Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.10.2023, Az. 5 AZR 68/23

5. Senat | REWIS RS 2023, 8604

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Gegenstand

Abberufung als Betriebsbeauftragter für Abfall


Leitsatz

Wird ein Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis unter Erweiterung seines Arbeitsvertrags um die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben zum Abfallbeauftragten bestellt, unterliegt seine nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz einseitig mögliche Abberufung, mit der der Arbeitgeber auch die Anpassung des Vertrags rückgängig machen will, einer gerichtlichen Überprüfung nach § 315 BGB.

Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 27. Oktober 2022 - 5 [X.]/22 - im Kostenpunkt und in Ziffer [X.] 1. aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - soweit für die Revision noch von Bedeutung - über die Abberufung des [X.] als Betriebsbeauftragter für Abfall, die zum 31. März 2017 erfolgte. Hilfsweise hat sich der Kläger gegen die ihm anschließend mit Schreiben vom 20. Juni 2018 ab dem 1. Juli 2018 zugewiesenen Tätigkeiten gewandt.

2

Der Kläger ist seit dem 15. Dezember 1993 bei der [X.] beschäftigt, einem selbstständigen Kommunalunternehmen der Stadt N. Nach dem Arbeitsvertrag vom 15. Dezember 1993 wurde er als „Angestellter“ eingestellt und in Vergütungsgruppe [X.] eingruppiert. Auf das Arbeitsverhältnis finden zwischenzeitlich aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des [X.] für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser (im Folgenden [X.]-K) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Der Kläger erhielt zuletzt eine Vergütung entsprechend [X.] 13 [X.]-K.

3

Zum 7. März 1994 bestellte die Beklagte den Kläger zum Betriebsbeauftragten für Abfall. Diese Bestellung nahm sie mit Wirkung zum 1. Januar 1998 nochmals vor. Mit Schreiben vom 31. März 2017 widerrief die Beklagte die Bestellung des [X.] und bestellte zum 1. April 2017 einen externen [X.]. In der Folge verhandelten die Parteien über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. den zukünftigen Inhalt der Tätigkeit des [X.]. Mit Schreiben vom 20. Juni 2018 wies die Beklagte dem Kläger mit Wirkung zum 1. Juli 2018 eine Stelle als Sachbearbeiter mit Sonderaufgaben im Projektmanagement der Themenfelder Medizintechnik zu.

4

Mit seiner am 29. August 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, seine Abberufung als [X.] sei unwirksam. Sie verstoße gegen das Benachteiligungsverbot und sei nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

5

Der Kläger hat zuletzt - soweit noch für die Revision von Bedeutung - sinngemäß beantragt

        

1.    

festzustellen, dass die Rechtsstellung des Klägers als Betriebsbeauftragter für Abfall nicht durch die Abberufung der [X.] vom 31. März 2017 beendet worden ist,

        

2.    

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu 1. festzustellen, dass die Weisung der [X.] vom 20. Juni 2018 hinsichtlich der Tätigkeitszuweisung ab 1. Juli 2018 unwirksam und der Kläger nicht verpflichtet ist, die entsprechenden Tätigkeiten wahrzunehmen.

6

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Abberufung des [X.] sei ordnungsgemäß erfolgt. Sie sei zwingende Konsequenz der unternehmerischen Entscheidung gewesen, aus wirtschaftlichen und prozessoptimierenden Gründen einen externen [X.] zu bestellen. Der Klage stehe der Einwand der Verwirkung entgegen. Der Kläger habe sich zweieinhalb Jahre nach der Abberufung nicht mehr gerichtlich gegen diese zur Wehr setzen können.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dabei insbesondere festgestellt, dass die Rechtsstellung des [X.] als Betriebsbeauftragter für Abfall nicht durch die Abberufung der [X.] vom 31. März 2017 beendet worden sei. Das [X.] hat auf die Berufung der [X.] das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und den Feststellungsantrag abgewiesen. Weiter hat es auf den Hilfsantrag des [X.] festgestellt, dass die Weisung der [X.] vom 20. Juni 2018 bezüglich der ab dem 1. Juli 2018 auszuübenden Tätigkeiten unwirksam sei. Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist begründet. Der Berufung der Beklagten gegen das dem Feststellungsantrag entsprechende Urteil des Arbeitsgerichts kann mit der vom [X.] gegebenen Begründung nicht stattgegeben werden. Zu Recht rügt die Revision, das [X.] hätte die Abberufung des [X.] als Betriebsbeauftragter für Abfall als einseitige Maßnahme der Arbeitgeberin einer Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterziehen müssen.

9

I. Die Revision ist - anders als der Kläger in der Revisionsbegründung argumentiert - nicht bereits de[X.]alb begründet, weil die Berufung der Beklagten unzulässig gewesen wäre. Das [X.] ist zu Recht von deren Zulässigkeit ausgegangen. Die Berufungsbegründung der Beklagten genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (vgl. dazu [X.] 20. März 2018 - 3 [X.] - Rn. 38). Sie vertieft den erstinstanzlichen Vortrag zu den Gründen für die Abberufung des [X.]. Darüber hinaus setzt sich die Berufungsbegründung auch mit dem Prüfungsmaßstab als solchem auseinander und argumentiert, das Arbeitsgericht habe die Bedeutung der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten zum „Outsourcing“ der Position des [X.] nicht ausreichend berücksichtigt.

II. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung kann der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts nicht stattgegeben werden.

1. Das [X.] hat zunächst im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der streitgegenständliche Feststellungsantrag zulässig ist. Der Kläger will festgestellt haben, dass seine Rechtsstellung als Betriebsbeauftragter für Abfall nicht durch die Abberufung der Beklagten vom 31. März 2017 beendet worden ist. Dieses Klagebegehren ist in einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend zu machen (vgl. zum Datenschutzbeauftragten [X.] 6. Juni 2023 - 9 [X.] - Rn. 17 [X.]). Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Zwischen den Parteien ist ein Rechtsverhältnis im Streit, nämlich ob der Kläger weiterhin Betriebsbeauftragter für Abfall bei der Beklagten ist (vgl. zum [X.] Ansprechpartner [X.] 30. September 2015 - 10 [X.] - Rn. 11, [X.]E 153, 32; zum Datenschutzbeauftragten [X.] 13. März 2007 - 9 [X.] - Rn. 15, [X.]E 121, 369).

2. Ebenfalls zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass eine - unterstellte - Verletzung der in § 60 Abs. 3 [X.] iVm. § 55 Abs. 1a Satz 2 BImSchG vorgesehenen Verpflichtung zur Unterrichtung des Personalrats bei der Abberufung des [X.] nicht zu deren Unwirksamkeit führen würde ([X.]/[X.] Stand 1. Oktober 2023 BImSchG § 55 Rn. 4a [X.]). Entsprechendes gilt auch für einen - etwaigen - Verstoß der Beklagten gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Anzeige der Abberufung bei der zuständigen Behörde nach § 60 Abs. 3 [X.] iVm. § 55 Abs. 1 Satz 2 BImSchG ([X.] BImSchG 14. Aufl. § 55 Rn. 8, 6). Die gesetzlichen Regelungen sehen die Unwirksamkeit der Abberufung als Rechtsfolge nicht vor.

3. Das [X.] hat im Weiteren jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Abberufung des [X.] keiner gerichtlichen Überprüfung unterliege.

a) Die Frage, welchen [X.] die Abberufung eines Betriebsbeauftragten für Abfall unterliegt, lässt sich nicht unabhängig von dem ursprünglichen Bestellungsakt beantworten.

aa) „Bestellung“ iSv. § 60 Abs. 3 [X.] iVm. § 55 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ist die konkrete Zuweisung der Aufgaben eines [X.] iSv. § 59 [X.] im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses. Entsprechendes galt nach den bei der (nochmaligen) Bestellung des [X.] geltenden Regelungen, § 55 Abs. 3 KrW-/[X.] iVm. § 55 Abs. 1 BImSchG aF (vgl. zum Ganzen [X.] 26. März 2009 - 2 [X.] - Rn. 20 [X.], [X.]E 130, 166).

(1) Die Bestellung erzeugt für den Beauftragten keine Pflichten gegenüber der Überwachungsbehörde, sondern nur im Verhältnis zum Anlagenbetreiber. Es handelt sich daher um eine rein privatrechtliche Willenserklärung. Da die Bestellung nicht gegen den Willen des Beauftragten erfolgen kann, bedarf sie seiner Zustimmung (vgl. [X.]/[X.] Stand 1. Oktober 2022 [X.] § 60 Rn. 11; Landmann/[X.] UmweltR/[X.] Stand September 2023 [X.] § 60 Rn. 29 ([X.])). Die Bestellung ist von dem zwischen Anlagenbetreiber und [X.] bestehenden [X.] zu unterscheiden. Ist dieses [X.] ein Arbeitsverhältnis, bedarf die Bestellung zur wirksamen Aufgabenwahrnehmung auch einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Verpflichtung des [X.]. Inwieweit hierfür eine Vertragsänderung, die konkludent möglich ist, erforderlich ist und mit welchem konkreten Inhalt ggf. der Arbeitsvertrag geändert und angepasst wird, ist durch Auslegung der Vereinbarung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (vgl. zum Datenschutzbeauftragten [X.] 23. März 2011 - 10 [X.] - Rn. 29 f. [X.]). Da ein Arbeitnehmer nur mit seiner Zustimmung zum [X.] bestellt werden kann, scheidet - soweit entsprechendes nicht bereits im Arbeitsvertrag vorgesehen ist - eine Aufgabenzuweisung im Wege des Direktionsrechts aus.

(2) Durch die Bestellung einzelner Arbeitnehmer zu Funktionsbeauftragten im bestehenden Arbeitsverhältnis wird regelmäßig der Arbeitsvertrag nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen um die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben erweitert. Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot durch Übernahme der Tätigkeit an und dokumentiert er damit sein Einverständnis mit der Bestellung, wird der Arbeitsvertrag für die Zeitspanne der Amtsübertragung entsprechend geändert und angepasst. Wird die Bestellung wirksam widerrufen oder entfällt das Funktionsamt auf andere Weise, ist die Tätigkeit nicht mehr Bestandteil der vertraglich geschuldeten Leistung ([X.] 23. März 2011 - 10 [X.] - Rn. 30; 29. September 2010 - 10 [X.] - Rn. 15 ff., [X.]E 135, 327; zu einer anderen [X.] vgl. [X.] 13. März 2007 - 9 [X.] - Rn. 29, [X.]E 121, 369).

bb) Auch im vorliegenden Fall sollte dementsprechend lediglich für die Dauer der wirksamen Bestellung der Arbeitsvertrag um die Wahrnehmung des Funktionsamts erweitert werden. Der Kläger wurde nach seinem - für den öffentlichen Dienst typischen - Arbeitsvertrag „als Angestellter“ eingestellt und nicht als „[X.]“. Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien abweichend von den Gepflogenheiten des öffentlichen Dienstes die vertragliche Verwendbarkeit des [X.] dauerhaft einschränken wollten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Beklagte wollte ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Bestellung eines [X.] genügen und die dafür erforderlichen vertraglichen Vereinbarungen treffen, aber keine weitergehenden Verpflichtungen eingehen. Der Kläger strebte, wie es regelmäßig der Fall sein dürfte, keine - für ihn nachteilige - vertragliche Einschränkung auf die Tätigkeiten des Amtes an (vgl. zu der typischen Interessenlage [X.] 29. September 2010 - 10 [X.] - Rn. 15, [X.]E 135, 327). Die Parteien haben damit - konkludent - eine Änderung des Arbeitsvertrags für die Zeitspanne vereinbart, für die der Kläger das Amt nach den gesetzlichen Bestimmungen ausübt.

b) Hinsichtlich der Abberufung eines [X.] sind ausgehend von den vorstehenden Erwägungen sowohl die gesetzlichen Vorgaben des Umweltschutzrechts als auch die Anforderungen, die sich aus dem [X.] - hier dem konkludent angepassten Arbeitsvertrag - ergeben, in den Blick zu nehmen.

aa) Im Kreislaufwirtschaftsgesetz ist die Abberufung des [X.] nicht eigenständig geregelt (vgl. - zum Immissionsschutzbeauftragten und noch zu § 11b ff. [X.] - [X.] 22. Juli 1992 - 2 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe). § 60 Abs. 3 Satz 1 [X.] verweist für das Verhältnis zwischen dem zur Bestellung Verpflichteten und dem [X.] auf Regelungen des [X.] zum Immissionsschutzbeauftragten. Dessen Abberufung ist allerdings ebenfalls nicht ausdrücklich geregelt. Sie wird lediglich als actus contrarius zu der Bestellung in § 55 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1a Satz 2 BImSchG erwähnt und in § 55 Abs. 2 Satz 2 BImSchG als möglich vorausgesetzt.

bb) Für die Abberufung des [X.] durch den zur Bestellung Verpflichteten stellt das Kreislaufwirtschaftsgesetz - auch iVm. den Regelungen des [X.] - damit keine spezifischen Anforderungen auf. Damit unterscheidet es sich von den Bestimmungen, die für den Datenschutzbeauftragten gelten. Dessen Abberufung ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG nur in entsprechender Anwendung von § 626 BGB zulässig, also beim Vorliegen eines wichtigen Grundes. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung im [X.] bedeutet aber - anders als das [X.] gemeint hat - nicht, dass die Abberufung eines [X.] vollkommen „frei“ möglich wäre. Vielmehr sind, wie bei der Bestellung, auch die sich aus dem Vertragsrecht ergebenden Anforderungen des [X.]ses zu beachten, soweit es sich dabei um ein Arbeitsverhältnis handelt ([X.][X.] UmweltR/[X.] Stand September 2023 BImSchG § 55 Rn. 38 (EL 93 August 2020); [X.] BImSchG 14. Aufl. § 55 Rn. 8; strenger Landmann/[X.] UmweltR/[X.] Stand September 2023 [X.] § 60 Rn. 30 (EL 66 Juni 2012) Abberufung nur aus wichtigem Grund möglich). Dies ist in den umweltrechtlichen Regelungen bereits angelegt. Soweit § 59 [X.] iVm. der [X.]verordnung ([X.]) die Bestellung eines internen, in einem Arbeitsverhältnis stehenden [X.] vorsieht, führt dessen Bestellung regelmäßig für die Dauer der Übertragung des Funktionsamts zu einer Erweiterung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten ([X.]. Rn. 17). Damit unterliegt in der Folge die in § 60 [X.] iVm. § 55 BImSchG vorausgesetzte einseitige Abberufung durch den zur Bestellung Verpflichteten den Prüfungsanforderungen, die sich aus dem (Arbeits-)Vertragsrecht ergeben.

cc) Das [X.] ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Abberufung als actus contrarius zur Bestellung nicht um eine Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers handelt. Auch wenn sie damit keiner Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 [X.] unterliegt, folgt daraus aber nicht, dass die einseitige Abberufung kontrollfrei wäre. Hierin liegt der Rechtsfehler des Berufungsurteils. Es hat nicht gesehen, dass die Abberufung als einseitige Leistungsbestimmung der Beklagten nach § 315 BGB der Billigkeit entsprechen muss.

(1) Weder das Kreislaufwirtschaftsgesetz noch das [X.] enthalten ausdrückliche Regelungen zur Abberufung der Abfall- und Immissionsschutzbeauftragten ([X.]. Rn. 20). Beide Gesetze erkennen jedoch eine besondere Schutzbedürftigkeit dieser Personen an, indem sie Bestimmungen zum nachwirkenden Kündigungsschutz und zum Benachteiligungsverbot treffen (vgl. [X.]/Deinert/Zwanziger/[X.] 11. Aufl. § 58 BImSchG Rn. 18 f.). Letzteres deutet bereits darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht von einer „freien“ Abberufungsentscheidung ausgegangen und die Abberufungsentscheidung des Arbeitgebers einer Überprüfung am Maßstab des § 315 BGB zu unterziehen ist. Denn diese Bestimmung ist entsprechend heranzuziehen, wenn ein Gesetz einem Beteiligten ein nicht näher konkretisiertes Bestimmungsrecht zuweist und der Vertragspartner, der der Bestimmung durch den Anderen unterworfen wird, eines Schutzes gegen willkürliche Vertragsgestaltung bedarf ([X.] 22. Dezember 2009 - 3 [X.] 814/07 - Rn. 33, [X.]E 133, 50; vgl. auch [X.] 13. Juni 2007 - [X.]/06 - Rn. 16, [X.]Z 172, 315).

Gegenstand von [X.] kann auch ein nicht-monetärer Leistungsinhalt bzw. eine Leistungsmodalität sein ([X.]/[X.] Stand 1. September 2022 BGB § 315 Rn. 6 f.). Das Bestimmungsrecht kann sich je nach der Parteivereinbarung sowohl auf Art und Umfang der Leistung als auch auf Leistungsmodalitäten beziehen ([X.]/Würdinger 9. Aufl. BGB § 315 Rn. 33). § 315 Abs. 1 BGB ist eine Auslegungsregel, die greift, wenn die Parteien keinen anderen engeren oder weiteren Bestimmungsmaßstab vereinbart haben ([X.]/[X.] aaO Rn. 71). Die Beweislast dafür, dass entgegen der Auslegungsregel des § 315 Abs. 1 BGB eine Leistungsbestimmung nach „freiem Ermessen“, nach „freiem Belieben“ iSd. § 319 Abs. 2 BGB oder nach einem anderen Maßstab vereinbart ist, trägt der [X.] ([X.]/Würdinger aaO Rn. 63). Auch wenn es vorliegend auf die Frage, ob die Abberufung selbst eine Benachteiligung sein kann, nicht entscheidend ankommt, dürfte im Übrigen eine Abberufung, die nicht billigem Ermessen entspricht, gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen (vgl. [X.] 26. März 2009 - 2 [X.] - Rn. 21 und 33, [X.]E 130, 166 zu § 55 Abs. 3 KrW-/[X.] iVm. § 58 Abs. 2 BImSchG).

(2) Vorliegend haben die Parteien den Arbeitsvertrag für die Dauer der Übertragung des Funktionsamts ([X.]. Rn. 18) angepasst. Diese Anpassung und die Bestellung zum [X.] war nur mit der (jedenfalls konkludent erteilten) Zustimmung des [X.] möglich. Die nach den umweltrechtlichen Regelungen vorgesehene einseitige Abberufung durch den zur Bestellung Verpflichteten stellt sich in der Folge als eine einseitige Leistungsbestimmung des Arbeitgebers dar, welche die Anpassung des Arbeitsvertrags wieder rückgängig machen soll. Zum Schutz vor willkürlicher Vertragsgestaltung durch den Arbeitgeber bedarf es einer Kontrolle der Abberufungsentscheidung am Maßstab der Billigkeit. Es sind keine Anhaltspunkte dafür festgestellt oder vorgetragen, dass sich die Parteien bei der Anpassung des Arbeitsvertrags auf eine „freie Widerruflichkeit“ der Amtsübertragung geeinigt hätten. Damit muss nach der Zweifelsregelung in § 315 Abs. 1 BGB der einseitige Entzug des Funktionsamts durch die Beklagte billigem Ermessen genügen. Dem nahekommend ist im Übrigen die Beklagte jedenfalls bis zur Entscheidung des [X.]s davon ausgegangen, für die Abberufung des [X.] müsse ein sachlicher Grund vorliegen.

III. Die Entscheidung des [X.]s stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Das Recht des [X.], sich gerichtlich gegen seine Abberufung als [X.] zu wehren, war nicht verwirkt.

1. Das [X.] hat von seiner Rechtsauffassung ausgehend folgerichtig nicht geprüft, ob Verwirkung vorliegt. Es hat allerdings den erforderlichen Sachverhalt vollständig festgestellt. Weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien ist nicht zu erwarten. Der [X.] kann de[X.]alb die Prüfung der Verwirkung selbst vornehmen (vgl. [X.] 24. August 2016 - 5 [X.] 129/16 - Rn. 59, [X.]E 156, 157).

2. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie hat nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. De[X.]alb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen ([X.] 22. März 2017 - 5 [X.] 424/16 - Rn. 23). Der Berechtigte muss unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden ([X.] 24. August 2016 - 5 [X.] 129/16 - Rn. 60, [X.]E 156, 157).

3. Ausgehend hiervon scheidet vorliegend eine Verwirkung aus. Die Beklagte hat bereits keine Umstände vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, sie habe darauf vertrauen können, der Kläger werde von einer gerichtlichen Prüfung der Abberufung absehen. Vielmehr hat er sich nach den Feststellungen des [X.]s während der Verhandlungen über eine etwaige Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. den zukünftigen Inhalt seiner Tätigkeit eine gerichtliche Überprüfung seines Beschäftigungsanspruchs vorbehalten.

IV. Ob die Abberufung des [X.] als [X.] vom 31. März 2017 wirksam ist, kann der [X.] mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden. Er kann die Prüfung nach § 315 BGB nicht selbst vornehmen. Das [X.] ist davon ausgegangen, dass die Abberufungsentscheidung keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Ausgehend hiervon hat es - folgerichtig - keine ausreichenden Feststellungen zur Ausübung billigen Ermessens getroffen. Der Rechtsstreit ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

1. Im Rahmen der Billigkeitskontrolle wird das [X.] zu beachten haben, dass die Beklagte für die Einhaltung des billigen Ermessens die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. zu § 106 [X.] vgl. [X.] 30. November 2022 - 5 [X.] 336/21 - Rn. 38; 30. November 2016 - 10 [X.] 11/16 - Rn. 28; jew. [X.]). Beruht die Leistungsbestimmung - wie hier von der Beklagten vorgetragen - auf einer unternehmerischen Entscheidung, kommt dieser ein besonderes Gewicht zu, ohne dass das unternehmerische Konzept auf seine Zweckmäßigkeit zu überprüfen wäre (zu § 106 [X.] vgl. [X.] 30. November 2022 - 5 [X.] 336/21 - Rn. 41; 30. November 2016 - 10 [X.] 11/16 - Rn. 30). Dies gilt auch für die Bestellung eines externen [X.], die nach den umweltschutzrechtlichen Regelungen grundsätzlich möglich ist (§ 59 Abs. 1 [X.] iVm. § 5 [X.]).

2. Der Arbeitnehmer kann allerdings - wie hier der Kläger - einwenden, die Berufung auf eine unternehmerische Entscheidung sei rechtsmissbräuchlich oder die Entscheidung sei willkürlich (vgl. zu kündigungsschutzrechtlichen Fragestellungen [X.] 28. Februar 2023 - 2 [X.] 227/22 - Rn. 14). Im Prozess hat der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich dies ergeben soll. Der Vortrag des [X.], die unternehmerische Entscheidung sei lediglich „vorgeschoben“, kann danach grundsätzlich erheblich sein.

3. Sollte das [X.] - ggf. nach Erteilung sachdienlicher Hinweise - zu dem Ergebnis kommen, der Kläger habe den für das Vorliegen einer willkürlichen oder missbräuchlichen Unternehmerentscheidung notwendigen Vortrag gehalten und ordnungsgemäß Beweis angeboten, sind die von ihm angetretenen Beweise zu erheben, soweit die Beklagte zuvor die Indiztatsachen ausreichend bestritten hat (§ 138 Abs. 2 ZPO). Die Ergebnisse der Beweisaufnahme sind unter Beachtung der den Arbeitnehmer treffenden objektiven Beweislast zu würdigen (§ 286 Abs. 1 ZPO).

V. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das [X.] auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

        

    [X.]    

        

    Biebl    

        

    Bubach    

        

        

        

    Jungbluth    

        

    Mattausch    

                 

Meta

5 AZR 68/23

18.10.2023

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Nürnberg, 18. Januar 2022, Az: 15 Ca 4538/19, Urteil

§ 55 Abs 1a S 2 BImSchG, § 55 Abs 1 S 2 BImSchG, § 60 Abs 3 KrWG, § 315 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.10.2023, Az. 5 AZR 68/23 (REWIS RS 2023, 8604)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8604

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