Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.06.2014, Az. 2 StR 117/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 4935

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 117/14
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-

Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof Dr. [X.],

[X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
[X.],
[X.] am [X.]
Zeng,

[X.] beim [X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenklägerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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-

Auf
die Revision
der Nebenklägerin wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2013
mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels
sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das
[X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit ihrer
Revision beanstandet die Nebenklägerin, dass eine Verurteilung wegen versuchten Mordes unterblieben ist. Die vom Generalbun-desanwalt vertretene Revision hat Erfolg.

I.
1. Der heute 56-jährige Angeklagte
und die später geschädigte
Zeugin M.

bezogen im Jahr 2008 eine gemeinsame Wohnung. Nachdem der Ange-klagte wiederholt Kontakte
zu anderen Frauen unterhalten
und zuletzt ein Wo-chenende mit seiner Arbeitskollegin S.

verbracht
hatte, warf ihn die Zeugin M.

im Juli
2012 aus der Wohnung. Nach wenigen Tagen nahm sie ihn je-1
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doch wieder auf, allerdings mit der Maßgabe, sich schnellstmöglichst eine an-dere Unterkunft zu suchen. Da der Angeklagte keine entsprechenden [X.] entfaltete, verwies sie ihn im August 2012 endgültig aus der ehemals gemeinsamen Wohnung. Gleichwohl unterhielten beide fortan ein freundschaft-liches Verhältnis. Der Angeklagte nutzte weiterhin die zur Wohnung der Zeugin gehörende Garage, und beide tranken mehrmals die Woche gemeinsam [X.].

Am Tattag, den 7. Februar 2013, war der Angeklagte dazu entschlossen, sich umzubringen. Schon Tage zuvor hatte er Vorbereitungen wegen der Auflö-sung seines Haushalts getroffen. Nach Beendigung seiner Arbeit als Paketzu-steller fuhr er zur Wohnung der Zeugin M.

und hielt sich dort zunächst in der Garage auf. Er trug noch immer seine Arbeitskleidung, in der sich seine übli-chen Arbeitsutensilien, u.a. ein [X.] und ein Cuttermesser,
befanden. Gegen 17.00
Uhr erschien die Geschädigte. Beide gingen ins Haus, tranken im Wohnzimmer gemeinsam einen Kaffee
und unterhielten sich über alltägliche Dinge. Schließlich bat die Zeugin
den
Angeklagten
zu gehen, weil sie sich [X.] wollte. Der Angeklagte verließ daraufhin das Wohnzimmer,
und die Ge-schädigte begleitete ihn -
hinter ihm hergehend -
zur
Tür. Einer von beiden be-tätigte beim
Betreten des Flurs den Lichtschalter, der jedoch regelmäßig nur verzögert die Deckenbeleuchtung im Flur auslöste. Als der Angeklagte etwa die Mitte des Flurs erreicht hatte, der zu diesem [X.]punkt nur durch das aus dem Wohnzimmer einfallende Licht beleuchtet war, zog er,
einem spontanen Ent-schluss folgend, hervorgerufen durch den erneuten Verweis aus der ehemals gemeinsamen Wohnung, für die Geschädigte nicht sichtbar,
den [X.] aus seiner Arbeitsweste, drehte sich um und schlug ihr damit wortlos
auf den [X.]. Die Geschädigte wurde von dem plötzlichen Angriff überrascht und konn-te zunächst nicht abwehrend reagieren. Nach weiteren Schlägen auf den [X.] 3

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ging sie zu Boden. Der Angeklagte kniete sich auf die Geschädigte, würgte sie
und drückte ihr mit einem Knie auf die Kehle. Anschließend schnitt er ihr mit dem Cuttermesser mehrmals in den Hals sowie in den [X.]. Es gelang der [X.]
indes, den Angeklagten wegzustoßen und in das
Wohnzimmer zu flüchten. Der Angeklagte folgte ihr, setzte sich erneut auf sie
und schlug mit dem Scanner solange auf die Geschädigte ein, bis diese das Bewusstsein ver-lor.
Der Angeklagte verließ die Wohnung um 18.15 Uhr
und schrieb in der Folgezeit per E-Mail sowohl an seine Arbeitskollegin
S.

wie an seine Che-fin
jeweils einen Abschiedsbrief. Anschließend traf er sich mit der
Zeugin S.

. Er händigte ihre einige seiner Arbeitsutensilien aus und fuhr anschlie-ßend gegen 19.50 Uhr in suizidaler
Absicht gegen einen Brückenpfeiler. Er überlebte
schwer verletzt.
Die Geschädigte erlitt lebensgefährliche Verletzungen, musste mehrfach operiert werden und befand sich rund ein halbes Jahr lang in stationärer [X.]. Sie leidet bis heute an Depressionen und Angstzuständen sowie an ständigen [X.]schmerzen, einem Druckgefühl
im [X.]
sowie einer linksseitigen Zungenlähmung verbunden mit Sprach-
und Essstörungen. Zwei ihrer Finger sind taub und ihr rechter Arm ist nur eingeschränkt
funktionsfähig.
Die
Geschä-digte ist nur drei Stunden täglich körperlich belastbar
und bis auf weiteres
ar-beitsunfähig.
2. Das [X.] hat die Tat als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung gewertet. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Heimtückemords hat es verneint. Zwar habe sich das Tatopfer keines Angriffs des Angeklagten versehen und sei infolgedessen arg-
und wehrlos ge-4
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wesen. Der Angeklagte habe
die Arg-
und Wehrlosigkeit seines Opfers aber nicht bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt.
II.
1. Die Erwägungen
des [X.]s, mit denen es ein Ausnutzungsbe-wusstsein des Angeklagten verneint hat, sind nicht frei von [X.].
a) Schon die Ausgangsüberlegung
des [X.]s, es spreche gegen ein [X.] des Angeklagten, dass er die Geschädigte nicht in ihre Arg-
und Wehrlosigkeit nicht gezielt herbeige-führt
habe, ist rechtsfehlerhaft. Für das bewusste Ausnutzen von Arg-
und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überra-schen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter die Arglosigkeit herbei-führt oder bestärkt (vgl. [X.],
Urteil vom 10. März 2006 -
2 [X.], [X.], 338, 339);
worauf die Arglosigkeit des Angegriffenen beruht,
ist ohne Be-lang (vgl. [X.],
Urteil vom 18. Oktober 2007 -
3 [X.], [X.], 93, 94).
b) Die Urteilsgründe werden
aber auch den Anforderungen an eine lü-ckenlose und widerspruchsfreie Beweiswürdigung nicht gerecht.
Soweit darauf abgestellt
wird, der Angeklagte habe, weil
er vorausge-gangen sei, die Verhältnisse hinter sich -
insbesondere den Abstand zur [X.] und deren
Möglichkeiten abwehrend
zu reagieren bzw. auszuwei-chen -
gar nicht beobachten und in sein Bewusstsein aufnehmen können,
hat
das [X.] erkennbar nicht bedacht, dass es sich um einen lediglich zwei Meter langen und einen Meter breiten Flur handelte, auf dessen Seite zudem eine Kommode stand.
Auch war
der Angeklagte zum [X.]punkt des ersten An-7
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-

griffs auf die Geschädigte erst in der Mitte des Flurs angelangt.
Weshalb es für das [X.] des Angeklagten von Belang sein sollte, dass er
-
worauf das [X.] ergänzend abgestellt hat -
sich nicht sicher sein konn-te, den ersten Angriff gegen die Geschädigte noch bei fehlender
Deckenbe-leuchtung im Flur führen zu können, erschließt sich nicht.
Auch die Spontanität
des Tatentschlusses
sowie die affektive Erregung des Angeklagten
sprechen entgegen der Annahme des [X.]s nicht ohne Weiteres
gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg-
und Wehrlosigkeit der [X.]. Zwar kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des [X.] ein Beweisanzeichen dafür sein, dass dem Täter das [X.] fehlte ([X.] Beschluss vom 29. November 2011 -
3 [X.], [X.], 270, 271; Urteil vom 20. Januar 2005 -
4 [X.], [X.], 691, 692).
Maßgeblich sind aber die
in der [X.] bestehenden tatsächlichen Auswir-kungen des psychischen
Zustands des [X.] auf seine Erkenntnisfähigkeit.
Die insoweit erforderlichen Erwägungen
sind dem angefochtenen Urteil in seinem
Gesamtzusammenhang schon nicht widerspruchsfrei zu entnehmen. Während das [X.] bei Prüfung der subjektiven Seite des Heimtü-ckemords davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe auf Grund seiner affek-tiven Erregung und seiner Persönlichkeit in der [X.] zwischen dem spontanen Tatentschluss und der Durchführung der Tat nicht in sein
Bewusstsein aufneh-men können, dass er die Arg-
und Wehrlosigkeit der Geschädigten ausnutzen werde, hat es bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten eine
entsprechende Einengung des Bewusstseins und insbesondere Einengung sei-nes Wahrnehmungsfeldes
nicht
feststellen können. Es ist vielmehr von einer für ein vergleichbares
Gewaltdelikt typischen und im normal-psychologischen Bereich liegenden affektiven
Erregung des Angeklagten
ausgegangen.

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Der Senat
kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei [X.] Beweiswürdigung zu einer Verurteilung wegen Heimtückemords
ge-kommen wäre. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch,
soweit der [X.] verurteilt worden ist.
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Im Übrigen weist der Senat noch auf Folgendes hin:
Bedenklich sind, was entsprechend §§ 301, 401 Abs. 3 Satz 1 StPO
zu-gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen ist
(vgl. [X.], Urteil vom 22. Okto-ber 1986
-
3
StR 377/86; Beschluss vom 21. Februar
2013
-
3
StR 496/12), die Ausführungen des [X.]s zur Anwendung des § 21 StGB. Das Gericht hat eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit und insbesondere das Vorliegen eines schuldrelevanten Affekts ausgeschlossen. Dabei hat es zwar [X.] Aggressionen aufgebaut hatten
und dass es im Tatzeitpunkt nach dem nunmehr dritten [X.] zu einer Umkehr dieser aggressiven [X.] gekommen war. Nicht bedacht hat es aber, dass der Angeklagte zu diesem 13
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-

[X.]punkt gleichwohl dazu entschlossen war, auch sich selbst zu töten, was zu-dem den Schluss nahe legt, dass er sich in
einer psychischen Ausnahmesitua-tion befunden hat.

[X.] [X.] Eschelbach

Ott Zeng

Meta

2 StR 117/14

11.06.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.06.2014, Az. 2 StR 117/14 (REWIS RS 2014, 4935)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4935

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2 StR 117/14

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