Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2012, Az. V ZR 254/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4681

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
V ZR
254/11
Verkündet am:

13. Juli 2012

Mayer

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 130 Abs. 1 Satz 2
Die in der Eigentümerversammlung abgegebene Stimme kann nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter nicht mehr widerrufen werden.

[X.], Urteil vom 13. Juli 2012 -
V [X.] -
LG Koblenz

[X.]

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2012 durch [X.] Dr.
[X.], die Richter Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch und Dr.
Roth
und
die Richterinnen Dr.
Brückner und Weinland

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 3. November 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien sind die Mitglieder einer [X.]. In der Eigentümerversammlung vom 16. Juli 2010 stimmten die [X.] mit Stimmzetteln über den Beschlussantrag ab, der Verwalte-rin eine Zusatzvergütung für die Aufarbeitung der Verwaltungsunterlagen in abgegebenen Stimmzettel, während die Verwalterin
die ihr mitgeteilten [X.] in eine Excel-Tabelle eintrug. Zwei Wohnungseigentümer, die auf ihren bereits abgegebenen Stimmzetteln zunächst Nein angekreuzt hatten, änderten 1
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dies zu einem zwischen den Parteien strittigen Zeitpunkt unter Rückforderung ihres Stimmzettels in eine Ja-Stimme und eine Enthaltung ab. Unter Berück-sichtigung der geänderten Stimmen verkündete die Versammlungsleiterin, eine Angestellte der Verwalterin,
den Antrag als angenommen, da mehr als zwei Drittel der Wohnungseigentümer für den Beschlussantrag gestimmt hätten.

Das Amtsgericht hat
der dagegen gerichteten Anfechtungsklage stattge-geben, das
Landgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelas-sene Revision der Kläger, mit der sie eine Wiederherstellung des erstinstanzli-chen Urteils begehren. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Stimmabgabe bis zur Feststellung und Verkündung eines [X.] widerrufen werden. §
130 Abs. 1 Satz 2 [X.] sei auf die Stimmabgabe nicht anzuwenden. Die [X.] in den Bestand von zugegangenen [X.]. Ein solcher Schutz sei bei der Stimmabgabe in der [X.] nicht notwendig, da der Beschluss rechtswirksam erst mit der Feststellung und Verkündung des [X.] zustande komme. Dass vor Rückforderung der Stimmzettel bereits ein Beschlussergebnis ver-kündet
gewesen sei, hätten die Kläger
nicht beweisen können; denn das [X.] habe sich keine Überzeugung darüber bilden können, welche der für sich genommen jeweils glaubhaften Aussagen der von dem Amtsgericht vernommenen Zeugen der Wahrheit entspreche.
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II.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht zwar davon aus, dass die von den Wohnungseigentümern abgegebenen Einzelstimmen
empfangsbedürf-tige Willenserklärungen gegenüber dem Versammlungsleiter sind, auf die die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln Anwendung finden (Senat, Beschluss vom 19. September 2002

[X.], [X.]Z
152, 63, 67). Die in der [X.] unter Anwesenden abgegebene Stimme wird daher entspre-chend §
130 Abs. 1 Satz 1 [X.] wirksam, wenn der Versammlungsleiter sie zur Ermittlung des Abstimmungsergebnisses zur Kenntnis nimmt (vgl. [X.], Urteil vom 25. Januar 1989

IV b ZR
44/88, NJW
1989, 1728, 1729; [X.] in Im-mobilienrecht 2002, [X.], 38). Handelt es sich

wie hier

um eine in Form von Stimmzetteln verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden, liegt ein Zugang vor, wenn sie durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des [X.] als Empfänger
gelangt (vgl. [X.], Urteil vom 15. Juni 1998

[X.], NJW
1998, 3344
m.w.[X.]). Damit waren die beiden

später geänderten

Stim-men bereits mit der Abgabe des ausfüllten Stimmzettels bei den von der [X.] mit der Auszählung und Ermittlung des [X.] betrauten Personen zugegangen und wirksam geworden. Auf den Zeit-punkt der Verlesung der Stimmzettel und Eintragung des [X.] in die Excel-Tabelle kommt es für den Zugang nicht an.

2. [X.] ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Stimmabgabe auch noch nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter bis zur Verkündung des Abstimmungsergebnisses wirksam widerrufen werden kann.
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a) Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Stimmabgabe widerrufen werden kann, wird unterschiedlich beantwortet. Nach überwiegender [X.] kommt ein Widerruf der Stimme gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 [X.] nur bis zu ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter in Betracht ([X.], [X.], 11. Aufl., § 23 Rn. 31; [X.]/Bub, [X.] [2005], § 23 [X.] Rn. 69; [X.], in Immobilienrecht (2002) 23, 38; [X.], [X.], 237, 245; [X.] [X.], 455, 456). Nach anderer Auffassung ist ein Widerruf der [X.] jedenfalls bis zur Abgabe der letzten Stimme möglich, da bis dahin der Abstimmungsvorgang noch nicht beendet sei ([X.]/Grziwotz, [X.], 13.
Aufl., § 23 [X.] Rn. 2). Nach einer weiteren Meinung kann die [X.] bis zur Feststellung und Verkündung des Beschlusses widerrufen werden. Denn ein Beschluss komme
erst mit seiner Feststellung und einer an alle [X.] gerichteten Mitteilung des [X.] zustande. Es gebe keinen Anlass, einen Wohnungseigentümer vor dieser Mitteilung an seine Stimmabgabe endgültig zu binden. Diese könne keine selbständige Re-gelungswirkung entfalten, solange es keinen Beschluss gebe ([X.] in [X.], [X.], 3. Aufl., Vor §§ 23 bis 25 Rn. 47).

b) Der Senat hält die Auffassung der herrschenden Meinung, wonach die Stimmabgabe nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter nicht mehr wi-derrufen werden kann, für zutreffend. Hierfür spricht die Regelung
des
§ 130 Abs. 1 [X.], die auf die Stimmabgabe als unter Anwesenden abgegebene empfangsbedürftige Willenserklärung sinngemäß Anwendung findet. Nach §
130 Abs. 1 Satz 1 [X.] wird eine Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam und bindet den Erklärenden (vgl. § 145 Abs. 1 [X.]), weshalb ein Widerruf der Erklärung nach §
130 Abs. 1 Satz 2 [X.] ab diesem Zeitpunkt ausscheidet. Soweit das Berufungsgericht darauf
hinweist, dass Willenserklärungen im 7
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Rahmen der §§ 929, 873 Abs. 2 [X.] mit Zugang auch noch keine Bindungs-wirkung entfalteten, vermag hieraus eine Ausnahme für die Stimmabgabe nicht hergeleitet zu werden. Die Bestimmung des § 873 Abs. 2 [X.], die die Unwi-derruflichkeit der dinglichen Einigung vor der Eintragung von der Beobachtung gewisser Förmlichkeiten abhängig macht, soll übereilte und leichtfertige Verfü-gungen über Grundstücksrechte verhindern (Senat, Urteil vom 25. Januar 1967

[X.], [X.]Z
46, 398, 399). Gründe für eine Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung sind nicht ersichtlich. Auch der Umstand, dass der Beschluss rechtswirksam erst mit der Feststellung und Verkündung des [X.] zustande kommt, rechtfertigt nicht die freie Widerruflichkeit der Stimmabgabe bis zu diesem Zeit-punkt; denn dann müssten auch Vertragsangebote nach §§ 145 ff. [X.], die allein keinen Vertrag zustande bringen, jederzeit widerruflich sein (vgl. Prüfer, Schriftliche Beschlüsse, gespaltene Jahresabrechnungen, [X.]). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht auch kein praktisches Bedürfnis, hinsichtlich der Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung von der Rege-lung des §
130 Abs. 1 Satz 2 [X.] abzuweichen. Ließe man einen Widerruf der Stimmabgabe bis zur Verkündung des [X.] zu, könnte die Feststellung eines Ergebnisses

insbesondere bei großen Eigentümergemein-schaften

erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Man bedenke nur den Fall, dass der Versammlungsleiter bereits mit der Zählung der Stimmen begonnen hat und, ehe er fertig ist, einige Mitglieder, die er schon gezählt hat, ihre Stimmen widerrufen. Es muss daher einen Zeitpunkt geben, ab dem der Versammlungsleiter damit beginnen kann, das Beschlussergebnis verbindlich festzustellen ([X.], [X.] 205, 293, 327). Dies ist entsprechend §
130 Abs. 1 Satz 1 [X.] der Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Stimme bei dem Versammlungsleiter.

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c) Mit dem Zugang konnten die beiden Stimmabgaben daher nicht mehr wirksam widerrufen werden und hätten in ihrer ursprünglichen Fassung bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses Eingang finden müssen.

3. Da der Zeitpunkt der Feststellung und Verkündung des Beschlusser-gebnisses für einen wirksamen Widerruf der Stimmabgabe nicht maßgeblich ist, kommt es nicht darauf an, dass die in diesem Zusammenhang von dem Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung verfahrensfehlerhaft ist. Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO die erstinstanzlich vernommenen Zeugen nicht erneut vernommen hat. Das Amtsgericht hat sich zur Glaubwürdigkeit der Zeugen in dem von dem Berufungsgericht als erheblich erachteten Punkt nicht geäußert. Da dem Berufungsgericht objektive Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der ei-nen oder anderen Aussage fehlten, kam es entscheidend auf die Glaubwürdig-keit der Zeugen an. Deren Beurteilung konnte nur dadurch erfolgen, dass sich das Berufungsgericht durch erneute Vernehmung einen eigenen, unmittelbaren Eindruck von den Zeugen verschaffte (vgl. Senat, Urteil vom 8. Februar 1985

[X.], NJW-RR
1986, 285, 286).

4. Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit nicht zur End-entscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Eine Ungültigerklärung des Beschlusses aufgrund des [X.] kommt nur in Betracht, wenn sich bei korrekter Ermittlung des [X.] für den zugrunde liegenden Beschlussantrag nicht die er-forderliche Mehrheit gefunden hat (vgl. [X.], [X.], 11. Aufl., § 23 9
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Rn. 177). Hierzu hat das Berufungsgericht

von seinem Standpunkt aus folge-richtig

keine Feststellungen getroffen.

[X.]

Schmidt-Räntsch Roth

Brückner Weinland

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.06.2011 -
10a C 17/10 [X.] -

LG Koblenz, Entscheidung vom 03.11.2011 -
2 [X.]/11 -

Meta

V ZR 254/11

13.07.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2012, Az. V ZR 254/11 (REWIS RS 2012, 4681)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4681

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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