Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.02.2019, Az. V R 68/17

5. Senat | REWIS RS 2019, 10334

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Gegenstand

Steuerhaftung des Rechtsanwalts


Leitsatz

Der Einwendungsausschluss nach § 166 AO kann auch zu Lasten eines vom Steuerpflichtigen beauftragten --und für die Steuerschuld haftenden-- Rechtsanwalts wirken, wenn er mangels entgegenstehender Weisung in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Bevollmächtigter anzufechten.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 10. Mai 2017  1 K 21/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) nimmt den Kläger und Revisionskläger (Kläger) als Haftungsschuldner für Steuerschulden der [X.] (GmbH), die Rechtsnachfolgerin der [X.] ([X.]) ist, gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. § 171 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) in Anspruch.

2

Der Kläger war seit Gründung der [X.] bis zu seinem Austritt im Jahr 2013 Kommanditist der [X.]. Persönlich haftende Gesellschafterin der [X.] war die GmbH, die nach Austritt des [X.] auch Rechtsnachfolgerin der [X.] wurde. Nach der Steuerbilanz der [X.] zum 31. Dezember 2008 hatte der Kläger eine Kommanditeinlage in Höhe von 10.000 € nicht einbezahlt.

3

Mangels Umsatzsteuererklärung der [X.] für das Jahr 2009 schätzte das [X.] die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO und erließ am 18. März 2014 einen Umsatzsteuerbescheid, durch den die Umsatzsteuer auf 17.461,38 € festgesetzt wurde. Grundlage der Schätzung war eine Rechnung vom 29. Dezember 2009, die die [X.] als Rechnungsaussteller ausweist und in der Umsatzsteuer in Höhe von 17.461,38 € ausgewiesen ist. Aufgrund der Feststellungen einer bei der [X.] durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung ging das [X.] davon aus, dass die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geschuldet werde, da über die Lieferung und die Montage einer Photovoltaikanlage Umsatzsteuer ausgewiesen worden sei, obwohl keine Leistung erbracht worden sei.

4

Der Umsatzsteuerbescheid war Gegenstand eines erfolglosen Klageverfahrens beim Finanzgericht ([X.]). Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde von der [X.] als Beschwerdeführerin zurückgenommen. Bevollmächtigter der Steuerschuldnerin im Verfahren vor dem [X.] ([X.]) war der Kläger.

5

Den am 10. Juli 2014 gegen den Kläger erlassenen Haftungsbescheid beschränkte das [X.] auf die Höhe der nicht eingezahlten Kommanditeinlage von 10.000 €. Einspruch und Klage zum [X.] gegen den Haftungsbescheid hatten keinen Erfolg. Nach dem Urteil des [X.] erstreckt sich die Drittwirkung der unanfechtbar gewordenen Umsatzsteuerfestsetzung gegen die [X.] gemäß § 166 AO auch auf den Kommanditisten, der als Prozessbevollmächtigter der [X.] in den gegen den Steuerbescheid geführten Rechtsmittelverfahren aufgetreten ist. Eine gegenteilige Weisung habe der Kläger nicht nachgewiesen. Unabhängig hiervon sei auch von einer Steuerschuld der [X.] nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG auszugehen.

6

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. [X.] Prozessbevollmächtigte seien keine Bevollmächtigten i.S. von § 166 AO. Der Geschäftsführer der [X.] habe ihn zur Rücknahme der Beschwerde angewiesen. § 14c UStG sei nicht auf unvollständige Rechnungen anzuwenden. Bei Bösgläubigkeit bestehe zudem die Haftung nach § 71 AO, so dass im Fall der Gutgläubigkeit keine Steuerschuld nach § 14c UStG anzunehmen sei. Ein Zeuge hätte belegen können, dass ein Leistungswille der [X.] bestanden habe und § 14c UStG auch deshalb nicht anzuwenden sei.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] und den Haftungsbescheid vom 10. Juli 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. April 2015 aufzuheben.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Im Verfahren vor dem [X.] sei das Vorliegen einer Weisung zur Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Der [X.] lege § 14c UStG zutreffend aus.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat materiell- und verfahrensrechtlich zutreffend entschieden.

1. Das [X.] hat zutreffend eine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG bejaht, die dem Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO i.V.m. § 171 Abs. 1 HGB zugrunde liegt.

a) Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet gemäß § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt.

Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 203 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Die Mehrwertsteuer wird danach von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.

b) Der erkennende Senat hat hierzu bereits entschieden, dass der unberechtigte Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 2 UStG nicht voraussetzt, dass die Rechnung alle in § 14 Abs. 4 UStG aufgezählten Pflichtangaben aufweist (BFH-Urteil vom 17. Februar 2011 V R 39/09, [X.], 94, [X.], 734, Leitsatz 1).

c) Der erkennende Senat hält hieran entgegen den Einwendungen des [X.] weiter fest. Insbesondere bestehen entgegen [X.] ([X.] UStG, [X.]., § 14c Rz 206 ff.) keine unionsrechtlichen Bedenken. Denn Art. 203 MwStSystRL soll einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann (Urteil des Gerichtshofs der [X.] --EuGH-- [X.] vom 11. April 2013 [X.]/12, [X.]:C:2013:233, Rz 24). Dem trägt die Rechtsprechung des erkennenden Senats Rechnung. Ein Fall eines irrtümlichen Steuerausweises, der dem vom Kläger in Bezug genommenen EuGH-Urteil [X.] u.a. vom 6. November 2003 C-78/02 bis [X.]/02 ([X.]:[X.]) entsprechen könnte, ist nicht ersichtlich. Auf die vom Kläger als wesentlich angesehene steuerstrafrechtliche Beurteilung kommt es nicht an. Auch im Fall eines unzutreffenden Steuerausweises in gutgläubig erteilten Rechnungen bedarf es bis zur Rechnungsberichtigung der Steuerschuld nach § 14c UStG, um die Gefährdung des Steueraufkommens auszuschließen. Dabei ergänzt § 14c UStG nicht bloß die Haftung nach § 71 AO, sondern hat eigenständigen Charakter im Besteuerungsverfahren des Unternehmers.

d) Auf die Frage des Leistungswillens bei einer Rechnung über eine erst noch zu erbringende Leistung, der einer Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG entgegenstehen könnte, kommt es nach den für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) nicht an, da der Kläger mit seinem Hinweis auf eine hierzu mögliche Zeugeneinvernahme nicht in der gebotenen Form einen Verfahrens- und Aufklärungsmangel gerügt hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23. Oktober 2014 V R 23/13, [X.], 480, [X.], 313, Leitsatz 2 zur erforderlichen Substantiierung von Beweisanträgen).

2. Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht auch entschieden, dass der Kläger mit seinen Einwendungen gegen die Steuerschuld präkludiert ist.

a) Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies nach § [X.] neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.

b) § [X.] soll das Haftungsverfahren von Fragen der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzungen befreien und verhindern, dass im Haftungsverfahren das Besteuerungsverfahren nochmals aufgerollt und dadurch das Haftungsverfahren unnötig verzögert wird, wenn der [X.] als Vertreter des Steuerpflichtigen bereits zur Anfechtung der Steuerfestsetzung befugt war oder diese bereits erfolglos angefochten hat. § [X.] verlangt von den dort genannten Personengruppen, dass sie von einer ihnen eingeräumten uneingeschränkten Rechtsmittelbefugnis Gebrauch machen (BFH-Urteil vom 27. September 2017 XI R 9/16, [X.], 221, [X.] 2018, 515, unter III.2.a, m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).

c) § [X.] setzt voraus, dass der Vertreter oder Bevollmächtigte zu einer Anfechtung "in der Lage gewesen wäre". Erforderlich ist daher, dass er aufgrund des Vertretungsverhältnisses zur Anfechtung rechtlich in der Lage war ([X.] in Tipke/ [X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § [X.] Rz 15). § [X.] ist daher bei einer Gesamtvertretung in der Regel gegenüber keinem Gesellschafter anzuwenden (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1997 VII R 30/97, [X.], 105, [X.] 1998, 319). Dementsprechend ist § [X.] unanwendbar, wenn Bindungen im Innenverhältnis den Vertreter an der Einlegung des Rechtsbehelfs hindern ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], § [X.] Rz 11).

d) Im Streitfall war der Kläger in seiner Eigenschaft als Kommanditist für die [X.] nach § 164 HGB weder geschäftsführungs- noch vertretungsbefugt, so dass eine Anwendung von § [X.] nur in Bezug auf die Stellung des [X.] als Rechtsanwalt und damit als Bevollmächtigter in Betracht kommt.

Dies hat das [X.] im Ergebnis zutreffend bejaht. Der Einwendungsausschluss nach § [X.] kann auch zu Lasten eines vom Steuerpflichtigen beauftragten --und für die Steuerschuld haftenden-- Rechtsanwalts wirken, wenn er mangels entgegenstehender Weisung in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Bevollmächtigter anzufechten.

Der erkennende Senat hat dabei nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht abschließend zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein weisungsgebundener Bevollmächtigter zur Anfechtung "in der Lage gewesen wäre". Insoweit erscheint die vom [X.] allgemein bejahte Anwendung von § [X.] auch auf Rechtsanwälte zwar zweifelhaft. Doch auch eine Beurteilung entsprechend der vorstehend wiedergegebenen Kommentarliteratur unter Beachtung der im Innenverhältnis bestehenden Bindungen führt aufgrund der Besonderheiten im Streitfall zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn dann käme es auf den Nachweis einer Weisung an, die der Anfechtung entgegenstand, da ein weitergehender, von den Umständen des Einzelfalls unabhängiger Ausschluss von § [X.] mit den mit dieser Regelung verfolgten Zielen (s. oben [X.]) nicht vereinbar ist.

Im Streitfall ist daher maßgeblich, dass das [X.] den Kläger vor der mündlichen Verhandlung auf die Bedeutung der Drittwirkung der Steuerfestsetzung nach § [X.] hingewiesen hatte, der fachkundig sich selbst vertretende Kläger seinen Vortrag zu einer ihm erteilten Weisung aber weder konkretisiert noch glaubhaft gemacht hat.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 68/17

14.02.2019

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 10. Mai 2017, Az: 1 K 21/17, Urteil

§ 166 AO, § 14c UStG 2005, Art 203 EGRL 112/2006, § 191 AO, § 14 Abs 4 UStG 2005, § 80 AO, UStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.02.2019, Az. V R 68/17 (REWIS RS 2019, 10334)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10334

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14 K 2411/21

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