Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.11.2017, Az. 1 VR 9/17

1. Senat | REWIS RS 2017, 2584

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Gegenstand

Zusicherung zur Überprüfung von Haftbedingungen


Gründe

1

Der Antrag der Behörde auf Änderung des Beschlusses des [X.] vom 19. September 2017 - 1 VR 7.17 - im Wege einer Abänderung nach § 80 Abs. 7 VwGO hat mit seinem sachlichen Begehren nur teilweise Erfolg. Mit dieser Entscheidung hat der [X.] den Antrag des Antragsgegners auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Antragstellers vom 27. Juni 2017 mit der Maßgabe abgelehnt, dass der Antragsgegner erst nach Erlangung einer Zusicherung einer [X.] [X.] abgeschoben werden darf, die sich auf zwei Gegenstände erstreckt: Zum einen soll zugesichert werden, dass die Haftbedingungen des Antragsgegners im Falle seiner Inhaftierung den [X.] Mindeststandards entsprechen (1. Spiegelstrich). Zum zweiten soll zugesichert werden, dass Besuche durch diplomatische oder konsularische Vertreter der [X.] beim Antragsgegner im Fall seiner Inhaftierung während deren Dauer - auch unangekündigt - möglich sind (2. Spiegelstrich).

2

Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter Umstände beantragen. Der Antragsteller beantragt die Streichung des zweiten Spiegelstrichs der Zusicherung betreffend die Besuche in der Haftanstalt, weil er die Forderung einer Überprüfungsmöglichkeit der Haftbedingungen eines [X.] Staatsangehörigen durch [X.] Konsular- oder Botschaftspersonal für völkerrechtswidrig hält und die Zusicherung daher auf einen rechtlich unmöglichen Gegenstand gerichtet sei. Zudem geht er davon aus, dass aufgrund der vom [X.] erstmals geforderten Zusicherung dieses Inhalts eine Änderung der Rechtslage vorliege und damit der Weg für eine Abänderung nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eröffnet sei. Es kann dahinstehen, ob dies bereits eine Abänderungsmöglichkeit eröffnet. Denn gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit von Amts wegen ändern oder aufheben. Insoweit ist der Antrag des Antragstellers gleichzeitig als Anregung an das Gericht zu verstehen, den Beschluss des [X.]s vom 19. September 2017 von Amts wegen zu ändern.

3

Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene Entscheidung richtig ist; es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage eine andere Entscheidung bezüglich der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2017 - 1 VR 6.17 - juris Rn. 3). Dies ist nur teilweise der Fall.

4

1. Es trifft nicht zu, dass der Zusicherung einer Überprüfung von Haftbedingungen in ausländischen Haftanstalten durch [X.] Botschafts- oder Konsularpersonal dem [X.] Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 ([X.] 1969 II S. 1585) widerspricht. Nach dessen Art. 36 wird völkerrechtlich zwar nur das Recht der Konsularbeamten garantiert, eigene Staatsangehörige aufzusuchen, die sich in fremder Haft befinden. Das Völkerrecht steht jedoch einer freiwilligen, im Wege der Zusicherung eingegangenen Verpflichtung eines Vertragsstaats des [X.] Übereinkommens nicht entgegen, [X.] Beamten Besuche auch bei einem inhaftierten ausländischen Staatsangehörigen zu ermöglichen, den [X.] in diesen Staat abgeschoben hat.

5

Allerdings berücksichtigt der [X.] die im Rahmen des Abänderungsverfahrens eingeholte Auskunft des [X.] vom 17. Oktober 2017, wonach dieses davon ausgeht, dass von der [X.] "eine solche Zusicherung nicht gewährt werden wird". Der [X.] zieht daraus jedoch nicht die Konsequenz, auf die Zusicherung einer Möglichkeit zur Überprüfung der Haftbedingungen zu verzichten, wie das der Antragsteller beantragt hat. Vielmehr ersetzt er die nicht zu erlangende Überprüfungsmöglichkeit des [X.] Botschafts- und Konsularpersonals durch eine Überprüfung mit Hilfe eines vom Antragsgegner für den Fall einer Inhaftierung zu wählenden [X.]. Diesem ist der Besuch des Antragsgegners in der Haftanstalt zu ermöglichen, falls der Antragsgegner inhaftiert werden sollte. Im Rahmen solcher Besuche kann der Antragsgegner dem Anwalt Mängel der Haftbedingungen mitteilen, der dann die gebotenen Abhilfemaßnahmen beantragen und entsprechende Rechtsbehelfe einlegen kann. Hierzu ist nicht erforderlich, dass der Anwalt Zugang zu dem Haftraum seines Mandanten erhält. Die vom Rechtsbeistand auf der Grundlage der [X.], die auch Angaben über den dem Antragsgegner zur Verfügung stehenden persönlichen Bereich in seinem Haftraum umfasst, können nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs auch Beschwerden und Anträge auf einstweilige Anordnungen an den [X.] umfassen. Der Rechtsbeistand kann aber insbesondere auch die [X.] Botschaft in der [X.] unterrichten. Diese kann dann bei den verantwortlichen [X.] Stellen die Einhaltung der Zusicherung zu den Haftbedingungen einfordern. Dies stellt unter den gegebenen Umständen eine hinreichende Kontrolle der Haftbedingungen sicher.

6

Dessen ungeachtet sieht der [X.] auch keine Institution des [X.], zu deren Aufgabenbereich die Überprüfung der Haftbedingungen im Einzelfall zählt. Das "[X.] oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" ([X.]) ist zwar ein zur Berichterstattung über die Einhaltung der Menschenrechte - auch in der Haft - geschaffenes Gremium des [X.] (Art. 1 Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26. November 1987, [X.] [X.]), sein Mandat zielt jedoch nicht auf den Individualrechtsschutz. Wegen des Fehlens einer individualrechtsschützenden Aufgabe hat der [X.] davon abgesehen, das Komitee zusätzlich zum Rechtsbeistand in die Zusicherung der Überprüfung der Haftbedingungen einzubeziehen.

7

2. Der [X.] stellt zum Inhalt der nach Spiegelstrich 1 geforderten Zusicherung, dass die Gestaltung der Haftbedingungen den [X.] Mindeststandards entsprechen müssen, folgendes klar: Die [X.] Mindeststandards ergeben sich in einer auch für die [X.] als [X.] verbindlichen Weise insbesondere aus dem Urteil der Großen Kammer des [X.] vom 20. Oktober 2016 - Nr. 7334/13, [X.]/[X.]. Sie beziehen sich neben einer bestimmten persönlichen Mindestfläche für jeden Häftling im Haftraum insbesondere auf die vorhandenen Tageslichtverhältnisse, die vorhandenen Sanitärzellen, das Niveau der Beleuchtung, der Heizung, der Lüftung, der medizinischen Versorgung und der Ernährung der Häftlinge ([X.], Urteil vom 20. Oktober 2016, Rn. 114, 136 - 141). Eine weitere Präzisierung des Inhalts der "[X.] Mindeststandards" in Bezug auf eine bestimmte Haftanstalt im [X.] war dem [X.] nicht möglich. Denn im vorliegenden Verfahren steht - anders als in [X.] - nicht fest, ob der Ausländer inhaftiert wird und - wenn ja - in welcher Haftanstalt (zum Erfordernis möglichst präziser Zusicherung vgl. [X.], Nichtannahmebeschluss vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - NVwZ 2017, 1526 Rn. 50).

8

3. Da der [X.] das Begehren des Antragstellers der Sache nach nur teilweise aufgegriffen hat, war der Antrag im Übrigen, also betreffend die komplette Streichung des 2. Spiegelstrichs, abzulehnen.

9

4. [X.] folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und entspricht dem teilweisen Obsiegen und Unterliegen des Antragstellers. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Meta

1 VR 9/17

09.11.2017

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: VR

Art 1 EuFoltÜbk, Art 10 EuFoltÜbk, Art 11 EuFoltÜbk, Art 36 KonsÜbk Wien

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.11.2017, Az. 1 VR 9/17 (REWIS RS 2017, 2584)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2584

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2 BvR 1487/17

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