Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.11.2022, Az. XI R 38/20

11. Senat | REWIS RS 2022, 8731

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Gegenstand

(Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 09.11.2022  XI R 31/19 - Zur umsatzsteuerlichen Lieferung von Wärme eines Blockheizkraftwerks)


Leitsatz

NV: Müssen aufgrund einer unentgeltlichen Abgabe von Wärme aus einem Blockheizkraftwerk die Selbstkosten auf den Strom und die Wärme aufgeteilt werden, hat die Aufteilung im Regelfall nicht nach der erzeugten Menge an elektrischer und thermischer Energie (in kWh), sondern nach tatsächlichen oder ggf. fiktiven Umsätzen (Marktwerten) zu erfolgen (Anschluss an die BFH-Urteile vom 25.11.2021 - V R 45/20, BFHE 275, 392; vom 15.03.2022 - V R 34/20, BFH/NV 2022, 1013; entgegen Abschn. 2.5 Abs. 22 Satz 6 UStAE).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 24.11.2020 - 4 K 3/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die umsatzsteuerliche Behandlung der unentgeltlichen [X.]bgabe von Wärme an die beiden Gesellschafter der Klägerin und [X.] (Klägerin) in den Jahren 2008 bis 2013 (Streitjahre).

2

Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 15.07.2003 errichtete KG, deren Zweck die Errichtung und der Betrieb einer Biogasanlage ist. Komplementär der Klägerin ist [X.], Kommanditist ist [X.] Die Klägerin produziert außerdem mittels eines an die Biogasanlage angeschlossenen Blockheizkraftwerks (BHKW) Strom und Wärme. Der im BHKW erzeugte Strom wird entgeltlich an den Netzbetreiber geliefert. Die Klägerin erhielt in den Streitjahren vom Netzbetreiber neben dem Entgelt für den gelieferten Strom den [X.] in Höhe von 0,02 €/kWh für die im BHKW produzierte Nutzwärme.

3

Zur Nutzung der im BHKW produzierten Wärme schloss die Klägerin am 11.10.2006 mit der E-GmbH einen Wärmeabnahmevertrag über die Lieferung von Wärme für Raumheizung und Warmwasser für die an das Wärmenetz angeschlossenen Gebäude zum Preis von 0,03 €/kWh (netto). Der [X.] der Gebäude der E-GmbH an das Wärmenetz erfolgte durch eine im Jahr 2006 errichtete Fernwärmeleitung.

4

[X.]ußerdem wurde ab dem Streitjahr 2012 auf der Grundlage eines Versorgungsvertrags durch eine im Jahre 2011 gegründete [X.] der Klägerin, die von der Klägerin über eine Leitung Gas bezog, Wärme an die G-GmbH geliefert. Der Umfang der Wärmelieferung belief sich in den Streitjahren 2012 und 2013 auf ca. 1,6 Mio. kWh pro Jahr. Für die ersten 400 000 kWh wurde ein Preis von 0,0275 €/kWh bzw. 0,0294 €/kWh (jeweils netto) in Rechnung gestellt.

5

Die im BHKW der Klägerin produzierte Wärme wurde in den Streitjahren ferner in den landwirtschaftlichen Betrieben und in den Privathäusern der Gesellschafter [X.] und [X.] sowie in den Vermietungsobjekten von [X.] eingesetzt. Der Umfang der Wärmeabgabe an die Gesellschafter belief sich nach einer zwischen den Beteiligten für die Streitjahre 2009 bis 2011 abgeschlossenen tatsächlichen Verständigung vom 20.07.2015, deren Übertragung auf die Streitjahre 2008, 2012 und 2013 zwischen den Beteiligten unstreitig ist, bei [X.] in allen Streitjahren auf 301 150 kWh und bei [X.] auf 288 950 kWh (2008/2009) bzw. 370 370 kWh (2010 bis 2013).

6

Die Wärmeabgabe an die Gesellschafter erfolgte in den Streitjahren nicht gegen gesonderte Rechnung entsprechend der für den Kommanditisten in § 3 Nr. 5 des Gesellschaftsvertrags enthaltenen Regelung. [X.]b dem Streitjahr 2010 (erstmals im Jahresabschluss auf den 30.09.2010) wurde für die Wärmeabgabe eine Belastung des [X.] bei [X.] und ab dem Streitjahr 2011 auch bei [X.] vorgenommen.

7

[X.] und [X.] verfügten in den Streitjahren über eigene Ölheizungsanlagen, die jedoch nicht betrieben wurden. Ein [X.] an die örtliche Erdgasleitung wäre jederzeit mit einem finanziellen [X.]ufwand von 5.000 € bis 6.000 €, in dem die [X.]nschaffung eines neuen Brenners eingeschlossen ist, möglich gewesen.

8

Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten [X.]ußenprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Wärmeabgabe an die Gesellschafter als unentgeltliche [X.] anzusehen sei. Die Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen [X.] sei aufgrund des Fehlens eines Marktpreises unter Berücksichtigung des Urteils des [X.] ([X.]) vom 12.12.2012 - XI R 3/10 ([X.]E 239, 377, [X.], 809) und des Schreibens des [X.] vom 19.09.2014 (BStBl I 2014, 1287) durch [X.]nsatz des fiktiven Einkaufspreises zu ermitteln, da die Gesellschafter der Klägerin die Wärme ohne erheblichen [X.]ufwand auch alternativ mit eigenen Heizungsanlagen hätten erzeugen können. Der fiktive Einkaufspreis sei auf Grundlage der Heizölpreise aus den vom [X.] veröffentlichten Energiedaten zu berechnen und belaufe sich in den Streitjahren auf 0,0617 €/kWh (2008), 0,0408 €/kWh (2009), 0,0524 €/kWh (2010), 0,0665 €/kWh (2011), 0,0730 €/kWh (2012) und 0,0679 €/kWh (2013).

9

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --F[X.]--) schloss sich den Feststellungen des Prüfers an und erließ am 02.09.2015 Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2008 bis 2013, in denen er die Wärmeabgabe an die Gesellschafter als unentgeltliche [X.] für Lieferungen zum Regelsteuersatz in Höhe von 36.432 € (2008), 24.064 € (2009), 33.938 € (2010), 36.045 € (2011), 40.382 € (2012) und 33.800 € (2013) ansetzte. Für die Streitjahre 2010 bis 2013 übernahm das F[X.] zudem die von der Klägerin im Rahmen der unentgeltlichen [X.]n für sonstige Leistungen angemeldeten Beträge aus der Belastung der Kapitalkonten in Höhe von 1.125 € (2010), 8.625 € (2011/2012) und 12.616 € (2013).

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das F[X.] mit Einspruchsentscheidung vom 15.12.2015 als unbegründet zurück.

Der dagegen erhobenen Klage gab das [X.] ([X.]) mit Urteil vom [X.] - 4 K 3/16 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 872) teilweise statt. Soweit das F[X.] die Bemessungsgrundlage für die Wärmeabgabe an die Gesellschafter der Klägerin mit einem höheren Betrag als 0,03 €/kWh ermittelt habe, sei die Klage begründet. Die von der Klägerin im BHKW produzierte Wärme habe in den Streitjahren einen Marktpreis gehabt. Dessen Wert von 0,03 €/kWh leite sich aus der Wärmelieferung an die E-GmbH und an die G-GmbH ab.

Mit der Revision rügt das F[X.] die Verletzung formellen und materiellen Rechts. So sei das [X.] von einem fehlerhaften Sachverhalt ausgegangen. Die Klägerin habe ab dem Besteuerungszeitraum 2012 nicht selbst Wärme an eine zweite [X.]bnehmerin geliefert, sondern nur Gas an eine Schwestergesellschaft, die wiederum selbst mit einem von der Klägerin zur Verfügung gestellten/verpachteten BHKW an die G-GmbH Wärme geliefert habe. Das [X.] habe des Weiteren rechtsfehlerhaft die Bemessungsgrundlage des § 10 [X.]bs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) allein auf einen aus einem einzigen Verkaufspreis abgeleiteten Marktpreis begrenzt. Dabei handele es sich nicht um einen hier zu beachtenden Einkaufspreis, sondern um einen Verkaufspreis. Es gebe in den Fällen der vorliegenden [X.]rt auch keinen allgemein gültigen Marktpreis, soweit das Unternehmen/der Betrieb nicht selbst an ein fremdes Fernwärmenetz angeschlossen sei. Es sei daher nach § 10 [X.]bs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG von den anteiligen Selbstkosten auszugehen, die nach der sog. energetischen [X.]ufteilungsmethode zu ermitteln seien.

Das F[X.] beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen [X.] vom [X.] - 4 K 3/16 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen [X.] vom [X.] - 4 K 3/16 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Sie bringt vor, die Wärmelieferungen seien keine unentgeltlichen [X.]n, soweit es sich nicht um einen Endverbrauch handele. Überdies sei für den (fiktiven) körperlichen Gegenstand "Wärme" auch ohne einen tatsächlichen [X.] an ein fremdes Wärmenetz eine Bemessungsgrundlage i.S. des § 10 [X.]bs. 4 UStG ermittelbar. Weiterhin seien die unternehmerischen Gründe zu beachten, nach denen durch die förderungswürdige Nutzung der Wärme der [X.] erlöst werde, so dass die Gewährung unentgeltlicher sonstiger Leistungen aus unternehmerischen Gründen nicht steuerbar sei.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG sind Lieferungen i.S. des § 3 Abs. 1b UStG nach dem Einkaufspreis zuzüglich der Nebenkosten für den Gegenstand oder für einen gleichartigen Gegenstand oder mangels eines Einkaufspreises nach den Selbstkosten, jeweils zum Zeitpunkt des Umsatzes zu bemessen. Dies gilt auch unter den vom [X.] bejahten Voraussetzungen des § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG.

2. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des [X.] kommt eine Wertbemessung für entnommene Wärme nach dem in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG genannten Einkaufspreis nur in Betracht, [X.]n im konkreten Fall ein [X.] an ein Wärmenetz (z.B. Fernwärme) besteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat hierzu auf die [X.]-Urteile in [X.]E 239, 377, [X.] 2014, 809, Rz 39, vom 25.11.2021 - V R 45/20 ([X.]E 275, 392, Rz 31) und vom 15.03.2022 - V R 34/20 (zur amtlichen [X.] bestimmt, [X.]/NV 2022, 1013, Rz 16 f.).

3. Der vom [X.] vertretenen Gegenauffassung folgt der Senat nicht. In einem zweiten Rechtsgang ist daher zu prüfen, ob das Wärmenetz dem einspeisenden Unternehmer einen Wärmebezug ermöglicht hätte. Sollte dies zu verneinen sein, wofür der übereinstimmende Vortrag der Beteiligten im Revisionsverfahren spricht, wäre über eine umsatzbezogene Aufteilung der Selbstkosten zu entscheiden. Müssen aufgrund einer unentgeltlichen Abgabe von Wärme aus einem BHKW die Selbstkosten auf den Strom und die Wärme aufgeteilt werden, hat die Aufteilung im Regelfall nicht nach der erzeugten Menge an elektrischer und thermischer Energie (in kWh), sondern nach tatsächlichen oder ggf. fiktiven Umsätzen (Marktwerten) zu erfolgen ([X.] an die [X.]-Urteile in [X.]E 275, 392; in [X.]/NV 2022, 1013; entgegen Abschn. 2.5 Abs. 22 Satz 6 des Umsatzsteuer-An[X.]dungserlasses). Außerdem wird das [X.] in einem zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, inwieweit die für die Vermietungsobjekte genutzte Wärme (vgl. dazu [X.]-Urteil vom 09.11.2022 - XI R 31/19 und das anhängige Revisionsverfahren V R 15/21) und für die landwirtschaftlich genutzte Wärme weitere Ausgangsumsätze der Klägerin zu erfassen oder anteilig der Vorsteuerabzug zu versagen sein könnte. Auf welcher rechtlichen Grundlage von wem an [X.] (ggf. an [X.] oder an die Mieter) diese [X.] erfolgt sind, ist bisher nicht hinreichend tatsächlich festgestellt.

4. Auf den gerügten Verfahrensfehler kommt es danach nicht an.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 38/20

09.11.2022

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 24. November 2020, Az: 4 K 3/16, Urteil

§ 10 Abs 4 UStG 2005, § 3 Abs 1b UStG 2005, UStG VZ 2008, UStG VZ 2009, UStG VZ 2010, UStG VZ 2011, UStG VZ 2012, UStG VZ 2013

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.11.2022, Az. XI R 38/20 (REWIS RS 2022, 8731)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8731

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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11 K 276/17 (Niedersächsisches Finanzgericht)


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