Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.10.2022, Az. 30 W (pat) 565/20

30. Senat | REWIS RS 2022, 7044

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Gegenstand

Markenbeschwerdesache – „BlueStick (Wortmarke)/ bluechip (Unionsmarke/Wort-/Bildmarke)“ - Verwechslungsgefahr


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2014 046 217

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des [X.] in der Sitzung vom 13. Oktober 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. Hacker sowie des [X.] [X.] und der Richterin Dr. Weitzel

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 des [X.] vom 10. Juli 2020 aufgehoben.

2. Wegen des Widerspruchs aus der Marke [X.] 005 385 034 wird die Löschung der Marke 30 2014 046 217 angeordnet.

Gründe

I.

1

Die am 2. Mai 2014 angemeldete Wortmarke

2

[X.]

3

ist nach einer rechtskräftigen Teilzurückweisung für „[X.]s“ unter der Nummer 30 2014 046 217 für die Waren und Dienstleistungen der

4

„Klasse 09: Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild; [X.]; DVDs; digitale Aufzeichnungsträger; Hardware für die Datenverarbeitung; Computer; Computersoftware

5

Klasse 38: Telekommunikation

6

Klasse 42: Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software“

7

in das beim [X.] geführte Register eingetragen worden.

8

Gegen die Eintragung ist Widerspruch erhoben worden aus der am 3. Oktober 2006 angemeldeten und seit 5. Dezember 2007 u. a. für die Waren und Dienstleistungen

9

„Klasse 09: Geräte und daraus zusammengestellte Systeme zur Datenverarbeitung (soweit in Klasse 9 enthalten), Aufnahme, Aufzeichnung, Übertragung, Bearbeitung und/oder Wiedergabe von analogen und/oder digitalen Bild- und/oder Tonsignalen und/oder Daten, jeweils auch zur Verbindung an das [X.], [X.] für analoge und/oder digitale Bild- und/oder Tonsignale und/oder Daten, Multimediageräte, Geräte für die In-house-Kommunikation, Geräte für das [X.], Medien zur Speicherung von analogen und/oder digitalen Bild- und/oder Tonsignalen und/oder Daten

Klasse 38: Telekommunikation, einschließlich In-house-Kommunikation und [X.], nämlich elektronische Kommunikation, Übermittlung von Informationen oder Daten von Datenbanken, von Sprach- und Auskunftsdiensten, Bereitstellen von [X.]zugängen, [X.]-Chatrooms und Portalen im [X.], [X.] sowie Online-, On-Demand-Telekommunikationsdienste und andere elektronische Mediendienste, nämlich Weiterleitung von elektronisch übermittelten Daten, Ton und Bild durch Kabel, Satellit, Computer, Computernetzwerke, Telefonleitungen sowie jegliche andere Übertragungsmedien, soweit in Klasse 38 enthalten, elektronische Übermittlung von Informationen und [X.], Betrieb von Netzwerken zur Übertragung von Daten, Bildern und Sprache, Sammeln und Liefern von Nachrichten und allgemeinen Informationen

Klasse 42: Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software; Installation von anwenderspezifischer Software; Zertifizierungen; Datenverwaltung auf Servern; Bereitstellen von Plattformen im [X.]“

registrierten [X.] 005 385 034

Abbildung

wobei der Widerspruch allein auf die für die Widerspruchsmarke registrierten vorgenannten Waren und Dienstleistungen der Klassen 09, 38 und 42 gestützt ist.

Die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 09 des [X.]s hat mit Beschluss vom 10. Juli 2020 eine [X.] zwischen den [X.] verneint und den Widerspruch zurückgewiesen.

Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei unterdurchschnittlich. Den Ausführungen der Widersprechenden zu einer erhöhten Kennzeichnungskraft könne nicht beigetreten werden. Die figürliche Marke „[X.]“ verfüge nur über eine geringe grafische Ausgestaltung. Man erkenne unmittelbar die Bedeutung „blauer Chip“. Chips seien für Geräte und Computer bestimmt und dienten in der Elektronik der Speicherung und Steuerung. „[X.]“ sei eine beschreibende Angabe und wie „[X.]“ oder „[X.] Style“ als Wort nicht schutzfähig. Auch der Bestandteil „[X.]-“ sei nicht schutzfähig, da er nur die Farbe des Produkts bezeichne.

Die von den Vergleichsmarken beanspruchten Waren in Klasse 09 seien ähnlich. Die Dienstleistungen „Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software“ seien identisch. Die hochgradige Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit und die geringe Kennzeichnungskraft der älteren Marke führten in ihrer Wechselwirkung nur zu geringen Anforderungen an den Abstand der jüngeren Marke, den diese einhalte.

Der Verkehr werde die Widerspruchsmarke an den langen Buchstabenlettern erkennen, die in [X.], leicht stilisiert und auf blauem Grund angeordnet seien. Die jüngere Marke sei hingegen ein einfaches Wort. Sie weise eine Binnenmajuskel auf und unterscheide sich visuell deutlich. Die begriffliche Ähnlichkeit der Zeichen sei nicht relevant. Zwar betreffe [X.] ein blaues Speichermedium und „[X.]“ ein blaues Modul bzw. eine blaue Steuer- oder Speichereinheit. Der Verkehr werde den begrifflichen Aussagen nur je eine Sachaussage zuordnen. Bei der klanglichen Ähnlichkeit treffe die Klangfolge „[X.]“ auf „[X.]“. Da „[X.]“ eine beschreibende Angabe sei, würden geringste Abweichungen wahrgenommen. „-Stick“ beginne mit einem Vordergaumen-Sprenglaut, der sich von dem Zischlaut „Chip“ unterscheide. Aus Rechtsgründen seien die geringen Abweichungen in der jüngeren Marke noch ausreichend, um sie verbal von dem älteren Zeichen zu unterscheiden. Es spreche auch nichts dafür, dass das Publikum der Gefahr unterliege, die Marken gedanklich miteinander zu verbinden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Wegen der starken Ähnlichkeit mit der Widerspruchsmarke sowie weiteren älteren („[X.]“-) Marken der Widersprechenden und der starken Ähnlichkeit bzw. Identität der von den Marken erfassten Waren und Dienstleistungen bestehe für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen im Schutzgebiet der älteren Marke(n). Das gelte umso mehr, als das gesamte aus der Anlage 1 zur Beschwerdebegründung ersichtliche Markenportfolio der Widersprechenden intensiv benutzt werde. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die jüngere Marke angemeldet worden sei, um sich an den Ruf der überaus bekannten älteren Marken „[X.]“ anzuhängen, deren Ruf auszubeuten und die Verbraucher vorsätzlich in eine Verwechslung zu führen.

Die Widersprechende, die Firma „[X.] C… Aktiengesellschaft“ sei 1991
als GmbH gegründet worden und trage seit diesem Zeitpunkt das Kennzeichen „[X.]“ in ihrer Firma. Der primäre Geschäftsgegenstand betreffe die Entwicklung, die Herstellung und den Vertrieb von Computern und Computerlösungen nebst Zubehör. Das Unternehmen sei durch seine Produkte und Dienstleistungen sowie eine entsprechende Werbung und Messeauftritte, beispielsweise auf der internationalen [X.], im In- und Ausland in seiner Branche und bei Verbrauchern bekannt. Die Widersprechende habe in den letzten Jahren erheblichen Aufwand in die Verteidigung ihrer Marken und ihres Firmenschlagworts „[X.]“ investiert. Die Kennzeichnungskraft der Marke bzw. des Markenworts „[X.]“ sei neben einer intensiven Benutzung durch die aufgezeigte Verteidigung weiter erhöht worden.

Folge man der Sichtweise der Markenstelle, dass der Begriff „[X.]“ eine beschreibende Abgabe sei, erschieße sich nicht, warum gleiches nicht für „[X.]“ gelte und diese Marke überhaupt eingetragen worden sei. Soweit die Markenstelle ausführe, dass „Chip“ und „Stick“ beides Speichermedien seien bzw. sein könnten, sei nicht nachzuvollziehen, wieso die [X.] letztlich verneint werde.

In klanglicher Hinsicht stünden sich die Markenwörter „[X.]“ und „[X.]“ gegenüber. Beide Marken setzten sich aus dem [X.] Wort „[X.]“ und einem darauffolgenden kurzen [X.] Wort „stick“ bzw. „chip“ zusammen. Die Betonung liege in beiden Fällen auf dem Anfang der Wortzusammensetzung, also dem Wort „[X.]“, welches lang gesprochen und bei beiden Marken identisch sei. Die jeweils anschließenden Worte „Stick“ und „chip“ würden kurz gesprochen und bildeten somit nicht den prägnanten Teil des jeweiligen Zeichens. Die Begriffe „Stick“ und „chip“ hätten eine ähnliche Sprachakustik und Sprachwahrnehmung, weshalb eine Verwechslung und/oder eine Verknüpfung beim Hörer der Marken wahrscheinlich sei. Beide Begriffe könnten zudem Produkten aus dem Bereich der Computertechnik zugeordnet werden, z. B. „[X.]“ oder „Micro-Chip“.

Eine Verwechslung durch den angesprochenen Verkehr sei deshalb wahrscheinlich. Mindestens werde der Verbraucher beide Marken miteinander assoziieren. Der Verkehr vermute, die beiden Marken gehörten zusammen, wodurch die Inhaber der Marke „[X.]“ durch den überdurchschnittlichen Bekanntheitsgrad der Marke „[X.]“ profitieren würden.

Aufgrund der hochgradigen Ähnlichkeit der Firma „[X.] C…
Aktiengesellschaft“ der Widersprechenden und der Widerspruchsmarke „[X.]“ mit der jüngeren Marke „[X.]“, seien an den Waren- und Dienstleistungsabstand strenge Anforderungen zu stellen. Das bedeute, dass bereits eine geringe Ähnlichkeit der Waren bzw. Dienstleistungen ausreiche, um eine [X.] zu begründen. Vorliegend stünden sich Waren und Dienstleistungen der Klasse 09, 38 und 42 gegenüber, die im markenrechtlichen Sinn ähnlich, zu großen Teilen sogar identisch seien. Im Ergebnis liege eine [X.] vor.

Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

den Beschluss des [X.]es vom 10. Juli 2020 aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke 30 2014 046 217 anzuordnen.

Die Inhaber der jüngeren Marke haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.

Im Amtsverfahren hat der verstorbene Ehemann der Markeninhaberin zu 1 ausgeführt, der Unterschied zwischen den Vergleichsmarken sei deutlich. Dem von der Widersprechenden vorgetragenen Argument, dass eine klangliche [X.] vorliege, wenn die sprachliche Betonung auf „[X.]“ gelegt werde, könne nicht gefolgt werden. „[X.]“ sei attributiv zu dem Stick und eine Beifügung zur näheren Bestimmung eines Substantivs, hier des Sticks. Das Substantiv „Stick“ wiege in seiner Bedeutung stärker. Die Erben, die Markeninhaberin zu 1 und der neue Markeninhaber zu 2 ([X.] des Verstorbenen) haben ausgeführt, die Vergleichsmarken seien jedenfalls in der Wortzusammensetzung eintragungsfähig. Auf das übereinstimmende Wortelement „[X.]“ achteten die Verbraucher nicht, da es unspezifisch und allein nicht schutzfähig sei. Die Bestandteile „-Stick“ und „-chip“ unterschieden sich deutlich, zumal von den fünf bzw. vier Buchstaben nur das „i“ übereinstimme. Auch in der Zusammensetzung mit „[X.]“ seien die vorgenannten Bestandteile unterscheidungskräftig. Eine Bedeutungsähnlichkeit zwischen den Begriffen Stick“ und „chip“ gebe es nicht. Die klangliche Ähnlichkeit basiere nur auf dem gemeinsamen Element „[X.]“, das keine spezifische oder schutzfähige Bedeutung habe und auf das die Verbraucher nicht achteten, weil es so allgemein sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 66 [X.] statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da zwischen den Vergleichsmarken [X.] nach §§ 119 Nr. 1, 43 Abs. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] besteht. Der angefochtene Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 des [X.]s vom 10. Juli 2020 ist daher aufzuheben und die Löschung der Marke 30 2014 046 217 aufgrund des Widerspruchs aus der Unionsmarke 005 385 034 anzuordnen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

Im Hinblick auf die Ausführungen der Widersprechende zur Ähnlichkeit der jüngeren Marke mit ihren weiteren älteren ([X.]-) Marken sowie zu dem Unternehmenskennzeichen „[X.] C… Aktiengesellschaft“ wird darauf
hingewiesen, dass der Widerspruch nach dem Formular vom 17. September 2015 allein auf die Unionsmarke 005 385 034 gestützt ist und auch nur eine Gebühr (i. S. d. § 3 PatKostG) entrichtet wurde. Gegenstand der Prüfung ist deshalb allein die vorgenannte Unionsmarke.

A. Im Laufe des Widerspruchsverfahrens haben sich die Vorschriften des Markengesetzes mit Wirkung vom 14. Januar 2019 geändert. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt daraus nicht (vgl. [X.], 1058Rn. 11 – [X.]). Da die Anmeldung der angegriffenen Marke am 2. Mai 2014, also zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 erfolgt ist, sind bei hiergegen erhobenen Widersprüchen weiterhin die Vorschriften nach § 42 Abs. 1 und 2 [X.] in der bis zum 14. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 [X.]).Die Anwendung der das Widerspruchsverfahren betreffenden Vorschriften auf Widersprüche aus prioritätsälteren Unionsmarken ergibt sich infolge der Änderungen durch das 2. Patentrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung zum 1. Mai 2022 aus § 119 Nr. 1 und Nr. 4 [X.] n. F.

B. Die Frage, ob [X.] im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] vorliegt, ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. nur [X.] GRUR 2020, 52 Rn. 41-43 – [X.] [Roslagspunsch/ [X.]]; [X.], 1098 Rn. 44 – [X.]/[X.]; [X.], 933 Rn. 32 – [X.]; [X.] 2020, 870 Rn. 25 – [X.]/[X.]; [X.], 1058 Rn. 17 – [X.]; GRUR 2018, 79 Rn. 7 – [X.]/[X.]; [X.], 1104 ff. – [X.]/[X.]; [X.], 382 Rn. 19 – [X.]; [X.], 283 Rn. 7 – [X.]/DAS [X.]). Bei dieser umfassenden Beurteilung der [X.] ist auf den durch die Marken hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. [X.], a. a. [X.] Rn. 48 – [X.] [Roslagspunsch/[X.]]; [X.] a. a. [X.] Rn. 25 – [X.]/INJEX).

C. Nach diesen Grundsätzen ist eine markenrechtlich relevante unmittelbare Gefahr von Verwechslungen zwischen den Vergleichsmarken gegeben, weshalb die angegriffene Marke nach § 43 Abs. 2 Satz 1 [X.] zu löschen ist.

1. Beide Marken können sich nach der vorliegend maßgeblichen [X.] in Zusammenhang mit identischen bzw. hochgradig ähnlichen Waren und Dienstleistungen begegnen.

Die in Klasse 09 eingetragenen „Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild; (…); digitale Aufzeichnungsträger; Hardware für die Datenverarbeitung; Computer“ der jüngeren Marke werden vom Oberbegriff „Geräte und daraus zusammengestellte Systeme zur Datenverarbeitung (soweit in Klasse 9 enthalten), Aufnahme, Aufzeichnung, Übertragung, Bearbeitung und/oder Wiedergabe von analogen und/oder digitalen Bild- und/oder Tonsignalen und/oder Daten, jeweils auch zur Verbindung an das [X.]“ der Widerspruchsmarke umfasst und sind insofern identisch. Identität besteht auch im Hinblick auf „[X.]; DVDs“ der jüngeren Marke zu dem Obergriff „Medien zur Speicherung (…) von Bild- und/oder Tonsignalen“ der Widerspruchsmarke. Hochgradige Ähnlichkeit besteht zwischen „Computersoftware“ der jüngeren Marke und der Dienstleistung „Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software“ der Widerspruchsmarke. Identität besteht im Hinblick auf die beiderseits in Klasse 38 beanspruchte Dienstleistung „Telekommunikation“ sowie die Dienstleistung „Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software“ der Klasse 42.

2. Die Widerspruchsmarke Abbildung

a. Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden ([X.] 2015, 1127 Rn. 10 – [X.]/[X.]solar; [X.], 1040 Rn. 29 – [X.]/pure).

Der Verkehr wird die mit einfachen grafischen Mitteln gestaltete Widerspruchsmarke (weiße Schrift in blauem Viereck) trotz ihrer Ausgestaltung als Einwortmarke als Kombination der Bestandteile „[X.]“ und „chip“ wahrnehmen. Das zum [X.] Grundwortschatz gehörende Adjektiv „[X.]“ bedeutet „blau“ (Pons, Onlinewörterbuch – [X.]). Anders als die Markenstelle meint, kommt der Farbbezeichnung i. S. v. „blauer Chip“ in Bezug auf die hier relevanten Waren und Dienstleistungen jedoch keine beschreibende Bedeutung zu. Es ist nicht erkennbar, dass Farben wesentliche Produktmerkmale der entsprechenden Waren und Dienstleistungen darstellen (vgl. [X.] 30 W (pat) 520/20 – Smart[X.]). Überdies wird der [X.] „[X.]“ im vorliegenden Waren- und Dienstleistungszusammenhang auch nicht auf Anhieb und ohne weiteres [X.]. „umweltschonend/umweltverträglich“ verstanden. Nachweise für ein solches Verständnis finden sich zwar in der Automobilbranche, z. B. in Begriffskombinationen wie „[X.]Motion“ und „[X.] Efficiency“, ließen sich aber in Bezug auf die Waren und Dienstleistungen der Widerspruchsmarke nicht ermitteln.

Auch im Hinblick darauf, dass die Bezeichnung „[X.]“ in bestimmten [X.], etwa dem Glücksspiel (Coupon mit höchster Wertigkeit beim Poker) oder dem Börsen- und Wertpapierhandelsbereich (besonders werthaltige Anlagen, profitable Unternehmen) eine Sachaussage darstellt, führt vorliegend nicht zu einer Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke Abbildung

Im Ergebnis ist - anders als die Markenstelle meint – von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen.

b. Ob, wie die Widersprechende geltend macht, die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke infolge einer gesteigerten Verkehrsbekanntheit erhöht ist, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben.

3. Im Rahmen der bei der Beurteilung der [X.] erforderlichen Gesamtabwägung hält die jüngere Marke nämlich auch bei Annahme einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke angesichts identischer bzw. hochgradig ähnlicher Waren und Dienstleistungen den gebotenen deutlichen [X.] nicht ein.

a. Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente ([X.] GRUR 2013, 922 Rn. 35 - Specsavers/Asda; [X.] 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/[X.]), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. [X.] GRUR 2004, 428 Rn. 53 – [X.]; [X.] 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, ([X.] und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. [X.] GRUR 2006, 413 Rn. 19 – [X.]/ SIR; [X.] [X.], 235 Rn. 15 – [X.]/[X.]; NJW-RR 2009, 757 Rn. 32 METROBUS).

Hiernach besteht jedenfalls in klanglicher Hinsicht unmittelbare [X.].

b. Es stehen sich die folgenden [X.] gegenüber:

[X.] und Abbildung

Die relevanten Verkehrskreise nehmen diese in der Regel nicht nebeneinander wahr, sondern vergleichen sie in ihrer Erinnerung. Dabei fallen Übereinstimmungen grundsätzlich stärker ins Gewicht als Abweichungen (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, [X.], 13. Aufl., § 9 Rn. 263).

c. Auf Seiten der Widerspruchsmarke ist dabei ungeachtet ihrer grafischen Ausgestaltung im Hinblick auf die klangliche Zeichenähnlichkeit der Wortbestandteil „[X.]“ maßgebend, da der Verkehr erfahrungsgemäß dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform die prägende Bedeutung zumisst (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, aa[X.], § 9 Rn. 459). Es stehen sich demnach [X.] und der Wortbestandteil „[X.]“ der Widerspruchsmarke gegenüber.

Die „[X.]“ bzw. „blu-tschip“ ausgesprochenen [X.] stimmen in der ersten Silbe vollständig und in der zweiten Silbe im Vokal „i“ überein. Wenngleich sich die Konsonanten „tsch([X.]“ der Widerspruchsmarke bzw. „St(…)ck“ der jüngeren Marke unterscheiden, wirken sich diese Unterschiede auf das ähnliche Klanggefüge der Vergleichsmarken, nämlich die einsilbige kurze Aussprache und die Anordnung der Konsonanten um den übereinstimmenden Vokal „i“, nicht maßgeblich aus. In Kombination mit der identischen Worthälfte „[X.]“/“[X.]“ dominieren die klanglichen Übereinstimmungen, zumal sich das identische Element am in aller Regel stärker beachteten Wortanfang befindet und überdies – wie ausgeführt - keine beschreibende Bedeutung im Hinblick auf die relevanten Waren und Dienstleistungen hat. Insofern kann auch dem Vortrag der Markeninhaber gefolgt nicht werden, der Bestandteil „[X.]“/“[X.]“ werde als beschreibende Erläuterung zu „Stick“/“chip“ vom Verkehr in der Gesamtbetrachtung vernachlässigt.

Begrifflich bestehen überdies Berührungspunkte zwischen den gegenüber-stehenden Bestandteilen „chip“ und „Stick“. In diesem Zusammenhang weist die Widersprechende zu Recht darauf hin, dass beide Begriffe Produkten aus dem Bereich der Computertechnik zugeordnet werden können, z. B. „[X.]“ oder „Micro-Chip“ und beide Produkte [X.] sein können. Auch wenn sich ein „chip“ (= Splitter) und ein „Stick“ (= Stöckchen) in ihren Erscheinungsformen unterscheiden, können sich Einsatzbereich und Verwendungszweck ähneln, was die Gefahr von Verwechslungen begünstigt.

4. Nach alldem hält die angegriffene Marke den gebotenen Abstand zur Widerspruchsmarke nicht ein. Insoweit ist für die beteiligten Verkehrskreise in klanglicher Hinsicht keine hinreichend sichere Abgrenzbarkeit der beiden Marken gewährleistet, zumal die Verbraucher nur selten die Möglichkeit haben werden, die Marken unmittelbar miteinander vergleichen zu können, sondern sie vielmehr im Regelfall aus der erfahrungsgemäß eher unsicheren Erinnerung heraus voneinander abgrenzen müssen (vgl. [X.] 2016, 197 Rn. 37 — [X.]; [X.], Beschluss vom [X.], 29 W (pat) 8/09 — [X.]/melrose/melrose). Auf die Beschwerde der Widersprechenden war daher der Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 vom 10. Juli 2020 aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

D. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 [X.], da [X.] für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.

Meta

30 W (pat) 565/20

13.10.2022

Bundespatentgericht 30. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG vom 11.12.2018, § 119 Nr 1 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.10.2022, Az. 30 W (pat) 565/20 (REWIS RS 2022, 7044)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7044

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