung, Nutzung, Zeitpunkt, Klage, Aufnahme, Stellungnahme, Hauptsache, Aussetzung …


VIII B 141/22 (Bundesfinanzhof)

Übermittlung elektronischer Dokumente durch Steuerberater ab dem 01.01.2023


IV B 77/22 (Bundesfinanzhof)

Nichtzulassungsbeschwerde - zu den Folgen einer unterlassenen elektronischen Übermittlung der Beschwerdebegründungsschrift


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.