Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2016, Az. 4 StR 102/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 13799

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:300316B4STR102.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 102/16

vom
30. März
2016
in der Strafsache
gegen

wegen schweren Raubes u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 30.
März
2016
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.]nd-gerichts [X.] vom 17.
Dezember 2015 mit den [X.] aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:

[X.] mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und mit versuchtem Sich-Verschaffen von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.
I.
1.
Nach den Feststellungen klingelten
der Angeklagte sowie die geson-dert Verfolgten [X.]

, L.

und M.

, die vorhatten, von den [X.]
B.

gewaltsam Bargeld und größere Mengen Betäubungsmittel zum Zwe-
1
2
-
3
-
cke des gewinnbringenden Weiterverkaufs zu erlangen, am frühen Morgen
des [X.] versehentlich an der Wohnung der
Geschädigten
in der Annahme, es handele sich um die Wohnung der Brüder. Nachdem der Geschädigte
H.

unmittelbar nach dem Öffnen der Wohnungstür von dem geson-
dert Verfolgten L.

einen Schlag ins Gesicht erhalten hatte und zu Boden
gestürzt war, kniete sich der gesondert Verfolgte [X.]

auf den Brustkorb
des Geschädigten und bedrohte ihn mit einem in die Nähe des Gesichts ge-haltenen Elektroschocker, den er mehrfach betätigte. Währenddessen begab sich der Angeklagte in das Badezimmer der Wohnung zu der Geschädigten
[X.]

, drückte sie mit einem Griff in den Nacken zu Boden und zwang sie
mittels einer ihr gegen die Schläfe gedrückten, geladenen Gaspistole dazu, den Kopf nach unten zu halten und auf den Knien
zu bleiben.
L.

durchsuchte
die Wohnung währenddessen nach Bargeld und Drogen. Er fand jedoch ledig-lich zwei Mobiltelefone sowie eine Geldbörse mit etwa 45

beides an sich. Als es dem Geschädigten H.

gelang, sich in einem
geeigneten Moment loszureißen und unter lauten Hilferufen aus der Wohnung zu fliehen, brachen die Täter die weitere Nachsuche ab und flüchteten. Die Ge-schädigte [X.]

trug neben psychischen Beeinträchtigungen Schmerzen im
Nacken und an der linken Seite des Gesichts davon.
2.
Der Angeklagte hat sich zur Sache nicht eingelassen. Das [X.] stützt die Verurteilung des Angeklagten, der seinen Mittätern vor der Tat nicht näher bekannt war,
auf folgende Umstände:
a)
Der gesondert Verfolgte L.

hat in der Hauptverhandlung bekun-
det, er habe bei einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten [X.] den Angeklagten mit großer Wahrscheinlichkeit als Mittäter identifiziert; bei dieser habe ihm aber der Polizeibeamte mitgeteilt, dass der Angeklagte ohne-3
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-
4
-
hin schon von einem anderen identifiziert worden sei. In der Hauptverhandlung hat er zunächst ausgesagt, sich insoweit sicher zu sein, dies dann aber dahin eingeschränkt, er sei sich zu
über
50
% sicher, dass der Angeklagte der Mittäter gewesen sei. Beim Betreten des [X.] hat er sich unmittelbar an den Der gesondert Verfolgte M.

hat in der Hauptverhandlung
gegen den Angeklag-
ten als Zeuge
ausgesagt, er habe den vierten Täter zwar erst unmittelbar vor der Tat erstmals gesehen, erkenne ihn aber heute als den Angeklagten wieder. Wie schon im Rahmen einer zuvor im Ermittlungsverfahren durchgeführten [X.] seien die Haare des Angeklagten zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung anders als zum Tatzeitpunkt. Von der Gesichtsform und den übrigen Erkennungsmerkmalen her könne er ihn aber wiedererkennen. Der Zeuge [X.].

, der die Täter in [X.] fuhr,
hat in der Hauptverhandlung
bekundet, er glaube, bei dem Angeklagten handele es sich um einen der
Mit-täter

.

. Er hat ferner bestätigt, im Rahmen einer im Er-
mittlungsverfahren durchgeführten [X.] ihm heute auf der [X.] begegnen, würde er ihn wohl eher nicht wiedererken-nen. Es sei jedoch zutreffend, dass der ermittlungsführende Kriminalbeamte, der Zeuge [X.].

, mit ihm eine [X.] durchgeführt habe; bei die-
ser habe er den

Der Kriminalbeamte [X.].

hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, auf
Lichtbildern der [X.] Ermittlungsbehörden, auf denen der Angeklagte noch sehr kurze Haare gehabt habe, habe ihn der Zeuge [X.].

auf einem

.

, M.

und L.

ferner den
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5
-

der Tat .

b)
Unter verschiedenen Kleidungsstücken, die die Täter unmittelbar nach Ausführung der Tat in einem Waldstück abgelegt hatten, konnte eine Base-ich DNA-Material befand, das dem Angeklagten zugeordnet werden konnte. Nach dem Ergebnis des kriminaltechnischen Gutachtens kommt das betreffende [X.] unter mehr als 10
Milliarden nicht blutsverwandten [X.] [X.] vor und kann daher als individualcharakteristisch be-wertet werden.
Ferner konnte der Angeklagte im Hinblick auf DNA-Spuren an der Gaspistole als Mitverursacher nicht ausgeschlossen werden.
Auf der Grundlage einer Gesamtschau der erhobenen Beweise in Gestalt der [X.] sowie der Aussagen der Zeugen hat sich die [X.] von einer Beteiligung des Angeklagten als Mittäter an der festgestellten Tat überzeugt.
II.
Im Hinblick auf die Identifizierung des Angeklagten ist die Beweiswürdi-gung insoweit jedoch
lückenhaft und widersprüchlich, sodass die Sache insge-samt aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwie-sen werden muss.
1.
a)
Dabei kann dahinstehen, ob sich ein durchgreifender Darstellungs-mangel der Urteilsgründe bereits daraus ergibt, dass nähere Darlegungen in 6
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-
6
-
den Urteilsgründen dazu fehlen, in welcher Weise die im Ermittlungsverfahren veranlassten [X.] im Einzelnen durchgeführt wurden (vgl. Se-natsbeschluss vom 27.
Februar 1996

4
StR
6/96, [X.], 350 mwN).
Auch bedarf keiner Entscheidung, ob ein durchgreifender Rechtsfehler darin liegt, dass die [X.] nicht erörtert hat, dass

wie jedenfalls im Hinblick auf den Zeugen [X.].

zusätzlich zu der bei ihm durchgeführten Wahllicht-
bildvorlage noch eine Vorlage von verschiedenen Einzellichtbildern stattgefun-den hat, die ausschließlich aus Aufnahmen des Angeklagten durch die [X.] Ermittlungsbehörden bestand.
b)
Jedenfalls hat die [X.] ausweislich der Urteilsgründe nicht er-kennbar bedacht, dass es sich bei dem Wiedererkennen des Angeklagten durch die in der Hauptverhandlung vernommenen
Zeugen vor dem Hintergrund der Einzel-
bzw. [X.] im Ermittlungsverfahren um ein wieder-holtes Wiedererkennen handelte, dessen Verlässlichkeit wegen der [X.] durch die Situation des ersten Wiedererkennens und der durch diese be-dingten Überlagerung des ursprünglichen [X.] deutlich vermindert sein konnte (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 25.
September 2012

5
StR
372/12, [X.], 381 mwN). Das [X.] hätte daher in sei-ne Bewertung, die nach den Urteilsgründen auf einer Gesamtschau der [X.] beruht, einstellen müssen, dass sich die Zeugen [X.] an der Einzel-
bzw. [X.] im Ermittlungsverfahren orien-tiert haben könnten.
Das ist nicht geschehen.
2.
Auch die Ausführungen zu den ausweislich der Urteilsgründe verlese-nen [X.] genügen den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Be-weiswürdigung nicht.
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-
7
-
Der Tatrichter hat in den Fällen, in denen er dem Gutachten eines Sach-verständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den [X.] des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Ver-gleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung, bei der es sich nicht um ein standardisiertes Verfahren handelt, ist es danach erforderlich, dass der Tatrichter mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und in-wieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben ha-ben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwie-weit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. [X.], Urteile vom 5.
Juni 2014

4
StR
439/13, NJW 2014, 2454; vom 21.
März 2013

3
StR
247/12, [X.]St 58, 212, 217; Beschlüsse vom 25.
Fe-bruar 2015

4
StR
39/15 und vom 22.
Oktober 2014

1
StR
364/14, [X.], 87, 88).
Daran fehlt es hier. Die bloße Mitteilung der Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung reicht nicht aus.
Der [X.] kann ein Beruhen des Urteils auf diesen [X.] trotz der auf den Angeklagten als Mittäter hinweisenden Umstände nicht ausschlie-ßen.
Die
[X.] hat ihre Überzeugung von der Mittäterschaft des Ange-klagten neben den genannten Wiedererkennungsleistungen der Zeugen
maß-geblich auf die Ergebnisse der [X.] gestützt.
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-
8
-
III.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der [X.] auf das Folgende hin:
1.
a)
Sollte der neue Tatrichter zu Feststellungen gelangen, die denen des angefochtenen Urteils entsprechen, wird er bedenken müssen, dass ein Täter wie der Angeklagte, der Betäubungsmittel durch den Überfall zur [X.] Weiterveräußerung erlangen wollte, sich nicht wegen versuchten [X.] von Betäubungsmitteln, sondern wegen versuchten [X.] mit Betäubungsmitteln im Sinne von §
29 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 BtMG schuldig macht (vgl. [X.]sbeschluss vom 18.
Februar
2016

4
StR 550/15 mwN).
b)
Die
Verwirklichung des [X.] des §
250 Abs.
2 Nr.
1 StGB durch Einsatz des nach den Feststellungen funktionsfähigen Elek-troschockers als Drohmittel wird in der Urteilsformel durch die Bezeichnung als besonders schwerer Raub zum Ausdruck zu bringen sein (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 3.
September 2009

3
StR
297/09, [X.], 101 mwN).
2.
Im Fall der Verurteilung des Angeklagten wird die vom Angeklagten er-littene Auslieferungshaft in einem vom neuen Tatrichter zu bestimmenden An-rechnungsmaßstab auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen sein (§
51 Abs.
4 Satz
2 StGB).
14
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9
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3.
Ergänzend
verweist der [X.] auf die Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift vom 7.
März 2016.
Mutzbauer
Roggenbuck
Cierniak

Franke
Quentin
18

Meta

4 StR 102/16

30.03.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2016, Az. 4 StR 102/16 (REWIS RS 2016, 13799)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13799

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