Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.03.2024, Az. VIa ZR 1318/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1738

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 11. August 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufungsanträge zu I., zu III. und zu [X.] zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb im September 2017 von einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten [X.] 3.0. [X.], der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor mit der Typbezeichnung [X.] ausgerüstet ist. Die [X.] erfolgt unter Verwendung einer Abgasrückführung, welche nach klägerischem Vortrag innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters reduziert wird ("Thermofenster").

3

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen (Berufungsantrag zu [X.]) und ausgerechneter Deliktszinsen (Berufungsantrag zu I[X.]) Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu II[X.]) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu [X.]). Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu [X.], zu II[X.] und zu [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des [X.] hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

6

Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Selbst wenn es sich bei dem "[X.]" um eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung handeln sollte, folge eine Haftung der [X.] daraus noch nicht. Hierfür bedürfe es vielmehr weiterer Umstände, an denen es vorliegend ebenso fehle wie an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz der [X.]. Die Verwendung weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen im klägerischen Fahrzeug sei nicht substantiiert dargetan.

7

Auch scheide ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 [X.] aus, weil der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe, dass die Beklagte gegen die Verbote zumindest fahrlässig verstoßen habe. Zudem bleibe der [X.] bei seiner bisherigen Rechtsauffassung, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der §§ 6, 27 [X.] liege. Selbst wenn die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen angenommen würden, scheitere ein Schadensersatzanspruch des [X.] an einem fehlenden Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB. Denn dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug drohe weder eine Stilllegung noch eine sonstige Betriebsbeschränkung.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat.

Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass ein in die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs implementiertes "[X.]" eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 darstellt. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] hat es dennoch eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB abgelehnt, weil die eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, sondern in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet, und es weitere Umstände, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen, nicht festgestellt hat (vgl. [X.], Urteil vom 16. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 48; Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 12; Beschluss vom 19. Januar 2021 - [X.], NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.). Soweit die Revision insoweit Verfahrensrügen erhebt, hat der [X.] diese geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Doch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung im Hinblick auf das "[X.]" ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] nicht verneint werden.

a) Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 20).

b) Mit den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen zu einem unvermeidbaren Verbotsirrtum der [X.] kann ein Anspruch des [X.] auf Ersatz des [X.]s gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] nicht verneint werden, wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat. Dem steht schon entgegen, dass der Fahrzeughersteller, will er sich zur Widerlegung der Verschuldensvermutung ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 59 f.) auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen, einen Irrtum konkret darlegen und beweisen muss ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 63), und zwar in Bezug auf die nach § 31 BGB Verantwortlichen (vgl. [X.], Urteil vom 25. September 2023 - [X.], NJW 2023, 3796 Rn. 14).

c) Ebenso wenig kann die Haftung der [X.] aus § 823 Abs. 2 BGB mit der Begründung abgelehnt werden, es fehle an einem Schaden, weil dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug weder eine Stilllegung noch eine sonstige Betriebsbeschränkung drohe. Vielmehr hat der [X.] nach der angefochtenen Entscheidung sowohl entschieden, dass eine Verringerung des objektiven Werts des Kraftfahrzeugs infolge seiner Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zu einem Kraftfahrzeug der betreffenden Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO verneint werden kann, als auch die für die Schätzung des Schadens geltenden Maßstäbe geklärt ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245, Rn. 41 und 71 ff.).

III.

Die angefochtene Entscheidung ist gemäß § 562 ZPO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], [X.]Z 237, 245) und des Urteils vom 25. September 2023 ([X.], NJW 2023, 3796 Rn. 13) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] zu treffen haben.

[X.]     

      

Möhring     

      

Krüger

      

Wille     

      

Liepin     

      

Meta

VIa ZR 1318/22

19.03.2024

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 11. August 2022, Az: 7 U 306/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.03.2024, Az. VIa ZR 1318/22 (REWIS RS 2024, 1738)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1738

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 412/21

III ZR 303/20

VI ZR 433/19

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