Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.05.2011, Az. 5 StR 65/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 7056

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5 StR 65/11 [X.]BESCHLUSS vom 4. Mai 2011 in der Strafsache gegen wegen Mordes - 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 4. Mai 2011 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 29. Oktober 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.]wurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.
G r ü n d e
1 Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebens-langen Freiheitsstrafe verurteilt und das asservierte [X.] eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen fühlte die 15 Jahre jüngere Ehefrau des 1956 in [X.] geborenen, nach einem Verkehrsunfall dauerhaft arbeitsunfä-higen Angeklagten sich spätestens seit [X.] 2008 in ihrer Ehe unglücklich und versuchte seither, sich aus dieser zu lösen. Etwa im August 2009 lernte sie das spätere Tatopfer [X.].

kennen und ging mit ihm eine Bezie-hung ein. Im November 2009 bezog sie eine —nur zwei Hausnummernfi von der gemeinsamen Wohnung entfernte eigene Wohnung. Der Angeklagte [X.] darauf sehr gekränkt. Zwei Tage nach ihrem Umzug besuchte er sei-ne Ehefrau in deren neuer Wohnung. Es kam zwischen beiden zu einer kör-perlichen Auseinandersetzung. Von den herbeigerufenen Polizeibeamten, die den Angeklagten zusammengekauert auf dem Bett der Ehefrau liegend vorfanden, ließ er sich freiwillig mitnehmen. Mit seinem Einverständnis wurde er in das [X.] in [X.] gebracht, dort etwa einen 2 - 3 - Monat lang stationär behandelt und schließlich mit der Diagnose einer —Stö-rung der Impulskontrolle mit gewalttätigen Übergriffen vor dem Hintergrund von überwertigen [X.] ([X.]) in ambulante Weiterbehand-lung entlassen. In der Folgezeit sah sich der Angeklagte gezwungen, die eheliche Wohnung zum 31. März 2010 aufzugeben.
Inzwischen beabsichtigte seine Ehefrau, gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Kindern [X.] der älteste [X.] befand sich in einem Internat [X.] in das [X.]. umzuziehen. Auf die Bemühungen des Angeklagten um klärende Gespräche ging sie immer weniger ein. Der Angeklagte entwi-ckelte zunehmend die Vorstellung, dass
[X.]. es tatsächlich gar nicht auf seine Ehefrau, sondern [X.] zumindest auch [X.] auf seine 1994 geborene Tochter [X.]—abgesehenfi hätte ([X.]). Da die Sorgerechtssituation ungeklärt war und der Angeklagte seine Befürchtung mit seiner Ehefrau im Beisein von [X.]. ausdiskutieren wollte, vereinbarte er telefonisch ein Treffen für den 28. März 2010 in der Wohnung der Ehefrau. Der Angeklagte begab sich mit Kuchen und einem Spielzeug für seinen jüngsten [X.] [X.]zu ihrer Wohnung. —Dabei führte er auch ein aus seiner [X.] – einseitig geschliffenes Messer mit einer Gesamtlänge von ca. 33 cm, einer Klingenlänge von ca. 20 cm und einer maximalen Klingenbreite von 3 cm unter seiner Kleidung verborgen mit sichfi ([X.]). Ob er bereits zu diesem Zeitpunkt den Entschluss gefasst hatte,

[X.]. mit dem [X.] zu töten oder auch nur zu verletzen, vermochte die [X.]wurgerichtskam-mer nicht sicher festzustellen. 3 Im Wohnzimmer der Ehefrau kam es zu einer Auseinandersetzung in teils angespannter Atmosphäre. Als sich die Stimmung erneut zu verschlech-tern begann, brachte die Ehefrau ihren [X.] [X.]unter einem Vorwand aus [X.]. Kurz nachdem sie [X.] verlassen hatte, vernahm sie —komische Geräuschefi und [X.]reie von

[X.]. aus dem Wohnzimmer. Sie begab sich unverzüglich zurück ins Wohnzimmer, wo sie den Angeklag-ten mit einem Messer auf der Couch stehend erblickte, während

[X.]. 4 - 4 - —halb sitzend, halb rücklings auf der Couch liegend versuchte, sich mit den Füßen gegen den Angeklagten zu wehren, und sich dabei den Bauch hieltfi ([X.]). Der Angeklagte hatte

[X.]. mit dem mitgebrachten Messer eine mindestens 25 cm tief in den Oberkörper eindringende kombi-nierte [X.]nitt-Stich-Verletzung zugefügt, in deren Folge es zu Verletzungen der Leber, des Dünndarms, der [X.] und einer Nierenvene sowie der rechten [X.] kam. Darüber hinaus stach der Angeklagte [X.]. in die linke Brustseite, was zu einer Verletzung der Lunge führte, und fügte ihm zwei weitere Stichverletzungen im Bereich der Extremitäten zu. Aufgrund der Verletzungen verstarb
[X.]. am folgenden Morgen im Krankenhaus. 5 Das [X.] hat die Tat [X.] unter Bejahung des Tatbestandsmerk-mals der Heimtücke [X.] als Mord gewertet. [X.] beraten ist es zur Annahme der vollen [X.]uldfähigkeit des Angeklagten gelangt. 6 2. Der [X.]uldspruch hat keinen Bestand. Die Feststellungen des Ur-teils zur unmittelbaren [X.] tragen nicht die Annahme des [X.]. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] han-delt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosig-keit des [X.] bewusst zur Tötung ausnutzt. [X.] ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen, noch mit einem gegen seine körperliche Unver-sehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet ([X.], Urteil vom 26. November 1986 [X.] 3 [X.], [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche [X.] rechnet ([X.], Urteil vom 30. Mai 1996 [X.] 4 StR 150/96, [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21 mwN). 7 - 5 - b) Dass der Angriff [X.].

—völlig unvermitteltfi ([X.]) traf, leitet die [X.] aus der Kürze des seit dem Verlassen des Zimmers durch die Zeugin [X.]verstrichenen Zeitraumes sowie daraus her, dass die Sitzposition [X.].

s nach dem gegen ihn geführten Angriff mit derjenigen zum Zeitpunkt des Verlassens des Wohnzimmers durch die Zeugin —praktisch identischfi war und keine Abwehrspuren an den Händen des Opfers festgestellt werden konnten. Während die Position von Täter und Opfer während der Tat auch durch die objektive Spurenlage belegt werden, beruhen die Feststellungen über die Kürze des seit dem Verlassen des Wohnzimmers durch die Zeugin Sa.

verstrichenen Zeitraumes alleine auf deren mit ihrem Einverständnis in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben gegenüber der Polizei. Da eine Befragung der Zeugin, die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht hat, nicht möglich war, ist schon eine Stützung der Fest-stellungen auf ihre insoweit eher unpräzisen Angaben vor der Polizei prob-lematisch (vgl. zur Problematik allgemein [X.], Urteil vom 27. Januar 2011 [X.] 5 StR 482/10 Rn. 11 mwN). Dies bedarf indes keiner Vertiefung, da die Feststellungen jedenfalls nicht die Annahme des erforderlichen Ausnut-zungsbewusstseins tragen. 8 c) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbe-gehung ausnutzt. Dafür ist erforderlich, dass er die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen [X.] wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbe-gehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine [X.] gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überra-schen ([X.], Urteile vom 26. November 1986 und vom 30. Mai 1996 aaO; [X.], Urteil vom 20. Januar 2005 [X.] 4 StR 491/04, [X.], 691 jeweils mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des [X.] ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das [X.] fehlte 9 - 6 - ([X.], Urteil vom 13. August 1997 [X.] 3 StR 189/97, [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26 mwN); psychische Ausnahmezustände können auch unterhalb der [X.]welle des § 21 StGB der Annahme des Bewusstseins des Ausnut-zens entgegenstehen ([X.], Urteil vom 13. Februar 2007 [X.] 5 StR 508/06, [X.], 330). Das [X.] geht mit dem zur Frage der [X.]uldfähigkeit des [X.] gehörten [X.]en davon aus, dass der Angeklagte —sich zur Tatzeit angesichts des sich für ihn abzeichnenden endgültigen Verlustes seiner Ehefrau und möglicherweise auch seiner Kinder in einem Zustand af-fektiver Erregung befundenfi habe ([X.]). Im Zusammenhang mit der Beurteilung seiner [X.]uldfähigkeit berücksichtigt es auch, —dass der Ange-klagte auf der Grundlage seiner narzisstischen Persönlichkeitszüge und der mit ihr verbundenen Kränkbarkeit, seiner erhöhten Erregbarkeit und seiner eingeschränkten Frustrationstoleranz eine gewisse Disposition aufwies, auf narzisstische Kränkungen impulsiv zu [X.] ([X.]). [X.]ließlich stellt es in Rechnung, dass —zwischen dem Angeklagten und
[X.]. als dem den Bestand seiner Familie bedrohenden [X.] zumindest von [X.] aus seit einiger Zeit eine konflikthafte Beziehung bestand, die sich in der [X.] durch die nicht auszuschließende erstmalige sichere Er-kenntnis, dass seine Ehefrau mit ihren beiden jüngeren Kindern umgehend zu [X.]. ziehen werde, erneut [X.] ([X.]). Zwar hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter dar-an, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu er-kennen; dies ist vielmehr Tatfrage ([X.], Urteil vom 20. Januar 2005 aaO mwN). Es bedarf jedoch in der Regel der Darlegung gegenläufiger Beweis-anzeichen, aus denen das Tatgericht folgert, dass der Täter trotz seiner [X.] die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Bewusstsein aufgenommen hat ([X.], Urteil vom 9. Februar 2000 [X.] 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166). 10 - 7 - Dies hat das [X.] mit einem Umstand begründet, der als Grundlage für eine den Angeklagten nachteilige [X.]lussfolgerung [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Dezember 2001 [X.] 5 StR 520/01, [X.], 235). Das vom [X.] für eine gezielte Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit [X.].

s maßgeblich herangezogene Beweisanzei-chen ist, dass sich der Angeklagte dem 1,86 m großen und 122 kg schweren Tatopfer bei einer eigenen Körpergröße von 1,80 m und 73 kg Körpergewicht —nach eigenen Angaben körperlich unterlegen fühltefi und —sich daher bei le-bensnaher Betrachtung nur von einem unvermuteten Angriff Erfolg verspre-chen konntefi ([X.]). Die Wahrnehmung einer eigenen körperlichen Un-terlegenheit, die das [X.] einer Einlassung zur Darstellung einer ganz anderen [X.] seinen Feststellungen nicht zugrunde gelegten [X.] [X.] [X.] hat, kann hier indes nicht als Grundlage der [X.]lussfolgerungen ausreichen, dass der Angeklagte trotz seiner aus dem Verlust seiner bisheri-gen Existenz und seinen besonderen Persönlichkeitsmerkmalen resultieren-den Erregung die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Be-wusstsein aufgenommen hat. Das [X.] hat zudem bei seiner [X.] aus einer als widerlegt angesehenen, der Verteidigung dienenden Einlassung einen Umstand herangezogen, den es [X.] hierzu in Widerspruch [X.] belastend verwertet hat. 11 3. Darüber hinaus sind auch die Feststellungen rechtsfehlerhaft, mit denen das [X.] einen die [X.]uldfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindernden Affekt ausschließt. 12 Bei der Beurteilung der [X.]uldfähigkeit des Angeklagten geht das [X.] [X.] wie bereits dargelegt [X.] davon aus, dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung in einem Zustand affektiver Erregung befunden habe. Gegen das Bestehen eines damit verbundenen und seine [X.]uldfähigkeit in relevantem Umfang einschränkenden Affekts spreche nach Ansicht des [X.]en [X.] dem sich das [X.] anschließt [X.] indes, —dass der Angeklagte im Zusammenhang mit der Tatausführung eine von ihm [X.] im Wege eines geordneten Handelns umgesetzt habe, um ein eigenes Zeichenfi zu setzen ([X.]). Diese Annahme ist weder vor dem Hintergrund der Feststellungen des angefochtenen Urteils, noch vor demjenigen der Einlassung des Angeklagten nachvollziehbar. Der Umstand, dass der Angeklagte nach der Tat die Tatwaffe gereinigt und in die [X.] gelegt hat, wird in diesem Zusammenhang als —systematisches Vertuschungsbemühenfi eingeschätzt ([X.]), das ganz erheblich gegen einen schwerwiegenden Affekt spreche. Das [X.] setzt sich nicht damit auseinander, dass in der Reinigung der Tatwaffe in der Küche auch ein reflexhafter, instinkt- und emotionsgeleiteter Versuch der Herstellung des —status quo antefi gelegen haben könnte. [X.]ließlich wird auch die [X.] rechts-fehlerhaft festgestellte [X.] —heimtückische [X.] ([X.]) des Angeklagten bei der Tatausführung als gegen einen erheblich schuldmin-dernden Affekt sprechender Umstand herangezogen. 14 4. Das angeklagte Tatgeschehen bedarf damit umfassender neuer tatgerichtlicher Prüfung. Bei dieser wird insbesondere die Frage nochmals kritisch zu überprüfen sein, ob es nachweisbar ist, dass der Angeklagte das [X.] zu der Verabredung mitgebracht hat. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass für den Fall, dass Heimtücke wegen fehlender subjektiver Voraussetzungen zu verneinen wäre und die dies begründende psychische Verfassung des Angeklagten den Grad erheblich verminderter [X.]uldfähig-

- 9 - keit erreichte, bei einem [X.]uldspruch nur wegen Totschlags eine Strafrah-menverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zur Vermeidung einer Dop-pelberücksichtigung desselben Umstands nach tatgerichtlichem Ermessen versagt werden kann. Basdorf Brause [X.]aal [X.]neider Bellay

Meta

5 StR 65/11

04.05.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.05.2011, Az. 5 StR 65/11 (REWIS RS 2011, 7056)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7056

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