Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.08.2010, Az. III R 80/07

3. Senat | REWIS RS 2010, 3797

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Gegenstand

Erlass von Zinsen auf die Rückforderung von Investitionszulage wegen geänderter zeitlicher Zuordnung - Sachliche Billigkeit


Leitsatz

NV: Wird ein Investitionszulagebescheid zuungunsten des Anspruchsberechtigten geändert und der Bescheid für das Folgejahr zu seinen Gunsten korrigiert, weil die Zulage --wegen einer durch die Muttergesellschaft geleisteten Anzahlung-- rechtsirrig teilweise für das Vorjahr beantragt wurde, so sind die Zinsen zu erlassen, soweit sie nach dem Zeitpunkt der Festsetzung der geminderten Zulage für das Folgejahr entstanden sind .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der am 19. Dezember 1990 gegründeten E-GmbH (GmbH).

2

Die Gesellschafterin der GmbH, die [X.] (AG), hatte im [X.] vor Gründung der GmbH zwei Kabinenschiffe bei einer Werft bestellt und hierauf [X.] angezahlt. Durch Vereinbarungen mit der AG vom Januar und April 1991 trat die GmbH rückwirkend in die Verträge der AG über den Bau dieser Kabinenschiffe ein. Die im [X.] angefallenen Kosten erstattete die GmbH der [X.] 1991.

3

Im September 1991 beantragte die GmbH für diese Kosten gemäß §§ 2 bis 5 des [X.] ([X.]) 1991 eine Investitionszulage von 12 % für im Wirtschaftsjahr 1990 geleistete Anzahlungen und entstandene Teilherstellungskosten. Mit Bescheid vom 11. Oktober 1991 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO--) antragsgemäß Investitionszulage für das [X.] in Höhe von [X.] zugunsten der GmbH fest und zahlte der GmbH diesen Betrag am 25. Oktober 1991 aus.

4

Nach Fertigstellung der beiden Schiffe im [X.] stellte die GmbH mehrere Anträge auf Investitionszulage für das [X.], wobei sie die Bemessungsgrundlage um die bereits im Bescheid für 1990 berücksichtigten Anzahlungen kürzte. Mit Bescheid vom 8. April 1992 setzte das [X.] erstmals die Investitionszulage für 1991 auf [X.] fest und erhöhte die Investitionszulage nach weiteren Anträgen der GmbH mit geändertem --weiterhin unter Nachprüfungsvorbehalt stehendem-- Bescheid vom 13. Juli 1992 auf [X.].

5

Nach einer Außenprüfung änderte das [X.] die Investitionszulagenbescheide für 1990 und 1991, weil die GmbH die Anzahlungen für die Schiffe nicht im [X.], sondern --durch Erstattung der Kosten an die [X.] erst im [X.] geleistet habe. Die Investitionszulage für 1990 wurde durch Änderungsbescheid vom 8. November 1994 auf 0 DM festgesetzt und der ausgezahlte Betrag von [X.] zurückgefordert. Im Gegenzug erweiterte das [X.] die bisherige Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage 1991 um die für 1990 geltend gemachten Anzahlungen und Teilherstellungskosten von [X.] abzüglich der darin enthaltenen Aufwendungen für geringwertige Wirtschaftsgüter von [X.]. Dadurch erhöhte sich in dem geänderten Investitionszulagenbescheid für 1991 vom 2. November 1994 die bisher festgesetzte Investitionszulage um [X.]. Im Änderungsbescheid war vermerkt, dass eine Aufrechnung mit dem geänderten Bescheid für 1990 erfolge. Der Rückforderungsbetrag für 1990 wurde dementsprechend mit dem Erhöhungsbetrag für 1991 verrechnet (Umbuchungsmitteilung vom 8. November 1994), den verbleibenden Rückforderungsbetrag von [X.] beglich die GmbH am 29. November 1994.

6

Zugleich mit dem geänderten Investitionszulagenbescheid für 1990 setzte das [X.] gemäß § 8 [X.] 1991 Zinsen für die Investitionszulage 1990 fest, die es in der Einspruchsentscheidung auf [X.] ermäßigte. Die gegen die [X.] erhobene Klage blieb erfolglos.

7

Ohne Erfolg blieb auch der Antrag der Klägerin, wegen sachlicher Unbilligkeit einen Teil der [X.] zu erlassen, da ihr im April 1992, dem Zeitpunkt der erstmaligen Festsetzung der Investitionszulage 1991, bei richtiger zeitlicher Zuordnung die für die Anzahlungen und Teilherstellungskosten zustehende Investitionszulage von [X.] zusammen mit der Investitionszulage für die übrigen Aufwendungen des Jahres 1991 ausgezahlt worden wäre. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

8

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Verpflichtungsklage auf Erlass der [X.] in Höhe von [X.] mit Urteil vom 15. Dezember 2005  3 K 474/04 ab. Es führte im Wesentlichen aus, sachliche Gründe für einen Billigkeitserlass lägen nicht vor. Die GmbH habe die zurückgeforderte Investitionszulage für das [X.] bis zur Verrechnung mit der geänderten Investitionszulage für 1991 geschuldet. Sie habe einen Liquiditätsvorteil erlangt, denn bevor die Investitionszulage 1991 um die ursprünglich für 1990 bewilligte Investitionszulage erhöht worden sei, habe sie mit [X.] gewirtschaftet, die ihr nicht zugestanden hätten. Der Umstand, dass dem [X.] bei ordnungsgemäßem Verhalten des Steuerpflichtigen kein Schaden und dem Steuerpflichtigen kein Liquiditätsvorteil entstanden wäre, rechtfertige keine Billigkeitsmaßnahme.

9

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 227 AO.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des [X.], den Ablehnungsbescheid vom 22. Mai 2003 sowie die Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2004 aufzuheben und das [X.] zu verpflichten, die Zinsen auf den Anspruch auf Rückforderung der Investitionszulage 1990 in Höhe von [X.] zu erlassen.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des [X.], der Einspruchsentscheidung und des Ablehnungsbescheids zur Verpflichtung des [X.], die [X.] in Höhe von … DM (… €) zu erlassen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Nach § 227 [X.] können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

a) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 [X.] (im Streitzeitraum Abs. 3) auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie Zinsen nach den §§ 233 bis 237 [X.]. Da für [X.] die für Steuervergütungen der [X.] geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, gilt § 227 [X.] auch für die nach § [X.] festzusetzenden Zinsen bei Rückforderung der Investitionszulage.

b) Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde, die gemäß § 102 [X.]O gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 [X.]O die Verpflichtung zum Erlass aussprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des [X.] --BFH-- vom 16. November 2005 [X.], [X.], 697; vom 11. Juli 1996 [X.], [X.], 524, [X.] 1997, 259, m.w.N.).

2. Entgegen der Auffassung des [X.] und des [X.] ist die Erhebung der Zinsen für den Anspruch auf Rückforderung der Investitionszulage für 1990 sachlich unbillig, soweit sie auf den Zeitraum nach der Auszahlung der erstmals festgesetzten Investitionszulage für 1991 am 8. April 1992 bis zur Verrechnung des Rückforderungsanspruchs mit der Erhöhung der Investitionszulage für 1991 im November 1994 entfallen.

a) Sachlich unbillig ist die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis vor allem dann, wenn sie im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (BFH-Urteil in [X.], 524, [X.] 1997, 259). Bei der sachlichen Billigkeitsprüfung müssen grundsätzlich solche Erwägungen unbeachtet bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Die Billigkeitsprüfung darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Andererseits darf sich eine Billigkeitsprüfung nicht in Überlegungen zur richtigen Rechtsanwendung erschöpfen (BFH-Urteil in [X.], 524, [X.] 1997, 259).

b) Wird ein [X.]bescheid aufgehoben oder zuungunsten des Anspruchsberechtigten geändert, ist der Rückzahlungsanspruch nach § 238 [X.] vom Tag der Auszahlung der Investitionszulage an zu verzinsen (§ [X.]). Da der [X.] keine Investitionszulage zustand, war die Festsetzung aufzuheben und die zu Unrecht festgesetzte Investitionszulage zurückzufordern. Der [X.] begann mit der Auszahlung der für 1990 zu Unrecht festgesetzten Zulage am 25. Oktober 1991 und endete am 8. November 1994, als die Rückforderung mit dem Anspruch der GmbH auf die nachträglich erhöhte Investitionszulage für 1991 verrechnet wurde.

c) Die Festsetzung der [X.] entspricht für den Zeitraum 8. April 1992 bis 8. November 1994 nicht dem Gesetzeszweck, soweit die GmbH für die dieselben Aufwendungen, für welche die Investitionszulage für 1990 festgesetzt und zurückgefordert worden war --die Anzahlungen auf zwei Schiffe--, einen Anspruch auf Investitionszulage für 1991 hat. Denn die Zinsregelung in § 8 Satz 1 InvZulG 1991 hat keinen Strafcharakter, sondern dient der Abschöpfung eines typischerweise entstandenen wirtschaftlichen Vorteils aus der Nutzung des Kapitals, das zu Unrecht als Zulage ausgezahlt wurde (vgl. [X.] vom 1. September 2008 [X.], [X.], 133; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Handbuch der Investitionsförderung, § [X.] Rz 2; [X.] in Heß/[X.], [X.]gesetz, § [X.] Rz 1, Rz 13).

d) Ein Erlass der Zinsen i.S. des § [X.] ist geboten, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige durch die zurückgeforderte Investitionszulage keinen Vorteil erlangt hat (vgl. [X.] vom 28. Juli 2009 [X.]/09, [X.], 5, zu § 233a [X.]). Im Streitfall hatte die GmbH von der erstmaligen Festsetzung und Auszahlung der Investitionszulage für 1991 an keinen Liquiditätsvorteil mehr aus der zu Unrecht am 25. Oktober 1991 für das [X.] ausgezahlten Investitionszulage.

aa) Für die der AG erstatteten Kosten, soweit sie nicht geringwertige Wirtschaftsgüter betrafen, stand der GmbH eine Investitionszulage für 1991 in Höhe von 12 % zu. Denn die von der AG im [X.] geleisteten Anzahlungen auf ihre Verträge mit der Werft sind der GmbH trotz des zivilrechtlich rückwirkenden Eintritts zulagenrechtlich erst mit der Erstattung dieser Kosten zuzurechnen, ihr Anspruch auf Investitionszulage entstand mithin erst mit Ablauf des Jahres 1991. Bei zutreffender Antragstellung wäre der GmbH die Investitionszulage für diese Anzahlungen zusammen mit der Investitionszulage für die weiteren im [X.] entstandenen Kosten am 8. April 1992 festgesetzt und ausgezahlt worden; die auf der rechtsirrtümlichen Antragstellung beruhende Zulage für 1990 wäre zugleich auf Null herabgesetzt worden.

Nur weil trotz Einreichung der betreffenden Unterlagen mit dem Antrag auf Investitionszulage die falsche zeitliche Zuordnung der Kosten erst bei der [X.] auffiel, verzögerte sich die Änderung der [X.]bescheide für 1990 und 1991 und die Verrechnung des [X.] für 1991 mit dem Rückforderungsbetrag für 1990 um mehr als zwei Jahre. Durch diese Verzögerung hat die GmbH aber keinen Liquiditätsvorteil erlangt, da ihr die Investitionszulage materiell-rechtlich mit Ablauf des Kalenderjahres 1991 zustand und im April 1992 alle Voraussetzungen für eine Festsetzung gegeben waren.

bb) Die Zinsen sind nach § [X.] dagegen so entstanden, als hätte die GmbH von April 1992 bis November 1994 einen Liquiditätsvorteil gehabt. Dies wäre aber nur dann der Fall gewesen, wenn sie nicht nur --wie geschehen-- im Oktober 1991 zu Unrecht eine Investitionszulage für 1990 auf die Anzahlungen erhalten hätte, sondern außerdem noch im April 1992 die ihr materiell zustehende ungekürzte Zulage für 1991. Eine derartige "doppelte Zulagengewährung" auf die Anzahlungen hat aber nicht stattgefunden, sie hätte nach der Außenprüfung zu einer Rückforderung der Zulage für 1990 geführt, ohne dass die Möglichkeit einer Verrechnung mit der Erhöhung der Zulage für 1991 bestanden hätte.

cc) Bei der Prüfung, ob ein Erlass mangels Liquiditätsvorteils geboten ist, sind nach dem BFH-Urteil vom 24. Februar 2005 [X.]/03 ([X.] 2005, 1220) grundsätzlich keine fiktiven Sachverhalte zu berücksichtigen. Dies betrifft aber nicht Fälle, in denen --wie im [X.] die Rückforderung der Investitionszulage und deren Gewährung für das Folgejahr zusammenhängen. Als das [X.] erkannte, dass die GmbH wegen der Zahlung erst im [X.] keinen Anspruch auf Investitionszulage für das [X.] hatte, stand bereits fest, dass für die geltend gemachten Aufwendungen eine Investitionszulage für das [X.] zu gewähren war. Mit Aufhebung der Festsetzung für 1990 war zugleich die Investitionszulage für 1991 zu erhöhen.

Meta

III R 80/07

26.08.2010

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 15. Dezember 2005, Az: 3 K 474/04, Urteil

§ 227 AO, § 238 AO, § 8 InvZulG 1991, § 101 S 1 FGO, § 102 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.08.2010, Az. III R 80/07 (REWIS RS 2010, 3797)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3797

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