Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.04.2003, Az. 2 StR 503/02

2. Strafsenat | REWIS RS 2003, 3300

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[X.] DES VO[X.]ESURTEIL2 StR 503/02vom30. April 2003in der Strafsachegegenwegen Totschlags- 2 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 30. [X.], an der teilgenommen haben:[X.] am [X.]. [X.]als Vorsitzender,der [X.] am [X.]. [X.],die [X.]in am [X.]. [X.],der [X.] am [X.],die [X.]in am [X.]als beisitzende [X.],Oberstaatsanwalt beim [X.]als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,- 3 -für Recht erkannt:Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das [X.]eil des Land-gerichts [X.] vom 26. Juni 2002 mit den zugehöri-gen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tat-geschehen, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zuneuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere Schwurgerichtskammer des Land-gerichts zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendetsich die vom [X.] (in der Hauptverhandlung) vertretene [X.] der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Sie beanstandet die Verneinungdes [X.] und die Annahme einer erheblich vermindertenSchuldfähigkeit.Das Rechtsmittel hat Erfolg.I.Das [X.] hat [X.] -Der zur Tatzeit 22-jährige Angeklagte, der als Kind von seinem Stiefva-ter sexuell mißbraucht wurde und sich seit seinem 18. Lebensjahr offen zu ho-mosexuellen Neigungen bekennt, lernte 1996 das spätere Tatopfer [X.] kennen.Zwischen beiden entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung, sexuelleAnnäherungsversuche des ebenfalls homosexuell veranlagten über 30 Jahreälteren [X.] wies der Angeklagte jedoch bis August 2001 zurück. In dieser Zeitzog er vorübergehend in die Einzimmerwohnung des [X.] ein. Da der An-geklagte den vereinbarten Mietanteil nicht zahlte, aber auch wegen seiner Un-ordentlichkeit und seines Drogenkonsums kam es bald zu Streitigkeiten, beidenen [X.] dem Angeklagten androhte, ihn aus der Wohnung zu werfen. Der An-geklagte warf [X.] seinerseits dessen seit langem bestehenden sexuellen [X.] zu einem 18-jährigen vor und beschimpfte ihn als —[X.] [X.] 9. September 2001 kam es zum Streit zwischen dem Angeklagten und [X.],der gegen 18.00 Uhr begann und sich über mehrere Stunden hinzog. Um sichzu beruhigen und den Streit zu beenden, verließ der Angeklagte mehrfach [X.], wobei er außerhalb der Wohnung einige Male Crack zu sich nahm.Nach seiner Rückkehr setzte sich der Streit jeweils wieder fort. [X.] hielt [X.] u. a. vor, daß er gar kein richtiger Homosexueller sei und ihm dieals Kind erlittenen Mißbrauchstaten offensichtlich Spaß gemacht hätten. [X.], der [X.] diese als traumatisch empfundenen Erlebnisse einmal [X.] hatte, empfand dies als groben Vertrauensbruch. Als er wiederum [X.] verlassen wollte, stellte sich [X.], um ihn darin zu hindern, vor [X.]stür. Der Angeklagte, der immer wütender wurde, ergriff [X.] an der Wand in einer Lederscheide hängende Machete und stieß [X.] 33 mal mit direktem Tötungsvorsatz auf [X.] ein. Ein Stich, der das Tatopfertraf, als es bereits aufgrund seiner Verletzungen zu [X.]n gestürzt war, [X.] 5 -innerhalb kürzester Zeit zum Tod. Auch die anderen Verletzungen waren le-bensgefährlich.Das [X.] hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. [X.] von [X.], insbesondere von Heimtücke, hat es ausge-schlossen. Zwar habe sich das Tatopfer keines tätlichen Angriffs versehen, [X.] habe aber aufgrund seiner affektiven Erregung bei der [X.] die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers (ebenso wie Umstände, die [X.] Beweggründe ausmachen könnten) möglicherweise nicht hinreichend insein Bewußtsein aufgenommen und gebilligt.Eine affektbedingte tiefgreifende Bewußtseinsstörung mit der Folge ei-nes völligen Ausschlusses der Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das Land-gericht - dem Sachverständigen folgend - abgelehnt. Eine erhebliche [X.] der Schuldfähigkeit hat das [X.] hingegen nicht ausgeschlos-sen, "unabhängig davon, ob sie erst nach [X.] eingetreten ist (und damitmöglicherweise im Augenblick des tödlichen Stichs vorlag) oder schon vor demersten Stich vorlagfi.II.Die Ausführungen zur Verneinung der subjektiven Tatseite des Mord-merkmals der Heimtücke und die Annahme einer nicht ausschließbaren ver-minderten Schuldfähigkeit sind - worauf die Revision zu Recht hinweist - nichtrechtsbedenkenfrei.1. Der Tatbestand des [X.] setzt in subjektiver Hinsichtvoraus, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des [X.] kennt und [X.] ist, daß er diese zur Tat ausnutzt. Hierfür genügt es, daß der Täter die- 6 -Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des [X.] und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß er sich bewußt ist,einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosenMenschen zu überraschen (NStZ-RR 2000, 166 f.; NStZ 1999, 506 f.). [X.] nicht jede affektive Erregung der Annahme eines Ausnutzungsbewußt-seins in diesem Sinne entgegen. Kommt der Tatrichter zu dem Ergebnis, daßder Täter die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erre-gung nicht in sein Bewußtsein aufgenommen hat, so muß er die [X.] dafür darlegen und würdigen.Schon eine solche umfassende Würdigung hat das [X.] nichtvorgenommen. So hat es sich nicht mit den - zum Ausschluß der Schuldunfä-higkeit des Angeklagten - getroffenen Feststellungen zur Wahrnehmungsfähig-keit des Angeklagten bei der Tatbegehung auseinandergesetzt, die mit achtkonkreten Einzelbeobachtungen des Angeklagten während der Tat belegt wird([X.] und 26). Zudem hat es die Annahme einer affektiv bedingten Erre-gung ersichtlich allein auf die vorhergehenden Feststellungen zur erheblichverminderten Schuldfähigkeit aufgrund einer affektiv bedingten tiefgreifendenBewußtseinsstörung gestützt. Für die Annahme der subjektiven Seite [X.] kommt es aber nicht auf das Vorliegen oder [X.] rechtlichen Voraussetzungen des § 21 StGB an, sondern darauf, ob [X.] welche tatsächlichen Auswirkungen die affektive Erregung aufdie Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der [X.] und auf sein Be-wußtsein hatte ([X.], 166 f.). Abgesehen davon sind dieseFeststellungen hier aber auch schon deshalb nicht geeignet, das [X.] zu belegen, weil sie ihrerseits - wie noch auszuführenist - unklar sind. Angesichts der vom [X.] vorgenommenen [X.] 7 -fung zwischen den Feststellungen zur affektbedingten tiefgreifenden Bewußt-seinsstörung im Sinne von § 21 StGB und den subjektiven [X.] kann nicht ausgeschlossen werden, [X.] zum Ausmaß und insbesondere auch zum Zeitpunkt des [X.], den das [X.] im Rahmen seiner Feststellungen zur vermin-derten Schuldfähigkeit offen gelassen hat, sich auch auf die Beurteilung desaffektbedingten Fehlens des Ausnutzungsbewußtseins ausgewirkt [X.] Das [X.] hat rechtsfehlerhaft offen gelassen, zu [X.] die affektbedingt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des [X.] eingetreten ist. Zwar könnten die weiteren Ausführungen des Land-gerichts zur Persönlichkeitsfremdheit der Tat, zu der vorangegangenen stun-denlangen verbalen "[X.], zu den den Angeklagten sehr verletzendenVorhalten seiner Mißbrauchserlebnisse durch das Tatopfer sowie zum Drogen-konsum des Angeklagten dafür sprechen, daß das [X.] einen [X.] beeinträchtigenden Affekt schon bei [X.] nicht [X.] vermochte. Andererseits meinte das [X.], sich in Überein-stimmung mit dem Sachverständigen zu befinden, der aber eine erheblich ver-minderte Schuldfähigkeit "allenfalls für den Zeitraum nach Eintritt in die [X.] fürmöglich gehalten hat. Danach ist zu besorgen, daß es von einem verfehltenAnsatz bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit ausgegangen ist. Denn wäreder Angeklagte nicht bereits bei Eintritt in das Versuchsstadium affektbedingt inseiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen, sondern erst - wie [X.] angenommen hat - nach [X.] beim Einschlagen auf [X.] in eine Art "Entfesselungsaffekt" geraten, hätte eine erheblich vermin-derte Schuldfähigkeit nicht durchgehend bei der gesamten Tatbegehung vor-gelegen. Welche Folgen sich ergeben, wenn der Täter erst während der Tat-- 8 -handlung in einen Zustand nach §§ 20, 21 StGB gerät, hat die [X.] bisher insbesondere für den Eintritt eines völligen Ausschlusses derSchuldfähigkeit nach [X.] entschieden ([X.]St 7, 325, 328, 329; 23, 133,135, 136; siehe auch [X.]R StGB § 21 Vorverschulden 3; [X.], [X.]. [X.] Dezember 1976 - 1 StR 568/76). Danach sind einem Täter [X.] dann zuzurechnen, wenn sie vom Vorsatz erfaßt waren und der Tatablaufder Vorstellung entsprach, die der Täter noch vor Eintritt der [X.] von dem Tatgeschehen gemacht hatte. Der Eintritt der Schuldunfähigkeitwährend der Tatbegehung stellt sich dann als unwesentliche Abweichung [X.] dar. Dabei genügt es, daß der Zustand der [X.] aus dem vorausgehenden Handeln entwickelt hat und nicht durch [X.] ausgelöst worden ist. In einem solchen Fall ist der Täter wegen voll-endeter Tat, begangen im schuldfähigen Zustand, zu bestrafen. Nichts andereskann für den Eintritt der erheblich verminderten Schuldfähigkeit erst währendder Tatausführung gelten (vgl. auch [X.] in [X.], 11. Aufl. § 21 Rdn. 23). [X.] einer Strafmilderung in diesem Fall steht auch im Einklang mit [X.] zum Vorverschulden und zur actio libera in causa, bei der [X.] an ein Verschulden oder an Verhaltensweisen des [X.] vor [X.]angeknüpft und eine Strafmilderung trotz Tatbegehung im Zustand verminder-ter Schuldfähigkeit nicht gewährt wird. Hingegen hat der Täter, wenn er erstwährend der Tat - bei ansonsten planmäßiger Durchführung der Tat - erheblichvermindert schuldfähig geworden ist, seinen Tatentschluß nicht nur im vollschuldfähigen Zustand gefaßt, sondern sogar noch in diesem Zustand über [X.] hinaus umgesetzt.Das [X.] durfte deshalb nicht offen lassen, ab wann die Steue-rungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert [X.] -- 10 -3. Das [X.]eil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungenzum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen undkönnen bestehen bleiben.[X.] Ri[X.] Dr. [X.] ist durch [X.] Urlaub an der Unterschrift gehindert. [X.] Rothfuß Roggenbuck

Meta

2 StR 503/02

30.04.2003

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.04.2003, Az. 2 StR 503/02 (REWIS RS 2003, 3300)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 3300

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