Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.08.2012, Az. 4 StR 247/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3797

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4
StR 247/12

vom
21. August
2012
in der Strafsache
gegen

wegen
Mordes u.a.

-
2
-
Der 4. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers
am 21. August
2012
nach § 349 Abs.
2 und 4 StPO
beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 31. Januar 2012 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.]s, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkam-mer des [X.]s zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen schweren Raubes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Das [X.] hat hinsichtlich des [X.] Erfolg. Im Übrigen ist es aus den in der Zuschrift des [X.] angeführten Gründen offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungs-verwahrung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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3
-
1. Das [X.] hat seine Beurteilung der Gefährlichkeit des Ange-klagten auf ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R.

gestützt, der
bei
dem Angeklagten ein "unerhörtes" Risiko für erneute
Gewalttätigkeiten
ge-sehen hat. Der Sachverständige hat zur Überprüfung seiner Risikoprognose das Testverfahren
[X.]
(Historical-Clinical-Risk)
angewendet und dabei im Zusammenhang mit der Bestimmung der Ausprägung der Variablen [X.] (Frühe Gewaltanwendung) und [X.] (Geringes Alter bei der ersten Gewalttat) auf einen Raubüberfall aus einer inzwischen getilgten Verurteilung zurückgegriffen. Darin liegt ein Verstoß gegen das
auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besse-rung und Sicherung geltende
Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG
([X.], Beschluss vom 27. Juni 2002 -
4 [X.], [X.], 332; Beschluss vom 4. Oktober 2000 -
2 StR 352/00, [X.], 479), weil die Berücksichtigung der früheren Tat zu einer für den Angeklagten ungünstigeren Bewertung der benannten Variablen geführt hat.

2. Entgegen der Auffassung des [X.]s kann die Verwertung des Raubüberfalls
aus der getilgten Verurteilung
nicht auf die Ausnahmeregelung des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden.

Nach dieser Vorschrift darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein [X.] über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist und die Um-stände der früheren Tat für die Beurteilung seines [X.] von Bedeu-tung sind. Dadurch soll vermieden werden, dass ein Sachverständiger, der ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstellen hat, zu fal-schen oder nicht belastbaren Aussagen gelangt, weil er bei der Persönlich-keitsanamnese auf bedeutsame Erkenntnisse verzichten muss, die nur aus den früheren Taten des Betroffenen und dem anschließenden Strafverfahren ge-3
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wonnen werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 1973 -
2 [X.], NJW 1973, 815; BT-Drucks. VI/1550, S. 23; [X.]/Tolzmann,
BZRG,
4. Aufl.
§ 52 Rn. 8). § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG hebt das Verwertungsverbot des §
51 Abs. 1 Nr. 1 BZRG daher nur für Erkenntnisse (einzelne Feststellungen, Gutachten, Befunde, etc.) aus der getilgten oder tilgungsreifen Verurteilung auf, deren Verwendung für eine tragfähige Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen im konkreten Einzelfall erforderlich ist ([X.]/Tolzmann,
aaO; Hase,
BZRG, § 52 Rn. 3). Auch die Reichweite der [X.] ist an den Normzweck des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG
gebunden. Eine zulässig bei der Beur-teilung des [X.] berücksichtigte frühere Tat darf daher -
obgleich sie mit der Anhörung des Sachverständigen gerichtsbekannt geworden ist -
nicht auch an anderer Stelle zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Januar 1990 -
5 StR 568/89, [X.]R BZRG § 51 Verwertungsverbot 2; Beschluss vom 22. Februar 1973 -
2 [X.], NJW 1973, 815).

Letzteres ist hier geschehen. Im Testverfahren [X.] bezeichnen die Variablen [X.] und [X.] eigenständig zu gewichtende Prädiktoren, die sich auf die Anamnese beziehen (vgl. [X.], Prognosen in der Forensischen Psychiatrie, S. 110). Die ermittelten Punktwerte fließen unmittelbar
in das Gesamtergebnis ein,
aus dem sich die
Gefährlichkeitsprognose
ableitet. Die Bewertung dieser Variablen dient daher nicht dem Zweck, den Geisteszustand des Betroffenen aufzuklären.
Da das Testergebnis über die Vernehmung des Sachverständigen in die Risikobeurteilung des [X.]s eingegangen ist, kann der [X.] trotz den Ausführungen auf Seite 107 des Urteils nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die [X.] auf diesem Rechtsfehler beruht, zumal das Schwurgewicht dem Sachverständigen die Verfahrensakten und das [X.] zu der getilgten Vorstrafe "im Hinblick auf die Regelung des § 52 6
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Abs. 1 Nr. 2 BZRG" zur Verfügung gestellt ([X.]) und es im Urteil
nicht zu erkennen gegeben hat, ob es selbst die Gefährlichkeitsprognose auch auf die getilgte Vorstrafe stützt.

Der [X.] braucht nicht zu entscheiden, ob § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG bei der Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB auch dann Anwendung findet, wenn der nach § 246a Satz 1 StPO zu vernehmende Sachverständige die getilgte Vorstrafe bei
der Frage berücksichtigt
hat,
ob der Betroffene an einer prognoserelevanten psychischen Erkrankung leidet oder eine entsprechende Persönlichkeitsstörung aufweist. Für die Erörterung von Persönlichkeitsmerkmalen, die einen Hang begründen können, hat der [X.] diese Möglichkeit
in Erwägung gezogen ([X.], Beschluss vom 8. März 2005
-
4 [X.], [X.], 397, 398; enger: Beschluss vom 24. Juni 2010
-
3 StR 69/10).

Mutzbauer Roggenbuck Franke

Quentin Reiter
7

Meta

4 StR 247/12

21.08.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.08.2012, Az. 4 StR 247/12 (REWIS RS 2012, 3797)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3797

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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