2. Kammer | REWIS RS 2023, 1042
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1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Diese trägt die Beigeladene selbst.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Die Anträge,
1. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in einem Hauptverfahren aufzugeben, den Vollzug des Ratsbeschlusses vom 22. Februar 2022 auszusetzen und insbesondere zu untersagen, mit Maßnahmen zum Bau einer Klärschlammvererdungsanlage im Bereich des Wasserschutzgebietes F. zu beginnen,
2. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, unverzüglich eine Kostenschätzung inklusive möglicher Rückbaukosten zu erstellen und bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens "Keine Experimente mit unserem Trinkwasser!" festzustellen,
haben keinen Erfolg.
Soweit der Antragsteller mit seinem Antrag zu 2. begehrt, „der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, unverzüglich eine Kostenschätzung inklusiver möglicher Rückbaukosten zu erstellen“, ist der Antrag mangels Rechtschutzinteresses bereits unzulässig. Der Antragsteller hat insoweit bereits nicht substantiiert dargelegt, dass zu befürchten ist, dass die Antragsgegnerin eine entsprechende Kostenschätzung nicht unverzüglich vornehmen wird. Die Antragsgegnerin hatte dem Antragsteller vielmehr mit Schreiben vom 09.03.2023 mitgeteilt, dass eine Kostenschätzung noch nicht abschließend erstellt worden sei. Es werde um Rückmeldung gebeten, ob diese trotz ihrer rechtlichen Einschätzung, wonach das beabsichtigte Bürgerbegehren unzulässig sei dürfte, fertig gestellt werden soll. Hierauf hat sich der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin nicht geäußert, sondern stattdessen den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Mit ihrer Antragserwiderung vom 14.03.2023 hat die Antragsgegnerin insoweit klargestellt, dass die Kostenschätzung „spätestens bis zum Ende der Woche“ erarbeitet und dem Antragsteller sodann mitgeteilt werde.
Im Übrigen sind der Antrag zu 1. und der Antrag zu 2. jedenfalls unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnungen liegen nicht vor.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann das Gericht einstweilige Anordnungen in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der zu Grunde liegende materielle Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht sind, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 294, 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Der Antragsteller hat hinsichtlich seines Antrags zu 1. bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers folgt insoweit nicht aus § 26 Abs. 6 Satz 7 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen – GO NRW –. Danach darf, wenn die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt ist, bis zur Feststellung des Ergebnisses des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht mehr getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu bestanden (Sperrwirkung des zulässigen Bürgerbegehrens).
Hier fehlt es ersichtlich an einer die Sperrwirkung des Bürgerbegehrens auslösenden Zulässigkeitsfeststellung des Rates. Bei einem noch nicht gemäß § 26 Abs. 6 Satz 1 GO NRW für zulässig erklärten Bürgerbegehren besteht weder für den Rat noch für andere Organe eine „Entscheidungssperre“, wenn parallel ein denselben Sachverhalt betreffendes Verfahren zur Herbeiführung eines Bürgerbegehrens bzw. Bürgerentscheids betrieben wird. Das repräsentativ-demokratische System ist durch die Einführung des Bürgerentscheids als Element der unmittelbaren Demokratie ergänzt, nicht aber überlagert worden. Die beiden Entscheidungsformen sind gleichwertig, sodass ein Sicherungsanspruch zugunsten des Bürgerbegehrens – abgesehen vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 Abs. 6 Satz 7 GO NRW – selbst dann grundsätzlich nicht besteht, wenn im Einzelfall eine Entscheidung der Gemeinde dadurch einen faktischen Vorrang erhält, dass diese Entscheidung wegen der Schwerfälligkeit des Verfahrens zur Herbeiführung eines Bürgerentscheides schon vor dessen Abschluss in die Tat umgesetzt werden kann.
So ausdrücklich: OVG NRW, Beschlüsse vom 06.12.2007 – 15 B 1744/07 –, juris, Rn. 34 und vom 19.03.2004 – 15 B 522/04 –, juris, Rn. 33 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2015 – 1 L 891/15 –, juris, Rn. 11.
Auch im Übrigen kann der Antragsteller aus dem Bürgerbegehren keinen Anordnungsanspruch ableiten. Soweit diesbezüglich der Antrag zu 2. eine Verpflichtung zur Feststellung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens beinhaltet, die in die Sperrwirkung des § 26 Abs. 6 Satz 7 GO NRW münden könnte, wäre diese im Wege der einstweiligen Anordnung nur dann zu bejahen, wenn die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens überwiegend wahrscheinlich und eine gegenteilige Entscheidung im Hauptsacheverfahren praktisch ausgeschlossen ist.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.04.2017 – 15 B 479/17 –, juris, Rn. 17f. m.w.N.
Der Antragsteller hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass eine andere Entscheidung als die Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens praktisch ausgeschlossen ist. So ist bereits unklar, ob das von dem Antragsteller beabsichtigte und bisher lediglich im Entwurfsstadium vorliegende Bürgerbegehren von der nach § 26 Abs. 4 Satz 1 GO NRW erforderlichen Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern der Antragsgegnerin unterzeichnet werden wird.
Vgl. hierzu: OVG NRW, Beschluss vom 24.04.2017 – 15 B 479/17 –, juris, Rn. 21; VG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2015 – 1 L 891/15 –, juris, Rn. 11.
Der von dem Antragsteller eingereichten Petition kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Die Antragsgegnerin ist daher nicht verpflichtet, den Ausgang des Petitionsverfahrens abzuwarten und die weitere Behandlung der Angelegenheit zurückzustellen. Ein Recht des Antragstellers, das mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gesichert werden könnte, besteht daher insoweit nicht.
Soweit der Antragsteller angekündigt hat, dass gegen die Genehmigung der Bezirksregierung E. Klage „geboten“ sei, folgt hieraus in dem vorliegenden, gegen die Antragsgegnerin gerichteten Verfahren keine abweichende Beurteilung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, dem Antragsteller die Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
Meta
15.03.2023
Verwaltungsgericht Minden 2. Kammer
Beschluss
Sachgebiet: L
Zitiervorschlag: Verwaltungsgericht Minden, Beschluss vom 15.03.2023, Az. 2 L 231/23 (REWIS RS 2023, 1042)
Papierfundstellen: REWIS RS 2023, 1042
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
15 L 238/21 (Verwaltungsgericht Gelsenkirchen)
RO 3 E 21.1124 (VG Regensburg)
Ratsbegehren, Bürgerbegehren ohne erforderliche Zahl an Unterschriften
1 L 519/22 (Verwaltungsgericht Münster)
vorläufiger Rechtsschutz gegen ein konkurrierendes Ratsbegehren, hinreichende Bestimmtheit des Ratsbegehrens, Sachlichkeitsgebot
Unzulässiges Bürgerbegehren
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