Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.04.2018, Az. 2 StR 428/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 10131

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:250418U2STR428.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2
StR 428/17
vom
25. April
2018
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] in der Sitzung vom 25.
April
2018, an der
teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Appl

als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
[X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

,

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-

1.
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 29. März 2017 wird ver-worfen.
2.
Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und die im Re-visionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des [X.] zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und unerlaubtem Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, die Un-terbringung in einer Entziehungsanstalt bei [X.] von zwei Jahren und sechs Monaten
Freiheitsstrafe angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte [X.] der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des [X.]s begab sich der Angeklagte am 29.

.

,
um dort die als Bedienung tätige [X.]

, mit der
er
kurz zuvor eine
1
2
-
4
-
Beziehung begonnen hatte, zu besuchen. Er beabsichtigte, ihr dort bis zum Schließen des Lokals Gesellschaft zu leisten, um anschließend mit ihr in seiner Wohnung zu übernachten. Im Café
hielt sich seit dem Nachmittag auch das spätere Tatopfer, der Zeuge Ö.

, auf. Er spielte im Laufe des [X.] mit ande-
ren Gästen Karten und unterhielt sich mit ihnen. Bis gegen Mitternacht, als die meisten Gäste das Café verlassen hatten, konsumierte der Angeklagte Kokain und trank in erheblichem Umfang Bier und Schnaps. Er setzte sich schließlich
zu Ö.

an dessen Tisch, an dem auch noch die Zeugen Y.

und Öz.

saßen und ein Gespräch über die gegenwärtigen politischen Gegebenheiten in der [X.] führten. Auch nach dem Hinzukommen des Angeklagten
setzten die-se ihr
Gespräch fort. Es kam in der Folge zu einer kontroversen politischen [X.], die vor allem zwischen dem Angeklagten und Ö.

leidenschaftlich
und lautstark geführt
wurde. Ö.

beklagte ein Demokratiedefizit in der [X.]
sowie die Unterdrückung und Entrechtung der [X.]. Dabei äußerte er
ein gewisses Verständnis für die (verbotene) kurdische Arbeiterpartei [X.], ohne allerdings die von ihr
veranlassten gewalttätigen Anschläge auf [X.] Ein-richtungen zu rechtfertigen, und kritisierte das Vorgehen des [X.]n Staates gegen die [X.].
Der Angeklagte, der sich als Anhänger [X.] bezeichne-te, warf Ö.

vor, die [X.]

für die Rechte der [X.] dazu beizutragen, dass das Land gespalten werde.
Dabei blieb die Atmosphäre während der mehrstündigen Diskussion sich stetig steigernde Wut auf Ö.

auf, dem er mangelnden Patriotismus vor-
warf. Dessen ständige Kritik an der [X.]n Regierung empfand er als Belei-dung des [X.]n Staates, durch die
er
sich in seiner persönlichen Ehre als [X.] verletzt fühlte. Deshalb verspürte er schließlich das dringende Bedürfnis,
Ö.

strafen.
3
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5
-
Gegen 4.00
Uhr morgens, als das Café schließen sollte, bemerkte Ö.

,
dass ihm die Zigaretten ausgegangen waren. Da anderweitig keine zu besorgen waren, bot der Angeklagte Ö.

an, mit ihm kurz nach Hause zu kommen und
ihm dort welche zu geben. Tatsächlich beabsichtigte er, ihn mit einer Schuss-waffe anzugreifen und zu verletzen. Ö.

ging, ohne etwas zu ahnen, auf den
Vorschlag ein und versuchte noch vergeblich, den Zeugen Y.

zum Mit-
kommen zu überreden. Schließlich folgte er dem Angeklagten und der Zeugin
Fa.

, die schon ein Stück voraus gelaufen waren. Nach wenigen Minuten
erreichten sie den Innenhof vor dem Gebäude in der A.

straße, in dem der
Angeklagte zusammen mit seinen Eltern eine Wohnung teilte. Der Angeklagte
bat Ö.

und die [X.]

zu
warten, bis er die Zigaretten geholt habe.
Nach ca. fünf Minuten kehrte
er
ohne Zigaretten, aber mit einem Revolver, Kali-ber
38, den er unauffällig in seiner rechten Hand hielt, zurück. Diesen
hatte er aus einem Versteck vom Dachboden des Hauses geholt.
Unmittelbar nachdem der Angeklagte die beiden Zurückgebliebenen [X.] hatte, zog er die [X.]

schnell mit der linken Hand zur Seite und
gab aus einer Entfernung von ca. 3
Metern kurz hint[X.]ander zwei gezielte Schüsse mit der ausgestreckten rechten Hand auf die unteren Gliedmaßen des durch den Angriff überraschten Ö.

ab. Dabei beabsichtigte er, ihn im Bereich
der Beine zu verletzen. Seinen Tod nahm er nicht billigend in Kauf. Während
.

brach nach dem zweiten Schuss, der ihn im linken Oberschenkel getroffen und zu einem Trümmerbruch geführt
hatte, zusammen. Der Angeklagte kümmerte sich nicht um ihn und verließ zunächst mit der [X.]

den Innenhof. Sie
kamen jedoch alsbald zurück und sahen das Tatopfer noch immer regungslos auf dem Boden liegen. Der Angeklagte brachte zunächst die Tatwaffe zurück auf den Dachboden und ging anschließend mit der [X.]

in seine
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-
6
-
Wohnung. Dort forderte er
die [X.]

auf, mit ihrem Handy einen Ret-
tungswagen herbeizurufen, da er befürchtete, den Geschädigten schwer ver-letzt zu haben. Dies tat sie um 4.25
Uhr,
unter einem falschen Namen und ohne auf die Schussverletzung des Geschädigten hinzuweisen. Zu diesem [X.]punkt war die Polizei, die um 4.26
Uhr einen Streifenwagen mit Sondersignal zum Tatort entsandt
hatte, allerdings bereits knapp vier Minuten zuvor von dem [X.] Ö.

informiert worden.
Bei der anschließenden Durchsuchung der
Wohnung des Angeklagten wurde in einem Kleiderschrank diesem gehörende erlaubnispflichtige Munition aufgefunden.
Der Angeklagte wies zur Tatzeit eine errechnete Maximalblutalkoholkon-zentration von 3,10
Promille auf;
gleichwohl ist das [X.] nicht von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgegangen.
Der Geschädigte
Ö.

hielt sich in der Folge zu mehreren Operationen
des zertrümmerten Oberschenkels stationär im Krankenhaus auf; er kann sich nur noch mühsam mit Krücken und unter Schmerzen fortbewegen. Es ist nicht abzusehen, dass er körperlich wieder vollständig hergestellt werden kann. Er leidet auch seelisch unter der Tat und befindet sich in psychologischer [X.]. Seine Lebensverhältnisse haben sich grundlegend verändert. Er konnte seine Tätigkeit als Sozialarbeiter nicht fortsetzen. Auch eine Tätigkeit in der Gastronomie, in der er zuvor tätig gewesen war, ist ihm infolge der [X.] körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen auf absehbare [X.] nicht möglich.
Das
[X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und unerlaubtem Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Eine 6
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-
7
-
Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts hat es verneint, weil es einen Tötungs-vorsatz nicht feststellen konnte.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg. Die Erwägungen, mit denen das Schwurgericht einen (bedingten) Tötungsvorsatz abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung stand.
1.
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage
einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (Senat, Urteil vom 16.
September 2015

2
StR
483/14, [X.], 25, 26; [X.], Urteil vom 27.
Januar 2011

4
StR
502/10, [X.], 699, 702). Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende [X.] Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. [X.], Urteil vom 13.
Januar 2015

5
StR
435/14, [X.], 216). Hinsichtlich des [X.] sind neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Per-sönlichkeit des [X.], sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche umfassende Gesamtbetrachtung einzubezie-hen ([X.], Urteil vom 11.
Oktober 2000

3
StR
321/00, [X.]R StGB §
212 Abs.
1 Vorsatz, bedingter
51).
9
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-
8
-
Bei einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung, die insbesondere
anzu-nehmen ist, wenn

wie hier

der Täter auf das Tatopfer mit einer scharfen Schusswaffe schießt ([X.], Beschluss vom 28.
November 1995

4
StR
642/95, [X.], 7; Urteil vom 8.
Juni 1993

5
StR
88/93, [X.], 488
f.), liegt es zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, und dass er, weil er gleichwohl sein gefährliches Han-deln beginnt oder
fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (Senat, Beschluss vom 27.
August 2013

2
StR
148/13, NStZ
2014, 35).
Dies enthebt den Tatrichter indes nicht von
der Verpflichtung, die subjektive Tatseite unter Berücksichtigung aller für und gegen sie sprechenden Umstände sorgfältig zu prüfen (Senat, Beschluss vom 27.
Oktober 2015

2
StR
312/15, NJW 2016, 1970, 1971 f.).
2.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
Das [X.] hat sich insbesondere aufgrund des festgestellten [X.] und des Umstands, dass der
Angeklagte
ein geübter Schütze ist, ohne Rechtsfehler die Überzeugung verschafft, dass er gezielt auf die Beine
des Tatopfers geschossen und dabei darauf vertraut hat, dass er [X.] anderen Körperbereiche treffen werde. Es hat

ausgehend von einem zu-treffenden Maßstab, der die Gefährlichkeit des Schusswaffeneinsatzes als
einen wesentlichen,
für die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz sprechen-den Umstand ansieht

eine umfassende Gesamtabwägung vorgenommen, in der es alle für die konkrete Tat maßgeblichen Umstände aufgegriffen
hat. [X.] hat es berücksichtigt,
dass ein Schuss in den Oberschenkel eines Menschen wegen der Gefahr, dort die Oberschenkelschlagader zu treffen, eine gefährliche Handlung darstellt.
11
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13
-
9
-
Im Ergebnis kann hier dahinstehen, ob die Erwägung des Schwurge-richts
rechtlichen Bedenken ausgesetzt ist, der Angeklagte habe bereits die durch einen Schuss in den Oberschenkel begründete Lebensgefahr nicht er-kannt, weil es sich um Spezialwissen handele, über das der Angeklagte nicht verfügt habe. Für die daraus
sich ergebende Schlussfolgerung der [X.], es fehle deshalb bereits am kognitiven Element des Tötungsvorsatzes, könnte immerhin sprechen, dass der Angeklagte,
unmittelbar nach der Tat auf den Vorwurf eines versuchten Tötungsdelikts angesprochen,
darauf [X.] hat, nur auf die Beine
seines Opfers geschossen zu haben.
Jedenfalls
aber
hat das [X.] mit insgesamt tragfähigen Erwägun-gen das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes verneint. Es hat dabei alle maßgeblichen Umstände in seine Gesamtabwägung eingestellt, ohne damit überspannte Anforderungen an die Feststellung des Tötungsvorsatzes zu stellen. Demgegenüber erweist sich das Vorbringen der Revision, das [X.] habe den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer [X.] zu gering veranschlagt, oder auch deren Bewertung der Motivation und des [X.] des Angeklagten weitgehend als eine eigene Wür-digung der Umstände, ohne dass damit der Sache nach ein Rechtsfehler auf-gezeigt wird. Dies gilt auch für den Gesichtspunkt
der
alkoholbedingten
Ent-hemmung des Angeklagten. Dass das Landgericr-

Revisionsführerin nicht zu beanstanden. Zwar kann eine
Alkoholisierung geeig-net sein, die Hemmschwelle für besonders gravierende Gewalthandlungen her-abzusetzen, und damit zu einem Umstand werden, der für die billigende [X.] spricht. Eine alkoholische Beeinflussung des [X.] zur Tatzeit kann aber durchaus auch dazu führen, dass dieser das in [X.] enthaltene Risiko einer Tötung falsch einschätzt
(vgl. Senat,
Urteil
vom 14
15
-
10
-
17.
Juli 2013

2
StR
176/13, [X.], 341
f.). Erweist sich damit ein Beweisanzeichen

wie hier die alkoholbedingte Enthemmung des [X.]
(vgl. [X.], Urteil vom 27.
Juli 2017

3
StR
172/17, [X.], 37, 38
f.)

als [X.], ist eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in [X.] der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszu-sammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung ent-faltet, vom Revisionsgericht hinzunehmen
(vgl. [X.], Urteil vom 20.
September 2012

3
StR
158/12,
[X.], 89, 90). Das [X.] ist

wie sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lässt

davon aus-gegangen, dass die Tatbegehung durch den Alkoholgenuss zumindest
begünstigt worden ist und der Angeklagte sein Tatopfer ansonsten lediglich ge-ohrfeigt hätte. Dass es daraus nicht den Schluss gezogen hat, er habe in Folge des [X.] den möglicherweise tödlichen Ausgang billigend in Kauf genommen, sondern der alkoholbedingten Enthemmung stattdessen eine ge-gen den Vorsatz sprechende Bedeutung zugemessen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Appl [X.] Eschelbach

[X.] [X.]

Meta

2 StR 428/17

25.04.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.04.2018, Az. 2 StR 428/17 (REWIS RS 2018, 10131)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 10131

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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