Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.03.2016, Az. 4 StR 102/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 13798

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Freie Beweiswürdigung im Strafverfahren: Beweiswert des Wiedererkennens des Angeklagten durch einen Zeugen nach Lichtbildvorlage im Ermittlungsverfahren


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „schweren Raubes“ in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und mit versuchtem Sich-Verschaffen von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen klingelten der Angeklagte sowie die gesondert Verfolgten [X.], [X.]     und M.  , die vorhatten, von den [X.]gewaltsam Bargeld und größere Mengen Betäubungsmittel zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs zu erlangen, am frühen Morgen des [X.] versehentlich an der Wohnung der Geschädigten in der Annahme, es handele sich um die Wohnung der Brüder. Nachdem der Geschädigte [X.]       unmittelbar nach dem Öffnen der Wohnungstür von dem gesondert Verfolgten [X.]     einen Schlag ins Gesicht erhalten hatte und zu Boden gestürzt war, kniete sich der gesondert Verfolgte [X.] auf den Brustkorb des Geschädigten und bedrohte ihn mit einem in die Nähe des Gesichts gehaltenen Elektroschocker, den er mehrfach betätigte. Währenddessen begab sich der Angeklagte in das Badezimmer der Wohnung zu der Geschädigten [X.]     , drückte sie mit einem Griff in den Nacken zu Boden und zwang sie mittels einer ihr gegen die Schläfe gedrückten, geladenen Gaspistole dazu, den Kopf nach unten zu halten und auf den Knien zu bleiben. [X.]      durchsuchte die Wohnung währenddessen nach Bargeld und Drogen. Er fand jedoch lediglich zwei Mobiltelefone sowie eine Geldbörse mit etwa 45 € Bargeld und nahm beides an sich. Als es dem Geschädigten [X.]      gelang, sich in einem geeigneten Moment loszureißen und unter lauten Hilferufen aus der Wohnung zu fliehen, brachen die Täter die weitere Nachsuche ab und flüchteten. Die Geschädigte [X.]     trug neben psychischen Beeinträchtigungen Schmerzen im Nacken und an der linken Seite des Gesichts davon.

3

2. Der Angeklagte hat sich zur Sache nicht eingelassen. Das [X.] stützt die Verurteilung des Angeklagten, der seinen Mittätern vor der Tat nicht näher bekannt war, auf folgende Umstände:

4

a) Der gesondert Verfolgte [X.]     hat in der Hauptverhandlung bekundet, er habe bei einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten [X.] den Angeklagten mit großer Wahrscheinlichkeit als Mittäter identifiziert; bei dieser habe ihm aber der Polizeibeamte mitgeteilt, dass der Angeklagte ohnehin schon von einem anderen identifiziert worden sei. In der Hauptverhandlung hat er zunächst ausgesagt, sich insoweit sicher zu sein, dies dann aber dahin eingeschränkt, er sei sich zu über 50 % sicher, dass der Angeklagte der Mittäter gewesen sei. Beim Betreten des [X.] hat er sich unmittelbar an den Angeklagten gewandt und diesem auf [X.] gesagt: „Scheiße gelaufen“. Der gesondert Verfolgte M.   hat in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten als Zeuge ausgesagt, er habe den vierten Täter zwar erst unmittelbar vor der Tat erstmals gesehen, erkenne ihn aber heute als den Angeklagten wieder. Wie schon im Rahmen einer zuvor im Ermittlungsverfahren durchgeführten [X.] seien die Haare des Angeklagten zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung anders als zum Tatzeitpunkt. Von der Gesichtsform und den übrigen Erkennungsmerkmalen her könne er ihn aber wiedererkennen. Der Zeuge [X.].    , der die Täter in [X.] fuhr, hat in der Hauptverhandlung bekundet, er glaube, bei dem Angeklagten handele es sich um einen der Mittäter mit dem Namen „P.    “. Er hat ferner bestätigt, im Rahmen einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten Lichtbildvorlage mit „drei Bildern des Angeklagten“ diesen auf dem mittleren Bild erkannt zu haben. Würde der Angeklagte ihm heute auf der [X.] begegnen, würde er ihn wohl eher nicht wiedererkennen. Es sei jedoch zutreffend, dass der ermittlungsführende Kriminalbeamte, der Zeuge [X.].   , mit ihm eine [X.] durchgeführt habe; bei dieser habe er den Angeklagten mit einer „gewissen Wahrscheinlichkeit“ erkannt.

5

Der Kriminalbeamte [X.].   hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, auf Lichtbildern der [X.] Ermittlungsbehörden, auf denen der Angeklagte noch sehr kurze Haare gehabt habe, habe ihn der Zeuge [X.].    auf einem mittleren Bild als einen der Tatbeteiligten erkannt. „Im Rahmen von weiteren [X.]“ hätten die Zeugen [X.].    , [X.]und [X.]     ferner den Angeklagten mit einer „höhergradigen Wahrscheinlichkeit“ als den an der Tat beteiligten „P.    “ erkannt.

6

b) Unter verschiedenen Kleidungsstücken, die die Täter unmittelbar nach Ausführung der Tat in einem Waldstück abgelegt hatten, konnte eine Baseballkappe mit der Aufschrift „[X.]“ sichergestellt werden, an der sich [X.] befand, das dem Angeklagten zugeordnet werden konnte. Nach dem Ergebnis des kriminaltechnischen Gutachtens kommt das betreffende [X.] unter mehr als 10 Milliarden nicht blutsverwandten Personen [X.] vor und kann daher als individualcharakteristisch bewertet werden. Ferner konnte der Angeklagte im Hinblick auf DNA-Spuren an der Gaspistole als Mitverursacher nicht ausgeschlossen werden.

7

Auf der Grundlage einer Gesamtschau der erhobenen Beweise in Gestalt der [X.] sowie der Aussagen der Zeugen hat sich die [X.] von einer Beteiligung des Angeklagten als Mittäter an der festgestellten Tat überzeugt.

II.

8

Im Hinblick auf die Identifizierung des Angeklagten ist die Beweiswürdigung insoweit jedoch lückenhaft und widersprüchlich, sodass die Sache insgesamt aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden muss.

9

1. a) Dabei kann dahinstehen, ob sich ein durchgreifender [X.] der Urteilsgründe bereits daraus ergibt, dass nähere Darlegungen in den Urteilsgründen dazu fehlen, in welcher Weise die im Ermittlungsverfahren veranlassten [X.] im Einzelnen durchgeführt wurden (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 1996 – 4 StR 6/96, [X.], 350 mwN). Auch bedarf keiner Entscheidung, ob ein durchgreifender Rechtsfehler darin liegt, dass die [X.] nicht erörtert hat, dass – wie jedenfalls im Hinblick auf den Zeugen [X.].    – zusätzlich zu der bei ihm durchgeführten [X.] noch eine Vorlage von verschiedenen Einzellichtbildern stattgefunden hat, die ausschließlich aus Aufnahmen des Angeklagten durch die [X.] Ermittlungsbehörden bestand.

b) Jedenfalls hat die [X.] ausweislich der Urteilsgründe nicht erkennbar bedacht, dass es sich bei dem Wiedererkennen des Angeklagten durch die in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen vor dem Hintergrund der Einzel- bzw. [X.] im Ermittlungsverfahren um ein wiederholtes Wiedererkennen handelte, dessen Verlässlichkeit wegen der Beeinflussung durch die Situation des ersten Wiedererkennens und der durch diese bedingten Überlagerung des ursprünglichen [X.] deutlich vermindert sein konnte (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. September 2012 – 5 StR 372/12, [X.], 381 mwN). Das [X.] hätte daher in seine Bewertung, die nach den Urteilsgründen auf einer Gesamtschau der Wiedererkennungsleistungen beruht, einstellen müssen, dass sich die Zeugen unbewusst an der Einzel- bzw. [X.] im Ermittlungsverfahren orientiert haben könnten. Das ist nicht geschehen.

2. Auch die Ausführungen zu den ausweislich der Urteilsgründe verlesenen [X.] genügen den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung nicht.

Der Tatrichter hat in den Fällen, in denen er dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den [X.] des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung, bei der es sich nicht um ein standardisiertes Verfahren handelt, ist es danach erforderlich, dass der Tatrichter mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. [X.], Urteile vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454; vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, [X.]St 58, 212, 217; Beschlüsse vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 und vom 22. Oktober 2014 – 1 StR 364/14, [X.], 87, 88). Daran fehlt es hier. Die bloße Mitteilung der Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung reicht nicht aus.

Der Senat kann ein Beruhen des Urteils auf diesen [X.] trotz der auf den Angeklagten als Mittäter hinweisenden Umstände nicht ausschließen. Die [X.] hat ihre Überzeugung von der Mittäterschaft des Angeklagten neben den genannten Wiedererkennungsleistungen der Zeugen maßgeblich auf die Ergebnisse der [X.] gestützt.

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf das Folgende hin:

1. a) Sollte der neue Tatrichter zu Feststellungen gelangen, die denen des angefochtenen Urteils entsprechen, wird er bedenken müssen, dass ein Täter wie der Angeklagte, der Betäubungsmittel durch den Überfall zur gewinnbringenden Weiterveräußerung erlangen wollte, sich nicht wegen versuchten [X.] von Betäubungsmitteln, sondern wegen versuchten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG schuldig macht (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Februar 2016 – 4 [X.]/15 mwN).

b) Die Verwirklichung des [X.] des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch Einsatz des nach den Feststellungen funktionsfähigen Elektroschockers als Drohmittel wird in der Urteilsformel durch die Bezeichnung als besonders schwerer Raub zum Ausdruck zu bringen sein (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 3. September 2009 – 3 StR 297/09, [X.], 101 mwN).

2. Im Fall der Verurteilung des Angeklagten wird die vom Angeklagten erlittene Auslieferungshaft in einem vom neuen Tatrichter zu bestimmenden Anrechnungsmaßstab auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen sein (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB).

3. Ergänzend verweist der Senat auf die Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift vom 7. März 2016.

Mutzbauer                          Roggenbuck                          Cierniak

                       [X.]                                 [X.]

Meta

4 StR 102/16

30.03.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Paderborn, 17. Dezember 2015, Az: 1 KLs 45/15

§ 261 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.03.2016, Az. 4 StR 102/16 (REWIS RS 2016, 13798)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13798

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 102/16 (Bundesgerichtshof)


5 StR 439/08 (Bundesgerichtshof)


1 OLG 2 Ss 29/18 (Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken)


4 StR 501/10 (Bundesgerichtshof)

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Beweiswert der Wiederkennungsleistung des Zeugen bei einer sequentiellen Wahllichtbildvorlage und des wiederholten …


4 StR 468/17 (Bundesgerichtshof)

Strafurteil: Notwendige Feststellung der Vorschriftsmäßigkeit einer Wahllichtbildvorlage bei Nichtidentifizierung des Angeklagten durch den Zeugen in …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.